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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 45 - Mai/Juni 1990


AUS DER LANDESKIRCHE

Die zum Hessenkopf eilenden Mitglieder der Landessynode wurden vom zurückströmenden Gesamtkonvent der Propstei Braunschweig, der dort 3 Tage fruchtbar über Bonhoeffer mit Unterstützung von Prof. Gremmels gebrütet hatte, nur mitleidig beäugt. "Nun tagt mal schön", beschied mich P. Länger und P. Kühner. Auf deutsch: da kommt ja doch nichts raus. Ständige Besucher der Synode haben allerdings den Eindruck, "daB sich was verändert hat". Sie meinen, "die Synode bewege sich wieder". Mal sehen und in welche Richtung. - Der AK 70,die unübersehbare, kirchenreformerische Mittelgruppe der Synode unter dem Vorsitzenden Schliepack setzte eine wichtige Personalentscheidung mit großer Mehrheit durch: Dr. Bosse, Richter am Oberlandesgericht in Braunschweig, wurde mit großer Mehrheit als Mitglied der Kirchenregierung gewählt, "um als Jurist ein Gegengewicht zu den Juristen des Landeskirchenamtes zu sein", wie Herr Seifert bei der Vorstellung meinte. So, so - sowas brauchen wir also! Es schied aus der Kirchenregierung Horst' Schmidt, der Vorsitzende der Propsteisynode Königslutter, der in der März-Synode vorübergehend an die Stelle von Herrn Eckels in die Kirchenregierung gewählt worden war, Stimmenergebnis: 34 (Bosse):12(Schmidt), 1 Enth.
Der Rechtsausschuß muß sich nun einen neuen Vorsitzenden wählen.

Die Neuen in der Synode haben an wichtigen Stellen eine Änderung der Geschäftsordnung durchgesetzt. Der Rechtsausschuß hatte die Anregungen des Synodalen Vollhardt aufgenommen. In der Fragestunde können nicht nur der Fragesteller (so bisher), sondern auch andere Synodalen weitere Fragen stellen. Zu Vorbereitung bekommen die Synodalen jetzt vorher die Fragen schriftlich zugeschickt.

Die Mitteilungen der Kirchenregierung erfolgen nun schriftlicht. Auch dazu können die Synodalen erstmals Fragen stellen. Fragen und Beantwortung soll 30 Minuten nicht überschreiten. Auch zu den Berichten über das Geschehen aus anderen Synoden können Fragen an den Berichterstatter gestellt. Es wird also lebhafter in der Synode. Die Synodalen sind nicht mehr stumme Empfänger der Mitteilungen der Kirchenregierung, sondern können sie gleich auf Gehalt und Substanz abklopfen. Der Synodalpräses setzte das neue Instrumentarium auch stante pede in Gang und siehe da, es regnete Fragen an die Kirchenregierung. Das alberne Aufrufen der Synodalmitglieder zu Beginn der Sitzung entfällt endlich. Es erfolgt nur, wenn die Beschlußfähigkeit angezweifelt wird. Dazu bestand auf dieser Mai-Synode kein Anlaß. Präses Eckels stellte in seinem Schlußwort erfreut fest, daß die Synode bis zum Ende am Samstag um 17.15 Uhr beschlußfähig geblieben war.

Eine ulkige Debatte gab es bei der Frage, ob jede Synodalsitzung mit einem Gottesdienst "eröffnet" werden solle. Mit der knappen Mehrheit von 18:17 soll es dabei bleiben. Die große Mehrheit war zwar nicht gegen einen Gottesdienst, aber dafür, daß er nicht unbedingt am Anfang einer Tagung stehen mußte. Leider war, wie schon in Wolfenbüttel, auch in der Goslarer Marktkirche am Freitag - Abendgottesdienst kein einzige Gemeindeglied zu sehen. Das signalisiert, das gründlich gestörte Verhältnis der Synode zur Basis. Es
wäre dringend zu wünschen, daß die Gottesdienste der Synode ebenfalls mehr gelüftet würden. Vielleicht übernimmt mal eine Synodalgruppe oder ein Ausschuß die Gestaltung eines Gottesdienstes. So langweilig und auch freudlos muß es wirklich nicht bleiben. Der Rechtsausschuß qfr1sich mit weiteren Verbesserungen noch befassen.

An den 21 Seiten langen Bericht des Bischofs zur Lage "unter besonderer Berücksichtigung der Partnerbeziehungen zu den Kirchen in der DDR"( der gewiß im KURIER vollständig abgeduckt wird, daher lassen wir hier eine ausführliche Besprechung) schloß sich eine kurze Debatte an (Liersch, Kuessner, Boetcher). Die eigentliche Provokation landete Oberkirchenrat Ihmels(Sachsen). Er verschwieg nicht die offenbar tiefgreifende Verstimmung zwischen beiden Landeskirchen zu Jahresanfang, ging zur Loccumer Erklärung auf Distanz und forderte ein Gespräch über die Kirche, und zwar über das Ausmaß der Säkularisierung, die den wirklichen Zustand der Kirche nur demaskiert habe(1), über die Freiheit unter den Zwängen der Marktwirtschaft(2) und über das Mandat der Kirche (Nach den Landtagswahlen werden weitere kirchl. Mitarbeiter in die Politik abwandern. Die erfrischenden Äußerungen von Ihmels wurden von OLKR Dr. Niemann und dem Syn. Lüers ziemlich schroff zurückgewiesen. Die eigentliche Auseinandersetzung entzündete sich an einem vom Syn. Voss eingebrachten Antrag, ein Wort an die Gemeinden zu richten. Der Antrag hatte diesen Wortlaut:

Wir beantragen, die Synode der Braunschweiger Landeskirche möge an die Gemeinden der Braunschweiger Landeskirche folgendes Wort richten:

"Die Synode der Braunschweiger Landeskirche richtet an die Gemeinden der Braunschweiger Landeskirche folgendes Wort:

Wir haben uns mit dem gegenseitigen Verhältnis unserer Landeskirche mit den Kirchen der DDR ausgiebig beschäftigt. Wir haben vor uns die Vereinigung beider deutschen Staaten und hoffen auf ein großes, gemeinsam gefeiertes Fest.
Wir sind aber davon betroffen, daß das forcierte Tempo der Vereinigung die Vorbereitung dieses Festes stört und den Vorgang der Vereinigung mit Friedlosigkeit und Ängsten bei den Bürgern der DDR und der Bundesrepublik erfüllt. Wir bitten die Gemeinden, beteiligt euch nicht an der unchristlichen Hast. Übt euch in Geduld. Umso schöner wird das Fest, das vor uns liegt.

Es gibt inzwischen eine wachsende Gehässigkeit auf den Staatsbürger des jeweils anderen Staates bis in die Reihen der Gemeindeglieder hinein.

Wir bitten euch: Überwindet das Böse mit Gutem.
Wir sind in Sorge, daß die Versöhnung und der Friede mit den Völkern der Sowjet-Union unter, der gegenwärtigen Art der Vereinigungspolitik leidet. Unser Streben nach Einheit darf den Frieden mit unseren Nachbarvölkern nicht beschädigen.

Wir bitten euch: Haltet Frieden, soweit es an euch ist, mit jedermann.

Besonders aber wollen wir die Verbindung zu den Gemeinden in der DDR vertiefen, von ihnen lernen und aufeinander hören. Wir bitten, darauf zu verzichten, sie zu unseren Gemeinde- und Kirchenformen zu drängen. wir wollen zusammenwachsen und erstreben eine äußere, organisatorische Gestalt einer gemeinsamen Evangelischen Kirche in Deutschland an, nachdem wir zusammengewachsen sind.

Wir hoffen, daß wir dann in einer neuen gemeinsamen Kirche leben.

[Unterschrift]

Fiedler: "Das ist ein ganz schlimmer Antrag". Hier handele es sich um den Frust jener, die sich andere, nicht eingetretene politische Verhältnisse erhofft hätten. Nach der Mittagspause werde er einen eigenen Antrag einreichen. Hier ist er:

Antrag (Syn. Fiedler)

Die Landessynode möge folgendes Wort an die Kirchengemeinden beschließen:

"Die Landessynode bekundet ihre Freude und Dankbarkeit über die eränderte politische Lage in beiden Teilen Deutschlands. Sie eröffnet die Möglichkeit, daß das über Jahrzehnte getrennte deutsche Volk zu einer Einheit zusammenwachsen kann. Dies gilt besonders auch für den Bereich der evangelischer Kirche.

Die Landessynode bittet alle Kirchengemeinden, die neuen Möglichkeiten zu nutzen, die Partnerschaftsarbeit zu vertiefen und in Fürbitte, Austausch und materieller. Hilfe die Kirchengemeinden in der DDR nach Kräften zu unterstützen.

Die Landessynode erkennt die mancherlei Ängste, Besorgnisse und Unsicherheiten bei vielen Menschen in beiden Teilen Deutschlands. Sie fordert alle Gemeinden auf, Zeichen der Ermutigung, der Hoffnung und des Vertrauens zu setzen und allen Versuchen zu wehren, daß erneut Spannungen, Mißverständnisse und Ablehnung zwischen den Menschen in beiden Teilen Deutschlands entstehen.

Die Landessynode drückt ihre Hoffnung aus, daß nach einen Prozeß des Zusammenwachsens der Kirchen besondere Zeichen der Versöhnung, des Friedens und der Gerechtigkeit vom deutschen Volk ausgehen.

Die Landessynode bittet die Kirchengemeinden, während des Einigungsprozesses nicht die Verantwortung für die Hilfe in anderen Teilen der Welt zu vernachlässigen.

[Unterschrift]

Der Antrag Fiedler brachte nichts wirklich Neues. Aber er war mißverstehbar als das übliche, die Regierung Kohl mit Jubelgelalle begleitende Geträllere der Volkskirche. Er zeigte kein Gespür für die wirkliche Situation der Gemein-den an der innerdeutschen Grenze( wovon überhaupt wie auch von den zahlreichen Bemühungen der Propsteien und Kirchengemeinden gar nicht die Rede war!), nämlich von der tatsächlich wachsenden Gehässigkeit untereinander, was der Syn. Bengsch ausdrücklich bestätigte. Die große Mehrheit lehne das Tempo der Kohlschen Vereinigungspolitik ab, hörte man am nächsten Tag im Fernsehen. Und das Interesse an der Vereinigungspolitik rücke auf die hinteren Ränge: Arbeitslosigkeit und Umwelt seien wichtiger. Der Antrag Voss lag also durchaus im Trend. Der Antrag Fiedler war allerdings hochkarätig unterzeichnet: die Vorsitzenden von 4 Ausschüssen (Adam, Bosse, Fürst, Seifert) und der Vorsitzende von AK 7o: ein untrügliches Zeichen, daß der AK 7o aus der Mitte auch nach rechts abrutschen kann. Mit dieser wuchtigen Unterstützung war der Antrag Voss für alle Kenner der Synode gescheitert. Dieser jedoch war in der Mittagspause vor • allem unter Beteiligung der DDR-Gäste und OLKR Niemann wesentlich entschärft worden: die biblischen Bezüge störten offenbar, die konkrete Benennung der Beschwerden und die blumige Sprache. Fiedler ließ es mit der satten Unterstützung auf eine Kraftprobe gegen die von den "Neuen in der Synode" unterzeichneten veränderten Antrag Voss, Bengsch, Vollhardt, Herzog, Weitze, Fechner ankommen. Überraschend zogen Bosse und Fürst offen die Unterstützung Fiedlers zurück. Es half nichts, daß Bassen und Buttler einsprangen und den Antrag Fiedler erneut stützten. Jürgens warb für den Antrag "der Neuen", und sie erhielten erstaunlicherweise eine rauschende Mehrheit. Nach der Abwahl von Schmidt nun der Reinfall von Fiedler: kein guter Tag für Königslutter. Der Wortlaut ist inzwischen den Pfarrämtern bekanntgegeben worden. Es wäre gut, er würde in den Gemeindebriefen veröffentlicht und bei den Abkündigungen verwendet. In den nächsten Monaten ist ein Treffen mit Synodalen der sächsischen Landeskirche geplant, die um den 27.5. getagt haben. Der Präses unserer Synode, Eckels, hat in Dresden die Möglichkeiten dazu ausgelotet.

* Neuer Stil? Um Mitternacht weckte ein kräftiger Chorus das Geburtstagskind Biersack mit Kanon und aus dem Kopf gesungenem 4stimmigen Satz ("Wohl denen..").Adam dirigierte!

Wir beantragen, die Synode der Braunschweiger Landeskirche möge an die Gemeinden der Braunschweiger Landeskirche folgendes Wort richten:

"Die Synode der Braunschweiger Landeskirche richtet an die Gemeinden der Braunschweiger Landeskirche folgendes Wort:
Wir haben uns mit dem gegenseitigen Verhältnis unserer Landeskirche mit den Kirchen der DDR beschäftigt.
Wir haben vor uns die Vereinigung beider deutschen Staaten und hoffen auf ein gutes Gelingen dieses Werkes.
Doch im Prozeß der Vereinigung beobachten wir zunehmend Ängste und Vorbehalte bei den Bürgern der DDR und der Bundesrepublik.
Diese müssen wir ernst nehmen und zu überwinden suchen.

Unser Streben nach Einheit darf außerdem den Frieden mit den Völkern Europas nicht beeinträchtigen. insbesondere der Sowjetunion.

Wir wollen die Verbindung zu den Gemeinden in der DDR vertiefen, von ihnen lernen und aufeinander hören. Wir bitten, darauf zu verzichten, sie zu unseren Arbeits- und Lebensformen in Kirche und Gemeinde zu drängen. Wir wollen zusammenwachsen und erstreben als Ziel eine äußere, organisatorische Gestalt einer gemeinsamen evangelischen Kirche in Deutschland an.

Wir freuen uns auf ein neues Miteinander in einer gemeinsamen Kirche.

[Unterschrift]




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