[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Heft 77 / 78 April / Mai 1995


Seite 22 folgende

Ein Bericht zur Lage der Kirche -
die 160 Antworten und Vorschläge aus der Braunschweigischen Landeskirche zur Reformsynode im Mai 1995

Zusammengestellt von Dietrich Kuessner

Eine Reformsynode stand ganz oben auf der Wunschliste einiger Landessynodalen, als die neue Legislaturperiode 1990 losging, und sie empfanden es bereits als einen Fortschritt, daß schon in der ersten Synodalsitzung Themen verabredet wurden, die in den vergangenen 40 Jahren auf der Landessynode nicht behandelt worden waren: der Kirchbau in unserer Landeskirche und nach den vielen „Jugendsynoden“ einmal eine Altensynode. Am 31. Januar und 1. Februar 1992 trafen sich etwa 25 Synodale zu einer informellen Tagung im Diakonissenmutterhaus in Bad Gandersheim, um in ausführlichen Gesprächen die Chancen für verschiedene Reformvorhaben zu testen. Dieser erste Anlauf ging furchtbar daneben. Die Reformwilligen, die dort in der Minderheit waren, fuhren völlig frustiert nach Hause, der Synodalpräsident Eckels resumierte, er werde niemals mehr eine Tagung zu diesem Thema leiten.
Ein neuer Anstoß kam aus dem Gemeindeausschuß etwa ein Jahr später und dieses Mal klappte es. Es wurde 1993 eine Reformkommission gebildet, der wiederum Eckels vorsaß, Fragen an die Gemeinden entworfen und vom Soziologieprofessor Feige umfrisiert, im Frühjahr 1994 an die Gemeinden verschickt, die bis zum Spätsommer rücklaufenden Antworten gesammelt und gegliedert und u.a. in zwei Wochenendtagungen im Januar und Februar 1995 im Predigerseminar vom Gemeindeausschuß gründlich bearbeitet. Daraus ergaben sich Aufbau und Ablauf der nun im Mai auf dem Hessenkopf vom 18. -21 Mai stattfindenden Reformsynode. Am 18. Januar 1995 tagte in Beienrode allerdings ohne OLKR Becker das Kollegium des Landeskirchenamtes und faßte zum Thema Reformsynode folgende drei Beschlüsse: 1) Erhaltung der kirchlichen Präsens überall in der Region, 2) die gesamtkirchlichen Dienste haben sekundäre Priorität, 3) Verwaltung ist zu zentralisieren. Diese Beschlüsse vernachlässigen völlig das gründliche Studium der 160 Antworten sondern gehen von einer immer wieder verbreiteten Überlegung OLKR Fischers aus, wonach in den kommenden 10 Jahren die Landeskirche weitere 80.000 Mitglieder verlieren werde. Da die verschiedenen Referate des Landeskirchenamtes, aber besonders das Referat 0 (Bischofsreferat) zu erkennen gaben, daß ihnen an einer ausführlichen Analyse der 160 Antworten nicht gelegen sei, ja daß sie noch nicht einmal ihre eigenen Stellungnahmen untereinander zur Kenntnis nehmen und diskutieren, schrieb ich am 22.2.d.J. einen mehr oder minder offenen Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landeskirchenamtes und forderte sie auf, sich mit Vorschlägen und Zuarbeit für die Fachausschüsse am Reformprozeß der Kirche zu beteiligen. Ich hatte streckenweise den Eindruck der Arbeitsverweigerung zu diesem Thema bei der Wolfenbüttler Behörde. Keinesfalls geben die Beschlüsse des Kollegiums die Vielfalt der Äußerungen aus dem Landeskirchenamt wieder. Leider vernachlässigt der Landesbischof eine referatsübergreifende Moderation. Immerhin hat der Finanzausschuß am 30. März ganztägig im Königshof in Königslutter getagt und eine Reihe von Finanzreformen ins Visier genommen. Es ist allerdings kein gutes Omen, daß OLKR Dr. Fischer während der Reformsynode in Urlaub geht. Im Folgenden werden die zahlreichen Antworten gegliedert, inhaltlich wiedergegeben und sollen vor allem zur Vernetzung der am Reformprozeß beteiligten Gruppen in unserer Landeskirche beitragen.


1.Das große Echo aus den Gemeinden .

„WIR BEGRÜßEN DEN REFORMWILLEN UNSERER LANDESKIRCHE“. Dieser Satz des Kreisverbandes der Frauenhilfe Goslar ( S.8) faßt das große Echo aus den Gemeinden zutreffend zusammen. Der an die Gemeinden verschickte Fragebogen löst große Aktivitäten aus. Viele Kirchenvorstände tagen und berichten in ihren Ant-worten von den Ergebnissen dieser Sitzungen. „Unser Kirchenvorstand hat sich mit den Fragen der Reformsynode auseinandergesetzt, viel diskutiert und einige Wünsche geäußert“, schreibt der Kirchenvorstand der Friedenskirche an Fredenberg, Salzgitter-Lebenstedt (S. 104). Die Kirchenvorstände von Broistedt und Salzgitter-Engelnstedt erarbeiten eine gemeinsame Erklärung: „Wir wollen unsere Ideen und Vorstellungen mitteilen und in die Diskussionen über eine Neuordnung der Strukturen unserer Landeskirche miteinbringen“ (S. 63). „Über die Fragen der Synode wurde am 24.5. und am 7.6.1994 insgesamt ca 4 Stunden diskutiert“, berichtet ein übergemeindlicher Bibelkreis aus Braunschweig (S. 97). Im Kirchenvorstand Thomas, Helmstedt sei eine Fülle von Gedanken und Anregungen zusammengetragen und kontrovers diskutiert worden. Worin sich eine große Mehrheit gebildetet habe, werde nunmehr berichtet, schreibt Pfarrer Willenbockel. (S. 138). Andere Kirchenvorstände belassen es aber nicht bei Wünschen, Erklärungen und Berichten, sondern fassen förmliche Beschlüsse. „In mehreren Sitzungen haben wir über Ihre Fragen zur Reform der Landeskirche beraten“, schreibt der Kirchenvorstand von Markus in Salzgitter-Lebenstedt (S.114). Der Kirchenvorstand habe auf seiner gestrigen Sitzung einstimmig beschlossen, beginnt die Antwort aus der Trinitatisgemeinde in Braunlage (S.136). Im Kirchenvorstand Thomas,Heidberg, Braunschweig werden am 17.6.94 Thesen vorgetragen, denen der Kirchen-vorstand zustimmt ( S. 136). Der Kirchenvorstand von Steterburg faßt einen förmlichen Beschluß (S.33). Die Kirchenvorstände wollen damit der Landessynode signalisieren, daß ihre Rückantworten nicht beliebige Äußerungen sind, vielmehr verbindlichen Charakter haben. Um diesem verbindlichen Charakter Nachdruck zu verleihen, unterzeichnen alle Mitglieder des Kirchenvorstandes von St. Lorenz,Schöningen die Antwort (S.82). Wo keine einhellige Beschlußfassung zustande kommt, äußern sich die Kirchenvorstandsmitglieder einzeln, so aus der Trinitatisgemeinde in Wolfenbüttel mit vier Voten (S.27ff), aus Völtenrode-Watenbüttel mit fünf Voten (S.124). Wo ein Gesamtkirchenverband vorhanden ist, wie z.B. in Kästorf, da tagt dieser aus diesem Anlaß einmal gemeinsam, und Pfarrer Rothkirch gibt eine Zusammenfassung der Diskussion (S.99).
Andere Kirchenvorstände beteiligen an der Aussprache weitere kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. In der Matthäusgemeinde von Salzgitter-Lebenstedt trifft sich eine Gruppe des Kirchenvorstandes mit weiteren ehren-und hauptamtlichen Mitarbeitern (S. 65). In Salzgitter-Bad finden sich mehrere Gesprächsgruppen zusammen. Im Gesprächskreis der Dreifaltigkeitsgemeinde nehmen auch die Sekretärinnen teil.(S.108).
Große Aktivitäten löst der Fragebogen auch bei den übergemeindlichen Diensten aus. Das Leitungsteam „Frau und Beruf“ hält dazu eine Klausurtagung ab (S.32), Pfarrer Williges bespricht den Fragebogen bei einer Tagung für Kirchenverordnete (S.51), der Konvent gesamtkirchlicher Dienste bildet einen internen Arbeitskreis (S. 62), das Posaunenwerk tagt dazu am 19.Mai (S.63), der landeskirchliche Jugendring beschäftigt sich mit den Fragen bei seiner Frühjahrsvollversammlung in Heimburg im April 1994 und in seiner Vorstandsitzung im Mai 1994, die Arbeitsgemeinschaft „Pfarrfrau - Pfarrhaus - heute“ bearbeitet das Thema unter Leitung von Frau Lampe am 2.5.1994. (S.33) „Wir sind grundsätzlich gerne bereit, an der Konkretisierung und Ausarbeitung der Vorschläge im Vorfeld der Synode mitzuarbeiten“, schreibt das Amt für Jugendarbeit (S.107). Die Vikare und Vikarinnen treffen sich am 9.4.1994 zur Vollversammlung im Predigerseminar und melden ihre Vorschläge an.( S.23).
Besonderes Gewicht haben die Äußerungen auf der Ebene der Propstei, die durchaus vielfältig sind. Die Stellungnahme der Propstei Vorsfelde beruht allerdings nur „auf Gesprächen mit einzelnen Gemeindegliedern aus der Evang. -Luth. Propstei“ (S.11) und kann nicht als ebenso repräsentativ angesehen werden wie etwa die Stellungnahme der Propstei Königslutter, deren Propsteisynode am 23.6.1994 ausführliche Beschlüsse zum Thema gefaßt hat (S. 148f). Auch die Propstei Gandersheim tagt, kann sich aber nicht zu einem einheitlichen Votum durchdringen (S. 91). Sie überläßt die Beantwortung den einzelnen Gemeinden. Die Propsteisynode Helmstedt hat den Fragenkatalog auf der Tagesordnung und macht sich das Votum der Kirchengemeinde St. Lorenz, Schöningen zu eigen. In der Propstei Salzgitter - Bad beschäftigen sich mit dem Fragenkatalog der Pfarrkonvent, zwei Arbeitsgruppen und der Propsteivorstand, die alle gesonderte Voten abgeben. ( S. 108 f). Bei einem brain - storming im Pfarrkonvent Vechelde am 15.6.1994 entstehen neun Beiträge. Eine für Oktober 1994 angekündigte Reformsynode der Propsteisynode Vechelde kommt dagegen nicht zustande. Im Pfarrkonvent Salzgitter-Lebenstedt bildet sich eine Arbeitsgruppe Kiekhöfer ( S.147) und eine Arbeitsgruppe Grote (S.148). Am 4.5.1994 tagt der Propsteivorstand Bad Harzburg und schickt einen Auszug aus dem Sitzungsprotokoll. (S.55).
Auffällige Aktivitäten entfalten die Kreisverbände der Frauenhilfe von Salzgitter-Lebenstedt (S.2) von Goslar (S.7), von Salzgitter-Lebenstedt (S. 57) und von Schöppenstedt (S. 101) sowie der Landesverband nach einer Tagung mit den Kreisverbandsleiterinnen (S. 27). Viele weitere Frauenhilfsgruppen, kirchliche Gruppen und dazu zahlreiche Einzelpersonen schicken ihre Meinungen an die Reformkommission.
Die Fragebogenaktion hat sichtlich einen empfindlichen Nerv der Landeskirche zur richtigen Zeit getroffen. Sie hat eine Welle von Sitzungen, Beratungen, Treffen und ein für den Bereich unserer Landeskirche nicht zu überhörendes Echo ausgelöst.


2. Wer hat alles geschrieben

a) Folgende Kirchengemeinden haben geantwortet

Achim/Bornum,Börßum
Badenhausen/Windessen
Bad Gandersheim Stiftskirchengemeinde
Börnecke/Harz, dazu Herr Pfr. Herrmann und Frau Eulenfeld aus Börnecke
Bortfeld
Braunlage
Braunschweig, Brüderngemeinde
Braunschweig, Christuskirche
Braunschweig Domgemeinde 8 anonyme Kirchenvorsteher /Innen Katharinen Fragebogen
Braunschweig Katharinen 13 anonyme Kirchenvorsteher/Innen Fragebogen
Braunschweig Kreuzkirchengemeinde
Braunschweig Lukas, Friedensgruppe
Braunschweig Marien-Lamme
Braunschweig Martin Luther
Braunschweig Nord - West Konvent
Braunschweig Petri
Braunschweig Riddagshausen einzelne Kirchenvorher/Innen Fragebogen Katharinen
Braunschweig Schulpfarramt
Braunschweig Thomas,Heidberg
Braunschweig Wicherngemeinde Hauskreis Höxter
Broistedt/Engelnstedt
Cramme
Denstorf/Gr. und Kl. Gleidingen
Goslar St. Johannes
Goslar Paulus
Grasleben
Greene
Helmstedt Thomas
Kästorf
Kirchberg
Königslutter Stiftskirchengemeinde
Kreiensen
Lauingen
Lehre
Oker Martin Luther
Reislingen Pfr. Hesse
Rüningen Pfrin Köhler - Hahn
Salgitter - Bad Nikolai
Salzgitter - Bad Pfarrkonvent
Salzgitter - Bad Arbeitskreis Heilige Dreifaltigkeit
Salzgitter - Bad Arbeitskreis Mariae Jacobi
Salzgitter - Lebenstedt Friedenskirche
Salzgitter - Lebenstedt Markuskirche
Salzgitter - Lebenstedt Matthäuskirche
Sambleben
Schöningen Lorenz mit weiteren Einzelvoten: Helmut Fischer/ Kaufmann/ Rogala/ Schumacher
Sickte
Steterburg
Velpke
Völkenrode 5 Einzelvoten
Vorsfelde Petrusgemeinde
Weddingen
Wedtlenstedt
Wendeburg Pfrin Ina Böhm
Wendeburg - Meerdorf Pfr. Lorenz
Wittmar
Wolfenbüttel Trinitatis und drei Einzelvoten
Wolfenbüttel Martin - Luther

b) es haben folgende Propsteien geantwortet

Bad Gandersheim Propst Brandt
Bad Harzburg Propsteivorstand
Braunschweig Propst Kraft
Helmstedt Propsteisynode
Königslutter Propsteisynode
Salzgitter - Bad Propsteivorstand
Salzgitter - Bad Propst Schinke
Vechelde Propst Schliephak und 8 weitere Einzelbeiträge aus der Propstei Vechelde: Berger, Böhm, Büscher, Falke, Köhler-Hahn, Lorenz, Oelschlegel, Richter..
Vorsfelde Zusammenstellung aus einzelnen Voten
Wolfenbüttel Propsteisynode

c) es haben folgende übergemeindliche Dienste geantwortet

Diakonisches Werk
Ehe - und Lebensberatung
Erwachsenenbildung
Ev. Familienbildungsstätte Wolfenbütel
Frau Beruf
Konvent gesamtkirchlicher Dienste
Amt für Missionarische Dienste
Ev.-Luth. Missionswerk
Posaunenwerk
Umweltbeauftragter


d) weitere Berufsvertretungen

Diakoninnen
Mitarbeitervertretung Braunschweig
Mitarbeitervertretung Salzgitter - Hallendorf
Konvent der Studierenden der Theologie
Konvent der Vikarinnen und Vikare

e) Frauenvoten

Landesverband Ev. Frauenhilfe
Kreisverband der Frauenhilfe Goslar
Kreisverband der Frauenhilfe Salzgitter - Lebenstedt
Kreisverband der Frauenhilfe Schöppenstedt
Kreisverband der Frauenhilfe Seesen
Kreisverband der Frauenhilfe Wolfenbüttel
Ev. Frauenhilfe Hordorf
Ev.Frauenhilfe Rittierode
Ev. Frauenhilfe Velpke
Ev. Frauenhilfe Wolfsburg Petrusgemeinmde
Ev. Frauenhilfe Wendeburg
Ev. Frauenhilfe Wenden

Arbeitsgemeinschaft Ev. Frauenarbeit

Arbeitskreis Feministische Theologie
Arbeitskreis Pfarrfrau Pfarrhaus Heute im Pfarrfrauendienst
Dekade - Arbeitskreis
Gruppen der feministischen Theologie
Frauen für den Frieden
Kirchen - Frauen -Konvent
Übergemeindlicher Bibelkreis Frau Gremmelt
„aus einem Frauenkreis in Braunschweig“ anonym

Sabine Falke, Vikarin, Vechelde
Herma Limbächer - Graue, Braunschweig
Sabine Oelschlegel, Diakonin, Vechelde
Else Reimers, Dipl. Psychologin, Braunschweig
Gisela Schmidt, Goslar,

f) Einzelvoten

aus dem Landeskirchenamt
OLKR Becker
OLKR Dr. Fischer
LKR Fehrmann ( 14.6. und 20.6. 1994)
Frau Anja Gratias
Ltd Oberbaurat Klaus Dieter Renner, Destedt

emeriti:
ein Arbeitskreis Padel u.a.
Propst i.R. Warmers, Wolfenbüttel
Pfr. i.R. Meinecke, Salzgitter - Bad

Landessynodale:
Dietrich Fürst, Braunschweig
Helmut Schönstedt, Wolfsburg
Ottmar Wolff

Gemeindemitglieder:

Dr. Christian Eisenberg, Braunschweig
Prof. Dr. Nembach, Göttingen
Dr. Prönnecke Oelber a.w.W.
Dipl. Psych. Schlipphak, Braunschweig
Dr. Schünemann, Liebenburg
Peter Wolters, Meerdorf
Thomas Steger, Wolfenbüttel

Es haben insgesamt geantwortet: wenigstens 58 Kirchengemeinden, 9 Propsteien, 10 übergemeindliche Ämter, 5 Berufsvertretungen, neben dem Landesverband der Frauenhilfe 5 Kreisverbände und 6 Frauenhilfen, außerdem 9 weitere Frauengruppen. Neu und erfreulich sind die Stellungnahmen aus dem Landeskirchenamt; die von Lan-deskirchenrat Fehrmann ist mit über vier Seiten die ausführlichste von allen Stellungnahmen überhaupt. Mit Gewinn haben sich im Finanzausschuß auch die Mitglieder des Landeskirchenamtes Weitemeier und Buyny an der Diskussion beteiligt. Die emeriti signalisieren ihre Mitarbeit und bringen ihre jahrzehntelange Erfahrung mit ein. Dazu kommen wenigstens 22 Einzelvoten.
An den Antworten beteiligen sich keineswegs nur die reformwilligen Kräfte, sondern es erheben sich auch warnende Stimmen, vor allem aus dem Lager „Bibel und Bekenntnis“. Insgesamt sind 10 Votem diesem Kreis zuzurechnen, die die Confessio augustana wieder in den Mittelpunkt gerückt sehen ( Kirchenvorstand Velpke S. 25 und Pfr. Werner, Ildehausen S. 97), oder auch an der Konkordienformel besonders festhalten wollen ( Kirchenvorstand St. Ulrici S. 47); sie ziehen eine scharfe Trennung zwischen geistlichem Amt und den Laien ( Frauenhilfe Rittierode S. 3) und sehen die Anpassung der Kirche an den Zeitgeist kritisch (Propst Warmers S. 38 und Oberbaurat Renner S. 132).
Die Einsendungen geben einen repräsentativen Querschnitt zur Lage der Landeskirche wieder. Es beteiligen sich alle drei Ebenen der Kirchenorganisation: die untere der Kirchengemeinden, die mittlere der Propstei und die obere des Landeskirchamtes. Es gibt Stimmen vom Land und aus der Stadt, von bewahrenden und auf Veränderung drängenden Kräften, von der jungen Gemeinde und den emeriti, von den übergemeindlichen Äm-tern und den Ortsgemeinden, dazu von spezifischen Gruppen.


3. Kritik am Fragebogen

Der vom Gemeindeausschuß der Landessynode vorbereitete und von der Reformkommission überarbeitete Fragebogen stößt auf unverhohlene Kritik. Die wird öfters an den Beginn der Ausführungen gestellt. Sie habe die ursprüngliche Formulierung kaum verstanden, schreibt der Kreisverband der Frauenhilfe Seesen ( S.95), „unverständliche Fragen - ist das gewollt?“ fragt die Arbeitsgruppe in Salzgitter-Bad mit den Pfarramtssekretärinnen.(S.109). „Wir haben zum Teil erhebliche Probleme, ihre Fragen zu verstehen“, schreibt das Pfarramt Weddigen, an deren Stellungnahme die Kindergärtnerinnen mitbeteiligt sind (S.130). Ich finde es nicht untypisch, daß es in der Mehrzahl die Frauen unter den Einsendern sind, die sich eine klare, kritische Sprache erlauben. „..brauchte ich einige Zeit, bis ich überhaupt ansatzweise verstand, was da gefragt wurde“, gesteht der Psychotherapeut Martin Schlipphak ( S.35), und darauf folgt eine massive Kritik an dem Frageraster. Als Kirchenvorstandsvorsitzender hat Klaus Renner „intensiv um Anregungen und Antworten zum Fragenkata-log geworben. Ich habe keinerlei Echo erhalten“. Der Fragenkatalog spreche die Gemeinde als Basis unserer Kirche nicht an. (S. 132). Ihrem Ärger macht der Schöppenstedter Kreisverband der Frauenhilfe in geradezu groben Worten Luft: „Wir lehnen es ab, die Fragen zu beantworten, weil sie leider in einer Sprache gestellt wurden, in der Menschen normalerweise nicht miteinander reden. Wir bedauern sehr, daß durch die unglückliche Formulierung der Fragen viele Frauen zunächst zu dem Schluß kamen:..dafür bin ich zu dumm,--dafür bin ich zu ungebildet,--das soll man unser Pastor machen,der hat studiert..!“(S.101). „Das ist genau die Sprache, die die Menschen aus der Kirche treibt“, zitiert der Westerlinder Pfarrer Jürgen Grote einen Kirchenvorsteher (S.14). Die Schöppenstedter Frauen können auf S. 55 nachlesen, daß sogar der Propsteivorstand Bad Harzburg die Fragen als „schwierig“empfand. Dort indes entspann sich „eine erstaunlich angeregte und intensive Diskussion“.
Die Kritik am Fragebogen äußert sich aber auch leiser und zwar so, daß die Kirchenvorstände einfach schreiben, was ihnen wichtig ist, ohne dem Schema der Fragen zu folgen, wie z.B. der Kirchenvorstand von Martin Luther Braunschweig (S. 93). Der Propsteivorstand Salzgitter- Bad faßt die Fragen 1-4 in der Formulierung zusammen „Was ist für uns entscheidend, wenn wir von der Kirche sprechen?“ Der Lektor Schünemann aus Liebenburg gibt seinen Ausführungen eine eigene Gliederung „Auftrag der Kirche, Sprache der Kirche, Gestaltung der Gottesdienste“( S. 134). Alle anderen Fragen, wie z.B. die nach den Kirchenfinanzen fallen dann allerdings unter den Tisch. Der Kirchenvorstand Thomas, Helmstedt nennt eigene Beratungspunkte und stellt an den Anfang, was ihm am wichtigsten erscheint: die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden durch Kompetenzverlagerung vom Landeskirchenamt zu den Kirchenvorständen“.( S. 138).
Der Kreisverband der Frauenhilfe Salzgitter-Lebenstedt formuliert einen neuen Fragebogen und stellt ihn der Reformkommision vor (S.2f). Frau Pastorin Böttger-Bolte von der Schöninger Lorenzgemeinde schickt ebenfalls an die Reformkommission eine Neuformulierung, die umgehend an alle Gemeinden versandt wird. Der Dekadearbeitskreis antwortet dann auch bereits nach diesem neuen Fragebogen (S.65). Ein weiterer Gegenfragebogen wird von Pfarrer Dr. Ludwig von der Braunschweiger Katharinengemeinde entworfen, bei dem auf eine Vielzahl von Fragen die Beanworter mit ja/nein/weder-noch ankreuzen können (S.59).
Gegenstand der Kritik ist aber nicht nur das Frageformular sondern auch die knappe Abgabezeit. Der Kirchenvorstand Riddagshausen bedauert, daß er aus Zeitgründen keine gemeinsame Stellungnahme abgeben könne (S. 68). Der Kreisverband der Frauenhilfe Salzgitter - Lebenstedt weist daraufhin, daß durch den raschen Abgabetermin bis zum 20.Juni 1994 „weniger die Ansicht der Laien an der Basis zum Tragen kommem als vielmehr die Ansichten der „Fachmenschen“ im Pfarramt...Rücksichtnahme auf Menschen, die zwar kirchlich interessiert, aber langsamer sind, weil sie der kirchlichen Sprache nicht mächtig sind oder in den Strukturen des Aufbaus kirchlichen Lebens nicht bewandert, wäre hier angebracht. Wenn wirklich eine breite Öffentlichkeit beteiligt werden soll, so wie es dem volkskirchlichen Anspruch entspricht, müßte wenigstens eine Vorbereitungs-zeit, wie sie auch bei Kirchentagen üblich ist, angesetzt werden“ (S. 57).
Ein weiteres Handicap ist es, daß erst im Frühjahr Kirchenvorstandswahlen stattgefunden haben und etwa ein Drittel neuer Kirchenvorstandsmitglieder sich in die Kirchenvorstandsarbeit einarbeiten müssen. Im Mai finden meist die Einführungsgottesdienste statt. So schreibt aus dem Kirchenvorstand von der Wolfenbüttler Trinitatisgemeinde eine Frau: „Da ich erst eine Woche im Kirchenvorstand bin und aus diesem Grunde mit den Funktionen und Verantwortlichkeiten nicht vertraut bin und auch nicht vertraut sein kann, andrerseits aber mir auch Gedanken über die Frage gemacht habe, möchte ich ganz allgemein dazu Stellung nehmen“(S. 128). Auch in der Propstei Vorsfelde wird dieses Zusammentreffen bemängelt. „Kritische Stimmen sind im Zusammenhang mit dem Verschicken und der im Brief gesetzten Frist für die Beantwortung der Fragen laut geworden. Der Zeit-raum für eine ausführliche Behandlung in bestimmten Gremien ist angesichts der Nacharbeit der Kirchenvorstandswahlen und der Passions- und Osterzeit sowie der Konfirmationen nur schwer oder auch gar nicht möglich gewesen. Hier hätten sich die meisten einen sehr viel längeren Zeitraum zur Behandlung des Gesamtthemas und auch zur Bearbeitung und Beantwortung der einzelnen Fragen gewünscht.“ (S.13). Der stellvertretende Vorsfelder Propst Pfarrer Hesse bemängelt zudem die ungenügende Zeit zur Rückkoppelung der Ergebnisse an die Gemeinden. Mit Recht erwartet er, daß die vielen Vorschläge nun gebündelt und dann erneut den Gemeinden vorgelegt werden. „Eine Reform muß ein Prozeß von unten sein. Das braucht Zeit. Von daher wäre es sinnvoll, Reformvorschläge aus den Gemeinde zu erbitten, sie zu bündeln und sodann zurückzukoppeln. Eine Reform ohne Einbindung der Kräfte in den Gemeinden wird scheitern.“ (S. 13). Der Lebenstedter stellvertretende Propst Jürgen Grote erwartet im Rahmen der Vorbereitungen der Reformsynode Weiterarbeit „in verschiedensten Kleingruppen“( S. 16). Ein Anonymus schlägt daher vor, „daß die Synode für einen definierten Zeitraum so etwas wie einen „konziliaren Prozeß für die Reform der braunschweigischen Landeskirche initiiert“(S. 40).

Die zahlreichen kritischen Rückfragen aus den Gemeinden und Verbänden zeigen nicht nur die Lebendigkeit der Aufnahme des Reformanliegens sondern sie sind auch auf fruchtbaren Boden gefallen, haben Gegenvorschläge provoziert, die positiv aufgenommen wurden. Der ausgesprochen enge Zeitfaktor und das ungünstige Zusammenfallen mit den Kirchenvorstandsneuwahlen macht die vielen Antworten aus den Gemeinden besonders kostbar. Es wird über die Reformsynode im Mai hinaus ein Reformprozeß in der Landeskirche erwartet.


4. Der Traum von einer Kirche

„Welchen Traum habt ihr von der Kirche? Diese Frage kam im Fragebogen natürlich nicht vor. Das ist auch nicht die Sprache von Soziologieprofessor Feige, der die Fragen im Auftrag der Reformkommission noch einmal ins wissenschaftliche Soziologenchinesische übertragen hatte. Aber wie so oft, fehlen zu wichtigen Antworten die richtigen Fragen. So auch hier. Obwohl die Frage nach einer besseren, vielleicht idealen Kirche nicht gestellt worden war, äußerten sich vor allem Frauen und Jugendliche zu ihrem Traum von Kirche.
„ Die Kirche der Zukunft, wie wir sie uns wünschen, ist eine sehr viel gastlichere Kirche mit offenen Türen für die Menschen in ihrer Vielfalt, mit mehr Nähe, mit mehr Wärme und mit gelebtem Glauben vom Herzen her“, so die Arbeitsgemeinschaft Evangelische Frauenarbeit Braunschweig (S. 52). „Die Visionssuche für die Kirche von morgen darf vor den volkskirchlich eingefahrenen Strukturen nicht haltmachen. Ein Schritt in die Richtung der Freikirchen wäre wünschenswert“ (Kreisverband der Frauenhilfe Salzgitter - Lebenstedt , S. 57). „Was macht „Kirche“ aus?“, fragt der Gesprächskreis der Dreifaltigkeitskirche in Salzgitter - Bad und antwortet: „Ein Kommunikationsgeschehen! Zur Zeit haben wir meistens ein Konfrontationsgeschehen.“ (S.109). „Mehr ge-schwisterliche Solidarität auch bei Verschiedenheiten“, schreibt der Nordwestkonvent von Braunschweig (S. 122). „Weniger Instanzen, Bürokratie, Hierarchie, mehr Gemeinde vor Ort“ ( Kirchengemeinde Völkenrode/Watenbüttel, S. 125). „Mehr Verständnis, Entgegenkommen, Liebe bezüglich der Sorgen und Bitten der Gemeinden und der Art und Weise, wie man mit ihnen umgeht ( eben nicht Entscheidungen „von oben herab“) würde Kirche glaubwürdiger und liebenswerter machen und alle Beteiligten fröhlicher stimmen“ (S. 127) ( Pfarramt Trinitatis, Wolfenbüttel ).
Neben diesem nach mehr Emotionen in der Kirche sich sehnenden Traum tritt der Wunsch nach deutlicher gesellschaftlicher Aktivität. In der Kirche müsse das „Bemühen um eine fundierte und kompetente ethische Orientierung unserer Gesellschaft“ deutlich werden, wünscht sich die Braunschweiger Thomasgemeinde am Heidberg (S.137). „Kirche braucht Unruhe und Auseinandersetzung mit den brennenden Fragen der Zeit“, erhofft sich der Kirchenfrauenkonvent. Die politische Dimension sei zu schwach in unserer Landeskirche entwickelt. (S. 102). Das Diakonische Werk hält eine „Kirche auf der Seite der Mächtigen“ für unglaubwürdig (S. 116). Propst Kraft verbindet mit der Wunschvorstellung einer einladenden, attraktiven, konfliktfähigen Kirche zahlreiche kritische Fragen an die gegenwärtige Gestalt (S. 79).Eine möglichst offenen Kirche“ ist die Zielvorstellung des Pfarrverbandes Lehre/Brunsrode: „Kirche sollte möglichst offenen Kirche sein. Sie sollte auf Menschen zugehen, sie ansprechen, in besonderen Gottesdiensten zur Mitarbeit gewinnen, Angebote für die unterschiedlichen Gruppen in unserer Gesellschaft machen. Kirche sollte Gemeinschaft erlebbar machen. Sie müßte daher in kleinen, überschaubaren Gruppen jedem ein „Zuhause“ bieten. Kirche sollte Menschen in Not Hilfe bringen“ (S. 49). Prof. Nembach, Göttingen hat für eine Kirche der Zukunft die evangelische Kirche in der DDR vor Augen. „Wie sehr Kirche lebendig sein und in die Öffentlichkeit hinein wirken kann, zeigten die Kirchen in der DDR“ (S.74).
Man träumt in der Braunschweiger Landeskirche vielerorts von einer emotionsstarken, gesellschaftlich aktiven Kirche.
Dieser Traum verbindet sich mit einer harten Kritik an der gegenwärtigen Gestalt. „Für viele hat die Kirche mit ihrem eigenen Leben außer gelegentlichen Berührungspunkten nicht mehr viel zu tun“, diagnostziert Dr. med. Rainer Prönnecke aus Oelber awW. ( S. 89). Von „geistlichem Reichtum“ sei in unserer Landeskirche nicht viel vorhanden, stellt der übergemeindliche Bibelkreis trocken fest und nimmt dabei ein Stichwort aus dem Fragenkatalog auf. Dort hatte es unter Nr. 3 geheißen: „In welcher Weise könnte der geistliche Reichtum in unserer Landeskirche in seiner Vielfalt der Formen und Inhalte noch stärker einladend anschaulich werden?“ In der Neuformulierung von Frau Boettger-Bolte hieß die Frage nun: „Der geistliche Reichtum unserer Kirche kommt in einer Vielfalt von Glaubensüberzeugungen, tradidtionellem Kulturgut, musikalicher und künstlerischer Gestaltung, modernen und überkommenen Arbeitsformen und Gottesdiensten zum Ausdruck. Wo liegen für Sie die Schwerpunkte? Auf welche Weise könnte die Kirche einladender und öffentlichkeitswirksamer arbeiten?“ Dieser Behauptung vom „geistlichen Reichtum“ wird öfters widersprochen: „Verwalten wir nicht in hohem Maße geistliche Armut und kulturelle Einfalt bzw. Einfallslosigkeit?“ fragt der Braunschweiger Nord-West-Konvent (S. 122). „Das Vertrauen, das die Kirche als Institut genießt, wird von uns in Frage gestellt. Der behauptete geistliche Reichtum ist oft nicht sichtbar, weibliche Spiritualität und Frauengottesdienste müßten sonst als normal angesehen werden“, moniert der Kirchliche Frauenkonvent (S. 102). Der geistliche Reichtum sei „da, wo er existiert, über die eigenen Gemeindegrenzen kaum bekannt“ (Kirchenvorstand Kreiensen, S. 121). „Ein Ver-trauensvorschuß gegenüber der Kirche ist in weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr vorhanden“, schreibt der Pfarrverband Kästorf mit einem jungen Pfarrer an der Spitze. (S. 99). Das ist eine deprimierende, ernüchternde Feststellung zu Beginn einer ersten Gemeindeerfahrung, die auch anderswo gemacht wird: „Zunächst werde in Frage gestellt, daß tatsächlich das Vertrauen in der Bevölkerung noch sehr groß sei, das der Kirche ent-gegengebracht wird.“ (Kirchenvorstand Johannes, Goslar, S.102).
Offenbar ist die Frage nach dem „geistlichen Reichtum“ auch eine Frage der Wahrnehmung. Erfreulich klar spreche der Fragenkatalog von dem geistlichen Reichtum in unserer Landeskirche, stellt der Prädikant Schünemann aus Liebenburg fest und fügt hinzu, daß dieser Reichtum „ auch bei den Laien liegt - und zum Teil brachliegt.“ (S.136). Geistlichen Reichtum im Gottesdienst, stellt die Petrigemeinde in Börnecke fest , „und zwar in den vielen Stücken und Stückchen unserer Gottesdienstordnungen“ (S. 100). Der geistliche Reichtum sei wie einen vergrabenen Schatz im Acker unserer Landeskirche, der nur gehoben zu werden brauchte.
Traum und Wirklichkeit von der Kirche stoßen hart aneinander. Es wird eine Aufgabe des Reformprozesse bleiben, daß er weiterhin konkrete Utopien beschreibt und festhält und daß der Gegensatz zur greifbaren Realität der Landeskirche möglichst gering bleibt.


5. Die Ortsgemeinde

DIE ORTSGEMEINDE IST DIE LEBENSFORM DER KIRCHE, so Klaus Renner als Vorsitzender des Destedter Kirchenvorstandes und fügt hinzu: „Sie sollte mit allen Mitteln gestärkt und gefördert werden. Es sollte unbedingt an der pfarramtlichen Versorgung nicht allzu großer Einheiten festgehalten werden. In vielen Ortschaften ist nach der Gebiets- und Verwaltungsreform die Kirchengemeinde die einzige Institution, in der die gewachsene Ortsstruktur noch Ausdruck findet“ (S. 133).
Die Frage 6 des Kataloges nimmt dieses Stichwort von der Ortsgemeinde auf und will Bewährtes und Defizitäres aufspüren. Die Frage lautet: „Hinsichtlich welcher Aufgaben und Bedürfnisse der Kirche und der Bevölkerung hat sich die Ortsgemeinde ( Parochie) bewährt und wo sehen Sie Defizite dieser kirchlichen Lebensform?“ Frau Böttger-Bolte bringt in ihrer Fragestellung noch ein anderes Reizwort auf: Ortsgemeinde als „wesentliche Lebensform der Kirche“. Bei ihr lautet die Frage 6 folgendermaßen: „Ist die Ortsgemeinde die wesentliche Lebensform der Kirche in unserer Zeit? Welche Bedürfnisse kann sie erfüllen? In welchen Bereichen sind andere Lebensformen der Kirche notwendig?“ Renner hat die Formulierung von Frau Böttger-Bolte aufgegriffen. Und er nicht allein: es schwingen gewiß auch Erfahrungen von der Dorfgemeinde zu DDR-Zeiten mit, wenn Frau Pfarrerin Herrmann aus der Petrigemeinde in Börnecke (Harz) schreibt: „Ortsgemeinde ist die wichtigste Lebensform der Kirche, sie ist für uns Dreh- und Angelpunkt des kirchlichen Lebens“ (S. 107). „Die Ortsgemeinde als Begegnung gleichgesinnter Menschen verschiedener sozialer Schichten hat sich bewährt“ (S. 124, Kirchgemeinde Völkenrode-Watenbüttel). „Die Ortsgemeinde hat besonders im ländlichen Raum, bezogen auf einen natürlichen überschaubaren Lebensraum der Menschen eine unaufgebbare Funktion.“, (S. 86) so Propst Schliephak, der sein Leben lang pfarramtlich im ländlichen Raum tätig war. Aber auch in der Stadt ist die Zellenfunktion der Ortsgemeinde anerkannt. Man möge die Ortsgemeinde im ländlichen Bereich möglichst lange erhalten, wünscht sich der Nord-West Konvent Braunschweigs. Und der Höxterkreis der Wi-cherngemeinde,Braunschweig will auch die Stadtteilgemeinde als Ortsgemeinde verstanden wissen: „Die Ortsgemeinde in einem Stadtteil oder Dorf bietet einen überschaubaren Rahmen und begünstigt die Bildung kleinerer Gruppen und Gemeinschaften. Sie ermöglicht Kommunikation und Nachbarschaftskontakte, was in unserer heutigen mobilen Gesellschaft einen besonderen wert darstellt“ (S. 156). Da ein großer Teil der Einsen-dungen von Kirchenvorständen aus Ortsgemeinden stammt, ist die weit überwiegende Betonung der Wichtigkeit der Ortsgemeinden nur zu verständlich. Es ist aber zu kurz gegriffen, die Ortsgemeinde nur mit der Landgemeinde gleichzusetzen. Sollen z.B. die Innenstadtgemeinden als eigene Kirchengemeinden erhalten bleiben? Auf den unterschiedlichen Charakter einer Parochie macht Pfarrer Gudladt in seiner Eingabe aufmerksam: „Die Zukunft der Parochie als verbindliches Strukturprinzip der Kirche kann m.E. nicht verallgemeinernd entschieden werden.; zu divergierend sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einer Gemeinde auf dem Dorf, in der Kleinstadt, am Stadtrand oder in der Innenstadt. Grundsätzlich aber sind die Gemeinden aufzufordern, ihr Angebot stärker zu koordinieren, ggf. zu verlagern und sich von dem Wunsch zu verabschieden, „alles machen zu wollen“ (S. 138). Auf diesen Gesichtspunkt weist ausführlich auch OLKR Becker hin ( S. 119 f). Eine Alternative zur Ortsgemeinde wäre die „Wahlgemeinde“, oder die „Personalgemeinde“, wie sie z.B. in den Großstädten schon längst besteht. Eine Pastorin, ein Pfarrer predigt sich seine Gemeinde zusammen. Die hohe Mobilität in der Bevölkerung bringt der Ortsgemeinde Verdruß, ermöglicht aber auch Zugänge von außerhalb. Für unsere überwiegend ländlich strukturierte Landeskirche bleibt die Ortsgemeinde für absehbare Zeit ohne Alternative. Die regional seit Jahrzehnten längst wahrgenommene vollständige gottesdienstliche Auszehrung widerlegt die Behauptung von der Unverzichtbarkeit der Parochie und macht Überlegungen auf Kooperation in der Region besonders aktuell. Dazu wird Pfarrer Dietrich Rammler vom Bischofsbüro eine Studie vorlegen. Ich gestehe, daß ich eine Mischform von örtlich gebundener Kirchengemeinde und einer mobilen Personalgemeinde für ideal hielte. In dem Schreiben des Synodenpräsidenten Eckels und von Bischof Krause an die Kirchenvorstände und Pfarrämter vom 7.März 1995 wird der hohe Wert der Gemeinden und Werke vor Ort ausdrücklich festgestellt. Wenn die Reformsynode gut laufe, werde sie in einen Reformprozeß einmünden, „der den Gemeinden und Werken vor Ort ein hohes Maß an Mitverantwortung und Mitgestaltung einräumt und abverlangt.“
Diese hervorragende Rolle der Ortsgemeiende wird verständlicherweise von den übergemeindlichen Institutionen bestritten. Diese erhoffen sich mehr Verständnis ihrer eigenen Position durch die Reformsynode. Es wäre zu wünschen, daß die fast zum Ritual gewordene gegenseitige Bestreitung der Wichtigkeit des Anderen einem Verständnis notwendiger Ergänzung weichen würde und daß einer von der Stärke des andern nur profitieren kann.
Die von Frau Biersack geleitete Arbeitsgruppe 5 behandelt folgende Fragen
Auch die von Herrn Schinke geleitete Arbeitsgruppe 4 „Regionale Zusammenarbeit“ wird diese Thematik aufnehmen.
Die Ortsgemeinde mit dem regelmäßigen Angebot an Gottesdienst, Unterricht, Amtshandlungen und Gruppenarbeit und ihrer Präsens im Dorf durch Kirchenvorstand, den Kirchbau und Kirchenglocken wird für eine längere Zeit das Gesicht der Kirche vor Ort und auch die Struktur der Landeskirche prägen. Dabei sollte die Ortsgemeinde in ihrer Kompetenz wahrgenommen und ihre Präsens verstärkt werden. Durch Kooperati-onsmodelle und Zusammenarbeit mit den übergemeindlichen Ämtern könnte sie ihr Wirksamkeit erhöhen.

Die von Frau Biersack geleitete Arbeitsgruppe 5 „Gesamtkirchliche Zusammenarbeit“ behandelt diese Theamtik. In dem Vorstellungspapier heißt es dazu u.a.: “Wir wollen uns fragen: Wie sollte die Kirche von morgen aussehen? Welche Kirche brauchen wir? Sind wir flexibel genug, um auf zukünftige Herausforderungen angemessen reagieren zu können? Für welche Aufgaben ist die Ortsgemeinde unbedingt sinnvoll? Wo ist die Ortsgemeinde überfordert? Müssen wir aufräumen mit der „Dorfideologie“, daß in der Ortsgemeinde nur heile Welt ist? Was brauchen wir über die parochiale Grundversorgung hinaus? Werden wir in Zukunft nicht ganz andere Schwerpunkte zu setzen haben als in den bisher geleisteten gesamtkirchlichen Diensten und Beauftragungen?“
In dieser AG 5 arbeiten als Gäste mitGerloff, Ahrens, Steinbrügge, Kwiran, Kleefeld, Beyer, v. Schade, Berner.
In der von Propst Schinke geleiteten Arbeitsgruppe 4 geht es um einen besonderen Aspekt der Ortsgemeinde, nämlich um Kooperationsmodelle im städtischen und ländlichen Bereich. In dem Einleitungspapier heißt es dazu u.s. „Die Ansätze der Arbeit des Strukturausschusses in den 70er Jahren werden einbezogen. Dazu kommen Antworten der Einsender(innen) auf die Fragen der Synode ebenso die vorliegenden Materialien aus der Umfrage des Landesbischofs zu Kooperationsmodellen ( beide Sommer 1994 ). Für den Fortgang der Dis-kussion ist zu berücksichtigen, daß die Kooperation sich lohnen muß und man mehr davon hat als nur Arbeit; daß Kooperation keinesfalls den Verlust von Identität mit sich bringen darf; daß Kooperationsmodelle aus den „Notgemeinschaften“ der früheren DDR - Kirchen einvezogen werden.“ In dieser Gruppe 4 arbeiten als Gäste mit Rammler, Herrmann, Blümel, Müller (Fredenberg), Jäger(Erfurt).


6. Notwendigkeit von der Kompetenzverlagerung in der Landeskirche

ZUR STÄRKUNG DER EIGENVERANTWORTLICHKEIT DER GEMEINDEN SOLLTE EINE KOMPETENZVERLAGERUNG VOM LANDESRCHENAMT ZU DEN KIRCHENVORSTÄNDEN STATTFINDEN. Der Helmstedter Thomaskirchenvorstand rückt diese Forderung an die Spitze seiner Forderung (S. 138).
In allen Schichten der Landeskirche wird die in den letzten Jahrzehnten offenkundig verschärfte Zentralisierung von Kompetenzen in der Wolfenbüttler Zentrale als Entmündigung der Gemeinden empfunden. Der Helmstedter Thomaskirchenvorstand rückt diese Forderung an die Spitze seiner Ausführungen: Der Vorsitzende der Stiftskirchengemeinde Bad Gandersheim und Synodale Voss fordert aus langer Erfahrung in einer dortigen Vakanzsituation: „Die Kompetenzen und Verantwortungsbereiche der Kirchenvorstände sind zu erweitern“ (S.92) und der Kirchenvorstand Marien Grasleben: „Mehr Entscheidungsfreiheit“ (S.57). Aus eigenen leidvollen Erfahrungen im Umgang mit dem Landeskirchenamt fordert der Kirchenvorstand der Christuskirche in Braunschweig : „Eine Reformsynode muß den Kirchenvorständen mehr Eigenverantwortung zurückgeben... Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht ist zu stärken. § 68 KGO beruht weitgehend auf einem Mißtrauen des Lan-deskirchenamtes gegenüber den Kirchenvorständen“ (S. 103). Der Kirchenvorstand von Steterburg verbindet mit der Wiederherstellung der Kompetenzen in den Gemeinden einen neuen Zugang zu dem vorhandenen geistlichen Reichtum: „Forderung der Eigenständigkeit der Gemeinden in ihren Entscheidungen, Abbau der Überverwaltung, Konzentration auf die Arbeit mit unsern Gemeindgliedern und die inhaltliche - nicht mitglied-schaftliche - Werbung um noch Außenstehende erschließt den Zugang zu unserem noch vorhanden geistlichen Reichtum und eröffnet zugleich neuen“ (S.34). Der Kirchenvorstand von Lelm nennt die Verpachtung von Land als ein Gebiet, daß er selber in die Hand nehmen sollte. „Die Kompetenzen der Kirchenvorstände und des Propstes müßten aufgewertet werden“ (S. 38). „Die Mitarbeiter fühlen sich vom Landeskirchenamt weitgehend allein gelassen. Viele Entscheidungen wirken praxisfern, von andern Gesichtspunkten diktiert als von den Anforderungen der tatsächlichen Arbeit. Funktions- und Verantwortungsbereiche sollten möglichst mitarbeiternah auf Propstei - oder Gemeindeebene verlagert werden“ (S.115). So präzisiert der Kirchenvorstand der Lebenstedter Markusgemeinde nach mehreren Sitzungen einstimmig die Forderung nach Kompetenzverlage-rung. Mit Hilfe des Stichwortregisters von Frau Biersack ließen sich hier sehr viele weitere Voten von Einzelgemeinden anfügen.
Ganz offensichtlich herrscht bei den Kirchenvorständen ein sehr hoher Grad von Verantwortungsbewußtsein vor, der vom Landeskirchenamt in gar keiner Weise ernst genommen wird.
Dieser Wunsch wird nicht von einzelnen „aufsässigen“ Gemeinden vorgetragen sondern von Pfarrkonventen übernommen, deren Votum in seiner Gesamtheit noch ein größeres Gewicht zukommt als einem einzelnen Kirchenvorstand. Der Pfarrkonvent von Salzgitter - Bad sieht „das Engagement in den Gemeinden strukturell gebremst“, daher sollten Rechte und Verantwortung vergrößert und den einzelnen Gremien auf Ortsebene mehr zugetraut werden. (S. 108). Dem schließt sich der Propsteivorstand von Salzgitter- Bad an: „konsequenter Abbau der hierarchisch geordneten Verantwortungsstrukturen ist notwendig“ (S.110). Der Braunschweiger Nord - West Konvent hat dieselben Erfahrungen gemacht und empfindet die geballte Zentralisierung in Wolfenbüttel als ein Verlust von Demokratieverständnis in der Landeskirche. „Wir müssen dringend unser innerkirchliches Demokratieverständnis klären. Wir brauchen mehr echte Beteiligung der Basis aus den Gruppen und Gemeinden. Menschen wollen und können mündig mitentscheiden. Daraus erfolgt u.E.: die Notwendigkeit einer weitgehenden Verlagerung von Entscheidungskompetenzen von der landeskirchlichen Ebene in die Propsteien und Gemeinden.“ ( S. 122). Dieses Votum ist unterzeichnet von Frau Pfarrerin Pia Dittmann - Saxel, die kürzlich den Vorsitz im Pfarrerausschuß übernommen hat und möglicherweise von dieser wichtigen Position aus „mehr Demokratie“ in der Landeskirche anmahnen kann.
Der Wunsch nach Kompetenzverlagerung wird vom damaligen Gandersheimer Propst Dr. Brandt nachhaltig unterstützt: „Grundsätzlich ist der Wunsch unüberhörbar, die hierarchische Grundstruktur unserer Kirche zugunsten einer gemeindenäheren und Verantwortung delegierenden Struktur zu verändern.... Dem Wunsch nach qualifizierter Mitarbeit in den Gremien sollte angemessene Kompetenzzuweisung entsprechen“ (S.191)
Aber auch übergemeindliche Dienste sehen in der Frage der Kompetenzverlagerung ein zentrales Anliegen. Unter der Überschrift „Beteiligung an Entscheidungsprozessen“ fordert das Amt für Jugendarbeit: „Grundsätzlich gilt: Die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit und das Übertragen von Entscheidungsbefugnissen stärken das Engagement, die Motivation und den Willen zur Identifikation mit der Kirche, Beschneidung führt zu Desinteresse an der Arbeit“ (S. 107). „Wir wünschen uns eine Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinde“, schreibt die Arbeitsgemeinschaft Evangelische Frauenarbeit Braunschweig (S. 52).
Es könnte sich für die Durchsetzbarkeit einer Verlagerung von Kompetenzen weg vom Landeskirchenamt als günstig erweisen, daß auch Oberlandeskirchenrat Becker hier Handlungsbedarf sieht. Becker stellt seine umfassende Stellungnahme unter den Gesichtspunkt der „Wahrnehmung“. „Es wäre wichtig, daß gerade im Bereich der Ortsgemeinde der einzelne in seinen persönlichen Nöten und Fragen intensiver wahrgenommen wird“( S. 118), schreibt Becker. Was hier vermutlich mehr für die Einzelseelsorge gemeint ist, gilt ebenso für die Entmündigung und Entmutigung der Kirchenvorstände. Ob Becker diese „im Blick“ hat, wenn er später schreibt: „ Es ist dringend erforderlich, daß die Entscheidungskompetenzen der Landeskirche überprüft werden“ ( S. 119)? Becker möchte vor allem die Propsteiebene aus Gründen der Ortsnähe und der Vereinfachung von Entscheidungsdingen gestärkt sehen. Auch aus dem Referat 31 kommen in dieser Hinsicht beträchtliche Reformvorstellungen. Landeskirchenrat Fehrmann hat in zwei Schreiben vom 14.6. und 20.6.1994 die aus-führlichste Eingabe von allen Einsendungen überhaupt ( 3 1/2 Seiten) getätigt. Das ist bemerkenswert und verdient besondere Beachtung gerade in den Gemeinden. Das Schreiben vom 14.6. ist auch von seiner Mitarbeiterin im Landeskirchenamt Frau Hertel unterzeichnet. Fehrmann sieht richtig eine in der Vergangenheit zunehmende Verwischung der Aufgabenbereiche im Landeskirchenamt wie in den Kirchengemeinden. Er plädiert für eine präzise Beschreibung des Wirkungskreises der Kirchengemeinde nach Art der Niedersächsischen Gemeindeordnung und fährt dann fort: „In den Fragen des eigenen Wirkungskreises sollten die Kirchengemeinden auch uneingeschränkte Finanzhoheit haben. Das heißt, ein Teil der ihr zustehenden Mittel sollten und müßten von den Kirchengemeinden eigenverantwortlich verwaltet werden, mit der Möglichkeit, eigene Schwerpunkte zu setzen. So ist z.B. das nicht enden wollende Gerangel um Bruchteile von Stunden für Pfarramtssekretärinnen kaum nachvollziehbar, wenn der gleichen Kirchengemeinde an anderer Stelle nach einem Verteilungsschlüssel Haushaltsmittel zustehen für eine Arbeit, für die es in dieser bestimmten Gemeinde keine Verwendung gibt. - Die Befürchtung aus dem Landeskirchenamt, daß ein Teil der Kirchengemeinden und der Pfarrer nicht in der Lage sein wird, die damit verbundenen Zuständigkeiten und Freiheiten richtig zu nutzen, evtl. sogar Fehler machen werden, können m.E. aber keine Begründung dafür liefern, daß alle Zuständigkeiten im Landeskirchenamt liegen müssen.“ (S. 77). Vielleicht spricht hier neben vielen eigenen Beobachtungen im Amt auch die Erfahrung des Vaters Fehrmann mit, der schließlich Jahrzehnte von einer Pfarrstelle aus das Kompetenztheater zwischen Landeskirchenamt und Pfarramt mitgemacht hat. Man braucht kein Prophet zu sein, um auch nur zu ahnen, daß der Landeskirchenrat sich mit solchen Äußerungen keine Freunde z.B. im Referat 4 macht.
Die Neugestaltung der gegenwärtigen Kompetenzlage ist eines der ganz vordringlichen Themen der Reformsynode. Sie entspricht dem Wunsch zahlreicher Kirchengemeinden und Pfarrkonventen. Es wird auch auf der kirchenleitenden Ebene unserer Landeskirche für notwendig gehalten. Es ist dringend erforderlich, daß präzise festgestellt wird, welche Entscheidungen und Befugnisse vom Landeskirchenamt auf die Propstei- bzw. Gemeindeebene übertragen werden können.

Mit diesem Thema wird sich die vom Synodalen Lüers geleitete Arbeitsgruppe 1 befassen. Dazu heißt es im Einladungspapier: „ Stellungnahmen aus der Landeskirche zur Refromsynode enthalten wertvolle und bedenkenswerte Anregungen zur Umgestaltung von Strukturen und Zuständigkeiten. Vielfältig und einhellig wird Unmut über Bevormundung oder Gängelung durch die übergeordnete Verwaltung deutlich. Genehmigungsvorbehalte des LKA scheinen Quelle der verbreiteten Verärgerung und auch Antrieb zur Verlagerung von Arbeit ins LKA zu sein. Unter Berücksichtigung der Umfrageergebnisse soll der strukturelle Rahmen der kirchlichen Arbeit so modifiziert werden, daß der Verwaltungsaufwand reduziert wird und das Ver-hältnis der übergeordneten Behörden zu den Gemeinden in einer Weise umgestaltet wird, daß die zentralen Stellen nicht mehr als Kontrolle oder Bevormundung empfunden werden, sondern als hilfreich und beratend.“


7. Die Beseitigung der finanziellen Entmündigung der Kirchengemeinden

„ DIE GEMEINDEMITTEL MÜSSEN ZU LASTEN DER LANDESKIRCHLICHEN MITTEL VERSTÄRKT WERDEN“ ( S. 90). Auf diesen einfachen indes zutreffenden Nenner hat es der Kirchenvorstand der Pauluskirche in Oker gebracht. Sein Vorsitzender ist Rektor Bengsch, der zugleich Mitglied des Finanzausschusses der Landessynode ist und offenbar beide Seiten kennt, die des Kirchengemeindehaushaltes und die des Landeskirchenhaushaltes. Das Thema „Finanzen“ steht auf Platz 5 der am häufigsten genannten Stichwörter. Es wird 115 Mal genannt, und das ist nicht verwunderlich, denn die Kommission hatte ja aus-drücklich danach gefragt. Frage Nr. 8: „Gibt es bessere Wege bzw. Verfahren, die Finanzverteilung innerhalb der Landeskirche vorzunehmen?“bzw. in der Boettgerschen Fassung allgemeiner und griffiger: „Was soll in der Finanzverteilung innerhalb der Landeskirche geändert werden?“ Ein Verzeichnis der 33 untergeordneten Stichwörter nennt u.a. noch folgende Bereiche:„Umverteilung“ (25),„Überprüfung von Gehaltsstrukturen“ (15), „leistungsbezogene Mittelzuweisung“ ( 6), „Eigenverantwortlichkeit“ (7), „Transparenz“(7).
Die schärfste Kritik an dem gegenwärtigen Verteilungssystem kommt von Propst Schliephak: „Die zur Karikatur gewordene Verteilung von Mitteln und personellen Resourcen durch das Kirchensteuerverteilungsgesetz muß reformiert werden. Was nützt die gerechteste Mittelverteilung, wenn ihr eine Gebrauchsanweisung mitgegeben wird, die die Ortsgemeinde völlig entmündigt. Die daraus resultierende Frustrationserlebnisse ruinieren das Bild von Kirche und die Quelle jeder Lebendigkeit der Kirche in der Laienaktivität auf Dauer total“ (S.146). Dieses vernichtende Urteil von Schliephak, einem eher bedächtigen Formulierer, der bei seiner Wahl zum Mitglied der Kirchenregierung 1990 vor der Landessynode erklärt hat, er wolle in seiner dortigen kirchenleitenden Arbeit die Summe seiner pfarramtlichen Tätigkeit einbringen, zieht offenbar Bilanz der letzten ca 15 Jahre, was den Umgang mit seiner eigenen Kirchenkasse und seine Visitationserfahrungen betrifft. Schliephak bringt diese Kritik nicht ein Mal vor, sondern wiederholt sie auf S. 86. Schliephaks Urteil wird von einem, großen zustimmenden Echo aus den Kirchengemeinden begleitet, das ich hier einfach aneinanderreihe: „Dier Kirchengemeinden müssen vom Gängelband ihrer jetzigen finanziellen Knechtschaft befreit werden. Dadurch wird manche Arbeit und Initiative unterbunden.“ (S. 88) (Pfarrer Lorenz, Wendeburg-Meerdorf). „Viel Kraft und Zeit und Geld verschlingt die bisherige Praxis, daß die Gemeinden sich wie die Bittsteller ans Landeskirchenamt wenden, wo man wiederum durch die vielen dringlichen Bitten und Anträge überfordert ist und kaum entsprechend reagieren kann.“ ( S. 116), schreibt der Kirchenvorstand der Lebenstedter Markusgemeinde. „Wir wünschen uns, daß ein Kirchenvorstand künftig nicht mehr wie ein Bitt-steller auftreten muß, um ihm zustehende Rechte zu erhalten“ (S.83) (Kirchengemeinde St. Andreas,Cramme). „Im Hinblick auf die Finanzen wäre eine stärkere Mitbestimung auf den unteren Ebenen ( Propstei und Ortsgemeinde) wünschenswert und sicherlich auch effektiver. Diese sollte bis zum Stellenplan ausgeweitet werden“(S. 5o) (Pfarrverbad Lehre/Brunsrode). „Alles, was der Stärkung „einer Kirche im Dorf“ dient, scheint uns erstrebenswert, so z.B. rasche Neubesetzung vakant gewordener Dorfpfarrstellen... Stärkung der Finanzkraft ländlicher Gemeinden ( ggf. auch überproportional) (S. 24) (Kirchenvorstand Lauingen). „Das Obrigkeitsverhalten der Landeskirche gehört abgeschafft....Die Selbstständigkeit der Ortsgemeinden sollte auch in finanzieller Hinsicht gefördert werden. Die vom Landeskirchenamt zu verwaltenden Finanzmittel sollten weitgehend eingeschränkt werden“ (S. 23)( (Kirchengemeinde Martin Luther,Oker). „ Der Gemeindeanteil der Kirchensteuerverteilung sei wesentlich zu erhöhen und der Landeskirchenteueranteil deutlich zu senken“ (S. 35)( Kirchenvorstand Steterburg). Der Wunsch nach stärkerer Verantwortung in Finanzdingen wird nicht nur von ländlichen Gemeinden vorgetragen. Auch die Petrigemeinde Braunschweig gibt zu bedenken: „Da sich die Struktur der Kirche notgedrungen verändern wird, sollte Gemeinden jetzt schon Gelegenheit gegeben werden, mehr Eigenverantwortung auch im Finanzbereich zu übernehmen“ (S.61).
Der Kirchenvorstand Lorenz betont mit Nachdruck, daß eine Umverteilung der Mittel gerade auch bei sinkenden Finanzen notwendig sei. „Eine Umverteilung der Mittel wäre auch bei sinkenden Einkünften vorstellbar, wenn der Entscheidungsspielraum auf die untere Ebne verlagert würde“ (S. 73). Dieses Votum hat sich die Propsteisynode Helmstedt ausdrücklich zu eigen gemacht. Propst Brandt hält eine Kompetenzverstärkung der Kirchenvorstände durch eine Veränderung in der Finanzierung für angebracht. „Im Bereich der Finanzen könnte es die Aktivierung von Eigenmitteln stärken, wenn die Gemeinden mit eigenen Geldern ( Rücklagen und Einkommen) gezielter arbeiten könnten, ohne Erträgnisse auf die Steuergrundzuweisung angerechnet zu bekommen“ (S.91).
Unterschiedlich wird die Frage beantwortet, ob die landeskirchlichen Mittel auf die Gemeindeebene oder auf die Propsteiebene verlagert werden sollen. Der Kirchenvorstand der Kirchengemeinde Martin in Greene bevorzugt dafür die Propsteiebene ( S. 30) wie auch das Pfarramt Immenrode: „Der Verteilung der Gelder sollte unserer Ansicht nach grundsätzlich anders vorgenommen werden. Es wäre besser, wenn das LKA die zur Verfügung stehenden Mittel nur unter den Propsteien aufteilt“(S.131). Auch OLKR Becker favorisiert eine Stärkung der Propsteiebene: „ Die Stärkung der Propsteiebene erscheint aus Gründen der Ortsnähe wie aber auch der Vereinfachung von Entscheidungsdingen dringend erforderlich. Dies könnte für Haushaltsfragen gelten“(S.119).
Brandt beläßt es nicht bei der pauschalen Forderung nach Dezentralisierung der Finanzen sondern bringt wie eine Reihe anderer Beiträge handfeste Vorschläge vor. Die Propsteisynode Königslutter formuliert einen strammen Katalog diesbezüglicher Forderungen: „Die Gemeindefinanzen sollen gestärkt werden, indem der innerkirchliche Verteilungsschlüssel zugunsten der Gemeinden verändert wird. Außerdem soll das Haushaltsrecht in der Weise geändert werden, daß sehr viel mehr Haushaltsstellen gegenseitig deckungsfähig werden können. Auch damit soll die Verfügungsgewalt der Kirchengemeinden gestärkt werden. Das Kirchen-steuerverteilungsgesetz soll dahingehend verändert werden, daß a) die Stundenbemessung der Mitarbeiter/innen in der Verantwortung der Anstellungsträger liegt, sofern entsprechende Eigenmittel vorhanden sind. b) die Anrechnung des eigenen Aufkommens der Kirchengemeinden auf die Kirchensteuerzuweisung von derzeit 90% gesenkt wird...“( S.150). Erfreulicherweise sind diese Vorschläge in Antragsform an die Landessynode gegangen und werden bereits auf der Sitzung am 30.3./1.4. 1995 in Königslutter verhandelt.

Die scharfe Kritik Schliephaks am Kirchensteuerverteilugnsgesetz wird auch von anderen Gemeinde aufgenommen. Es werden vor allem die starren Kriterien wie Gemeindemitgliederzahl und Bauvolumen derKirche als völlig unzureichend empfunden. Die Zuweisung der Kirchensteuermittel „sollte sich an nachgewiesenen Aktivitäten und Angeboten orientieren. Gemeinde gleicher Größe erhalten zur Zeit gleiche Zuweisungen, ohne bestehende Aktivitäten und Angebote zu berücksichtigen“ (S.121) ( Kirchenvorstand Kreiensen). „Bei der Zuweisung von Finanzmitteln sollte die Förderung und Stärkung der Gemeindearbeit Priorität haben“ (S.19) (Kirchenviorstand der Stiftskirchengemeinde Königslutter).
Zur Wiederherstellung der Kompetenz in Finanzfragen gehört aber nicht nur eine Umverteilung der Landessteuerkirchenmittel, die ja ohnehin - was im Landeskirchenamt gerne vergessen wird - ausschließlich von den Kirchengemeindemitgliedern aufgebracht werden, sondern auch die Erschließung eigener Quellen. Eine Landeskirchensteuer gibt es ja erst seit etwa 7o Jahren. Sie ist um 1922 einmal in unserer Landeskirche eingeführt worden. Die ursprüngliche Kirchensteuer ist die Ortskirchensteuer. Sie ist vor Ort erhoben worden, mußte vom Gemeinderat genehmigt werden und wurde vor Ort auch verwaltet. Diese Ortskirchensteuer hat es bis in unsere Tage gegeben. Der Kirchenvorstand der Christuskirchengemeinde Braunschweig schlägt als Pilotprojekt sozusagen die regionale probeweise Einführung der Ortskirchensteuer bei den Gemeinden vor, die dies wünschen. „Gemeinden, die dazu bereit sind, ist das Recht auf finanzielle Selbstständigkeit einzuräumen. Für diese Gemeinden ist § 18 Abs. 4 Satz 1 KiSTVe zu streichen“. Der Kirchenvorstand fügt auch gleich den Wortlaut des Paragrafen hinzu, der da lautet: „Das Recht der Kirchengemeinden Kirchensteuern nach § 2 Abs 1 Nr. 1-3 zu erheben, ruht“ ( S. 104). Dieser Vorschlag klingt verwegen und hinsichtlich seiner Durchführung aussichtslos. Er würde nur die Klage über die Kirchsteuer vermehren und Quelle neuer Kirchenaustritte sein. Eine behutsame und vernünftige Anwendung dieser neuen/alten Ortskirchensteuer könnte jedoch eine wesentliche und ärgerliche Quelle der Landeskirchensteuerungerechtigkiet beseitigen. Es zahlt ja nur noch ein Drittel der evangelischen Mitglieder die Landeskirchensteuer. Die Rentner fallen wegen ihrer Unerfaßbarkeit durch die Finanzämter aus der Zahlung der Landeskirchensteuer heraus. Diese Bevölkerungsgruppe ist im Steigen. Sie ist auf der Ebene der Ortskirchengemeinde leicht erfaßbar. Was also wäre einfacher, wenn etwa diese Gruppe durch die Erhebung einer Ortskirchensteuer in Höhe eines Pauschbetrages von ca 5o.-- bis 15o.--DM pro Jahr an ihre kirchlichen Pflichten erinnert würde. Helmut Fischer, langjähriger Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Schöninger Lorenzgemeinde und als Chef der Schöninger Gaswerke Finanzexperte, schreibt: „Um das Kirchensteuereinkommen nicht zu schmälern, wird im Interesse der steuerlichen Gleichbehandlung mit den Ver-sorgungsempfängern und Pensionärswitwen, die Kirchensteuer entrichten müssen, vorgeschlagen, auch Rentenempfänger zur Zahlung der Kirchensteuer heranzuziehen“ (S.82). Das Pilotprojekt der Christuskirchengemeinde stünde also durchaus nicht vereinzelt da. Außerdem gibt es in unserer Landeskirche noch zehn Kirchengemeinden, die ein pflichtgemäßes „Kirchgeld“ statt des freiwilligen Kirchenbeitrages“ erheben.
Eine weitere Quelle für die finanzielle Selbständigkeit der Kirchengemeinden wäre der Verbleib der Dienstwohnungsvergütung, also der Pfarrhausmiete, bei der Kirchengemeinde zur Verwaltung des Kirchenvorstandes und zur Verwendung der Bauunterhaltung. So schlägt der Kirchenvorstand von Lelm vor: „Bei Pfarrwohnungen müßte die Dienstwohnungsvergütung entweder an die Kirchengemeinden gezahlt werden, dann wären die auch in eigener Regie für die Pfarrwohnungen bzw. - häuser zuständig; oder weiterhin an die Landeskirche, dann braucht der KV aber auch nicht tätig zu werden“ (S. 38).
Leider läßt das Landeskirchenamt auch das Vermögen der Kirchengemeinden nicht unangestastet. Die Einkünfte aus eigenem Vermögen werden seit ca 8 Jahren von der Zuweisung aus dem großen Topf der Landeskirchensteuer abgezogen. Sparsamkeit und die Schaffung von gewissen Reserven werden also vom Landeskirchenamt mit Abzug bestraft. Propst Brandt hat diese Handhabe bedauert ( S. 91, dazu s.o.). Die Propsteisynode Königslutter hat dazu einen Antrag vor der Landessynode gestellt. Sie wird darin wiederholt von Kirchengemeinden außerhalb der Propstei Königslutter unterstützt. „Einkünfte aus anderen Einnahmequellen sollten künftig der Gemeinde nicht mehr von der Kirchensteuerzuweisung abgezogen werden, da sonst kaum Motivation zu solchen alternativen Finanzierungsmöglichkeiten besteht.“ (S. 67) (Arbeitskreis für Jugendarbeit der ev.-luth. Propstei Salzgitter - Lebenstedt).

Zur Wahrnehmung seiner Kompetenz in Finanzangelegenheiten wäre für die Kirchenvorstände eine Vereinfachung der Finanzunterlagen, allem voran der Haushaltsentwürfe dringend erforderlich. Noch vor 2o Jahren hatten die verschiedenen Haushaltsstellen verständliche, in den Kirchengemeinden gebräuchliche Bezeichnungen. Seit dem Anschluß an die sog. EKD Haushaltssystematik sind die Haushaltspläne weithin nur noch für Fachleute verständlich. Sowas dient dem Herrschaftswissen der Finanzzentralen und wird dort gerne beibehalten. Es dient als zusätzliches Argument, die Finanzverwaltung auf Ortsebene zugunsten von Verwaltungszentralen aufzugeben, wovor nur dringend gewarnt werden kann. Die Stiftskirchengemeinde Bad Gandersheim fordert daher: „Vereinfachung des gesamten Formularwesens ( Haushalt,Kassen- und Rechnungswesen, Beantragungen usw.) (S.93). „Der Kirchenvorstand hält es für unbedingt geboten, den Haushaltsentwurf streng zu vereinfachen“ (Kirchenvorstand Paulus,Oker) (S. 90).
Pfarrerin Ina Böhm mahnt zu Recht an, daß vakante Pfarrstellen nicht als „Sparschweine“ des landeskirchlichen Haushaltes mißbraucht werden dürften. Die Überlegung ist logisch: Fehlt einer Gemeinde eine Pfarrerin oder ein Pfarrer, fällt vermehrte ehrenamtliche Tätigkeit an. Das Landeskirchenamt indes behält das Pfarrergehalt für sich. Es wäre mehr als billig, daß aus der Landeskirchenkasse ein erheblicher Teil dieses eingesparten Betrages an die Kirchengemeinde fließt. „Vakante Pfarren sollten mehr Geld bekommen, damit sie nicht länger „Sparschwein“ sind“ (S.87).
Es gibt auch beachtliche Einzelhinweise: die Braunlager Trinitatisgemeinde regt an, den Kirchensteuerzahler bei der Verwendung eines Teiles seiner Kirchensteuer mitwirken zu lassen (S. 136). Dies wird von vielen Gemeinden beim Einsammeln des freiwilligen Kirchenbeitrages bereits getan. Das wäre bei der Einziehung einer Ortskir-chensteuer ebenfalls leicht möglich. Der Landesposaunenwart Markowis regt an, Posaunenchorleiter wie nebenamtliche Chorleiter anzustellen (S. 65). Der Vorschlag von Klaus Renner enthält immense Sparvorschläge ( S.133). Auch sein Vorschlag, eine Kultursteuer zu bedenken wie in Italien, wird von mehreren Einsendungen geäußert. Klaus Steger, der sich als Vorsitzender des Thomaskirchenvorstands Wolfenbüttel intensiv mit Haushaltsfragen beschäftigt hat, kritisiert in seinem Beitrag die unnötige Kompliziertheit und Undurchsichtigkeit des Haushalts- und Kassenwesen. „Warum werden die Personalkosten nicht dort bewirtschaftet, wo die Löhne und Gehälter ermittelt und vermutlich auch angewiesen werden können?“ (S. 39) Das gilt ganz gewiß für Kleckerbeträge, die neuerdings abenteuerliche Umwege über eine Hannoversche Zentralkasse gehen sollen. Ich empfehle die Lektüre dieses Beitrages besonders den Mitgliedern des Finanzausschusses. Sybille Oelschlegel beantwortet die Frage 7 mit der träumerischen Vermutung: „Vielleicht fängt das Leben in der Kirche neu an, wenn es keine Kirchensteuern mehr gibt.“ (S.85)
Unüberhörbar ist der Wunsch der Kirchevorstände nach Beseitigung der finanziellen Entmündigung. der mit zahlreichen durchdachten Vorschlägen begleitet wird. Der Erfolg der Reformsynode wird u.a. davon abhängen, welche konkreten, fühlbaren und bald in die Praxis umgesetzten Entscheidungen die Landessynode fällen wird.
In der AG 1 ist dazu eine Untergruppe gebildet worden, die sich besonders aus den Mitgliedern des Finanzausschusses zusammensetzen wird. Der Finanzausschuß hat bereits zahlreiche Wünsche aus den Kirchengemeinden aufgenommen, die allerdings der Antragsform bedürfen, damit sie nicht unter den „allgemeinen Rahmenbedingugen“ und in dem erstrebten „Grundkonsenes“ ( was ist der eigentlich?) versumpfen.


8. Die vernichtende Kritik am Landeskirchenamt

DAS LANDESKIRCHENAMT HAT DEN STIL „ OBEN - UNTEN“. Auf diese knappe Formel bringt es der Gesprächskreis in Salzgitter - Bad und spiegelt die Erfahrungen von Mitgliedern des Propsteivorstandes, von Pfarrern und Sekretärinnen, also von Menschen, denen das Landeskirchenamt auf unterschiedlichen Ebenen begegnet ( S. 109). Propst Schinke leitet diesen Stil, der dem Wesen und Selbstverständnis des Landeskirchenamtes entspreche, historisch aus der vordemokratischen, der herzoglichen Zeit ab. „Bis heute ist die landeskirchliche Zentrale in ihrem Wesen und Selbstverständnis aus dieser obrigkeitsbezogenen Zeit geprägt“ ( S. 112 ), nämlich aus der Zeit von „Thron und Altar“. Der Sinn der Position „oben“ ist die Beaufsichtigung. Und eben dies ist der Kritikpunkt.
Das Wort „Landeskirchenamt“ kommt in den 1o Fragen überhaupt nicht vor. Die von Feige formulierten Fragen sprechen in Nr. 5 von „verschiedenen Organisationsebenen unserer Landeskirche“. „Gibt es organisatorische Strukturteile, die Ihrer Erfahrung nach ganz abgeschafft werden sollten?“ Der Fragestellung von Frau Böttger-Bolte spürt man die Gemeindenähe an: „Das Leben unserer Landeskirche vollzieht sich auf verschiedenene Ebenen, die voneinander abhängig sind: Landeskirche - Propstei - Ortsgemeinde - übergemeindliche Ämter und Werke. Wie kann Ihrer Meinung nach ein fruchtbares Zusammenwirken der unterschiedlichen Funktions- und Verantwortungsbereiche erreicht werden? Wo sollten Verantwortungsbereiche delegiert oder verändert werden? Gibt es Bereiche, die eingeschränkt oder abgeschafft werden sollten?“
„Das Landeskirchenamt sollte sich weniger als Aufsichts- und Bewilligungsgremium verstehen, sondern vielmehr als Koordinator der vielfältigen Formen kirchlichen Lebens“ (S. 73), so der Kirchenvorstand St. Lorenz, Schöningen, dem sich die Propsteisynode Helmstedt angeschlossen hat. „Das Landeskirchenamt muß aufhören, sich vorrangig als Kontroll - und Aufsichtsorgan zu begreifen. Es ist ein Dienstleistungsbetrieb. Das betrifft auch das Selbstverständnis der Dezernenten“( S.123), schreibt der schon öfter zitierte Braunschweiger Nord-West-Konvent. Wo kontrolliert und beaufsichtigt wird, herrscht Entmündigung und Bevormundung und entsteht eine unevangelische Abhängigkeit. „Abhängigkeit ist schlecht, gegenseitige Beteiligung ist besser“ (S. 110), rät der Propsteivorstand Salzgitter - Bad. Es sind nicht verärgerte Einzelstimmen, die hier zitiert werden. „Der Kirchenvorstand wünscht sich eine Veränderung der Verhältnisse zwischen den Aufsicht führenden Stellen im Landeskirchenamt und den Kirchengemeinden. Immer wieder ist es in der Vergangenheit zu Problemen gekommen, als sei der Kirchenvorstand Untergebener und die zuständigen Personen im Landeskirchenamt Vorgesetzte. Dies betraf Verhandlungen in Grundstücks- und Finanzfragen“ (S. 83) (Kirchengemeinde St. Andreas, Cramme ).
DER AMTSAPPARAT DER AUFBAUSTRUKTUR DER LANDESKIRCHE ERSCHEINT DEN MEISTEN FRAUENHILFSSCHWESTERN UNÜBERSICHTLICH UND SCHWERFÄLLIG“ ( S.57). Diese Außenansicht der kirchlichen Apparates ist nicht auf das Landeskirchenamt beschränkt sondern bezieht offenbar den Apparat an der Basis in der Ortskirchengemeinde mit ein. Es ist die Sicht des Kreisverbandes der Frauenhilfe Salzgitter - Lebenstedt. Wir werden uns in den Kirchengemeinden also durchaus auch selber fragen müssen, wie unbürokratisch und rasch in den Verwaltungsabläufen uns die Gemeindemitglieder erleben. Der älteste Synodale der gegenwärtigen Landessynode, Helmut Schönstedt, der das Innenleben des Landeskirchenamtes aus jahrelanger Prüfungstätigkeit sehr genau kennt, hat seinen Beitrag ausschließlich der Bürokratie des Landeskirchenamtes gewidmet. „Die Zersplitterung der Dienststellen auf mehrere Dienstgebäude verschlingt jahrein und jahraus große Summen..eine straffe Organisation innerhalb des LKA muß dazu führen, daß alle Vorlagen einheitlich erstellt und bis zur Beschlußfassung erst mit einer aus der schristlichen Vorlage ersichtlichen Ausschußempfehlung versehen werden. Das jetzt und seit Jahren vorzufindende Verfahren ist vorsintflutlich“ (S. 31). Diese Optik ist nun keineswegs vereinzelt. „Der Weg durch die Instanzen des Landeskirchenamtes hindurch über die Propstei bis zur Gemeinde ist undurchschaubar, unpersönlich, kostenaufwendig und schwerfällig“ (S.73)( Kirchenvorestand St. Lorenz, Schöningen). „Ein Referat des LKA weiß nicht, was das andere tut“ (S. 54), so hat es der Lektor Wolters aus Vechelde erlebt. Propst Schinke zählt eine Reihe von Verbesserungen auf, die das Landeskirchenamt entbürokratisieren würden: Dienstverträge könnte die Propstei genehmigen. Verzicht auf Statistiken, Vorschrift über Beseitigung von Akten. „Unsinnigen Praktiken, daß z.B. bei einem Kircheneintritt außer dem Formular auch noch ein Protokoll ausgefüllt werden muß, sind zu vereinfachen. Die Mitarbeiter fühlen sich vom Landeskirchenamt weitgehend allein gelassen. Viele Entscheidungen wirken praxisfern, von anderen Gesichtspunkten diktiert als von den Anforderungen der tatsächlichen Arbeit. Funktions- und Verant-wortungsbereiche sollten möglichst mitarbeiternah aus Propstei- oder Gemeindeebene verlagert werden“ ( S. 115).
Diese Optik des Landeskirchenamtes ist nicht bloß eine von außen, sie wird auch von Mitarbeitern des Hauses geteilt ( siehe S. 157),
Diese wuchernde Bürokratie hat auch das Verhältnis des Landeskirchenamt zu den Gemeinden drastisch verschlechtert. Denn in den Gemeinden müssen Entscheidungen des Landeskirchenamtes vertreten werden, die grundsätzlich von denen der Kirchengemeinde abweichen. Das Pfarramt Immenrode schlägt für solche Fälle die Einrichtung einer Schiedsstelle vor (S. 131). „Schulterschluß der oberen Kirchenbehörde mit der Ortsgemeinde“, ( S. 74 ) fordern die Kirchengemeinden Badenhausen und Windhausen. „Wir wünschen uns sehr eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen Basis und Leitungsgremien“ (Ev. Frauenhilfe).
Hier äußert sich nicht eine trendgemäße Institutionsverdrossenheit, sondern es liegen Dinge im Argen, die entschlossen und behutsam aufgeräumt werden müssen. Unvergessen ist die Beschreibung des Landeskirchenamtes als „Augiasstall“ durch OLKR i.R. Grefe. Der neue Landesbischof hat durchaus Hoffnungen auf Besserungen im Amt erweckt (S. 157).
Auch diese Thematik gehört in die AG 1.


9. Kompetenzverlagerung im Bauwesen

IM FALLE VON BAUMAßNAHMEN KÖNNEN DIE KIRCHENGEMEINDEN ZU WENIG SELBST BESTIMMEN“ (S.99), klagt das Pfarramt Kästorf stellvertretend für viele andere Gemeinden. Unter den 10 Fragen gibt es keine spezifische nach dem Bauwesen in der Landeskirche. Dementsprechend fallen die Antworten zu diesem Thema nicht so zahlreich aus. Immerhin sind aber die Abhängigkeiten der Kirchengemeinden vom Landeskirchenamt im Bauwesen drückend. Das Landeskirchenamt hat das Geld und den theoretischen Verstand gepachtet, der Kirchenvorstand wird nur pro forma tätig. Er darf fertig ausgestellte Schreiben unterschreiben. und weiterleiten, und er muß drängeln und mahnen und immer wieder mahnen. Oft geht das über Jahre. Außerdem bietet das Baureferat im Landeskirchenamt und das Bauvolumen nicht geringe Angriffsflächen.
Die Wünsche nach Kompetenzverlagerung, die oben schon allgemein geäußert sind, werden für den Baubereich noch einmal besonders wiederholt ähnlich wie für den Finanzbereich. Die Thomasgemeinde Helmstedt hatte stärkere Kompetenzen für den Kirchenvorstand reklamiert. „Dies gilt insbesondere für Entscheidungen im Baubereich sowie im Bereich des Finanzhaushaltes“ (S. 138). Tatsächlich hatte es gerade bei dem Bau der Tho-maskirche grobe Abstimmungsnachlässigkeiten seitens der Bauführung mit dem Kirchenvorstand gegeben und unerfreulicherweise mußte dann bei dieser gewagten Betonkonstruktion das Dach völlig erneuert werden: kein Lichtblick für die Baukompetenz außerhalb des Kirchenvorstandes. „ Wenn der KV in Bauangelegenheiten in seiner Verantwortung nicht ernstgenommen wird, sondern die Mitarbeiter/innen des Baureferates nur allein Ent-scheidungen treffen, oder meinen, daß nur sie sie zu treffen hätten, weil ja das Geld von daher komme, dann macht es für einen KV keinen Sinn, darüber zu beraten. Die finanzielle und fachliche Kontrolle muß sicher sein, aber die Menschen vor Ort leben mit den Bauten und in den Bauten, sodaß ihre Verantwortlichkeit höher zu werten ist, als dies bisher zumindst in meinem Bereich geschieht.“ ( Pfarramt Westerlinde S. 14). Diese Beobachtung von P. Grote ist keineswegs vereinzelt: „Die Verantwortung der Kirchenvorstände muß gestärkt werden, einsame Entscheidungen im entfernten LKA finden vor Ort kein Verständnis“ (S.35) ( Kirchenvorstand Steterburg). So weit liegt ja nun Steterburg von Wolfenbüttel nicht entfernt, und doch kann eben der innere Abstand zu Entscheidungen eine große Distanz, Entfernung schaffen. Es herrscht der Eindruck vor: Wolfenbüttel kümmert sich um zu Vieles. „So müßte nicht jedes Klo im LKA verhandelt werden“ (Kirchenvorstand Kreiensen). Leider sind alle diesbezüglichen Mahnungen bisher wie an einer chinesischen Mauer abgeprallt. Eines Tages stand Bischof Müller in der Schöninger Vincenzgemeinde und fragte den Ortspfarrer nach der Notwendigkeit des Einbaus einer Badewanne. Das war noch nicht mal eine Lachnummer, als ich diesen casus in der Landessynode vortrug. Könnte dagegen ein Kirchenvorstand in Bausachen selbstständig handeln, würde er sich auch noch anders um die Erschließung neuer Finanzquellen kümmern. Tatsächlich spricht vieles dafür, daß jede Kirchengemeinde grundsätzlich ihr Kirchengebäude alleine unterhalten sollte. Der Zustand des Gebäudes ist dann die Visitenkarte für die Regsamkeit oder Schlafmützigkeit eines Kirchenvorstandes. Die Mängel im Zusammenspiel zwischen Baureferat und Kirchengemeinde sind greifbar. „Bei den Bauarbeiten vor Ort ist oft die Koordination zwischen Baureferat und Kirchenvorstand zu bemängeln, was zur Verunsicherung bei den Handwerkern führt (Kirchengemeinde Bevenrode, S. 146).
Dienstag ist im Baureferat in der Regel Reisetag, eigentlich eine löbliche Angelegenheit, da sie doch den Wunsch nach Gemeindenähe signalisiert. Das kann aber auch mißverstanden werden. „Bauen wird zu teuer, weil für die Baubetreuung nicht genügend Kräfte da sind. Herr D. reist in Salzgitter - Bad und in Blankenburg herum“ (S.109). Diese Beobachtung aus Salzgitter - Bad wird in einem weiteren Beitrag vom Propsteivorstand mit ge-nauen Kilometerzahlen belegt: „Die Oberbehörde Landeskirchenamt muß abgeben, z.B. die Baubetreuung an die Propsteiebene. Herr D. fährt dienstlich 15 000 km im Jahr, das sind 300 Arbeitsstunden.“( S. 110). Daß es sich hier nicht um Meckerei aus unverständigen Gemeinden oder engstirnigen Propsteivorständen handelt, macht der Beitrag von Landeskirchenrat Fehrmann deutlich, der aus seiner Kenntnis der inneren Lage des Landeskirchenamtes heraus, ebenfalls das Gewicht der Bauabteilung für viel zu groß hält. „Unter Berücksichtigung des Umstandes,daß 1/5 der Mitarbeiter des Landeskirchenamtes in Wolfenbüttel entweder im Bau- oder im Grundstückreferat tätig sind, ist zu fragen, ob hier die Schwerpunkte richtig gesetzt werden oder ob nicht ein Teil der dort wahrgenommenen Tätigkeiten entweder in den Kirchengemeinden oder Propsteien oder im Auftrag an freie Wirtschaftsunternehmen vergeben werden kann, ohne daß dies zu nachteiligen Effekten führen würde“ (S.77). Fehrmann bekräftigt diese Ansicht in einem weiteren Schreiben im Hinblick auf den an-wachsenden prozentualen Anteil der Bauunterhaltung an den Gesamtausgaben. „Es erscheint nicht hinnehmbar, wenn das Bauen und die Bauunterhaltung sich zu einem Schwerpunkt des landeskirchlichen Haushaltes entwickeln. Ich schlage daher vor, den prozentualen Anteil der Baumittel von den Gesamtausgaben im Durchschnitt der letzten 5 Jahre zu ermitteln und den sich ergebenden Prozentsatz als Ausgabeobergrenze festzuschreiben“( S. 79).
Die schwindenden Finanzmittel legen die Frage nahe, ob der Gebäudebedarf wirklich dem Gottesdienstbedarf entspricht. Es ist eine Besonderheit der kirchlichen Gegend zwischen Schöppenstedt und Magdeburg, daß tatsächlich in jedem Dorf eine Kirche steht, aber die Unkirchlichkeit seit Jahrhunderten und besonders seit der finanziellen Blüte des Zuckerrübenanbaus tief eingewurzelt ist. Können wir so auch ins dritte nachchristliche Jahrtausend gehen? Müßten wir nicht Kirchspiele einrichten, wie sie weiter im Osten sich längst seit Jahr-hunderten bewährt haben? „ Von großen Gebäuden und Kirchen sollte sich die Kirche in einem oder andern Fall ruhig trennen“( S.89), schreibt Pfarrerin Köhler Hahn. „Lieber ins Bodenpersonal investieren“. „Aufgaben der Gebäudesicherung und des Denkmalschutzes sollten freier diskutiert werden können u.U. bis hin zur Veräußerung von Kirchengebäuden“ (S.31) Pfarramt Greene). Bei der unschönen Alternative „entweder an Gebäuden oder an Personal“ sparen, entscheidet sich der Kirchen - Frauenkonvent für „eher an Gebäuden“ (S.102). „Die Finanzierung von Gebäuden darf die Finanzierung von Personal nicht behin-dern“(Kirchengemeinde Petrus, Vorsfelde, S. 5) und es sollte über eine „gemischte Nutzung“ nachgedacht werden ( vormittags gewerblich, nachmittags Gemeinearbeit). „Bei der Erhaltung kirchlicher Baudenkmäler sollte mehr differenziert und grundsätzlich überlegt werden, ob der finanzielle Aufwand nicht besser im Sozialen angelegt würde.“(S. 142) (Arvbeitskreis Feministische Theologie). Die präzise Gegenposition bezieht der Leitende Oberbaurat Renner: „Die Kirche könnte einladender und öffentlichkeitswirksamer werden durch Öffnung und gute Pflege und Ausgestaltung ihrer Kirchengebäude“ (S. 133). Hat er etwa Unrecht? Das Diakonische Werk erinnert daran, daß die Erhaltung der Kirchengebäude „stärker eine Aufgabe der Gesellschaft“ sein sollte, „oder sie zerfallen“ (S.117). Bei der ständigen Auszehrung christlicher Traditionen ist es jedoch zu bezweifeln, ob „die Gesellschaft“, die sich ja wertneutral und eher kirchenabweisend gibt, für solche gebäudeunterhaltenden Aufgaben noch zu gewinnen sein wird. Der Höxterkreis der Wicherngemeinde stellt insbesondere die weitere Verwendung der Braunschweiger Innenstadtgemeinden zur Diskussion. „Diese Gebäude sind heute ein Klotz am Bein der Kirche und erlauben es nicht mehr, die Aufgabe zu erfüllen, „Kirche für die Menschen“ der Ortsge-meinde zu sein, zu der sie gehören. Einige der alten Kirchen sollten der politischen Gemeinde für andere Zwecke übereignet werden“ (S. 156). In Kenntnis der Bauunterhaltung und der hohen Umbaukosten wird sich vermutlich auch eine zumal verschuldete Stadtverwaltung für ein solches Danaergeschenk höflich bedanken. Es ist jedenfalls Diskussionbedarf, und der sollte mit dem Reformprozeß endlich öffentlich und laut in Gang kommen.
Auf dem Bausektor steht die Landeskirche, wenn es nach den Gemeinden ginge, vor großen äußeren und inneren Reformvorhaben: Delegation von Verantwortung an die Kirchengemeinde, Verschlankung der Bauabteilung im Landeskirchenamt, Lockerung der Residenzpflicht, Möglichkeit der Vermietung von Pfarrhausteilen durch den Kirchenvorstand, Diskussion über den Baubestand von Kirchen auf dem Lande und in der Innenstadt.
Es ist außerordentlich bedauerlich, daß der Bauausschuß bisher praktische, präzise Vorschläge völlig vermissen läßt. Er hat lediglich einen dürftigen Antrag gestellt, überall Propsteibausschüsse einzusetzen. Die gibt es schon längst hier und da, aber sie funktionieren nicht. Der Bauausschuß sollte sich mal um die Gründe kümmern! Die Vorschläge aus den Kirchengemeinden gehen sehr viel weiter. Ich befürchte, bei den Mitgliedern des Bauausschusses muß erst noch eine gründliche Lektüre der Antworten aus den Gemeinden einsetzen. Leider gibt es auch keine AG und der Bauausschuß hat sich darum auch nicht bemüht, in der die Bauthematik besprochen werden könnte.


10. Das Ehrenamt

„WIR WÜNSCHEN UNS EINE MASSIVE STÄRKUNG DER POSITION DER LAIEN, INSBESONDERE DER EHRENAMTLICHEN, WEG VON DER PASTORENKIRCHE, HIN ZUR GEMEINDEKIRCHE „ (Evangelische Frauenhilfe S. 28). Die Frage 10 des Fragenkataloges erbittet einzelne, konkret machbare Regelungen, „die Funktion der Ehrenamtlichen in unserer Kirche angemessener zu würdigen und dementsprechend ihre Stellungen bzw. Mitwirkungsmöglichkeit zu verbessern.“ 16 pensionierte Pfarrer und ihre Frauen widmen ihre Eingabe ausschließlich diesem Thema, vermutlich weil gerade ihre Frauen kräftig und damals noch ganz selbstverständlich in die ehrenamtliche Tätigkeit der Gemeinde ihres Mannes eingestiegen waren (S. 42 ff.) „Die Frage nach den Ehrenamtlichen ist von besonderer Bedeutung für die Entwicklung der Kirche.“ Die Ehrenamtli-chen „haben zusammen mit den ordinierten Pfarrern teil am Verkündigungsauftrag der Kirche“. Die Kirche sei „auf die Fähigkeit, Mündigkeit und Verantwortungsbereitschaft vieler Mitglieder angewiesen“. Sie seien, so heißt es in der Überschrift „ein Schatz der Kirche“. Um ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen sei eine Be-wußtseinsänderung bei den Pastoren und Gemeindemitgliedern entscheidend. Die ehrenamtliche Arbeit sollte „eine gewisse Eigenständigkeit und Unabhängigkeit gegenüber dem Pfarramt bekommen“. Sie sollte einen Teil des Finanzhaushaltes selber verwalten. Vor allem müßte diese Mitarbeit gefördert und geschult werden. Finan-zielle Ausgaben müßten ohne kleinliche Ausgabennachweise erstattet werden.
Dieses Votum der emeriti wird von zahlreichen Gemeinden unterstützt. Insgesamt wird nach der Häufigkeitstabelle von Frau Biersack das Ehrenamt 182 Mal erwähnt und steht damit an vierter Stelle. Weitere Stichwörter zum Thema Ehrenamt lauten „Weiterbildung“, „Honorierung“, „Mitbestimmung“, „eigenverantwortlicher Bereich“, „Kompetenz“. „Ehrenamtliche wollen nicht scheindemokratische Spielwiese, sondern echte Entscheidungskompetenz“ (Nord/Westkonvent Braunschweig, S. 124). Ein Kreis von 20 Ehren-amtlichen in Salzgitter Bad äußert sich unter anderem in folgenden Stichworten: „Pfarrer müssen näher an die Gemeinde heran! Ehrenamtliche besser betreuen! Kampf gegen die Anonymität, Zusammenhalt in der Gemeinde stärken! Ermutigen! Mehr Hilfe für die Ehrenamtlichen! Bei unseren Neubauten Raum schaffen für Ansprechmöglichkeiten.“ (S. 109)
Inzwischen hat am 04.02.1995 in Braunschweig erstmalig eine Versammlung der Ehrenamtlichen stattgefunden. Die von den Synodalen Lauer, Schmidt und Voss geleitete Arbeitsgruppe 2 nimmt sich ausschließlich dieses Themas an. In dem Vorstellungstext heißt es dazu u.a.: „Ehrenamtliche Arbeit ist für unsere Kirche überlebenswichtig. Es ist zu beobachten, daß die Bereitschaft von Frauen und Männern nachläßt, in der Kirche mitzuarbeiten. Dies hat sicher verschiedene Ursachen. Dem wollen in dieser Arbeitsgruppe nachgehen.“ In dieser Arbeitsgruppe arbeiten als Gäste noch mit Block -v-Schwartz, Schlipphack, Anton, Höxter.


11. Seelsorge: Gottesdienst, Amtshandlungen und Besuche

„UNBEDINGT FESTGEHALTEN WERDEN MUß AM BEREICH DER VERKÜNDIGUNG, SEELSORGE UND UNTERWEISUNG, WAS AUCH VERSTÄRKT GEFÖRDERT WERDEN SOLL“ (Kirchengemeinde Bortfeld, S. 19). Gottesdienst, Seelsorge, Amtshandlungen sind Stichworte, die so direkt im Fragenkatalog nicht abgefragt werden. Sie stehen jedoch im Häufigkeitskatalog oben: Gottesdienst an zweiter Stelle (190 Mal), Seelsorge an elfter Stelle (80 Mal), Amtshandlungen in der Mitte (22 Mal). Im Propsteivorstand Bad Harzburg wird die „Wichtigkeit von Besuchen und Seelsorge besonders hervorgehoben“ (S. 55). Der Kreisverband der Frauenhilfe Goslar betont die Rolle des Bischofs und der Pröpste hierbei: „Der Landesbischof und die Pröpste sollten verstärkt Seelsorger der Pastoren sein“ (S. 8). Da ich über den Gottesdienst in der letzten Nummer KvU (Nr. 76, S. 11 ff. „Beobachtung zur Reformsynode“) bereits berichtet habe, will ich diesen Bereich hier nicht weiter ausführen. Angemahnt werden auf diesem theologischen Feld außerdem besonders Fragen bei der Veränderung des klassischen Pfarrhauses. So schreibt Frau Lampe vom Pfarrfrauendienst: „Wir alle in der Kirche müssen unsere Vorstellung von christlichen Lebensformen den gesellschaftlichen Realitäten anpassen (Ehe, Familie, Partnerschaft, Alleinerziehende, Single, Religionsunabhängigkeit). Im Papier „Veränderungen im Pfarrhaus“, daß der Pfarrfrauendienst in der EKD im Mai 1993 veröffentlicht hat, heißt es dazu: „Die Bedeutung des heutigen Pfarrhauses sollte nicht mehr über die Einhaltung eines normierten Lebenswandels, sondern über Lebendigkeit, Ehrlichkeit und Offenheit im Umgang mit sich und anderen definiert werden.“ Auch Pfarrerinnen und Pfarrer müssen sich ihre Lebensform selbst wählen dürfen. Die Residenzpflicht als Folge der Parochie zwingt Pfarrersfrauen und -kinder zu einer Lebensform, die sie nicht selbst gewählt haben. Diese erzwungene Lebensform führt zu Konflikten. Nicht alle Pfarrfamilien können oder wollen „exemplarisch“ leben. Überforderung, Vereinsamung und „Glashaussyndrom“ führen zu Krisen und sind mögliche Gründe für die steigende Zahl von Scheidungen in Pfarrerehen und für Entwicklungsschwierigkeiten von Pfarrerskindern.“ Diese dramatische Veränderung im Pfarrhaus wäre ein Thema für die nächste 1996 beginnende Sitzungsperiode der Landessynode. Das Diakonische Werk will diese Sicht nicht nur aufs Pfarrhaus beschränkt sehen: „Die Ev-Kirche sollte noch stärker heutige Lebensformen wie die steigende Zahl Lediger - alleinerziehender Mütter und Väter, nicht-eheliche Lebensgemeinschaften, die steigende Zahl von Alleinlebenden in allen Altersgruppen, die Lebensform von Lesben und Schwulen akzeptieren.“ Diese theologischen Fragen werden in der Arbeitsgruppe 3 behandelt, die besonders ausführlich von den Synodalen Römer, Hünecke und Schwanke vorbereitet worden ist. In dem Vorstellungspapier heißt es dazu: „Seelsorge ist das Thema der Zukunft. So lautet jedenfalls der Tenor der Antworten im Vorfeld der Synode versandten Fragebogen. Ausdrücklich und auch zwischen den Zeilen wird sehr häufig von der Notwendigkeit gesprochen, auf Menschen zuzugehen und ihnen in die Alltagssituation hinein nachzugehen. Die Antworten in den Fragebogen lassen sich auch als Forderung nach einem perspektiven Wechsel lesen: Menschen sollen in den Blick kommen mit ihrer Erwartung nach Zuhören, Vertrauen und Verge-bung. Auf diese Erwartung ist zu antworten, wo sie zu spüren ist. Unabhängig von ihrer Gemeindebindung oder ihrer Kirchenmitgliedschaft haben Menschen einen Anspruch auf Seelsorge. Schon seit langem geschieht Seelsorge nicht nur im gemeindlichem Bereich, sondern auch im säkularem Kontext: z. B. im Krankenhaus, in der Justizvollzugsanstalt, in der Telefon- und Urlauberseelsorge. Der programmatische Satz „Seelsorge für alle“ faßt das Gemeinte zusammen. Die Umsetzung dieses Ansatzes hat weitreichende Konsequenzen für Gottesdienst, Amtshandlungen und Besuche.“ Gäste und weitere Mitarbeiter in dieser Arbeitsgruppe sind Westerkamp, Meyer, Riese, Kalberlah. Die Gruppe wird von Herrn Römer zusammen OKR Stempin geleitet.


12. Ämter auf Zeit, Kirchenzugehörigkeit und andere Rechtsfragen

„UM STARREN VERHARREN IM ALTHERGEBRACHTEN VORZUBEUGEN ZEITLICHE BEGRENZUNG DER ÄMTER - NICHT NUR FÜR PFARRER“ (Badenhausen, S. 66). Die vorletzte Frage des Kataloges regt die Gemeinden zur Überlegung an, „künftig grundsätzlich alle kirchlichen Ämter nur auf Zeit zu übergeben.“ Das Echo darauf ist überwältigend. Ämter sollten grundsätzlich nicht mehr lebenslang, sondern nur auf Zeit vergeben werden, und zwar auf allen Ebenen: das Amt eines Oberlandeskirchenrates, eines Propstes und eines Pfarrers. Es werden erfreulich konkret eine unterschiedliche Dauer der Amtsperiode vorgeschlagen: sechs, sieben, zehn und zwölf Jahre mit und ohne Wiederwahl. Dieses Thema lag der Synode bereits 1992 als Antrag vor. Das Landes-kirchenamt forderte daher ein Gutachten von Prof. Martin Heckel an, der natürlich von jeder Veränderung in seinem 44 Seiten umfassenden Gutachten abrät. Dieses Gutachten geht an der Fragestellung des Gemeindeausschusses völlig vorbei. Es behandelt nämlich nur die Befristung des Bischofsamtes. Auch OLKR Fischer, von dem eigentlich eine Meinungsäußerung zu Finanzfragen interessant und wünschenswert gewesen wäre, beschäftigt sich vorrangig mit der Begrenzung der kirchlichen Ämter und rät ab: „Insgesamt erkenne ich keinen Vorteil bei Befristung eines Amtes.“ (S. 41). Diese Frage spielte bereits bei der Verfassungsdebatte 1970 eine große Rolle, und Landesbischof Heintze war ein Vorreiter und hartnäckiger Verfechter der Befristung. In allen drei Lesungen unternahm er den Versuch, die Befristung durchzusetzen. Der Rechtsausschuß will für die Synodalsitzung im Mai einen Vorschlag ausarbeiten. Er wird in der AG 1 beraten.

Ein heute viel diskutiertes Thema ist die Kirchenzugehörigkeit und Kirchenmitgliedschaft. Der Landesbischof hat dieses Thema im Vorfeld der Synode bereits angesprochen und in idea eine „Schnuppermitgliedschaft“ insbesondere für junge Leute angedacht. Soll die Mitgliedschaft auch mal ruhen können, wie die Kirchengemeinde Badenhausen vorschlägt (S. 66)? Eine „vereinnahmende Kirchenmitgliedschaft“ sei bedenklich, so der Kreisverband der Frauenhilfe Salzgitter Lebenstedt (S. 58). Der Kirchenvorstand Steterburg macht auf einen wichtigen Unterschied aufmerksam: „Die Akzeptanz der Landeskirchenzugehörigkeit ist wesentlich geringer als die Akzeptanz der Gemeindezugehörigkeit“ (S. 34). Der Blick der Kirche sollte jedenfalls bis an den Rand und am liebsten darüber hinaus gehen. „ Die Kirchenmitgliedschaft derer, die nicht der Kerngemeinde angehören, muß nach wie vor verstärkt in den Blick kirchlichen Handelns kommen“ (Thomas Gemeinde Braunschweig, S. 137). Es wird auch hinterfragt, was die Kirchenmitgliedschaft eigentlich begründet „Muß denn unbedingt mit der Taufe die Mitgliedschaft begründet sein? Muß denn unbedingt Kirchenmitgliedschaft durch das Kirchensteuerzahlen begründet sein?“ (Kirchengemeinde Völkenrode, S. 127). Die Gemeinden wünschen offenbar eine Regelung bezüglich der Behandlung von Ausgetretenen. Die Petrigemeinde in Börnecke wünscht die Gewährung der Trauung und der Bestattung, auch wenn sie keine Mitglieder der Kirche sind (S. 101). Der Wiedereintritt sollte vereinfacht werden (Kraft S. 80). Das Dimissioriale sollte abgeschafft werden (Pfarrverband Lehre, S. 50).

Weitere wichtige Reformwünsche sollen hier nur angedeutet werden: der Dienstweg (also daß alle dienstlichen Dinge über die Propstei das Landeskirchenamt erreichen sollen) sei „lächerlich“ (Ina Böhm, S. 87), er sei „undurchschaubar, unpersönlich, kostenaufwendig, schwerfällig“ (Kirchenvorstand St. Lorenz, Schöningen, S. 73). Der Beamtenstatus sollte überdacht werden (Schinke, S. 116). Die Kirche sollte wirklich nicht hinter den fertigen Beschlüssen des Staates hinterherhecheln. Für eine Veränderung des Beamtenstatus macht sich zur Zeit der Bundesinnenminister stark. Die wichtige mit Recht von Propst Schinke angeschnittene Frage des Disziplinarrechtes und die unseligen Doppelrolle des Landeskirchenamtes dabei muß wenigstens als Problem möglicherweise für eine weitere Synode notiert werden.


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Impressum und Datenschutzerklärung, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu080/banane.htm, Stand: 16. Dezember.2001, dk