[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Heft 80 Dezember 1995

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Das Ende vom Lied - die Bananensynode

Die letzte Landessynode der VIII. Periode November 1995

Von Dietrich Kuessner

Wir tagten im Diakonissenmutterhaus "Kinderheil", das 1945 von Pommern in die Braunschweigische Landeskirche gekommen war. Ich sah auf dem Gelände noch zwei der mir vertrauten Rüschenhäubchen (da ich selber mal in einem Mutterhaus großgeworden bin), die Oberin begrüßte die Synode zu Beginn, Schwester Eva von der Grenze zwischen Ostpreußen und Litauen

 

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stammend, war mir mit einem Asperin zum Frühstück hilfreich, im Gottesdienst am Freitag etwa 20 Schwestern, alte, geprägte Gesichter, die Diakonissenmutterhäuser leiden unter Nachwuchsmangel, obwohl es bei vielen alleinstehenden Frauen ein großes Bedürfnis nach Gemeinschaft und neuen sozialen Aufgaben gibt. Nach außenhin: ein friedlicher Rahmen, ein gutes Omen für eine friedliche Synode.

Die war allerdings nicht zu erwarten. Mit weit über 30 Tagesordnungspunkten war das Programm vollgestopft. Außerdem war die Tagung psychologisch belastet. 15 Synodale hatten von ihrem Verfassungsrecht Gebrauch gemacht und die Einberufung einer außerordentlichen Synodentagung im September beantragt. Ein ganz außergewöhnlicher Vorgang, der in den letzten 50 Jahren nicht vorgekommen war, aber fällig. Präsident Eckels hatte diese Synode auch umgehend zum 23. September einberufen, aber es hagelte Absagen. Der Verdacht lag zwingend nahe: eine größere Gruppe wollte diese Synode nicht und hatte ihr Zusammentreten gezielt boykottiert. Also z. B. Hartig, Fürst, Riebenstahl, Fiedler, die kirchliche Rechte. Das hatten die Antragsteller durchaus bedacht und absichtlich keine Anträge gestellt. Dringlich fanden sie eine Aussprache über den von OLKR Fischer im Juli groß (dreispaltig mit drei Bildern) in der Wolfenbüttler Zeitung angekündigten Umzug des Landeskirchenamtes und des Hauses für Kirchliche Dienste in die Gneisenaukaserne, der besonders unter den Mitarbeitern in Riddagshausen überaus umstritten war, außerdem über die absolut fehlende Beteiligung der Landessynode an diesem ganzen Vorgang, über das grundsätzliche Verhältnis zwischen Landesssynode und Landeskirchenamt und schließlich über die Haltung der Landeskirche zum Atommüllendlager Schacht Konrad. Da hatte es in der Öffentlichkeit Irritationen und in der Presse Darstellungen und Gegendarstellungen gegeben, die dem Bild von Landeskirche nicht gerade förderlich waren. Es war insbesondere beim Propsteivorstand von Salzgitter Bad der Eindruck entstanden, als ob das Landeskirchenamt nicht mehr hinter dem grundsätzlichen Beschluß der Landessynode stünde, eine Atommüllendlagerung im Schacht Konrad zu verhindern. Das sollte in einer Dringlichen Anfrage in der Septembersynode thematisiert werden. Der Präsident war in der Klemme. Sollte er die Synode zusammentreten lassen, obwohl diese nicht beschlußfähig werden würde? Der einzige Beschluß, der bei dieser Tagesordnung hätte gefaßt werden müssen, war die Feststellung der Beschlußfähigkeit und die Genehmigung der Tagesordnung. Aber x mal hatten wir die Synode angefangen, obwohl wir nicht

 

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beschlußfähig waren, und erst später war dann die Tagesordnung beschlossen worden. Darauf konnten sich die Antragsteller auch dieses Mal verlassen. Am Ende der Beratungen hätte dann eine förmliche Beschlußfassung auf die nächste Synodaltagung verschoben werden müssen. Allen wäre gedient gewesen.

Aber der Präsident sagte die Tagung mir nichts dir nichts ab. Dafür gab es keine rechtliche Handhabe. Also dehnte er die Geschäftsordnung excessiv aus, berief sich zu Unrecht auf den § 14 der Geschäftsordnung, und versäumte es überdies, von dieser überzogenen Auslegung den Rechtsausschuß zu konsultieren, was im Paragraph 27 zwingend vorgeschrieben ist. Also ein glatter Bruch der Geschäftsordnung und überdies ein Bruch der Verfassung. Überaus freundlich ausgedrückt: ein Husarenritt des Präsidenten. Die Schadenfreude bei den einen war unüberhörbar, die Wut bei den anderen groß. Sie fühlten sich mit guten Gründen in ihren Minderheitenrechten verletzt und hatten eine Antrag formuliert, die Landessynode möge beschließen: "Die Absage der bereits einberufenen, außerordentlichen Synode zum 23. September 1995 widerspricht der Verfassung Art. 63, Abs 2. Begründung: Die Berufung des Präsidenten bei der Absage der a.o. Synode auf § 14 ( 4) der Geschäftsordnung der Landessynode ist verfassungswidrig. Eine Geschäftsordnung kann Verfassungsrecht nicht brechen." Der Antrag war unterzeichnet von den Synodalen Hübner, Bengsch, Thieme, Kuessner, Kölsch, Voss. Dieser Antrag sollte ganz zu Beginn der Tagung behandelt werden, und so stand es denn auf dem Ablaufplan. Außerdem waren alle Tagesordnungspunkte von der Septembersynode nochmal per Antrag eingereicht und ebenfalls nach vorne gerückt worden. Daher also die vollgestopfte Tagesordnung und eine ganz miese Stimmung gleich zu Tagungsbeginn trotz der tröstlichen Diakonissenhäubchen.

Im Rechtsausschuß war noch darauf gedrängt worden, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner möchten den Antrag doch zurückziehen. Dabei ging es weniger um eine Rechtsfrage als um das Ansegen des Präsidenten. Es mache doch einen schlechten Eindruck, wenn in einem Antrag dem Präsidenten Verfassungsbruch vorgeworfen werde. Das war nun in der Tat so. Aber die EZ hatte von dem Antrag nichts berichtet, es war zweifelhaft, ob die Presse sich für sowas überhaupt interessieren würde, das war ja Insidertheater, und die Sache selbst mußte geklärt werden. Der Präsident fand selber seine Entscheidung nicht ideal und hatte einen Antrag eingebracht, der eine ähnliche Situation ausschließen sollte. Wie sich später herausstellte, war der Antrag zwar durch den Rechtsausschuß gegangen, aber nicht auf seine Verfassungsmäßigkeit (!) geprüft worden, und OLKR Niemann, der es gemerkt hatte, teilte der Synode mit, so wie es sich der Antragsteller Eckels gedacht habe, ginge es nicht. Das sei gegen die Verfassung. Wiederum!

 

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Die Synode begann indes noch schlimmer, nämlich mit einer schmutzigen Indiskretion. Unmittellbar nach der Absage waren die Mitglieder des Synodalen Arbeitskreises Solidarische Kirche und die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner zu einem Treffen eingeladen worden und aufgemuntert worden, sich nicht entmutigen zu lassen. Außerdem war eine erste, sichtbar von Wut und Enttäuschung diktierte Analyse der Absage formuliert worden. Wie es in unserer Landeskirche üblich ist: dieser Brief hatte die Runde gemacht, hatte auch den Präsidenten und die Vizepräsidentinnen, den Bischof und wer weiß wen nun noch alles erreicht, die beiden Vizepräsidentinnen zogen den Brief aus dem Rock, taten so, als ob ihn alle kannten, nannten keinen Verfasser, kein Datum, keine Zeile, aber distanzierten sich beide hintereinander (eine wäre zu wenig gewesen!) in selten scharfen Worten von dem Brief. Klar, wer gemeint war, aber sich nicht wehren konnte: Kuessner! Eine von dieser Seite unerwartet tückische Art von Zurückweisung. Die Rechte, immer vorne rechts vom Präsidium aus sitzend ( Buttler, Fiedler, Hellermann) u.a., trommelte auf die Tische. Das war was nach ihrem Herzen. Wenigstens zum Schluß bekam der Synodale Kuessner was auf den Hut. Der indes hatte den Antrag zu begründen, nachdem ihn Hübner eingebracht hatte, und nun mußten sich die Synodalen anhören, daß fünf Juristen angeschrieben worden waren, die alle völlig unterschiedliche Auskünfte gegeben hatten. Klar: die Entscheidung des Präsidenten war auch unter Juristen umstritten: einer gab Eckels recht, ein anderer sprach von Ermessungsmißbrauch oder Ermessensirrtum, einer riet, sich an den Rechtshof zu wenden, ein untergeordneter Beamter der VELKD hielt den Rechtshof für unzuständig, einer sagte gar nichts und gab keiner Seite recht. Der Rechtsausschuß hielt dem Präsidenten die Stange, auch klar. Die Feststellung einer Verfassungswidrigkeit im Parlament ist tatsächlich nicht möglich, also hatten sich die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner darauf geeinigt, den Antrag am Ende der Aussprache zurückzuziehen. Bengsch begründete seine Unterschrift mit der Wahrung des Minderheitenschutzes, dann war der Spuk vorbei. Allein der Antrag hatte schon seine Wirkung gezeigt. Keinesfalls sollte es dem Präsidenten erlaubt werden, so zu tun, als ob alles in Butter wäre und man über sein gewiß geschäftsordnungswidriges Verhalten, worauf unglücklicherweise ausgerechnet der Rechtsausschußvorsitzende ohne Absicht natürlich hingewiesen hatte, nun einfach zur Tagesordnung überzugehen, gewillt sei.

Es war ganz angenehm, daß nach diesem Stunk erstmal ganz andere Sachen kamen. Frau Christiansen, die neue Pressesprecherin und Leiterin des Informations- und Presseamtes, stellte sich der Landessynode vor, Hamborgsch, was leider am Akzent so nicht zu vernehmen ist, sehr jung und jugendlich, sie hat eine intelligente Arbeit über Axel Eggebrecht und die Situation am Norddeutschen Rundfunk nach 1945 geschrieben. Die Arbeit trägt den Untertitel

 

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"Der 'freie Autor' und der Apparat", eine hübsche Beschreibung ihrer eigenen Situation: die freie Journalistin und der Apparat. Frau Christiansen plant eine systematische Schulung der Öffentlichkeitsbeauftragten auf Propsteiebene, die von ihr in Zukunft mit reichhaltigen Informationen versorgt werden sollen. Mal sehen, was unten ankommt. Der Umzug von der Alster an die Oker ist wirklich wie ein Wechsel von einem Stern zum andern. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie über ihre vertragliche Zeit von sechs Jahren in Wolfenbüttel bleibt.

Aber dann kam nach einigen Infos über die Arbeit des Lutherischen Weltbundes durch Frau Edeling Unger und über die Konföderation durch Herrn Rieckmann, Helmstedt der nächste Knaller, der gleich nach zwei Seiten losging. Thema "Schacht Konrad". Nach meiner unmaßgeblichen Zählung 17 Wortmeldungen, so viele wie seit langem nicht bei einer Besprechung dringlicher Angelegenheiten. Die Dringlichkeit war eindrucksvoll bestätigt. Es hatte auch schon überaus peinliche Besprechungen dringlicher Angelegenheiten gegeben, da hatte nur einer gesprochen, und es hatte sich überhaupt keine Diskussion entzündet. Das war dies Mal ganz anderes. Das Ende vom Lied: mir haben sich alle Befürchtungen, daß sich das Landeskirchenamt aus dem Klageverfahren herausziehen will, vollauf bestätigt. Dr. Bosse hielt sogar die Tatsache einer Klage durch die Landeskirche für nicht statthaft. Es könnten nur Einzelpersonen gegen eine Einlagerung klagen. Damit standen wir meiner Meinung nach wieder ganz am Anfang. Wir hatten in unserem Arbeitskreis Solidarische Kirche bei der Vorbereitung auf diese Synode Schinke beauftragt, die drei strittigen Punkte in einen Antrag zusammenzufassen: 1.) die Rechtsanwältin Ruelle - Hengesbach sollte sich unverzüglich mit dem bevorstehenden Planfestellungsverfahren befassen, 2.) dazu sollte zusätzlich Geld zur Verfügung gestellt werden, 3.) es sollte ein gemeinsamer Ausschuß zwischen Landeskirchenamt und den Propsteien Salzgitter - Bad und Lebenstedt gebildet werden. Von diesen drei ganz konkrete Dingen kam nun aber im Antrag von Schinke rein gar nichts vor, obwohl im Finanzausschuß sogar schon über Summen gesprochen worden war. Er lautete: Der alte Beschluß der Synode vom Mai 1994 sollte im Falle eines positiven Planfeststellungsbeschlusses zu Schacht Konrad folgendermaßen ergänzt werden: "Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten hinsichtlich der Fortführung des Rechtsstreites soll das Landeskirchenamt sowohl rein rechtlich als auch theologisch- ethische Gesichtspunkte umfassend berücksichtigen und letztere auch - vorbehaltlich eines Beschlusses der Landessynode zur Fortführung der Klage - in der Klagebegründung zur Geltung bringen." Das war nun was ganz anderes. Die beiden Propsteisynoden hatten sich auf diesen Text nach einem Treffen mit der Rechtsanwaeltin

 

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im Propsteisynodenausschuss Kirche und Gesellschaft verstaendigt und hatten beabsichtigt, die Klageebene durch theologische Argumente zu verbreitern. Das kam irgendwie nicht rüber, und der Umweltbeauftragte, Pfarrer Krueger, der zwar anwesend war, tauchte irgendwie unter und machte sich unsichtbar. Kaum jemand konnte sich in der Landessynode darunter nun was substantielles Neues vorstellen. Ich sah nur theologischen Qualm vor mir. Bassen stritt für theologische Argumentationen, den Juristen war das ein Greuel am Altar des objektiven Rechtes, Frau Kölsch beschrieb eindrucksvoll eine Besichtigung des Endlagers zusammen mit der Kammer für Umweltfragen, die schauderhaft gewesen sei, die Antworten der Industrie seien arrogant gewesen, natürlich "alles sicher, alles harmlos", die Ängste der betroffenen Menschen würden überhaupt nicht erstgenommen. Mir standen die ersten Gespräche mit dem Ehepaar Traube vor Augen, das direkt am Schacht in Bleckenstedt wohnt, und die die ersten treibenden Kräfte zum kirchlichen Widerstand in Salzgitter waren, der Synodale Lüers brachte die Debatte ins parteipolitische Fahrwasser, machte "grüne" Positionen in der Synode aus und entblödete sich nicht, mich mit dem Kommunismusverdacht zu überziehen, Bengsch hingegen schilderte ziemlich dramatisch, wie die Industrie die Bevölkerung in Oker über die Schwermetallbelastung "nach Strich und Faden" betrogen habe, Hempel wollte - etwa wie im Wendland - mehr die Massen mobilisiert sehen. Und da war noch jener merkwürdige, verdächtige Besuch von OLKR Fischer beim Amt für Strahlenschutz im Sommer d.J. Die Antwort auf eine diesbezügliche Frage wurde den Synodalen erst während der Sitzung auf den Tisch geblättert. Dr. Fischer habe vom Amt für Strahlenschutz die Antwort erhalten, daß dort von einem Planfestellungsverfahren nichts bekannt sei. Natürlich ein Witz. Solche Pläne kann man schließlich nicht aus dem Hut zaubern. Aber die Antwort war für Fischer nützlich. In diesem Falle brauche eine Juristin noch nicht mit einem Beratervertrag bedient zu werden. Und Dr. Eckels wie Dr. Bosse standen mit ihrem Wort dafür ein, daß genügend Zeit bleiben werde, schlüssige (nicht ausführliche, sowas sei nicht nötig!) Einwände auszuarbeiten. Eine Zusatzfrage, wie Dr. Fischer denn diese Auskunft bewerte, nachdem Bengsch geschildert habe, wie die Industrie die Bevölkerung angelogen habe, was ich im Falle Müllverbrennung und Kompostieranlage um Schöningen herum, nur vollauf bestätigen kann, wurde vom Präsidenten mit formalen Gründen ziemlich schneidig mit einer sehr engen Auslegung der Geschäftsordnung abgewiesen. Das war die präsidiale Geschäftsordnungswillkür, wie es sich die Synodalen schon seit einiger Zeit gefallen lassen. Und der Sache nach: ein Industriejurist. Die Juristen zeigten sich so erregt, vermutlich

 

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weil sie ertappt worden waren. Der sonst so ruhige Synodale Dr. Bosse und seit geraumer Zeit Präsident am Magdeburger Landgericht warf mir ein Verständnis der BRD als "Bananenrepublik" vor, was ihm die Rückfrage einbrachte, ob er die Synode in eine "Bananensynode" verwandeln wolle. Die Klassifizierung der Synode als untergeordnete Behörde des Landeskirchenamtes. Aber wir können warten. Die gleichlautenden Anträge der beiden Propsteisynoden erhielten nur sieben Jastimmen, acht Enthaltungen, alle anderen lehnten sie aus ganz unterschiedlichen Gründen ab. Das Ganze geriet zu einem riesigen Missverstaendnis.

An den Vorsitzenden der Landessynode erging in dieser Sache ein Brief von Studentenpfarrer Dr. Kurt Dockhorn vom 28.9.1995, den er inhaltlich den Synodalen vorenthielt, und den wir deshalb im Folgenden abdrucken:


"Mit Betroffenheit nehmen wir zur Kenntnis, daß die Landeskirche- unseres Erachtens gegen die Beschlußlage in der Landessynode - keinen Anlaß sieht, derzeitig tätig zu werden zur Vorbereitung einer eventuellen Klage gegen den zu erwartenden positiven Planfeststellungsbeschluß für ein Atom - Müll Endlager Schacht Konrad..

Die sachlichen Bedenken gegen das nunmehr von der Landeskirche offenbar gewählte Nicht - Vorgehen sind von seiten der Propstei Salzgitter - Bad in einer Weise vorgetragen worden, dem wir unsrerseits nichts hinzuzufügen haben.

Darum möchten wir auf einen Punkt in der Auseinandersetzung aufmerksam machen:

Es ist kein Geheimnis, daß die Beschlußlage in der Landessynode nicht nach dem Geschmack maßgeblicher Kräfte im Landeskirchenamt ist. Daher sind im Spiel der Kräfte Versuche natürlich und sehr verständlich, die Umsetzung eines Beschlusses zu verhindern oder zu verzögern bis es zu spät ist. In diesem Zusammenhang halten wir es für ein unerhörtes Unterlaufen der genannten Beschlußlage, daß - wie wir aus einer Quelle in Salzgitter erfahren, deren Zuverlässigkeit anzuzweifeln wir keinen Grund haben - ein Mitglied des Kollegiums ausgerechnet beim Bundesamt für Strahlenschutz schlau macht, wie die Landeskirche sich zur Fristwahrung juristisch verhalten solle.

Diese ganze Entwicklung ist in unseren Augen nicht sehr überraschend, da es zu den alltäglichen Erfahrungen in der Politik gehört, daß Bürokratien dazu neigen, unbequeme Beschlüsse von demokratisch gewählten Gremien zu hintertreiben.

 

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Wir bitten Sie daher, die derzeitige Festlegung des Landeskirchenamtes unter dem Aspekt des angesprochenen Konfliktes noch einmal zu überdenken, zumal das Durchsetzen der in der EZ dokumentierten Haltung des Landeskirchenamtes absehbar zu Demotivation von Idealismus und kritischem Potentiali in der Landeskirche führen wird, zu Schweigen von der Enttäuschung von Erwartungen, wie sie etwa in dem Brief von Professor Crystalle vom 6.9.95 zum Ausdruck kommt.

Mit freundlichem Gruß Kurt Dockhorn


Als in der Landessynode dieser Brief zur Sprache gebracht wird, wird er damit abgetan, daß Dockhorn doch Sprecher der Grünen in Niedersachsen gewesen sei. Die Feststellung, daß Dr. Fischer sich für den Rat der Stadt Wolfenbüttel für die CDU hat aufstellen lassen (und durchgefallen ist und vielleicht entsprechende parteipolitische Vorstellung in Sachen Schacht Konrad durchdrücken will), blieb einem Zwischenruf vorbehalten.

Nach dem Abendbrot standen noch zwei weitere wichtige Anträge auf der Tagesordnung, die ansonsten in der Septembersynode im kleineren Kreis behandelt worden wären: Welche reformerischen Maßnahmen und welche Sparmaßnahmen ergreift eigentlich das Landeskirchenamt bei sich selber, bevor es in die Gneisenaukaserne umzieht? Dazu lag ein klitzekleiner Bericht des Amtes bereits für die geplatzte Septembersynode vor und eine Antwort auf eine entsprechende Frage. Zusammenfassung: das Landeskirchenamt zieht komplett in die Kasernen so um, wie es in den Gebäuden am Neuen Weg sitzt und tagt. Rückfragen, ob denn z.B. die ausführlichen Äußerungen von Landeskirchenrat Fehrmann überhaupt zur Kenntnis genommen seien, blieben unbeantwortet. Immerhin gibt es unter Leitung von Herrn Rohde eine Gruppe, die die Mitglieder des Amtes befragt, Modernisierungsvorschläge macht und den Umzug vorbereitet. Eine Unternehmensgruppe soll bis zum Frühjahr einen kompakten Vorschlag zur Gestaltung des Landeskirchenamtes in der Gneisenaukaserne machen. Dann will man weitersehen. Erkenntlich wird hier das Pferd vom Schwanze aufgezäumt: die Unternehmensgruppe müßte klare Zielvorstellungen vom Landeskirchenamt bekommen und das Amt dürfte nicht warten, bis ihm von dieser Unternehmensgruppe Vorschläge gemacht werden. Unmöglich erscheint es mir, daß am groß angekündigten Umzugstermin im Herbst 1996 festgehalten werden kann. Wenns gut geht, irgendwann 1997. Das wäre auch kein großer Schaden. Und noch was ist deutlich geworden: der billige Kaufpreis irgendwas von 3 Millionen und nochmal 7oo.oo,--DM für ein weiteres Gebäude, das die Synode dem Landeskirchenamt zur Arrondierung

 

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des Geländes bewilligte, täuscht über die folgenden sehr hohen Sanierungskosten hinweg. Wir werden darüber genaustens berichten. Hempel stellte in der Debatte nochmal deutlich fest, daß er eine Verlegung nach Braunschweig für richtig gehalten hätte. Vielleicht in ein dortiges Kasernengelände, was im ausreichenden Maße offenbar nicht geprüft worden ist.

Das nächste Thema hatte im Sommer viel Staub aufgewirbelt: nämlich der Umzug des HKD in die Gneisenaukaserne. Fast wäre der Antrag des Arbeitskreises Solidarische Kirche nach Bericht und Aussprache im Sande verlaufen, wenn sich nicht Domprediger Hempel gemeldet hätte und davon berichtet hätte, wie prominente Leute im Braunschweiger Rathaus sein Telephon belagert und ihn um Auskunft gebeten hätten. Die Informationspolitik des Amtes in dieser Sache und der unselige Zeitungsbericht von OLKR Fischer, den nun auch Hempel als schaedlich bezeichnete, seien unzureichend gewesen. Wie verhielten sich die Ev. Frauenhilfe und das Diakonische Werk? Das löste eine in diesem Maße unerwartet ausgedehnte Debatte mit über elf weiteren Wortmeldungen aus, wobei das Landeskirchenamt nun doch wegen seiner brüsken Methoden gegenüber einigen Mitgliedern des Amtes vom Sommer ziemlich in Erklärungsnöte geriet. Es wurde auch für diejenigen, die diese Entwicklung seit August 1995 verfolgt hatten, deutlich, mit welchen halbfertigen Antworten die Vertreter des Landeskirchenamtes die Öffentlichkeit und die Landessynode bedient hatten. Ich fand es schade, daß kein Mitglied des HKD das Wort ergriff. Aber der Druck auf einige von ihnen ist groß. Außerdem gibt es die Zusage der Behörde, von der ich zweifle, daß sie diese wirklich einlösen wird, daß ein alternatives Konzept vorgelegt wird mit Vorschlägen für ein Verbleiben oder ein Umziehen oder einen teilweisen Umzug. Damit waren die Fischers Wahnsinnszeitangaben von Entscheidungen im Herbst 1995 öffentlich vom Tisch. Im Finanz- ausschuß hatte er noch an ihnen festgehalten. Erst nach 21.30 schloss die Debatte dann mit einer Abendandacht vom Synodalen Hübner.

Damit war der erste Tag mit Schärfe, Verletzungen, Kränkungen zu Ende gegangen, und wir hatten das Pensum nicht geschafft. Eigentlich sollte laut Ablaufplan das Gleichstellungsgesetz von Männern und Frauen in der Kirche bewältigt sein. Dazu war extra die Juristin, die das Gesetz ausgearbeitet hatte, Frau Mattfeldt-Kloth aus Helmstedt angereist, die anstelle von Buttler in die Landessynode gewählt worden ist. Sie reiste unverrichteter Dinge wieder ab. Ärgerlich. Der zweite Tag brachte noch eine Steigerung der Unerträglichkeiten. Er wurde eingeleitet mit dem Tagesordnungspunkt "Bericht und Aussprache über das grundsaetzliche Verhältnis zwischen Landeskirchenamt und Landessynode". Der von den Synodalen Herweg, Kaltschmidt, Fechner, Kölsch, Thieme, Schinke, Hübner, Bengsch und Kuessner unterzeichnete Antrag

 

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wurde bündig folgendermassen begruendet: "Das in der Verfassung verantwortete Mitentscheidungsrecht und Mitberatungsrecht der Landessynode über alle Angelegenheiten der Landeskirche ist vom Landeskirchenamt gründlich in Frage gestellt. Dem Landeskirchenamt war unter dem Stichwort "Bericht" nicht viel eingefallen und hatte nur die einschlägigen Verfassungsartikel aufgezählt. Es sah ganz offenbar keinen Beratungsbedarf. Kein gutes Beispiel für einen selbstkritischen Umgang. Die Synode sah dies ganz anders und debattierte über dieses Thema von morgens über die Kaffeepause hinweg bis 12.35, ohne dass jemand Schluss der Debatte beantragt hätte. Die beschwerlichen Tatsachen indes ließen sich nicht unterdrücken: die vom Gemeindeausschuß immer wieder geforderte Dokumentation zur Reformsynode war nicht zustandegekommen. Im DIALOG fehlte dieses Mal ein Braunschweiger Teil total. Ein erbärmliches Armutszeugnis für eine hochdotierte Pressestelle und das Referat II, das vom ehemaligen Pressesprecher der EKD geleitet wird. Ein von den Ausschüssen beratene Vorlage war vom Kollegium auf Wunsch von OLKR Dr. Fischer inhaltlich schwerwiegend verändert worden, ohne die Ausschüsse oder die Kirchenregierung zu informieren. Darauf sollten die Synodalen gefälligst selber kommen und zwar wie uns erklärt wurde an den unterschiedlichen Schreibmaschinentypen. Schlicht haarsträubend. Umgekehrt wurde vom Amt bemängelt, daß sich die Synode zu sehr um die Exekutive kümmere, dem Amt hinwiederum kleinliche Einmischung in praktische Angelegenheiten der Kirchengemeinden vorgeworfen, wenn z.B. Bischof Müller seinerzeit Badewannen in Pfarrhäusern besichtigt, weil darüber endlos im Kollegium debattiert werde. Der Antrag löste etwa 21 Wortmeldungen aus, darunter sieben Mal aus dem Kollegium. Vollhardt benannte die Lage unverblümt: es ginge kurz gesagt um die Machtfrage. Konsultationsstörungen nannte es Bengsch; es gebe "Handlungsbedarf in dieser Sache" (Fechner). Also es war schon ganz schön kleinlich und stressig. Der Bischof, der sich bewußt selten in die Debatte einschaltet, meldete sich zu Wort und bezeichnete das Verhältnis von Synode und Amt als kaputt bis auf den Grund, also eigentlich Anlaß für beide Seiten, über den Verfassungstext hinaus über ein förderliches Miteinander in der Zukunft nachzudenken.

Tatsächlich existieren drei miteinander ringende Synodenverständnisse: (1) die Synode als untergeordnete Behörde des allmächtigen Landeskirchenamtes. Anträge und Vorlagen sind ohne wenn und aber zu beschließen. Unerwünschte Vorlagen werden geschickt blockiert, verschoben, verhindert. Eigene Anträge aus der Synode werden eher als lästig empfunden. Die Landessynode wird nach Entscheidungen informiert. Das langt. (2) Die großteils nicht in Arbeitskreisen

 

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organisierten und dort für die Synodenarbeit vorbereiteten Synodalen verlassen sich auf die Arbeit des Landeskirchenamtes, bedecken mit ihrem Fleisch das Holz des Stuhles, empfinden längere Debatten als störend, fühlen sich vielleicht auch wegen mangelnder Vorbereitung rasch überfordert und warten vor der Abstimmung auf Signale der Leithirsche. Arbeitskreise und selbständige Mitarbeit sind im Grunde unerwünscht. (3) Das dritte Verständnis hält sich eng an die Verfassung. Die Landessynode wirkt laut Verfassung Artikel 53 im Dienst der Leitung und Verwaltung mit den drei anderen Verfassungsorganen zusammen. Es wird das höchste Organ der Landeskirche genannt. Artikel 54 wiederholt die Feststellung: Die Landessynode ist die Versammlung, die beratend und beschliessend an der Leitung der Landeskirche mitwirkt. Eine Beteiligung an einem der Arbeitskreise ist zwingend notwendig. Diese drei unterschiedlichen Auffassungen von Landessynode werden auch in der kommenden IX. Sitzungsperiode aufeinanderprallen. Eine Klärung der Rolle der Synode und vor allem der synodalen Arbeitskreise anläßlich der Genehmigung der Geschäftsordnung ist in der konstituierenden Synode im Februar unerläßlich.

Just mit der Geschaeftsordnung und weiteren Verbesserungen beschaeftigten wir uns um die Mittagszeit. Das wirkt zwar kleinkraemerisch, ist aber bedeutsam. Der Rechtsausschuss hatte die schon zwei Jahre zurueckliegenden Antraege endlich bearbeitet, immerhin sollen Antraege und Beschluesse nun nummeriert werden. Ueber solche Selbstverstaendlichkeiten muss die Synode ueberhaupt reden. Aber: die gegenwaertige Unueberichtlichkeit kommt natuerlich dem Landeskirchenamt zugute. Je weniger die Synode sich in ihren Beschluessen zurechtfindet, umso weniger kann sie deren Durchfuehrung kontrollieren. Und da blieb auch in dieser Sitzungsperiode allerhand liegen. Der Vorschlag statt eines uebermaechtigen Praesidenten ein kollegialen Praesidium zu installieren, fand keine Mehrheit. Das Verhaeltnis der Vizepraesidentinnen zum Praesidenten wurde schlicht als nichtexistent definiert fuer den Fall, dass der Praesident da sei, eine vielbelachte, wie ich fand haarstraeubende, Beschreibung. Aber genau so hat sich Eckels dann auch verhalten.

Wir waren bereits einen ganzen Tag im Verzug, als endlich Top 7 die Verabschiedung des Gleichstellungsgesetzes dran war. Der Gemeindeausschuß hatte Frau Edeling Unger gebeten, das Gesetz einzubringen, weil es ihre letzte Sitzung war und sie sich für Fortschritte bei der Gleichstellung energisch und erfolgreich eingesetzt hatte. Obwohl der Gemeinde-, Rechts- und Finanzausschuß der Vorlage zugestimmt hatten, gab es nun eine endlose, von rechts

 

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geführte Debatte um die eventuelle Benachteiligung von Männern (!!) in der Kirche, eine synodale Groteske, Frau Block - v. Schwartz mußte paar Mal ans Pult, um geduldig allen listigen Anläufen der Gleichstellungsgegner ins Angesicht zu widerstehen. Das Gesetz fand nach mehr als 17 Wortmeldungen eine sehr große Mehrheit (eine Gegenstimme, drei Enthaltungen). Es geht um nichts anderes als, wie es im Paragraf eins heisst, dass insbesondere Frauen in den Bereichen gefoerdert werden sollen, in denen sie unterrepraesentiert oder strukturell benachteiligt sind. Es ist traurig, dass dieses Gesetz noetig ist (Bengsch). In der Frauenfrage, wie man etwas reichlich kurz die gerechtere Wuerdigung der Frauen in der Kirche und den Abbau ihrer Diskriminierung in diesem Teil der Gesellschaft nennt,

ist die Landessynode ein grosses Stueck weitergekommen. Der Anteil der Frauen in der Zusammensetzung der kommenden Landessynode hat sich betraechtlich erhoeht. Ich bin gespannt, wie sich dies auf Stil und Synodenthematik auswirken wird.

Freitag 18.oo. Abendmahlsgottesdienst in der Bugenhagenkapelle des Mutterhauses, freundliche Kirchentagsband aus Wenden, Bischofspredigt, die Einsetzungsworte sprechen wir zu meiner Freude alle zusammen, ich erlebe das ausserhalb von Offleben zum ersten Mal, unversoehnt stroemen sie an den Tisch des Herrn, Nachspiel der Orgel, das unverhoert verklingt, weil alle zum Abendbrot draengen, die Fuge nach der Bachkantate Ich hatte vie Bekuemmernis in meinem Herzen, mir kommen Erinnerungen an Erlangen, wo wir Sonntag fuer Sonntag die Kantaten unter Kempff gesungen haben, auch diese, der innere Ausschluss aus dieser krankmachenden und schwer kranken Kirche ist längst erfolgt, wir leben nicht in einer Kirche, sagt mir nach der Synode ein Synodalmitglied, Abendmahlsgemeinschaft unter diesen Voraussetzungen setzt wohl ein besonders dickes Fell voraus, Frau Unger kommt an mir vorbei und ich fluestere ihr den Titel der Bachkantate zu Ich hatte viel Bekuemmernis. In Verkennung des Zitats gibt sie zurück: Ich auch. Das ist ihr letztes, mir vernehmbares Votum in der Synode.

Ich brauche eine normale Umgebung, gehe im Amadeus esses, schenke mir den bunten Abend, zu dem auch die ca. 20 waehrend dieser Sitzungsperiode ausgeschiedenen Synodalen eingeladen sind, es reden Eckels, der sich bei den Ausschussvorsitzenden bedankt, Juergens, Schoenstedt, Frau Koelsch hat etwas ueber die Suedharzgemeinde gedichtet, das mit einer Liedstrophe unterbrochen wird, und Ullrich Roemer gibt ein imitiertes Telefongespraech mit Altbischof Mueller ueber die gerade stattfindende Synode zum Besten, ein gelungenes Kabarettstueck mit Hilfe einer Banane, das in diesem Heft abgedruckt ist. Der Abend ist kurz, die Kondition voellig verbraucht, die Lust zu den ueblichen mitternaechtlichen Gespraechen bei Wein und Bier gruendlich vergangen. Bald nach 22.00 geht man auseinander.

 

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Den Sonnabend, also den letzten Tag der Synode, eroeffnet Schwanke mit einer ernsten Besinnung und mit einem gemeinsam mehrstimmig gesungenen Kanon, und dann folgt ein Glanzstueck der ganzen Sitzungsperiode: Der Bericht des Bildungs- und Jugendausschusses zur sog. Drogenproblematik, den Frau Kaltschmidt-Wittmar erstattet. Das lesenswerte Papier, das sich die Kirchengemeinde von ihren Synodalen oder aus dem Synodalbuero bei Hernn Boehning besorgen sollten und das sich wegen seiner Kuerze (viereinhalb Seiten) auch zur Lektuere und Diskussion ind Kirchenvorstaenden eignet, gibt Empfehlungen zur Praeventionsarbeit (Teil 1), zur Oeffentlichkeitsarbeit (Teil 2) und zur Entkriminalisierung. In Gemeindebriefen, Gottesdiensten, Veranstaltungen des Lukaswerkes, auf Konfirmandenfreizeiten und Fortbildungsveranstaltungen moege sich die Kirche dieses Themas annehmen. Nuechtern stellt der Ausschuss fest, dass die verschaerften gesetzlichen Bestimmungen die Kriminalität eher foerdern. Auch im Bereich der Braunschweiger Landeskirche habe sich die Drogenproblematik verschaerft. Empfehlung: Eine Entkriminalisierung des Drogenmissbrauchs sollte empfohlen werden. D.h. Erwerb und Besitz von Drogen zum Eigengebrauch soll nicht mehr strafbar sein.

Das waere ein mutiger Vorstoß in unsere auch sonst suechtige Gesellschaft gewesen, aber die Juristen koennen derlei nicht aushalten. Eckels lobt natuerlich zunaechst das Papier, es sei wunderschoen, er koenne in allem zustimmen, aber eben in diesem Punkte nicht. Dann eben nicht, denke ich. Schlimm ist es nur, dass Eckels nun eine nur leichte sprachliche Korrektur vorschlaegt, mit der die ganze Empfehlung bei der entsprechenden infamen Synodensemantik im Landeskirchenamt in ihr Gegenteil verkehrt werden kann. Sie lautet jetzt: Eine Entkriminalisierung des Drogengebrauchs sollte geprueft werden, d.h. ob Erwerb und Besitz von Drogen zum Eigengebrauch strafbar sein muss. Also wenn bei einer Pruefung etwa durch Dr. Robert Fischer oder den Hueter der Ordnungstheologie OLKR Kollmar (vorwaerts mit Gott fuer Staat und Ehe. Hurra!), festgestellt wird, dass Erwerb und Besitz zum Schutz der deutschen Jugend und einer sauberen deutschen Gesellschaft unbedingt strafbar bleiben muss, ja derlei Strafen nach ernster Pruefung sogar verschaerft werden muessen, dann ist dem Synodenbeschluss Genuege getan und derselbe in sein striktes Gegenteil verkehrt mit Hilfe des Praesidenten der Synode. Lieber Leser, liebe Leserin, was duenkt Euch? Bei Beschluss von Schacht Konrad ist bereits dasselbe passiert. Allein wegen dieser drastischen Unaufrichtigkeit sollte Eckels auf einen Vorsitz in der nächsten Synode verzichten. Aber er draengelte wie auch Fuerst auf eine Berufung, der natuerlich die Kirchenregierung nachgeben wird. Beide gelten zu Unrecht als unverzichtbar.

 

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Als ob es einer Bestaetigung beduerfte, folte nun der dramatischste Eklat und die groesste Unverschaemtheit des Praesidenten Eckels: Er schickte den Synodalen Borrmann einfach vom Pult auf den Platz zurück. Borrmann hatte gebeten, die Behandlung der Segenshandlungen, eine 38seitige hilfreiche Ausarbeitung der Agendenkommission fuer den Schreibtisch der Pfarrerin und des Pfarrers (Abschiedssegen fuer kirchliche MitarbeiterInnen, Segnung bei Eintritt ins Rentenalter, Reisesegen, Segnung einer Lebensgemeinschaft u.a.), den TOP 11 vorzuziehen, Schinke hatte sie kurz eingebracht, Liersch berichtete, dass der Gemeindeausschuss die Sache nach gruendlicher Beratung an die theologische Kammer weitergegeben habe, danach aber aus Zeitgruenden keine Stellungnahme mehr erarbeitet hatte. Borrmann, Mitglied der Agendenkommission und an der zweijaehrigen Ausarbeitung intensiv beteiligt, machte gerade den Mund auf, als Hempel beantragte, die Sache abzusetzen. Das kam dem Praesidenten sehr gelegen. Er musste irgendwo Zeit einsparen. Ausserdem wusste er ganz genau, dass dem Landeskirchenamt eine Verabschiedung der Segenshandlungen durch die Synode wuetend bekaempft hatte. Er verhedderte sich total, unterbrach den Synodalen am Pult, stellte den Antrag Hempel stante pede zu Abstimmung, ohne nach der geschaeftsordnungsmaessig vorgeschriebenen Gegenrede zu fragen, die Synode war dafür, Borrmann konnte sich trollen. Wo blieben die Juristen, die Eckels zur Vernunft riefen, die Saubermaenner aus dem Aeltestenausschuss, der Vorsitzende des Rechtsausschusses? Es blieb dem verhassten Synodalen Kuessner ueberlassen, mit einer weiteren Meldung zur Geschaeftsordnung nachzufragen, ob Eckels denn sein skandaloeses und indiskutabel unkollegiales Verhalten in Ordnung fände. Natuerlich, na klar, schneidig, schneidig. Auch Kuessner konnte sich trollen. Zufriedene Gesichter. Endlich hatten Kollmar, Becker u.a. ihre alte Schlacht- und Ideenordnung wieder auf Reihe, und die beiden Vizepraesidentinnen, die nun auch haetten eingreifen koennen, waren nichtexistent. Ich war noch nicht auf dem Platz, da kam aus den Zuhoererreihen v. Buelow, der fruehere Vizepraesident der Synode, auf mich zu und fluesterte: Sie haben vollkommen recht. Wie es Eckels macht, ist es unmöglich. Aehnlich dachte Probst i.R. Juergens. Beim Praesidenten daemmerte es (mit Nachhilfe?) erst nach der Kaffeepause, er kam noch mal ans Pult und entschuldigte sich. Das war billig, billig, billig. So etwa wie jemand, der einen in einen tiefen Brunnen schmeisst, nach einiger Zeit merkt, dass das wohl falsch war, sich dann ueber den Brunnenrand beugt und hinunterruft: Bitte um Entschuldigung. Dem unten im Brunnen ist damit nicht geholfen. Er hat zum Schaden auch noch die Form einer Entschuldigung, die den Schaden nicht beseitigt, sondern mit moralisch guten Manieren zementiert.

 

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Wie troestlich. Haette Eckels nun die Segenshandlungen erneut aufgerufen, und die Synode wegen des Zeitdrucks eine begrenzte Redezeit verabredet, - gut, das waere eine sinnvolle Entschuldigung gewesen, so aber war sie billig. Vielleicht ist so was ja in diesen Kreisen ueblich. Derjenige, der die Entschuldigung haette annehmen koennen, Borrmann, war bereits abgereist. So reagiert ein Praesident, wenn er kurz am Absaufen ist, dachte ich. Ausserdem wurde die Theologische Kammer vor einer Riesenblamage bewahrt. Sie hatte zu der durchdachten Arbeitsvorlage der Agendenkommission ein voellig einseitiges Gefaelligkeitsgutachten erstellt, das das Licht der Synodenwelt tatsaechlich zu scheuen hatte. Es lag dazu eine schluessige, buendige, jedoch vernichtende Entgegnung vor. Das Referat II konnte sich vor einer Wiederholung derlei gemeindefreundlicher und theologisch weiterfuehrender Vorlagen nur so retten, dass OLKR Kollmar die Agendenkommission in ihrer bisher bewaehrten Zusammensetzung (Kalberlah, Borrmann, Beyer, Salzgitter Lebenstedt, Kantorin Riese, Braunschweig-Pauli, Propsteikantor Bosse, Salzgitter, Propst Fischer, Kuessner) noch vor Zusammentritt der Synode aufloeste. Aber ab 1996 heisst es: Ordnungstheologen betreten die Synode auf eigene Gefahr!

Nun war viel Zeit gewonnen. Fuer den naechsten TOP Oekumenisches Lernen, eine gute Idee des Bischios, naemlich eine Stiftung zur Forderung des oekumenischen Lernens und Handelns von jungen Leuten und unter fachkundiger Begleitung im Ausland, liess man sich ueber eineinhalb Stunden Zeit, obwohl der Gemeindeausschuss und im Prinzip auch der Finanzausschuss zugestimmt hatten. Und es ging nicht um Inhalte, sondern lediglich um Formalien: ob Stiftung oer Verein und um poplige Betraege. Harald Welge gab geduldige Antwort. Bis zum April 1996 werden 25 Bewerbungen ausgewaehlt, diese werden zu einem Auswahlseminar zusammengeholt. Zwoelf Stipendiatinnen und Stipendiaten werden ausgesucht, am 9. Juni 96 wird der Landesbischof in einem Gottesdienst in Riddagshausen das erste Stipendiumsjahr einlaeuten. Man knn nur wuenschen, dass die Sache gelingt. Unsere Provinzkirche braucht dringend zu den vorhandenen noch zusaetzliche Anstoesse aus der Oekumene.

Ein Kernstueck dieser Novembersynode und der eigentliche Anlass war die Verabschiedung eines Erprobungsgesetzes, mit dessen Hilfe Gemeinden und Propsteien den genuegenden Freiraum erhalten sollten, auch abweichend von der Kirchengemeindeordnung mit Reformen zu experimentieren und Neues auszuprobieren. Propst i.R. Juergens, der Vorsitzende des Projektausschusses, hatte sich im Hintergrund viel Zeit und Muehe gemacht, die unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen. Der Rechtsausschuss hatte Angst

 

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vor zuviel Freiheit und witterte allueberall Anarchie, dem gemeindeausschuss ging es nicht weit genug und vor allem um die Speisung eines Fonds aus den Reserven der Landeskirche. OLKR Fischer wollte wiederum nichts dafuer aus seinen Zweihundertmillionenreserven hergeben, sondern die Kroeten aus dem Saeckel der Kirchengemeinde gefuettert wissen. Es kam schliesslich zu einem Kompromiss. Immerhin: nun liegt es nicht an starren Gesetzeshuerden, wenn Reformen nicht in Gang kommen. Wer jetzt will, der koennte. Eine breites Reformfeld waere zu beackern. Wir in offleben werden mit der geistlichen Bevollmaechtigung der ehrenamtlichen Mitglieder der kirchengenmeinde im Gemeindegottesdiest fortfahren. Mit einem abschreiben wollen Bischof und Praesident die Pfarraemter ermuntern.

Am Ende holte die Zukunft die Synode ein: es stehen Vikare und Vikarinnen vor der Tuer, wolln in den Gemeinden arbeiten und finden keine Anstellung. Aus Geldgruenden. Das ist ein Skandal. Es gibt seit vielen Jahren einen zwischenzeitlich stillgelegten Spendenfonds, der nun aktiviert wird, der Bischif wird noch vor Weihnachten zu freiwilligen Spenden aufrufen. Arbeit ist da, Geld ist da, Arbeiter im Winberg sind da, es waerte doch gelacht, wenn die Kirche dieses Problem nicht loesen koennte. Da wird ja auch aus anderen Berufszweigen auf die Kirche gesehen. Studiendirektor Schwanke berichtete eindruecklich von den in die Arbeitslosigkeit entlassenen Berufsschuelern. Auf Initiative des Synodalen Voss beschloss die Landessynode ausserdem zu pruefen,, nicht uebernommene Vikare in die Arbeitslosen- und Sozialversicherung einzubeziehen und das erste Examen zusammen mit einem bewerbungstraechtigen Titel (Diplom oder Magister) beenden zu lassen.

Ohne den Sachverhakt gruendlich zu analysieren, schloss sich die Landessynode mehr aus Solidaritaet einem Votum des Pfarrkonventes Bad Harzburg zur Verbesserung der geplanten Pflegeversicherung an. Heisse Nadel.

wie die einzelnen Aussschuesse die Reformvorhaben aufgenommen haetten und von jedem Auschussvorsitzenden einen Anschlussbericht ueber die gesamte Sitzungsperiode, wobei dann haessliche Nackenschlaege nicht unterdrueckt werden konnten (Fiedler: man habe den Fall Lerche bearbeiten muessen und da sei dann ja auch son Buch erschienen), gemeint ist das von Prof. Pollmann herausgegebene Buch Der schwierige Weg der Landeskirche in die Nachkriegszeit), selbst der Praesident konnte sich derlei nicht verkneifen. Nur mit Bauchschmerzen liess es der Praesident zu, dass auch die Arbeitskreise am Schluss zu Worte kamen. Bugenhagen (Hartig) und AK 70 (Schliephak) hatten verzichtet, Voss dagegen berichtete von der lebhaften Taetigkleit des Arbeitskreises Solidarische Kirche.

 

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Der Praesident blickte sauertoepfisch. Und wer war auf die Idee gekommen, ausgerechnet Propst Hartig um die Schlussandacht zu bitten, also jenen Synodalen, der in der Regel die Schlussandachten nicht abwarten kann, mit dem ich zwar das Wort an die Gemeinden zum Kirchbau gemeinsam entworfen habe, der auch sonst umgaenglich sein kann, aber der, seit er Kollmar als Joker im Landeskirchenamt untergebracht hat, anfaengt, das Landeskirchenamt zu loben? Da hat

man aus Seesen schon ganz andere Toene gehoert! Hartig beklagte den Austritt von 30.000 Gemeindemitgliedern, zeigte dazu geschmackvollerweise ein Dia vom Kirchentag in Hamburg und fragte nicht selbstkritisch in die eigenen Reihen, ob denn nicht der von ihm und Bibel und Bekenntnis und Bruedern und Grefe und Compagnie geforderte Fundamentalismus fur viele Zeitgenossen ein nicht mal unberechtigter Kirchenaustrittsgrund waere, stattdessen lobte er seine Gemeindearbeit: die Ehrenamtlichen im Altersheim, den Schulgottesdienst am Reformationsfest und die 1000 Teilnehmer, als der Bischof in Seesen gepredigt habe, eine bei 34.000 Seelen starke Propstei erbaermlich kleine Zahl fuer den Tatbestand, dass ringsum in der Propstei die Gottesdienste zugunsten dieses Zentralgottesdienstes ausgefallen waren. Das stank bis in die hinteren sowieso gelichteten Reihen peinlich nach Eigenlob. Die Zeit war weit ueberschritten. Der Zeiger ging auf 19.00. Draussen war es gefroren und glatt. Jeder sah zu, dass er schleunigst nach Hause kam.


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