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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Achtung: Auf NDR 4 wurde ein Rundfunkbeitrag über den Streit um die Autostadt am Sonntag, dem 13. Mai 2001 um 9:20 Uhr ausgestrahlt, dessen Mitschnitt Sie hier online hören können.
  1. Hörfunkbeitrag
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"Bete sie nicht an und diene ihnen nicht"

Kirchliche Pilger in der Autostadt

Herbert Erchinger

Selbst Aaron, als Stellvertreter des Mose zweithöchster Würdenträger des alten Gottesvolkes, war nicht gefeit vor dem Tanz ums Goldene Kalb (2.Mose 32).

Auch heute wünsche ich mir mehr kritische Distanz unserer kirchlichen Amtsträger gegenüber der Vergötzung des goldenen Kalbes in der modernen Form des Automobils.

Denn ohne Zweifel handelt es sich auch hier um einen Moloch wie jenen der Bibel, der die Kinder fraß ( 3.Mose 20,2) und der Israel ein Gräuel war, was selbst Salomo trotz all seiner Weisheit nicht daran hinderte, ihm ein Heiligtum zu errichten.( 1. Könige 11,7)

Auch dieser biblische Befund darf keine Entschuldigung sein, dass heutige Würdenträger sich in den Bann moderner Götzen begeben.

Der allgemeinen Vergötzung des Automobils zu widerstehen, war von Anfang an ein wichtiges Anliegen der KvU. Man muss ja nicht so radikal sein wie Eberhard Fincke, der schon seit langem völlig aufs Auto verzichtet.

Und wir sollten auch ehrlich zugeben, dass die meisten von uns dem Auto nicht völlig abschwören, sondern es begrenzt nutzen. Abusus non tollit usum. Selbst Dietrich Küssner hat zwar keinen Führerschein, aber er genießt es sichtlich, wenn er mitgenommen wird und nicht nur auf öffentliche Verkehrsmittel oder sein altertümliches Fahrrad angewiesen ist. Also: Wir verzichten nicht immer, aber immer öfter.

Auf jeden Fall dürfen wir als Kirche die Schattenseiten des Autos nicht verschweigen: Das Auto ist ein Mordinstrument par exceilence. Gerade als Christen sollten wir uns bei jeder kirchlichen Bestattung eines Verkehrsopfers vergegenwärtigen, wie viel unendliches Leid dieser Moloch Auto über Menschen gebracht hat. Ganze Familien wurden ausgelöscht. Das Leben vieler hoffnungsvoller junger Menschen endete in grauenvoll zerquetschten Karosserien. Dies verschweigt jede Werbung und jede Verkaufsstrategie. Es ist zwar

 

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gelungen, durch passive und aktive Sicherheitsmaßnahmen die Unfallziffern kräftig zu senken, aber auch heute noch sterben jährlich ca. 7000 Menschen auf unseren Straßen, ein völlig unakzeptabler Blutzoll, den wir für unsere Mobilität zu zahlen haben und den wir weithin verdrängen.

Hinzu kommt der schlimme Beitrag des Autos zur Kohlendioxid-Belastung der Atmosphäre, die inzwischen unabweisbar zur Klimaveränderung führt mit unabsehbaren Folgen. Dazu die zunehmende Zersiedlung und Zubetonierung der Landschaft. Hier muss eigentlich dringend umgesteuert werden. Die Ökosteuer ist ein erster zaghafter ermutigender Anfang.

Das Auto ist also ein notwendiger, aber gefährlicher Gehrauchsgegenstand wie die Kreissäge. Auf die können wir auch nicht verzichten, aber sie fasziniert uns doch nicht, sondern wir fassen sie mit spitzen Fingern an im ständig wachen Bewusstsein der Gefahr.

Aus all diesen Gründen kann ich die positive und unkritische Wertung der Autostadt Wolfsburg seitens der Vertreter unserer Landeskirche und ihre unverhohlene persönliche Faszination nicht nachvollziehen. Da hat man sich kräftig Sand in die Augen streuen lassen. Christen sollten sich nicht blenden lassen durch glitzernde Fassaden und geschickte Werbestrategien. Auch durch die doch seit Jahrzehnten üblichen Anleihen der Werbung bei religiösen Symbolen, Begriffen und Gefühlen sollten wir uns nicht täuschen sondern warnen lassen.

Ich habe mir extra die Mühe gemacht, auch die Autostadt zu besuchen, um der Faszination der Pröpste nach zu spüren. Aber ich kann sie gar nicht teilen.Vielleicht hatten sie ja einen besonders geschickten Firmen-Animateur als Betreuer zur Seite.

Mein Eindruck: Eine ganz normale Verkaufsschau und Messepräsentation, die Expo lässt grüßen. Nett und professionell gemacht, aber die euphorische Faszination unserer Kirchenvertreter kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Wie schlecht muss das eigene Selbstwertgefühl sein, dass man die geschickte Präsentation eines erfolgreichen kommerziellen Unternehmens so über den grünen Klee lobt. Fühlt man sich so unterlegen? Hat man selbst so wenig Eigenes dagegen zu setzen? Will man sich VW als Sponsor warmhalten'? Ist der Prophet Amos völlig vergessen?

 

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Jede Dorfkirche hat doch mehr zu bieten als die ganze Autostadt, mehr Vision, mehr Atmosphäre und schon lange mehr Spiritualität. Jedes Konfirmanden-Ferienseminar hat bessere pädagogische Konzepte als die platte Anmache, mit der auf der Autostadt Jugendliche ans allein selig machende Produkt gebunden werden sollen. Jedes KDA-Seminar zu Fragen der Mobilität geht der Sache mehr auf den Grund.

Dreist ist doch schon, dass man für eine solche Werbeveranstaltung bezahlen muss, wo man doch rein pro domo eingenordet wird. Fürs kommerzielle Privat-TV bezahle ich doch auch nicht. So etwas finanziert sich doch selbst durch seine Werbungseffekte.

Ja, es ist wahr: Die Automobilindustrie bemächtigt sich religiöser und kulturgeschichtlicher Begriffe wie "Vision", "Traum", "Legende", "Evolution" und sogar "Kairos". Aber erkennbar und auch übrigens beabsichtigt ist doch die unglaubliche Banalisierung und Verflachung dieser Begriffe im Sinne einer platten Verkaufsstrategie. Das erinnert fatal an die Jeansreklame mit dem Text aus dem Ersten Gebot: "Du sollst keine andere haben neben mir", die schon Fellini in den 50er Jahren empörte.

Mir wird hier deutlich, dass die "Barmer Erklärung" von 1934 in unserer Kirche immer mehr in Vergessenheit gerät. (Text im Ev. Gesangbuch Nr. 810). Es schmerzt mich, dass man um des Linsengerichtes einer augenblicklichen unreflektierten Erfolgs-Faszination willen die einfachsten Grunderkenntnisse der Bekennnenden Kirche gegenüber den Deutschen Christen vergisst. Damals hat die Kirche unter der Federführung Karl Barths formuliert: "Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung... auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrbeiten als Gottes Offenbarung anerkennen." Wenn in Wolfsburg das Auto als Ziel und Höhepunkt menschlicher Träume, Visionen und Entwicklungen quasi religiös hypostasiert wird, ist es Sache der Christen, nüchtern zu bleiben und sich nichts vormachen zu lassen. Gott von den Götzen zu unterscheiden, heißt auch zu erkennen und zu bezeugen, dass diese blutigen Auto-Götzen nichts sind als ein teures mordlustiges Stück Blech. Und Blech sollten wir nicht reden. Luther, wiewohl nicht Autofahrer, hat das Entscheidende dazu gesagt: Woran du nun dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott.

 

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Nun will ich kein Elia sein, der die Baalspriester schlachtet. Ich habe die Autostadt durchaus mit Gewinn und kritischem Genuss besucht. Unterscheidet die Geister und das Gute behaltet! Manches hat mir sogar gefallen und war eine gute Fortbildung für einen Industriepfarrer. Über die z.T. mit guten Filmen unterfütterten vier Unternehmensziele von VW: Soziale Kompetenz, Sicherheit, Umweltschutz und Qualitätssicherung kann man sich verständigen. Die Botschaft hör’ ich wohl, allein es fehlt der Glaube. Das Problem ist die Glaubwürdigkeit. Immerhin sind Ansätze vorhanden. Das würde ich gern in Seminaren vertiefen.

Am meisten aber sprach die Präsentation der Autostadt noch mein historisches Interesse an. Eindrücklich die alten Filmdokumente: Mühsam und burlesk die anfänglichen Bocksprünge des Automobils. Ungeheuer dann die Veränderungen der Lebensverhältnisse durch die gesteigerte Mobilität. Der Mensch wurde nervöser, risikobereiter und hektischer und er vergaß die Segnungen der Langsamkeit.

Die Geschichte des Automobils spiegelt auch in starkem Maße die Hierarchie einer "Klassengesellschaft" wider. Es waren vorerst vor allem die Schönen und Reichen, die die Freuden des Automobils genossen. Die ausgestellten liebevoll restaurierten und wie auf Altären präsentierten Luxus-Karossen sind eindrucksvoll in ihrer Ästhetik, ihrem Glamour und Luxus. Die Namen der Nobelmarken sind Legende: Bentley, Rolls Royce, Daimler, Lamborghini, Bugatti, aber auch Horch und Audi. Das war noch keine Massenware, da zwangen Sparzwang und Windkanal noch nicht zur Standardisierung. Aber mir steht auch das Heer von Kulis vor Augen, das diesen gut betuchten Damen und Herrenfahrern wie Ministranten zur Hand gehen musste durch Chauffieren, Putzen, Pumpen, Tanken, Wischen, Tür Aufhalten und im Staub unter dem Wagen Liegen, einer Proskynese der besonderen Art. Denn die einen sitzen im Fonds im Licht, doch die andern sieht man nicht.

Auf diesem Hintergrund ist doch auch der national-"sozialistische" Grundbetrug sehr schön am Automobil nachzubuchstabieren: Otto Normalverbraucher ließ sich kaufen mit dem Versprechen eines für alle bezahlbaren KdF- "Volks"-wagens, doch es kam der mit Zwangsarbeitern produzierte Kübelwagen, in dem man in den Wüsten Afrikas und den Steppen Russlands mordete und verblutete.

 

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Diese schlimme Episode ist in der Autostadt völlig ausgeblendet. Nur einen kleinen Hinweis fand ich auf die Gedenkstätte auf dem VW-Gelände, wo an die Leiden der Zwangsarbeiter erinnert wird. Immerhin haben wie im Pressewesen englische Besatzungsoffiziere auch in der Automobilindustrie bei uns die Weichen für einen demokratischen Neuanfang und Sozialpartnerschaft gestellt. So ist der Name "Volkswagen" das einzige Völkische, das uns noch geblieben ist.

Lohnend und zum Nachdenken anregend fand ich den Besuch in der Autostadt allemal. Am besten gefiel mir übrigens der Skoda-Pavillon. Die protzten nämlich nicht mit Autos, sondern mit Weihnachtskrippen ähnlichen figürlichen Szenendarstellungen der tschechischen Geschichte. Die Stadt Prag als Kaiser-Residenz, als Wien noch Provinz war, die hussitische Reformation lange vor Luther, Johannes Hus auf dem Scheiterhaufen beim Konzil zu Konstanz (unter Bruch des zugesagten freien Geleits), der tapfere Kampf der Tschechen um ihre Selbständigkeit als Kraftquelle und Voraussetzung ihres Gewerbefleißes und ihrer frühzeitigen Industrialisierung. Max Weber lässt grüßen. Als ich der hübschen tschechischen Hostess ein Kompliment machte wegen der eindrucksvollen historischen Präsentation, schenkte sie mir ein liebreizendes Lächeln und antwortete mit bezauberndem Akzent: "Nicht wahr, mal nichts von Autos!" Mit diesem schönen Wort und Gefühl fuhr ich nach Hause. Ja, Menschen faszinieren mich, keine Autos.

Auf der Heimfahrt im Auto entwickelte ich mich dann selbst wieder zurück in diesen kafkaesken Blechkisten-Käfer, der sich selbst tonnenschwer im Wege steht und nur noch drei Signale kennt: Rechts und links und Hupe. Ach ja, und im Konfliktfall zeigt er den Vogel.


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VOLKSWAGEN / Führende Vertreter der Landeskirche vom VW-Konzept beeindruckt

Kirche lobt die Autostadt

Die Autostadt des Volkswagenkonzerns ist nach Auffassung führender Vertreter der Braunschweigischen Landeskirche eine Herausforderung für die Kirche.

Er sei "sehr beeindruckt", wie das Unternehmen seine Identität und seinen Stolz auf die Produkte ausdrücke und eine Botschaft aktuell und glaubwürdig vertrete, sagte Oberlandeskirchenrat Peter Kollmar bei einem Rundgang. Durch solche Erlebniswelten, wie sie die Autostadt biete, stiegen auch die Erwartungen an die Kirche, meinte er.

Der Braunschweiger Propst Armin Kraft sagte, VW verfolgte mit der Autostadt "eine ganz weite Konzeption, die uns in der Kirche fehlt". Bei der Besichtigung des Konzernforums der Autostadt, meinte Kraft, wer wie einige Kirchenvertreter die Autostadt als einen "modernen Tempel" charakterisiere, habe das Konzept "eigentlich nicht begriffen". Nach Auffassung Krafts können Kirchenvertreter in der Autostadt lernen, wie wichtig für die Präsentation das Gespräch mit Architekten und Designern ist.

Der Vorsfelder Propst Matthias Blümel äußerte sich "fasziniert" darüber, wie in der Autostadt Ideen umgesetzt würden und Arbeitsplätze geschaffen worden seien. Auffallend für ihn sei die Verwendung religiöser Begriffe: Man "pilgere" in die "Autostadt" und rede über den "Lamborghini-Tempel". Die Kirche könne die Autostadt nicht kopieren, sondern sollte ihre eigenen Wege finden, meinte Blümel. Ihm sei aufgefallen, dass am 1. Advent 12.000 Besucher in der Autostadt waren. Den beleuchteten Kraftwerk-Schornstein haben viele als Adventskerze empfunden.

An der Besichtigung der Autostadt nahmen Vertreter des Landeskirchenamtes und die Pröpste der Braunschweigischen Landeskirche und ihre Stellvertreter teil.

Braunschweiger Zeitung, Dezember 2000


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