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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

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Die Reform der Landeskirche

Vortrag am 18. Januar 2001 in Helmstedt, Christopherusgemeinde
Zur jüngsten Geschichte der Reformbewegung – zum gegenwärtigen Stand – denkbare nächste Schritte auf allen Reformebenen

Die gegenwärtige Situation in unserer Landeskirche ist von einem merkwürdigen Gegensatz bestimmt: Die Zahl der Kirchenmitglieder ist auf einen Tiefstand von 437.000 Mitglieder gesunken und gleichzeitig leben wir in finanziell außerordentlich gefestigten Verhältnissen. Ich will Ihnen das kurz erläutern:

Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts, also um 1900 hatte die Landeskirche 460.000 Mitglieder und konnte diese Zahl ein halbes Jahrhundert lang halten, übrigens auch in der Zeit des Nationalsozialismus. Durch die Welle der Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem Osten stieg die Zahl 1950 auf 700.000 an. Der frühere deutsche Osten blieb ihnen für eine Rückkehr verschlossen, aber sie blieben nicht alle im Braunschweigischen sondern wanderten im Laufe der nächsten Jahrzehnte weiter in den Westen ab. 1980 zählt die Landeskirche 600.000 Kirchenmitglieder; das war also immer noch sehr viel mehr als die Braunschweigische Durchschnittszahl von 460.000. In den letzten 20 Jahren sinkt die Mitgliederzahl von 600.000 auf 437.000 Ende 2000. Wir erleben also eine rasante Abwärtsentwicklung in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts: 100.000 weniger in 30 Jahren (von 1950-1980), 160.000 weniger in 20 Jahren (von 1980-2000). Der Tiefststand scheint noch nicht erreicht. Die Abwanderung setzt sich fort z.B. auch durch den Wegfall zahlreicher weiterer Arbeitsplätze bei den Braunschweiger Kohlenbergwerken.

Diese Abwanderung betrifft Stadt und Land Braunschweig. Die Mitgliederzahl der Propstei Braunschweig ist nach geschätzten Angaben von Propst Kraft in 30 Jahren von 160.000 auf 90.000 gesunken. Der Anteil der Evangelischen sinkt in der "Landeshauptstadt" nach Angaben des Amtes für Stadtentwicklung von 91% (1910) und 67% (1950) und auf 44,3% (1999). Die absoluten Zahlen differieren mit denen des Stadtkirchenverbandes, weill sich die Stadtgrenzen und Kirchengrenzen unterscheiden. Braunschweig hatte 1971 170.611Evangelische und 1999 106.670. In der Propstei Helmstedt sinkt die Zahl der Kirchenmitglieder nach dem Amtskalender von 55.000 im Jahre 1961 auf 31.400 im Jahre 2000.

Diese sinkende Zahl der Kirchenmitglieder hat sich in keiner entsprechenden Weise auch auf die kirchlichen Finanzen ausgewirkt. Trotz der sinkenden Kirchenmitgliederzahlen ist die Landeskirchensteuer dank des Wirtschaftswachstums enorm gestiegen und zwar von 24,3 Millionen (1970) und 89,5 Millionen (1982) auf 155 Millionen (1995), dann sinkt sie auf 126.000 (1999). Das sind die geschätzten Zahlen. Die realen liegen meist höher. In den letzten zwanzig Jahren, in denen die Kirchenmitgliederzahlen doch noch einmal kräftig gesunken ist, stiegen die

 

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Rücklagen des landeskirchlichen Haushaltes (zusammen mit der Baupflegestiftung) von 30 Millionen auf 337 Millionen DM. Allein die Personalrücklage beträgt zur Zeit 181 Millionen DM bei einem Haushaltsvolumen des landeskirchlichen Haushaltes von 187 Millionen. Die Rücklagen übersteigen also den Haushalt fast um das doppelte. So gut könnte es den Kirchengemeinden auch gehen. Dazu später noch.

Aber auch die Rahmenbedingungen für die kirchlichen Finanzen sind gut:

1) Die Landeskirche hat keine Schulden. Das ist im Hinblick auf die Finanzwirtschaft in Kommunen und Bund keineswegs selbstverständlich. Die Landeskirche ist finanziell tatsächlich ganz unabhängig.

2) Die Alterversorgung belastet nicht den Haushalt in dem Maße wie etwa die staatlichen Haushalte. Im Gegenteil. Die Norddeutsche Versorgungskasse, aus der die Ruhegehälter bestritten werden, wirft enorm hohe Zinserträge ab, sodaß die Hannoversche Landeskirche erwägt hat, einen Teil der Zinserträge für besondere Zwecke in den Haushalt einzustellen.

3) Der landeskirchliche Haushalt speist sich zu 75% von den Landeskirchensteuern. Durch die Steuerreform wird es Einbußen geben und vor allem durch den neuen Verteilerschlüssel. Die Landeskirchensteuern kommen in Niedersachsen nämlich in einen großen Topf und werden dann innerhalb der niedersächsischen Landeskirchen entsprechend der Kirchenmitgliederzahl aufgeteilt. Nun hat Hannover gemerkt, dass die Kirchemitglieder von Braunschweig nach Hannover abwandern und wünschen, dass wir nicht mehr wie bisher 11,5% sondern schrittweise 10,5% und möglicherweise noch weniger erhalten. Das macht sich in einigen Millionen weniger bemerkbar. Es sprudelt also in Zukunft nicht so wie früher – der Film "Und ewig rauschen die Gelder" ist abgespult - aber bis 2006 werden die Kirchen weitere 3 Milliarden DM kassieren.

Aber der Finanzausschuß wird immer wieder von neuen, unerwarteten Zahlen überrascht. So schätzten wir auf Grund der Angaben von Dr. Fischer die Einnahmen der Landeskirchensteuern für 1998 auf 126 Millionen, tatsächlich eingegangen sind aber 146 Millionen. Diese Mehreinnahmen werden nicht gänzlich im Verhältnis 65:35 auf die Gemeinde verteilt, wie ich es früher annahm und wo wir sie dringend für die Durchführung der Budjetierung brauchten, sondern verbleiben zu einem hohen Teil in der Verwaltung des Landeskirchenamtes. Das wäre ein ganz dringendes Thema für die Propsteisynoden.

4) Zu den gefestigten finanziellen Rahmenbedingungen zähle ich auch die Pfarrergehälter. Die Pfarrergehälter sind derart, dass große Reichtümer nicht zu erwerben sind, aber jeder/jede angemessen leben kann, und zwar die älteren Jahrgänge besser als die jüngeren und die zahlreichen Doppelverdiener noch viel besser. Im Verhältnis zu den Vergütungen in

 

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den Ostkirchen, die allesamt kein 13. Monatsgehalt Weihnachtsgeld und maximal 80 % der Westgehälter erhalten, stehen die Westpfarrer sogar sehr gut da. Würden die Pfarrerehepaare, die Doppelverdiener sind, und jene, die das Endgehalt von A 14 erhalten in der Br. Landeskirche auf das Weihnachtsgeld teilweise verzichten, könnten auf Anhieb mehrere neue Pfarrstellen eingerichtet werden.

Dieser merkwürdige Gegensatz zwischen sinkenden Kirchenmitgliederzahlen und gut gefestigten Finanzen macht auf ein bedeutsames Problem von Kirchenreform aufmerksam: immer weniger Kirchenmitglieder zahlen immer mehr Kirchensteuern.

Diese wachsende Kirchensteuerungerechtigkeit verschärft sich nicht nur durch die schwindende Zahl der Kirchensteuerzahler sondern dadurch, daß nur 1/3 der Kirchenmitglieder von der Lohn- und Einkommensteuer erfaßt werden, die anderen 2/3 Kirchenmitglieder weil zu jung oder zu alt gar keine Kirchensteuern zahlen. Ich hielte es für einen beträchtlichen Beitrag zur Kirchensteuergerechtigkeit, wenn bei der zu erwartenden Rentenbesteuerung die Rente von einer bestimmten Höhe an, also von ca 3000.—DM mit einem bestimmten Prozentsatz Kirchensteuer belastet würde.

Interessanterweise spielte dieser Gegensatz von sinkenden Kirchenmitgliederzahlen und steigenden Kirchenfinanzen in der Diskussion der Reformkommissionen überhaupt keine Rolle. Und das hat auch sein Gutes.

Dass die Kirche reformiert werden muss, ist nämlich nicht eine Frage der Statistik, der Finanzen oder Strukturen, sondern eine theologische Frage. Weil die Kirche weit entfernt ist von Gott und von den Menschen, muss sie immer wieder in Richtung auf Gott und die Menschen hin bewegt werden. Hin zu den Menschen, hin zu dem Gott unter uns: das ist das Grundthema der Kirchenreform. Eine mit sich selbst zufriedene, sich beständig in der Nähe zu Gott dünkende und ihre Strukturen zäh erhaltende Kirche wird sich solchen Reformen widersetzen. In dem Fall müßte man gemeinsam darüber reden: was verstehst du eigentlich unter Kirche?

Es gibt mehrere Träger von Kirchenreformen: die Kirchengemeinde, der Landesbischof, die Landessynode das Landeskirchenamt.

Der einfachste und hinsichtlich der Umsetzung praktikabelste und vor allem im Hinblick auf Überprüfung eines Reformschrittes solideste Träger ist die Kirchengemeinde und in ihr der Kirchenvorstand und die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind schlecht beraten, solange zu warten, bis Reformvorschläge im Amtsblatt veröffentlicht werden. Wichtige

 

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Reformvorhaben in unserer Landeskirche sind zunächst vor Ort in den Kirchengemeinden entstanden, und später haben Synoden und Landeskirchenamt zugestimmt: z.B. die Zulassung von Konfirmanden zum Abendmahl wurde längst in den Gemeinden gegen die Ordnung der Kirche praktiziert, bis endlich das Kirchenamt dieser kirchlichen Praxis auch eine Rechtsgestalt gab. Mit Kindern Abendmahl feiern ergab sich in Hohnsleben aus einem Abendmahlsgottesdienst am Tisch, wo der Großvater seinem Enkel das Brot reichte. Und dann haben wir es immer wieder gemacht. Dann hatte die Synode darüber beraten und inzwischen nehmen in 136 Gemeinden in unserer Landeskirche Kinder gleichberechtigt am Abendmahl teil. Oder: längst hatten ev. und kath. Pfarrer ökumenische Trauungen nach einer selbstgebastelten Ordnung gehalten bis dann von höchster Ebene dazu eine, übrigens schlechtere, Ordnung vorgelegt wurde. Längst hatten Gemeinde Änderungen in den sonntäglichen Lesungen vorgenommen bis dann eine sog. Perikopenrevision solche Änderungen offiziell bestätigte.

Also: Wo geistliches Leben ernsthaft vor Gott gemeinsam verantwortet wird, wo Menschen auf den Weg zum Gott unter uns sind, da besteht auch heute für reformfreudige kirchliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ein weites Betätigungsfeld. Sie müssen nur von ihrer geistlichen Freiheit auch Gebrauch machen. Wichtigster Träger der Kirchenreform ist die Kirchengemeinde, die Kirche von unten.

Träger der Reform ist natürlich zum anderen auch die "Kirche von oben". Das vor gut zehn Jahren eingeführte Ev. Gesangbuch ist so eine Reform, indes erinnere ich mich doch sehr gerne daran, dass die Helmstedter Propsteisynode seinerzeit einen Gesangbuchausschuß einberief und wir zusammen sämtliche Lieder durchgingen und eigene Vorschläge der Gesangbuchkommission unserer Landeskirche vorschlugen. Insofern also doch von unten gewachsen. Etwas anders sehe ich das bei dem vor einem Jahr vorgelegten sog. neuen Gottesdienstbuch, einer Reform des Gottesdienstes, das zwar viele Chancen enthält, aber einer sofortigen Weiterarbeit bedarf, insbesondere bei den Gebeten.

Thema des heutigen Abends ist jedoch die Reformbewegung in unserer Landeskirche, die sich im vergangenen Jahrzehn gebildet hatte und ich beginne mit dem Landesbischof als Träger der Kirchenreform.

Landesbischof Krause bekannte sich bei der Befragung durch die Landessynodalen am Reformationstag 1993 ausdrücklich zur Notwendigkeit von Kirchenreformen. Er war Generalsekretär des Kirchentages gewesen, der ja so was wie eine Kirchenküche für Reformen ist, wo schon mal vorgekocht und probiert wird, was an Reformen in unsrer Kirche möglich ist. Wenige Monate nach seiner Einführung hielt der Landesbischof im November 1994 einen programmatischen Vortrag zu

 

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diesem Thema in der Johanniskirche in Braunschweig "Kirche in Bewegung – Thesen zur Zukunft der Kirche in Deutschland", abgedruckt in "Aus Geschichte wird Zukunft. Vorträge und Predigten 1994-1998" S.55ff. Darin stellte der Bischof 9 Thesen für einen Reformprozeß auf. Von der Kirche würden "Impulse für eine soziale Friedensbewegung ausgehen". Gegen die spirituelle Krise der Moderne sei am Sonntagsgottesdienst festzuhalten, dem Ehrenamt komme bei der diakonischen Verantwortung eine Schlüsselrolle zu, die Kirche müsse ihren "institutionellen Binnenraum" aufgeben und Formen einer gestuften Kirchenmitgliedschaft entwickeln, das ortskirchliche Netz bleibe das "Aufbauprinzip der Gesamtkirche", der Bischof schlägt für die Stadt Braunschweig eine Jugendkirche in einer koordinierten Innenstadtarbeit vor, eine ökumenische Verbindung von Propsteien und Gemeinden zu einem anderen Teil Weltkirche würde zum "Experimentier- und Erfahrungsfeld gemeinsamer Weltverantwortung" und These 9: zur Koordinierung von Modellen einer Volkskirche im Übergang müsse in einer Kirche auch ein "Zukunftsministerium" etabliert werden.

Der Ausgangspunkt für alle diese Reformen war nicht ein theologischer Gedanke sondern ein politisches Datum, nämlich der November 1989. Im Landeskirchenamt wurde eine Theologenstelle mit 100% für den Landesbischof eingerichtet und Frau Hinze vom Goetheinstitut in München im Sommer 1997 als Leiterin einer Stabsstelle (Zukunftsministerium?) eingestellt, die den Reformprozeß koordinieren sollte. Zum Thema "gestufte Mitgliedschaft" wurde eine Arbeitsgruppe während der Maisynode 1995 eingerichtet. Aber die praktischen Vorschläge versandeten bald: die Innenstadtkirchen in Braunschweig konnten sich auf eine gesonderte Jugendkirche nicht einigen, die Landessynode lehnte nach anfänglicher Zustimmung im März 1997 die Umwandlung des Hauses Kirchlicher Dienste in eine Art "Kloster Riddagshausen" als ein spirituelles Zentrum für unsere Landeskirche im November 1997 ab, Frau Hinze verließ nach fünf monatiger Tätigkeit in der Stabsstelle am 31.Oktober 1997 wieder die Landeskirche, hinterließ zwar eine gründliche Arbeit, der jedoch die bodenständigen Kenntnisse und daher die Kenntnisse zur Umsetzung der besten Vorschläge fehlte.

Zum Thema Kooperation erstellte Dieter Rammler als dem Bischof zugeordneter Pfarrer 1995 die Studie "Kooperationsmodelle" und gab sie zusammen mit dem Landesbischof heraus. Hier ist zunächst einmal an die gute alte Sitte der Urlaubsvertretungen unter den Pfarrern, des Predigtaustausches an Festtagen und wöchentlichen Kreisen zur Predigtvorbereitung zu erinnern. Es gab und gibt solche Kooperation auf kleinster Ebene, die dringend zu intensivieren wäre. Ein verstärkter persönlicher Austausch innerhalb der Nachbarschaft ist eine wesentliche Voraussetzung für funktionierende Kooperation Diese Studie von Pfr.

 

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Rammler stellte vor allem die Bildung von Pfarrverbänden in der Vergangenheit dar, also im Innerstetal in der Propstei Goslar und im Pfarrverband Süd-Asse, ohne eigentlich neue Regionen und Gemeinden für solche Kooperationen zu erschließen und zu erwärmen. Das Modell selber war bereits älteren Datums.

Auf Anregung des Landesbischofs beschäftigte sich die Forschungsstätte der ev. Studiengemeinschaft in Heidelberg mit "Reformspielräumen in der Kirche", stellte allerlei Untersuchungen in der Propstei Vorsfelde an und veröffentlichte diese 1997. Das opus umfaßt 247 Seiten und fiel bei der Aussprache in der Landessynode trotz zahlreicher Interviews mit jüngeren Pfarrern ebenfalls durch wenig Ortsnähe auf. Der Studie sind 24 Ergebnisse und Empfehlungen vorangestellt. Beispiel: "Eine größere Durchsichtigkeit der Verwaltungs – und Rechtsstrukturen der Landeskirche läßt sich durch eine verbesserte Öffentlichkeitsarbeit herstellen." (S.30) Kirchlicher Alltag ist jedoch, dass so gravierende Entscheidungen wie die Umwandlung einer Pfarrstelle von 100% auf 75 % im Kollegium des Landeskirchenamtes vor Anhörung der Kirchenvorstände fallen und die Kirchenregierung davon mehr beiläufig unterrichtet wird.

"Der Vorsitz im Kirchenvorstand sollte nicht an das Pfarramt gebunden sein."(S.27) "Junior-SeniorModell, Sabbathjahr für Pfarrer und Pfarrerinnen, finanzielle Anreize für sparsames Wirtschaften" (S.30), stärkere Heranziehung und Mitwirkung von Laien bei der ehrenamtlicher Tätigkeit. Das sind alles gut gemeinte Wünsche - das Problem aber liegt bei der Umsetzung. Dietrich Fürst, Vorsitzender des Finanzausschusses stellte bei der Debatte über diese Studie bereits fest, diese werde bald in der Versenkung verschwunden sein. Nach mehr als drei Jahren stellt einer der damals befragten Pfarrer der Propstei Vorsfelde fest, dass die Studie nichts gebracht und sich nichts geändert habe.

Im selben Jahr 1997 hatte Pfr. Dieter Rammler eine 113 Seiten starke Studie "Unter den Menschen. Der Standort der Kirche in der Welt von morgen" vorgelegt. Darin plädiert er dafür, "dass in den Pfarrhäusern das Licht nicht ausgeht", warnt vor "Abschottung und Rückzug der Kirche aus der Öffentlichkeit"( S 1), fordert "Respekt vor der Ortskirche – Sorgfalt mit der kleinen Einheit" (S. 93) und hält im Schlussteil das gegenwärtige Kirchensteuersystem für einen im Zuge der europäischen Einigung auf die Dauer nicht haltbaren deutschen Sonderweg – wiederum: interessante Ansätze und Vorschläge, aber die Studie wird kaum gelesen und beachtet. Was ist los?

Zusammenfassend kann man sagen: immer wieder hat sich der Landesbischof um die Reform der Landeskirche bemüht und Anstöße dazu gegeben. Aber die von ihm ausgegangenen Reformbemühungen:

 

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Jugendkirche in Stadt Braunschweig, geistliches Zentrum Riddagshausen, die Thesen von Johannis vom November 1994, Neuordnung des Verhältnisses Staat/ Kirche, die Studie Kooperationsmodelle, der Anstoß "Unter den Menschen" von Rammler haben ihr Ziel nicht gefunden.

Daraufhin zeigte sich der Bischof in einem Interview in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom Januar 1998 offen enttäuscht über die Braunschweiger Pfarrerschaft, und über die Ablehnung von Riddagshausen als geistlichem Zentrum. - So ist es menschlich verständlich, dass sich der Landesbischof am Ende seiner Amtstätigkeit in unserer Landeskirche lieber als Präsident des Lutherischen Weltbundes versteht. "Der schwierige Spagat zwischen Weltbund und Woltewiesche" lautet die Überschrift eines anderen Interviews in der Braunschweiger Zeitung. Sie heißt nicht: ich entfache ein ökumenisches Feuer zwischen Harz und Oker. Stattdessen wird die Schwierigkeit zwischen beiden Ämtern in dieser geografischen Lage hervorgehoben

Auch trotz Fehlschlag und Enttäuschung sollten wir in aller Ruhe nach den Gründen suchen, warum die Reformbemühungen auf der Bischofsebene so wenig Erfolg hatten.

Ich sehe u.a. drei wesentliche Gründe: a) das Kollegium des Landeskirchenamtes konnte sich bisher weder auf ein gemeinsames Konzept noch auf ein Reformziel einigen; b) der Pröpstekonvent zeigte sich bei diesen bischöflichen Reformvorhaben hinsichtlich ihrer Umsetzung nicht kooperativ; c) der Bischof hat bei der Pfarrerschaft z.B. durch Bischofsbriefe – anders als seine Vorgänger - für seine Pläne viel zu wenig geworben. Ich will mich nur mit dem ersten der Gründe ausführlicher beschäftigen.

Das Kollegium des Landeskirchenamtes – also die vier Oberlandeskirchenräte und der Landesbischof - konnten sich bisher auf ein gemeinsames, überzeugendes Konzept nicht einigen. Das liegt an dem grundverschiedenen Bild von Kirche, das im Kollegium und insbesondere zwischen dem Landesbischof und OLKR Dr. Fischer besteht. OLKR Dr. Fischer hat vor allem über den Pressedienst idea sich immer wieder theologisch zur Frauenfrage, zur Bedeutung der Synoden, zur Ausländerfrage, zur Fragen der Ethik in einer Weise geäußert, die man schonend als zur äußeren kirchlichen Rechten zugehörend bezeichnen kann. Dr. Fischer glaubt die Gesellschaft bereits mitten im Vorfeld apokalyptischer Verirrungen. "Stecken wir noch vor oder sind wir schon mittendrin in der allgemeinen Verwirrung, die der Apokalypse vorangehen soll?" fragt Dr. Fischer in idea Nr. 18/94 in Reaktion auf ein Interview von Kirchenpräsident Steinacker. Die nordelbische Kirche nennt er wegen der Segnung unehelicher Partnerschaften abschätzig eine "sich lutherisch nennende Kirche" (Februar 1997). Dr. Fischer bezieht sich auf einen

 

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Vorschlag des Berliner Bischofs Huber, in einer Kreuzberger Schule neben dem Kreuz ein Bild von Mekka aufzuhängen, und fragt: "Ist man eigentlich noch im richtigen Verein? Lohnt sich der Kampf für diesen Verein?" Das schwierige Verhältnis Christen/ Juden vereinfacht Dr. Fischer mit der Frage: " Haben wir wirklich mit den Juden denselben Gott?" Bei fast allen diesen Äußerungen wird Dr. Fischer in idea vorgestellt als Oberlandeskirchenrat oder Mitglied der Kirchenregierung. Der Gegensatz zu Theologie und Denken von Bischof Krause liegt auf der Hand.

Unvergessen ist, wie idea die Kandidatur des Kirchentagspräsidenten Christian Krause beschrieben hat: Damals hieß es unter der Überschrift "Landeskirche vor Kehrtwende" u.a. "Unter der Ägide Krauses als Generalsekretär hat der Kirchentag, wie zuletzt im Juni in München zu sehen war, einen Grad an theologischer Einseitigkeit erlangt, die beispiellos in der Geschichte dieses Großtreffens sein dürfte. Das durfte der Dalai Lama für den Buddhismus – wie er selbst sagte – missionieren, auf Plakaten wurden Sexualakte von Homosexuellen gezeigt, Esoterisches durfte sich unkommentiert entfalten usw usw...Für diese Entwicklung (nämlich dass ein anderes als das biblische Evangelium verkündet werde) trägt in hohem Maße Christian Krause die Verantwortung. Seine mögliche Wahl würde eine Umkehrung der bisherigen Linie in der braunschweigischen Landeskirche bedeuten."

Im Pressebeirat von idea sitzt OLKR Fischer und kann möglicherweise nach Erscheinen mäßigend oder befördern auf Inhalt und Stil Einfluß nehmen.

Es sind aber nicht nur solche theologischen Unterschiede in grundsätzlichen Anschauungen, sondern man konnte sich im Kollegium auch über konkrete Reformprojekte nicht einigen. Das vordringlich, von OLKR Dr. Fischer vorangetriebene Reformprojekt war die Umwandlung der 13 Propsteien in einige Großpropsteien. Dazu boten sich immer wieder aktuelle Anlässe:

das erste Mal anlässlich der Frage, wem die nach der Wende 1990 wieder angegliederten Gebiete von Blankenburg und Calvörde zugeordnet werden sollten? OLKR Niemann verfertigte zu diesem Zweck ein ausführliches Expose und legte es im November 1992 auf Anfrage der Landessynode zur Kenntnisnahme vor. Darin hieß es: Großpropsteien sollten nicht geschaffen werden und der bisherige Bestand der Propsteien sollte nicht angetastet werden mit kleineren Veränderungen im Hinblick auf die neu zugewonnenen Gebiete. OLKR Dr. Fischer hatte sich offenbar gegenüber den OLKR Grefe, Becker und Niemann nicht durchsetzen können. -

Als der Schöppenstedter Propst Boetcher im Dezember 1996 in den Ruhestand ging, wurde die Frage erneut aufgerollt: war die kleinste Propstei Schöppenstedt lebensfähig oder sollte sie aufgelöst werden? Nach einer Debatte in der Landessynode blieb es beim Erhalt der Propstei. - Als Propst

 

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Schlimme sein Amt in Salzgitter-Lebenstedt 1998 überraschend aufgab, Propst Fiedler Ende 1999 in den Ruhestand ging, und Propst Schliepack im Dezember 1999 überraschend starb, wurde diese Frage erneut diskutiert und die drei Pröpstestellen unbesetzt gelassen. Ich war der Meinung, die Synode habe bereits grundsätzlich entschieden und es dürfte nicht bei jeder personellen Änderung die Struktur der Landeskirche auf den Prüfstand. Aber auch die Propstei Braunschweig beriet im März 1999 über ihre Strukturen. Die Einsparung von 10 % der Pfarrstellen wurde in der Propsteisynode gründlich beraten.

Erstmals wurden nun alle Propsteien zu einer Stellungnahme aufgefordert. Das Landeskirchenamt gab am 31. August 1999 einen Fragebogen an die Propsteisynoden zum Thema Propsteistrukturreform aus. Dabei werden vier Themenkomplexen angesprochen: 1.) die Propstei als Zusammenschluß von Kirchengemeinden, 2) Die Propstei als Mittelinstanz in der Verwaltung der Landeskirche; 3. Die innere Struktur der Propstei:, 4) Die äußere Gestalt der Propstei. Einige dieser 23 Fragen lauten: wie viele Kirchengemeinden sollten idealerweise in einer Propstei zusammengefaßt werden? Welche Dienstleistungen sollte die Propstei für die Kirchengemeinden erbringen? Ist es notwendig, Stellen (Personalstellen) von Kirchengemeinden auf die Propstei oder umgekehrt zu verlagern? Welche Aufgaben sollte vom LKA an die Propsteien (oder umgekehrt) abgegeben werden? Wie kann die Information und Koordination mit dem LKA verbessert werden? Welche Aufgaben soll der Propst oder die Pröpstin wahrnehmen? Welche Aufgabe soll die Propsteisynode haben? Welche Aufgaben fallen dem Pfarrkonvent zu und schließlich: sollten Landkreisgrenzen und Propsteigrenzen identisch sein? Ich kann mir vorstellen, dass die Beantwortung solcher grundsätzlichen Fragen in den Synoden anregend wirkte.

Auch das Landeskirchenamt äußerte sich früh zu diesem Thema. Vor der Propstei Königslutter hielt am 4. 11.1999 in Wenden Frau OLKR Dr. Sichelschmidt ein Referat, in dem sie die verschiedenen Propsteimodelle vergleichsweise nebeneinander stellte, und zwar (a) das sog. "Hausmeiermodell", bei dem sich an der Anzahl und dem Zuschnitt der Propsteien nichts ändert, sondern nur einige Aufsicht- und Genehmigungsbefugnisse auf die Propstei verlagert werden, (b) das Modell Großpropstei (wobei sie als Nachteile zu große Pfarrkonvente und Propsteisynoden nannte, (c) 5 Großpropsteien bei untergegliederten Regionaleinheiten, (d) das Verbandsmodell: es bleibt bei den Propsteien, die sich jedoch zu größeren Verbänden zusammenschließen können. Frau Dr. Sichelschmidt sympathisierte mit den beiden letzten Modellen, bezweifelt indes abschließend, dass durch Änderung in der Organisation die Kirche offener, lebendiger, einladender, sozialer, mehr am Menschen sein würde. Dieses Referat wurde auch in Kirche von unten veröffentlicht.

 

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Der Fragebogen wurden in den Propsteien nun gründlich bearbeitet. In der Propstei Goslar beriet der Propsteivorstand am 19./20.November 1999 in einer Klausur die Fragen und legte der Propsteisynode am 1.12.1999 ein Papier als Diskussionsgrundlage vor, in dem es hieß: Eine Propstei sollte maximal 25 Pfarrere/Innen umfassen, die bisherigen Aufsichtsfunktionen hätten sich bewährt. "Sie müßten aber vom LKA auch respektiert und nicht immer wieder vergessen, umgangen oder übergangen werden". Die Propstei sollte eine Dringlichkeitsliste für Bauvorhaben aufstellen. Der Anschluß an eine zentrale Kassen- und Buchungsstelle dürfe nur freiwillig und wieder kündbar sein. Beim Propstamt ginge es um "kollegiale Begleitung". Die Propstei sei nicht Briefträger zwischen Gemeinden und LKA; im Hinblick auf die Aufgaben im Propsteivorstand und Pfarrkonvent bestünde kein Änderungsbedarf.

Die Propstei Bad Harzburg wünschte ähnlich wie Goslar keine grundsätzlichen Änderung. "Großpropsteien werden von der Propsteisynode Bad Harzburg durchweg abgelehnt". So beginnt die Stellungnahme. Dagegen sollte der Propst von Verwaltungsaufgaben stärker entlastet werden etwa durch Ausdehnung der Befugnisse und Verantwortlichkeit der Propsteisekretärin. Die Kompetenz gegenüber dem LKA sollte gestärkt werden und auch die Propsteisynode Bad Harzburg fügt kritisch an: "Auch Stellungnahmen der Propsteisynode sollten größeres Gewicht erhalten und vor der Landessynode und dem Landeskirchenamt nicht nur als unverbindliche Meinungsäußerung aufgefaßt werden."

Die Propsteisynode Seesen hat auf ihrer Sitzung am 21. Juni 2000 diese Fragen diskutiert und eine Stellungnahme abgegeben, in der es u.a. heißt: "Den Vorschlag der Bildung von wenigen Großpropsteien lehnen wir ab." Großstrukturen würden "die guten Möglichkeiten der jetzigen Struktur zerstören und nicht durch bessere ersetzen". Einsparungen seien zweifelhaft. Hinsichtlich von Kassen- und Buchungsstellen "zeichnete sich bisher ab, dass in den Gemeinden die Skepsis überwiegt, ob dies notwendig und sinnvoll ist". "Zusammengefasst steht die Konsensbildung in unserer Propstei einem Votum zur weitestgehenden Beibehaltung jetziger Strukturen bei gleichzeitiger Verbesserung ihrer Möglichkeiten und Ausschöpfung ihrer Potentiale am nächsten".

In der Propstei Vechelde wurde die Frageliste des Landeskirchenamtes im Propsteivorstand und im Pfarrkonvent besprochen und am 19. November 1999 beschloß die Propsteisynode Vechelde den Erhalt ihrer Propstei und plädierte für Propsteien in der Größe von 15-20 Pfarrämtern und für die Visitation als zentrale Aufgabe der Propstei. "Der Trend zu großen Einheiten ist längst wieder zurückgegangen."

Auch die Propstei Bad Gandersheim plädiert gegen erhebliche Veränderungen. "Die Organe der Propstei ermöglichen eine Identität

 

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stiftende Zusammenarbeit, die die zu bearbeitenden Probleme einer schnellen und sachdienlichen Lösung zuführen...Darum plädiert die Propstei für einen sorgfältigen Umgang mit den "Kleinen Einheiten", denn es gilt zu erhalten, was Nähe unter den Gemeinden und Menschen zueinander schafft."

Die Propsteisynode Vorsfelde tagte am 1. Juli 2000 in Reislingen und stellte fest. Das Gespräch über die Reform der Propsteien, die ein erheblicher Einschnitt in die Struktur der Landeskirche bedeute, bedürfe der qualifizierte Mitwirkung aller Ebenen insbesondere der betroffenen Rechtsträger, der Propsteien und der Kirchengemeinden". Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes empfehle die Propsteisynode "die Beibehaltung der bisherigen Propsteien im Sinne von identitätsstiftenden Seelsorgebezirken".

Die Synode Königslutter fasste am 27. Juni 2000 einen Grundsatzbeschluß, wonach Änderungen nicht zweckmäßig seien und am 10.Juli verabschiedete der Bauausschuß noch eine detailliertere Stellungnahme mit folgendem wichtigen Hinweis: "Beim Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen sollte die Organisation dezentral bleiben. Deshalb wird in diesem Fall der fortschrittlichen Methode des Einsatzes von PC-Rechnern in den Kirchengemeinden der Vorzug vor einer Zentralisation gegeben."

Sehr gründlich war die Mitarbeit in der Propstei Wolfenbüttel durch Propst v. Schade. Am 8. Juni teilte der Wolfenbüttler Propst der Reformkommission als Meinungstrend mit: "Eine durchgreifende Veränderung der gegenwärtigen Zahl und Größe der Propsteien scheint gegenwärtig schwer durchsetzbar", eine Vergrößerung der Verwaltungseinheiten wäre gleichwohl notwendig.

Von der Propsteisynode Helmstedt lag keine Empfehlung vor, weil Propst Fischer den Fragekatalog ihr nicht vorgelegt hatte.

Alle diese Stellungnahmen wurden nun der im November 1999 neu gebildeten Reformkommission, die danach unter Vorsitz von Frau Mattfeldt-Kloth und Moderation von Herrn Dr. Voß zu diesem Thema insgesamt achtmal getagt hatte, vorgelegt. Einsendeschluß war der 1. Juli 2000 gewesen. Bis dahin hatten jedoch Herr Landeskirchenoberamtsrat Dube vom Finanzreferat in der Sitzung am 21. März "regionale Verwaltungseinheiten mit Zwangsanschluß" vorgeschlagen und OLKR Dr. Fischer legte in der nächsten Sitzung der Reformkommission am 9. Mai 2000 "Überlegungen zur Neuorganisation der Landeskirche" aus dem Jahre 1.10.1998 vor. Darin schlug Dr. Fischer die Reduzierung der Propsteien von 13 auf 5 vor, die Auflösung der Kirchenverbände und die Schaffung von 5 Propsteiämtern. Dadurch wären Einsparungen zu erzielen. Es entfielen z.B. "die Kosten für 8 Propsteisynoden". Das Baureferat könnte in seiner jetzigen Struktur aufgelöst werden und ein Fachingenieur auf die mittlere Ebene gegeben werden. "Eine Konzentrierung des gemeindlichen Personals

 

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durch die ortsnäheren Propsteien scheint denkbar". Dieser Vorschlag von Dr. Fischer wird ausführlich hin und her gewendet und schließlich insbesondere durch die Beiträge vom früheren Wolfenbüttler Oberkreisdirektor Dr. Koneffke vorlagefähig gemacht, allerdings: bevor die Vorschläge aus den Propsteien überhaupt eingegangen sind.

In der ersten Sitzung nach Eingang der Vorschläge aus den Propsteien tagt die Reformkommission bei der Kassen- Buchungsstelle Salzgitter-Lebenstedt. Ein Tagungsordnungspunkt "Stellungnahmen aus den Propsteien" fehlt, stattdessen heißt es: "Top 4 "Fortsetzung der Beratung zum Strukturvorschlag von Herrn Dr. Koneffke". Dr. Koneffke besteht in dieser Sitzung auf 5 Großpropsteien und akzeptiert nur bei Widerstand aus der Synode den sog. "Dubeplan", also statt der 5 Großpropsteien 5 Propsteiämter zu schaffen, die jeweils drei Propsteien föderal zusammenfassen, aber je 5 Kassen- und Buchungsstellen beaufsichtigen. Aus der Sicht der Gemeinden kommt das mehr oder minder auf dasselbe hinaus wie die 5 Großpropsteien.

Auch in der nächsten Sitzung dem 12.9. fehlt ein TOP "Diskussion der Propsteivoten". Lediglich die Vorsitzende Frau Mattfeldt-Kloth äußert eingangs, dass Großpropsteien von sämtlichen Propsteien abgelehnt würden. Zur Diskussion steht jedoch nur die Einrichtung der 5 Servicestationen samt Propsteiämtern, die aber nur als Vorstufe zu 5 Großpropsteien verstanden werden. Ein neues Gremium entsteht, nämlich der Vorstand so eines Propsteiverbandes, der aus maximal 6 Personen bestehen dürfte (je zwei aus den drei Propsteien). Der Propsteiverbandsvorstand beruft im Einvernehmen mit den Landeskirchenamt den Leiter oder die Leiterin eins Propsteiverwaltungsamtes. Ein solcher Vorschlag würde von den Propsteien Wolfenbüttel und Braunschweig unterstützt.

In der Sitzung vom 12.10.2000, in der über einen Beschlussvorschlag der Vorsitzenden diskutiert wird, regt sich nun doch erster energischer Zweifel: der Landessynodale Herr Peter, Lehrer aus Goslar, "gibt zu bedenken, dass sämtliche Propsteisynoden sich gegen eine Zusammenlegung der bestehenden Propsteien ausgesprochen habe und dass dieses daher in der Synode nicht durchsetzbar sein wird." Eine Leitbilddiskussion – wie sie ja auch in dem Fragenkatalog angeregt worden war – sei zunächst sinnvoller. Auch Dr. Voss spricht sich gegen eine Reduzierung aus. Herr Peter äußert später zu Recht die Befürchtung, dass es durch die Servicestellen "zu einer immer grösseren Distanzierung von der Basis kommen" werde. Aber nach dem alten Prinzip, wer die Vorlage macht, hat schon gewonnen, verschärft die Kommissionsmehrheit die Vorlage von Frau Mattfeldt-Kloth, in der jede Andeutung von 5 Großpropsteien fehlte, die wenigstens als "weitere Zielsetzung" in den Beschlußvorschlag eingeführt werden sollte. Später

 

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heißt es im Synodalvorschlag "Eine weitere Reduzierung der Zahl der Propsteien erscheint der Reformkommission langfristig wünschenswert."

Obwohl der Vorschlag Dr. Fischers und auch der "Dubeplan" das strikte Gegenteil von dem ist, was sämtliche Propsteisynoden empfohlen haben, nimmt die Reformkommission diesen Vorschlag als einzige Möglichkeit auf und legt der Landessynode einen alternativlosen (!) Antrag vor, die Propstei Vechelde aufzulösen, einige Gebiete aus der Propstei Königslutter nach Braunschweig zu legen und die Kirchengemeinden innerhalb von drei Jahren zum Zwangsanschluß an eine bereits festgelegte Kassen- und Buchungsstelle zu verpflichten. Diese Serviceämter sollen in die Trägerschaft von 5 Propsteiverbänden, und zwar 1) Braunschweig; 2) Sz. Lebenstedt mit Salzgitter-Bad und Vechelde; 3) Goslar mit Bad Gandersheim und Seesen; 4) Helmstedt mit Königslutter und Vorsfelde; 5) Wolfenbüttel mit Schöppenstedt und Bad Harzburg. Kern eines Verwaltungsamtes bildet eine Servicestation, sprich eine Kassen- und Buchungsstelle, die darüber hinaus auch Kindergarten und Friedhofsverwaltung übernehmen könnte. Die bestehenden Kirchenverbände sollten aufgelöst werden. Im Antrag heißt es wörtlich: "Jede Kirchengemeinde soll verpflichtend ihr gesamtes Haushalts-,Kassen-,Rechnungs-und Prüfungswesen auf die für sie zuständige Servicestelle übertragen...... Hierdurch werden den Kirchengemeinden und Propsteien keine Kompetenzen entzogen."

Das war sehr verwegen, zumal auch eine Reihe Vorsitzender der Propsteisynoden nämlich von Königslutter, Salzgitter-Bad, Salzgitter-Lebenstedt, Seesen, Schöppenstedt, Vechelde, Vorsfelde sich am 21.9.00 in Salzgitter Bad getroffen hatten und in einem Schreiben an Präsident Eckels eindeutig gegen Großpropsteien votiert hatten. Und: "eine mögliche Verknüpfung von Verwaltungsarbeiten in Gemeinden und Propsteien muß vor dem Hintergrund von konkreten Modellrechungen über Kosten und Einspareffekte überprüft werden."

Zur Zeit haben sich erst 132 Rechtsträger, Braunschweig ausgeschlossen, einer Kassen- und Buchungsstelle angeschlossen. Die Mehrheit, nämlich 261 Kirchengemeinden bzw. Rechtsträger, verwalten ihre Kassengeschäfte lieber vor Ort selbständig.

Die Reformkommission wünschte während der Novembersynode nicht etwa eine Überweisung an und Besprechung in den Synodalausschüssen, von denen normalerweise dann eine Beschlußempfehlung vorliegen muß, sondern suchte handstreichartig eine sofortige Entscheidung. Landeskirchenrat Hampel hatte anlässlich seiner Verabschiedung zu Beginn der Synodalsitzung die langen und umständlichen Entscheidungswege in der Landeskirche beklagt. In der Debatte rührte sich unter Anführung von Kirchenregerungsmitglied Norbert Bengsch sofort ein scharfer Gegenwind, insbesondere gegen den Zwangsanschluß. Nach eintägiger gründlicher

 

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Debatte wurden alle Vorschläge der Reformkommission zurückgewiesen, das Thema soll nun im Landeskirchenamt erneut beraten, dann der Kirchenregierung und erneut in der Maisynode vorgelegt werden, was ich für völlig falsch halte. Es ist völlig klar, dass es für einen Zwangsanschluß keine Mehrheit in dieser Landessynode geben wird.

Die Reformkommission hat bisher nicht wieder getagt. Es ist den Synodalen unklar, ob sie überhaupt wieder zusammentreten wird. Die Vergeudung von einem so hohen Maß an ehrenamtlichem Engagement, wie es in den zahlreichen Sitzungen der Reformkommission deutlich geworden ist und nun doch zu nichts geführt hat, kann sich eine kleine Landeskirche nicht oft erlauben.

Diese Veränderung der Propsteien, wie sie OLKR Dr. Fischer vorgeschwebt hat und immer noch vorschwebt, ist bisher daran gescheitert, dass sie gegen den erklärten Willen der Propsteisynode erfolgt ist, dass es kein einhelliges Votum des Pröpstekonventes dazu gegeben hat und auch daran, dass es auch zu diesem Vorhaben kein einhelliges überzeugendes Votum des Kollegiums gegeben hat. Frau OLKR Dr. Sichelschmidt hatte ihre abweichenden Einzelheiten bereits im Novemberreferat geäußert und Frau OLKR Müller verhielt sich meinem Eindruck nach äußerst reserviert.

Nunmehr betreibt OLKR Dr. Fischer dieses Vorhaben wieder auf eigene Faust und zwar am schwächsten Glied des Pröpstekonventes, in der Propstei Helmstedt, und erstrebt mit Propst Fischer die Auflösung des Stadtkirchenverbandes als Vorstufe für die Installation eines Propsteiamtes bzw. einer Kassen- und Buchungsstelle an der Landessynode vorbei und ohne die notwendigen Absprachen mit den beiden anderen Pröpsten. Daß Propst Fischer sich auf diese Vorgehensweise einlässt, spricht für sich, und erklärt, warum aus der Propstei Helmstedt überhaupt keine Stellungnahme an die Reformkommission abgegeben worden ist.

Ich finde es bedauerlich, dass der Vorschlag der Verwaltungsleiter/Innen, den diese auf Bitten des Pröpstekonventes vom Juni 2000 erarbeitet haben, und der am 21. 9. an den Pröpstekonvent gegangen ist, bisher der Landessynode noch nicht vorgelegt und dort diskutiert worden ist. Die Amtsleiter schlagen vier regionale Verwaltungsstellen vor, - ihr Modell vergleicht 3-6 solcher Verwaltungsstellen - wobei Aufsicht und service klar getrennt werden. Diese vier Servicestellen legen den Kirchengemeinden ein Paket von Angeboten vor (z.B. Vollversorgung, oder nur Rechnungsführung mal mit mal ohne Kirchenbuchführung usf), wobei die Kirchengemeinden aus diesem Angebot sich das für sie kostengünstigste aussuchen können. Ein Zwangsanschluß scheint durch die Zuordnung zu den je vier Verwaltungsstellen unumgänglich. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass bei der Debatte über diese Modelle ein Zwangsanschluß entfallen und die belebende Konkurrenz zwischen diesen

 

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Verwaltungsstellen etwa in Hinsicht auf die Anrechnung der bei der Kirchengemeinden verbleibenden Prozentzahlen für die Rechnungsführung einen starken Anreiz auf die Kirchengemeinden ausüben könnte.

Der wesentliche Gesichtspunkt dieses ganzes Projektes kann nur sein, ob die Selbständigkeit und Kompetenz der Kirchengemeinde vor Ort gestärkt oder geschwächt wird. Es gibt einen erheblichen trend in der Landessynode, die Kirchenrechnungsführer/In und Kassenprüfer vor Ort in den Kirchengemeinden zu schulen und zum fachlichen Austausch zusammenzuholen und die Gemeinde mit einem neuen vergleichbaren Computerprogramm auszustatten und On-line mit der Servicestation zu schalten. Unerträglich erscheint es, zwischen Gemeinden und Landeskirchenamt größe Verwaltungsklöpse hinzusetzen, die die Gemeinden vom Landeskirchenamt nur entfernen und das Finanzreferat des Landeskirchenamtes einseitig entlasten. OLKR Dr. Fischer hat es dann nicht mehr mit lästigen Kirchengemeinden zu tun sondern kann sie alle an das "Propsteiverbandsamt" verweisen.

So erfolglos die verschiedenen Bemühungen von der kirchenleitenden Ebene aus waren, so erfolgreich, wenn auch sehr mühsam waren die kleinen, erfolgreiche kirchenreformerischen Schritte, die von der Landessynode als dem anderen Träger der Kirchenreform, und hierbei insbesondere vom AK Solidarische Kirche ausgegangen sind. Der AK Solidarische Kirche hatte sich 1990 neben den bestehenden AK Bugenhagen und AK 70 gebildet und die Kirchenreform auf die Hörner genommen, zunächst einmal im Geschäftsgang der Landessynode selber. Bisher durften die Synodalen die Informationen der Kirchenregierung nur andächtig entgegennehmen. Wir führten eine Fragestunde danach ein, von der in der Regel auch kräftig Gebrauch gemacht wird. Es gab bis 1990 eine zeitlang überhaupt kein ordentlich Synodalprotokoll. Ganz früher - also bis 1916 - gab es sogar Wortprotokolle, dann in der Weimarer Zeit ebenfalls sehr ausführliche Verlaufsprotokolle, die auch im Amtsblatt veröffentlicht wurden, von der Nachkriegszeit sind ebenfalls sehr ausführliche, wörtliche Protokolle überliefert, in der Reformzeit von Bischof Heintze wurde im sog. KURIER sogar aus den Ausschüssen der Landessynode berichtet, und plötzlich brach diese Tradition ab. Es gab für die Hand der Synodalen überhaupt nur noch die Tagesordnung, und das sog. Protokoll bestand lediglich aus der Aufzählung der Tagesordnungspunkte. Ich hatte mir von meinem Vorgänger Pfarrer Nebel die Synodensachen geben lassen, um mich einzuarbeiten und war von diesen nichtssagenden Protokollen entsetzt. Gegen den erbitterten Widerstand der Oberlandeskirchenräte, insbesondere von OLKR Niemann setzten wir dann in mehreren Synodalsitzungen ein ordentliche Begleitprotokoll durch, aus dem die Meinungsbildung in der

 

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Landessynode hervorgeht. Das war Ende 1992. Schließlich erlebten wir auch eine Synodalpräsidenten, der einerseits vermittelnd und die Diskussion befördernd den Synodengang in Fluß hielt. Wir erlebten aber auch einen Präsidenten, der, wenn ihm was nicht paßte, außerordentlich und mehrfach geschäftsordnungswidrig den Gang der Synode dominierte. Daraufhin wurde aus dem Amt des Präsidenten ein Präsidium von drei gleichberechtigten Präsidiumsmitgliedern geschaffen. Auch das verlief in mehrfachen Anläufen ziemlich quälend.

Vor allem aber ist das Reformwerk von 1994/95 eine Sache der Landessynode gewesen. Der Präsident schrieb alle Kirchengemeinden, Werke und Verbände der Landeskirche an und erhielt ein überwältigendes, historisch gesehen bisher einmaliges Echo: 187 Rückmeldungen von Propsteisynoden, Propsteivorständen, Pfarrkonventen, Kirchenvorständen, aber auch Einzelpersonen wurden von Synodalpräsidenten Eckels gebündelt und von Frau Pfr. Biersack lesbar umgeschrieben, thematisch geordnet und mit einem Register versehen. Die meistgenannten Themen waren: der Gottesdienst (190 mal), die Ortsgemeinde (184), das Ehrenamt (182), der/die PfarrerIn (154), die Finanzen (115), die Verwaltung (111) das Landeskirchenamt (100). Die Propsteigrenzen und die Propsteigröße tauchen als dringliches Reformproblem aus der Sicht der Kirchengemeinde nicht auf.

Aus der Propstei Helmstedt kamen besonders kräftige Stellungnahmen von St. Lorenz, Schöningen und von St. Thomas Helmstedt. Einheitlicher Tenor aller Einsendungen: Macht die Kirchengemeinden stark und beendet die Bevormundung durch das Landeskirchenamt.

Der Gemeindeausschuß, der unter dem Vorsitz von Pfr. Liersch federführend war, hielt zwei größere Klausurtagungen ab und im Mai 1995, also der vorletzten in der Legislaturperiode, hatten wir unsere mehrtägige Reformsynode auf dem Hessenkopf mit zahlreichen Gästen aus der Landeskirche und darüber hinaus. Aber wir waren uns nicht einig: sollten kleine praktikable Reformschritte verabschiedet werden (wie es mir vorschwebte) oder lieber "Grundlinien" entworfen werden, die dann später "umgesetzt" werden sollten. Ich war weniger für Visionen und mehr für sofortige Änderungen im kirchlichen Alltag, zumal ab 1996 die Landessynode in neuer Besetzung tagte.

Bereits die Publizierung dieser wichtigen Synode wurde ein schwerer Rückschlag für das ganze Reformvorhaben. KvU brachte zwar eine Sondernummer mit einer Zusammenfassung der Voten heraus, aber das Landeskirchenamt fertigte das ganze Unternehmen in einem Heftchen Texte aus Braunschweig (TAB) mit einer derart dürftigen Wiedergabe der Reformsynode, dass bald eine ausführlichere zweite Fassung in einer zweiten Auflage nun aber sechs Monate später nötig wurde. Die nicht

 

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abberufenen, in Aktenordnern gesammelten Stellungnahmen der Gemeinden verschwanden vermutlich beim Umzug des LKAs im Reißwolf. Alle Kirchenvorstände erhielten zwar einen sehr ausführlichen vierseitigen Bedankbrief des Synodalpräsidenten und des Landesbischofs, in denen den Einsendern eine Verstärkung der Selbständigkeit der Kirchengemeinden und eine Kompetenzverlagerung auf die Kirchenvorstände in Aussicht gestellt wurde z. B. so: "Ausgehend von der Einsicht, daß in unserer Kirche zu viel zu zentral verwaltet wird und damit die örtliche, dezentrale Eigeninitiative zu wenig Entfaltung findet, sollen alle Genehmigungsvorbehalte seitens des Landeskirchenamtes auf den Prüfstand." Leider fehlte damals bis heute eine inhaltliche Zusammenstellung aller Einsendungen, auf die vor allem die nächste Synode hätte zurückgreifen können.

Zur Umsetzung der Synodalvorhaben und Synodalwünsche wurde ein Projektausschuß eingesetzt, der vom früheren Propst Klaus Jürgens geleitet wurde und der ein sog. Erprobungsgesetz vorschlug, durch das nach meiner Vorstellung alles das einmal für eine begrenzte Zeit von drei Jahren in einer Kirchengemeinde durchexperimentiert werden sollte, was gesetzlich nicht geregelt und vorgesehen war, z.B. erster und stellvertretender Vorsitz im Kirchenvorstand hat nicht der Pfarrer inne; oder: rotierender Vorsitz innerhalb des Kirchenvorstandes; radikale Veränderungen im Konfirmandenunterricht; früher hat der Konfirmandenunterricht ein Viertel Jahr von Weihnachten bis Ostern gedauert! Oder: kirchliche Trauung unabhängig von der standesamtlichen Trauung, möglicherweise auch ohne. Auf Antrag erhalten Kirchenvorstände die völlige Bauunterhaltungspflicht und werden dazu finanziell vom Landeskirchenamt auch instandgesetzt. Segensgottesdienste mit Kindern oder aus Anlaß einer Scheidung, wie sie von über 30 Prozent der Befragten Kirchenmitglieder in Niedersachsen begrüßt würde. Also es sollte der Stau landeskirchlicher gesetzlicher Vorbehalte für eine bestimmte Zeit an bestimmten Orten beseitigt werden und nach drei Jahren sollte von dem durchgeführten Experiment berichtet werden und der Projektausschuß sollte die Reform vor Ort während dieser Zeit begleiten. Das Ergebnis ist gleich Null, denn das Landeskirchenamt verzichtete nicht auf seine Vorbehalte beschwerte sich gleichwohl später, dass keine Anträge an den Projektausschuß gerichtete seien. Das war nun nachweislich falsch.

Es erging der Synode mit ihren Vorschlägen im Grunde genauso wie den Vorschlägen des Bischofs und des Bischofsreferenten: es war eine lange Wunschliste – aber die Umsetzung über den Projektauschuß scheiterte.

Nach dem Ausscheiden von Propst i.R. Jürgens übernahm Frau Biersack den Vorsitz der Reformkommission und zog im Mai 1998 vor der Landessynode folgende Bilanz. Es sei die Stellung der Propsteibauauschüsse erheblich verstärkt, die Bewertung der Pfarrstellen

 

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verbessert, ein Arbeitskreis Budjetierung gebildet worden, im neuen Amt für Fortbildung die Stellung der Ehrenamtlichen verstärkt in den Blick gekommen. Dann aber legte sie den Vorsitz nieder mit dem resignierenen Satz: "Wir wollen nicht Asche transportieren, wenn das Feuer nicht mehr brennt." Das Reformfeuer der 94/95 Jahre schien runtergebrannt und das traf durchaus eine Grundstimmung in der Landessynode.

Die Arbeit der Reformkommission sollte aber nicht eingestellt werden, sondern sie fand in Frau Mattfeldt –Kloth eine neue Vorsitzende, die das bereits beschriebene Projekt der Zentralisierung der Strukturen der Landeskirchen in 5 Großpropsteien bearbeitete.

Es waren dann die synodalen Arbeitskreise, die dann doch noch zwei größere Reformschritte auf den Weg brachten: 1.) Das Amtsverständnis ist grundlegend geändert worden. Bisher galten die leitenden Ämter als besondere, für die Dauer der Dienstzeit vergebene Ämter. Schrittweise begrenzte die Landessynode zunächst das Propstamt, dann das Amt des theologischen Oberlandeskirchenrates und im November auch das Amt des juristischen Oberlandeskirchenrates auf 12 Jahre. Dazu war eine verfassungsändernde Mehrheit notwendig, die nicht einfach zu besorgen ist, zumal in der Regel zahlreiche Synodale an den Sitzungen nicht teilnehmen, manchmal um die zehn. Wir haben also in Zukunft nicht mehr wie früher einfache und höhere und besonders hohe Ämter, sondern gut lutherisch: es gibt ein Amt, das sich in verschiedene Diensten entfaltet. Diese Dienste sind unter dem Wort alle gleichberechtigt. 2.) In dieses eine Amt ist das nichtordinierte Mitglied der Kirche völlig mit einbezogen. Die Ordination ist also nicht mehr eine womöglich mit der katholischen Priesterweihe verwechselbare, dem Pfarrer vorbehaltene Zeremonie, sondern: wir können sagen: alle sind zu diesem einen geistlichen Amt ordiniert, das sich in unterschiedlichen, gleichberechtigten Diensten entfaltet. Daher dürfen nun auch Lektoren selbständig ohne Pfarrer das Abendmahl austeilen und einen agendarischen Abendmahlsgottesdienst halten. Zu diesem wesentliche Reformschritt bedurfte es zweier Anläufe. Beim zweiten Mal, - der Antrag wurde vom Mitglied der Kirchenregierung Norbert Bengsch, einem Schulrektor in Oker, Kirchenvorstandsvorsitzender und Lektor in der dortigen Propstei Goslar, eingebracht, - erhielt der Antrag im November 2000 die erforderliche Mehrheit. OLKR Kollmar weigerte sich prompt, solche Richtlinien überhaupt zu erlassen. Immerhin stimmten auch die Pröpste in der Landessynode diesem Antrag zu, der mit 7:1 Stimmen auch im Gemeindeausschuß eine große Mehrheit gefunden hatte.

In Finanzdingen wurde nach quälenden Debatten mit OLKR Dr. Fischer durchgesetzt, dass 5000.-- DM Eigenmittel (z.B. Zinsersparnisse) nicht mehr vom Landeskirchensteueranteil abgezogen werden. Damit sollte die finanzielle Eigenständigkeit und der Sparwille der kleineren Kirchengemeinden belohnt werden.

 

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Für alle, die einen Kindergarten verwalten, wurde erreicht, dass ein Drittel des Sonderanteils Kindergarten nicht mehr im Haushalt Kindergarten, sondern im Gemeindehaushalt mit Zweckbestimmung eingesetzt werden kann. Und schließlich bringt auch die Budjetierung mehr Bewegungsfreiheit für die Kirchenvorstände im Umgang mit den Finanzen.

Mit solchen eigenständigen Reformschritten machte sich die Landessynode beim Landeskirchenamt unverständlicherweise unbeliebt.

Das Verhältnis zwischen Landessynode und Landeskirchenamt sei "kaputt bis auf den Grund" stellte Landesbischof Krause in der Novembersynode 1995 offenherzig fest. In seiner Predigt am 1. Advent 2000 im Braunschweiger Dom soll sich Bischof Krause wiederum äußerst kritisch zur Landessynode geäußert haben, bestätigte Propst Kraft, der dabei war. Es gibt auch gegenteilige Äußerungen von ihm. Publik Forum vom 8.August 1997 berichtet einen Ausspruch von Bischof Krause, hervorgehoben als Überschrift: "Bei uns entscheidet die Basis. Der Unterschied zu Rom: in unseren Kirchen haben die Synoden das letzte Wort." Das war nach seiner Wahl zum Präsidenten des Lutherischen Weltbundes

OLKR Dr. Fischer gab idea zu Protokoll "Synoden überschätzen sich". Ein Grund für seinen Wechsel aus der rheinisch-unierten Kirche in eine lutherische Landeskirche wird der starke Stellenwert einer Synode im Rheinland gewesen sein So entsteht der Eindruck: gefügige Synoden sind richtige Synoden, kritische, abweisende Synoden sind "böse" Synoden.

Als ich bei der Novembersynode den Landesbischof fragte, was er sich für den Rest seiner Amtszeit in Braunschweig vorgenommen habe, schwieg er sich aus. Ich hakte nach: vielleicht ein Landeskirchentag oder die Bearbeitung des von ihm selbst also vordringlich empfundenen Thema "Staat und Kirche" – wiederum Schweigen. Das kann unterschiedlich ausgelegt werden. Jedenfalls ist es kein normales Miteinander zwischen zwei Verfassungsorganen. Wie es nicht normal ist, dass der Landesbischof beim Bericht der Kirchenregierung anders als alle anderen Referate auf einen Bericht aus seiner Geschäftsstelle seit zwei Jahren verzichtet.

Welche Reformschritte liegen unweigerlich vor uns? Der erste und wichtigste ist eine synodale Überwachung und Mitsprache beim Zusammenschluß von Kirchengemeinden unter gleichzeitigem Fortfall von Pfarrstellen. Diese "Reform" ist seitens des Landeskirchenamtes in vollem Gange und zwar unter Ausschluß der Landessynode und unter kümmerlicher Informierung der Kirchenregierung:

 

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Kasualienstatistik

Jahr  Mitgliederzahlen Taufen     Trauungen  Bestattungen

1914  464.044          8.964
1933  450.000
1940  458.949 10.623   7.460      1.676      5.927
1965                   10.591+220 4.712      7.344 
1978  558.000          4.905+157  1.836      7.629
1985                   4.665+     1.793      6.872
1999  440.000          4.394+374  1.287      5.922

Die enorm sinkende Taufzahl ist keine Braunschweiger Besonderheit und auch kein Zeichen von Entkirchlichung sondern hängt zusammen mit der Abnahme der Geburtenzahlen. Die Zahl der Geburten sinkt im Bundesgebiet von 612.000 (1963) auf 422.000 (1971) und entsprechend die Zahl der Taufen im Gebiet der EKD von 476.000(1963) auf 317.000 (1971). Die Zahlen der Taufen in der Braunschweiger Landeskirche: 1963: 10.237; 1971: 7.217. Das Erstaunliche und Erfreuliche bei der Anzahl der Taufen ist, daß trotz sinkender Kirchenmitgliederzahlen die Anzahl der Taufen in den letzten 15 Jahren stabil geblieben ist. Einen Einbruch hingegen gibt es bei der Anzahl der Trauungen, die 1999 ihren niedrigsten Stand erreicht. Sie sinkt mit 1.287 unter den Kriegsstand von 1940 von damals 1.676 kirchlichen Trauungen. Eine entsprechende Zahl der Eheschließungen gibt es für den Bereich der Landeskirche nicht, aber die Beobachtung ist wohl richtig, dass sich immer weniger Paare auch kirchlich trauen lassen. Auch bei den Beerdigungen mag die absinkende Zahl mit der Zunahme anonymer, unkirchlicher Bestattungen zusammenhängen. Insgesamt: für die Pfarrerschaft gibt es weniger zu taufen, zu trauen und zu bestatten, so wenig wie nie zuvor. Die Zahlen der Kasualien bewegen sich auf dem historisch niedrigsten Stand des Jahrhunderts bei gleichbleibender Anzahl von Pfarrstellen.

Die Gemeindemitgliederzahlen pro Kirchengemeinde schrumpfen erheblich.

Die Landessynode hatte jedoch vor allem auf Grund der Finanzinformationen von OLKR Dr. Fischer beschlossen, 10 % aller Stellen einzusparen. Dieser Beschluß treibt gelegentlich seltsame Blüten: die Propstei HE hatte 1994 25 Pfarrämter; 2000: 22 und davon werden erneut zwei eingespart, die eine, Ingeleben mit Dobbeln und Söllingen, ist bereits aufgeteilt, die Krankenhausstelle soll nicht wieder besetzt werden. Die Stelle der Clus ist unter unerfreulichen umständen von 100% auf 75 % gesetzt worden, ebenso soll es mit der Pfarrstelle Emmerstedt nach dem Weggang von Pfr. Beichler geschehen. D.h. die Propstei Helmstedt hat seit 1994 5 Stellen eingebüßt. Also sehr viel mehr als abgemacht. Eine Propsteisynode und eine Pfarrkonferenz, die das so undiskutiert durchgehen

 

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lässt, nimmt m.E. ihre kirchliche Verantwortung für die Region nicht wahr. Das ist eine Reform, die nach hinten losgeht. Die Arbeitskreise AK 70 und Solidarische Kirche haben Mitte Januar beschlossen, dass bei der Maisynode dieses Problem und das der Pfarrstellenbewertung gründlich diskutiert wird und es hoffentlich zu umsetzbaren Beschlüssen kommt.

Für dringlich halte ich weiterhin die Arbeit an einer Lebensordnung. Gültig ist die von 1961 und das ist ein völlig unhaltbarer Zustand. Die Propsteien Vorsfelde und Wolfenbüttel haben eine Übergangslösung als innerkirchliche Verabredung innerhalb ihrer Pfarrerschaft getroffen. Ansonsten macht jeder und jede was er/sie will. In der Stadt Braunschweig tauft und traut und beerdigt m.W. der Propst gewiß nach gründlicher seelsorgerlicher Beratung allerdings alles, was ihm vorgelegt wird. Ich selber hielt kürzlich in einer Stadtgemeinde eine Taufe, wo die Mehrzahl der Paten katholisch war und fragte an, ob das ginge. Die gültige Lebensordnung sieht das nicht vor.

Müssen überhaupt alle Paten in der Kirche sein? In der provinzsächsischen Landeskirche kann bereits ein der Kirche Nicht-Angehöriger nach Beschluß des Kirchenvorstandes Pate sein.

Sollte das Abendmahl grundsätzlich gastweise für alle geöffnet sein?

Hier könnten m.E. die einzelnen Kirchenvorstände bereits tätig werden und Beschlüsse fassen.

Kann ein Wiedereintritt an einem Ort nach eigener Wahl vollzogen werden? Wäre es nicht tatsächlich eine Hilfe, wenn etwa in der Stadt Braunschweig der Wiedereintritt zentral beim Stadtkirchenamt vollzogen werden könnte oder in einer Propstei beim Propstamt und der Wiedereingetretene sich eine Kirchengemeinde eigener Wahl aussucht. Die Lebensordnung von 1961und die Kirchengesetzes sehen das nicht vor.

Sollte es eine abgestufte Kirchenmitgliedschaft geben und der Eintritt durch schriftliche Erklärung beim Pfarramt mit einer finanziellen Bindung erfolgen mit der Aussicht einer späteren Taufe? Sollte nicht also neben dem "Haupteingang" der Taufe eine weitere "Nebentür" zum Eintritt in die Kirche geschaffen werden?

Müssen die Vorsitz und stellv. Vorsitz in der Kirchenregierung wirklich von beiden Mitglieder des LKA während ihrer ganzen Dienstzeit besetzt werden?

Muß die stellenmäßige Besetzung des Landeskirchenamt nicht auf Grund der fallenden Kirchenmitgliederzahlen so reduziert werden, dass wir nur einen Juristen und in der Finanzabteilung einen Volkswirt brauchen, dass also wie ich es in der Haushaltssynode vorschlug, eine der beiden juristischen Oberlandeskirchenrätestelle mit einem ku Vermerk versehen wird.

 

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Und manche Reform bedürfte nur einer sorgfältigeren Beachtung der kirchlichen Arbeit vor Ort. Früher erhielten wir Bischofsbriefe und wussten, was die Kirchenleitung beschäftigt, seit 1994 ist diese jahrzehntelange Sitte eingestellt worden. Der fortwährende Versuch, die Schmerzgrenze von Kirchenvorständen und Propsteisynoden auszutesten, ist dem Miteinander in unserer Landeskirche nicht förderlich.

Was das Thema der Gesamtstruktur der Landeskirche betrifft, so halte ich es für bemerkenswert, dass Propst Kraft mehrfach in der Reformkommission anfragte, ob nicht die mittlere Ebene der Propsteien auf dem Lande gänzlich entfallen könnten, jedenfalls soweit sie den Verwaltungsteil und den sog, "Dienstweg" betrifft. Auch in der Landessynode häufen sich die Stimmen, die die Pröpste für die geschwisterliche Begleitung und Beratung in der Region ihrer Propstei ganz frei machen wollen. Ich hielt es aber auch für denkbar, wie es auch bereits vereinzelt gescheht, dass sich einzelne Pfarrer in gegenseitig beratenden und stärkende Seelsorgekreisen aus dem Bereich der ganzen, überschaubaren Landeskirche zusammenfinden.

Zusammengefaßt: das Leben in unserer Landeskirche ist mehr im Fluß als wir vielleicht im Alltag so wahrnehmen und die zahlreichen Staus bedürfen weiterhin beharrlicher Bearbeitung auf allen Ebenen, damit es im Flussbett der Kirche zwischen Harz und Heide nicht zu stinken anfängt.


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