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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Übersicht

  1. Die Forderung nach Segensgottesdiensten für schwul/lesbische Paare in der Braunschweiger Landeskirche
  2. Widersprüchliche Nachrichten aus der ev. Kirche
  3. Streichung des § 175
  4. Die Braunschweiger HuK
  5. Wissenschaftliche Arbeiten
  6. Segnungen in Offleben
  7. Ein Blick in die anderen Landeskirchen zu Segnungsgottesdiensten
  8. Orientierungshilfe der EKD "Mit Spannungen leben"
  9. Kirchliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Gleichstellung schwul/lesbischer Partnerschaften (2000)
  10. Entwurf für eine Segnung einer Lebensgemeinschaft
  11. Vorschlag für die Segnung einer Lebensgemeinschaft
  12. Predigt am Vorabend des CSD dem 26.6.1998 in der Berliner Paul Gerhardt Kirche

Die Forderung nach Segensgottesdiensten

für schwul/lesbische Paare in der Braunschweiger Landeskirche

Eine Antwort auf Behauptungen von Bischof Krause und Propst Kraft

von Dietrich Kuessner

Die Forderung nach Segensgottesdiensten für schwul/lesbische Paare ist in der Braunschweiger Landeskirche alt, immer wieder erhoben und in verschiedenen Gremien auch bearbeitet worden.

Daher wirkt es eigenartig, dass Landesbischof Krause der Wolfenbüttler Ausgabe der BZ am 19. Juli erklärt, "die Landeskirche habe sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt, deshalb stehe eine klare Positionsbestimmung noch aus. Ob es in Zukunft trotzdem "irgendeine Art der Segnung" gebe, werde die Diskussion zeigen. Auch Propst Kraft hat in einem Schreiben an die Pfarrer seiner Propstei vom 1.8.2001 allgemein auf die von ihm selbst Frage "Wie verhält sich die Kirche zum Thema Segnung homosexueller Menschen? Welche Gottesdienste werden dafür angeboten?" geantwortet "Leider gibt es bis heute kaum Antworten darauf aus dem kirchlichen Bereich." Eine Ausnahme sei der EKD Text "Mit Spannungen leben".

Diese Antworten gehen an der bisher in unserer Landeskirche hierzu bereits geleisteten Arbeit völlig vorbei und übersehen auch den Stand der wissenschaftlichen Forschung.

Die Situation in unserer Landeskirche
Die Braunschweiger bundesweite Elterninitiative

Im März 1993 hatten sich aus dem Bundesgebiet insgesamt 25 Männer und Frauen schwuler Söhne und lesbischer Töchter in Braunschweig getroffen und sich miteinander ausgetauscht. Unter ihnen war auch die Pfarrfrau Ingrid Blöhbaum. Zusammen mit Isolde Braun formulierte sie an die Synode der EKD und die Synodalen der Mitgliedskirchen eine Erklärung, in der es u. a. hieß:

"Wir erwarten, daß die Kirche heterosexuelle und homosexuelle Lebensformen als gleichwertig anerkennt und als wertvoll erachtet.

Wir sehen darin die Erfüllung des Satzes "Nehmet einander an gleichwie Christus euch angenommen hat."

Wir fordern die Synodalen auf, daß unsere Söhne und Töchter als Mitarbeiter der Kirche die gleiche Behandlung und Anerkennung erfahren wie heterosexuelle Menschen.

Gleichzeitig bitten wir, daß der Wunsch auf Segnung homosexueller Paare nicht mehr unterbunden wird."

Erstmals wurde also vor nunmehr acht (!) Jahren die Bitte und Forderung nach Segnungsgottesdiensten in unserer Landeskirche ausgesprochen. Reichlich Zeit sich zu beraten und zu entscheiden.

Die Erklärung in der Landessynode und Weiterarbeit im Gemeindeausschuß

Diese Erklärung trug ich in der Maisynode 1993 während der Aussprache über den Tätigkeitsbericht der Kirchenregierung vor. Es wurde ein Ausschuß unter Leitung des Arztes und Synodalen Dr. Reiner-Joachim Glöckner, Seesen, gebildet, zu dem noch die Pfarrer Hans-Friedrich Thomsen, Christian Vahrmeier, Hartmut Albath, Joachim Wölfel und Jürgen Schwanke, Anna-Elisabeth Hardenberg, Sabine Pfingsten-Würzburg, Christa Wewetzer und OLKR Becker angehörten.

Der Gemeindeausschuß bearbeitete die Vorlage dieses Ausschusses und verabschiedete am 9. Oktober 1993 eine beachtliche Stellungnahme. Die synodalen Ausschußmitglieder Biersack, Liersch und Vollhardt unterstützten mit mir die Stellungnahme im Ausschuß, Landesbischof Müller und die Oberlandeskirchenräte Becker und Dr. Fischer äußerten sich kritisch gegenüber Einzelheiten. Der Zwischenbericht des Gemeindeausschusses gab einen guten Überblick über die Lage in der Gesamtkirche und in der Landeskirche. Der Zwischenbericht schilderte die Aktualität des Themas in vielen evangelischen Kirchen - es handelte sich also nicht um ein Braunschweiger Sonderthema - und stellte die zwei völlig entgegengesetzten Meinungen innerhalb der Kirche gegenüber, wonach einerseits Homosexualität schriftwidrig und krank wäre und geheilt werden müßte und die andere Meinung, wonach Homosexualität weder krank noch sündhaft sondern eine andere Form der Sexualität wäre. Danach wurde die Verhaltensweise anderer Kirchen in praktischen Fragen geschildert, nämlich a) Berufsverbot oder Ordination, b) zölibatäre oder öffentliche Lebensweise, c) Zusammenleben im Pfarrhaus d) Segnung schwul/lesbischer Partnerschaften.

Im Oktober 1993 lag also bereits eine von einem landessynodalen Gremium erarbeitete gründliche Stellungnahme vor.

Dieses erfreuliche Ergebnis des Gemeindeausschusses der Landessynode wurde von einem großen Kreis von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt und in einer Resolution zum Ausdruck gebracht:

"Wir fordern die Landessynode und die Kirchenleitung auf, darauf hinzuwirken, daß in Zukunft schwule Pfarrer und lesbische Pastorinnen ordiniert werden, über ihre Anstellung in der Kirchengemeinde der Kirchenvorstand entscheidet, schwul/lesbische Lebensgemeinschaften im Pfarrhaus von den Kirchenleitungen geduldet und vom Kirchenvorstand genehmigt werden und die Segnung schwuler Paare unter die seelsorgerliche Verantwortung des Pfarrres bzw. der Pastorin fällt."

Ein Segnungsgottesdienst wird also bereits von zahlreichen kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor vielen Jahren öffentlich gefordert.

Diese Resolution fand ein enormes Echo. Bis April 1994 hatten 101 verantwortliche Kirchenmitglieder aus allen Schichten der Bevölkerung, darunter 29 Pfarrer und Pastorinnen, 14 Theologiestudierende und sogar vier Vikare unterzeichnet.

Stellungnahme des Generalkonventes der Braunschweiger Theologiestudierenden 1993

Nun befaßte sich auch der Generalkonvent der Braunschweiger Theologiestudierenden und Diakonen und Diakoninnen in der Ausbildung während der Herbsttagung im November 1993 mit diesem Thema. Das war zur Unterstützung wichtig. Der Generalkonvent stellte bündig fest, daß die gemeinhin angeführten Schriftstellen ( 1. Mos. 19,4.11; 3. Mose 18,22; 20,13; Ri. 19,22-26; Röm. 1,26-27; 1. Kor. 6, 9-11; 1. Tim. 1,1o) nicht rechtfertigen, "daß Lesben und Schwule anders behandelt werden als Heterosexuelle". "Wir empfinden Homosexualität nicht als bedrohlich und fremd, da Schwule und Lesben für viele von uns zum persönlichen Bekanntenkreis gehören. Lesbische, schwule und heterosexuelle Beziehungen sind gleich berechtigt, denn jede Form der Partnerschaft kann die gleiche Erfüllung, Zuneigung und Verpflichtung zum verantwortlichen Miteinander in sich tragen". Der Konvent fordert eine verstärkte Diskussion in den Gemeinden anhand des Arbeitspapiers der rheinischen Synode "Homosexuelle Liebe" und "daß für die Ordination und Anstellung von kirchlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die fachliche Qualifikation das einzige Kriterium ist." Partnerschaft solle offen im Pfarrhaus gelebt werden können und die Segnung schwul/lesbischer Paare möglich sein. Das war eine sehr mutige Erklärung und für die Kirchenleitung ein Wink, wie in Zukunft gedacht werden würde.


Widersprüchliche Nachrichten aus der ev. Kirche

Im Herbst 1993 wurde die Lage bezüglich der Schwulenfrage in der Kirche von widersprüchlichen Nachrichten geprägt:

Die Ev. Information berichtete am 31.10.1993, daß allein in Hamburg ein halbes Dutzend homosexueller Pfarrer in Pastoraten zusammenwohnten.

Die Bischofskonferenz der VELKD sprach sich gegen die Segnung homosexueller Paare aus.

Die Hannoversche Landessynode faßte im November 1993 mit einer Stimme Mehrheit den Beschluß, schwul/lesbische Pfarrer/Innen anzustellen, was Bischof Hirschler umgehend als für die Kirchenleitung nicht verbindlich erklärte.

Vor der Helmstedter Amtskonferenz hielt im Pfarrhaus Watenstedt Pfarrer Hans Friedrich Thomsen aus Salzgitter-Bad im Herbst 1993 ein gründliches und verständnisvolles Referat zur Schwulenproblematik in der Kirche. Thomsen hatte über "Begegnungen mit Homosexuellen im Arbeitsfeld eines Gemeindepfarrers – Zur Akzeptanz einer bisher ausgegrenzten Gruppe" und einen Literaturbericht über "Homosexualität in biblischer Sicht und moraltheologischer-ethischer Bewertung" und ein Thesenpapier zu diesem Thema erarbeitet.

Streichung des § 175

1994 wurde der §175 endlich endgültig aus den StGB gestrichen. Die Öffentlichkeit, auch die Kirche nahm dies kaum noch zur Kenntnis. Ich diesem Jahr erschien die erste historische Arbeit über die schwule Scene in Braunschweig "Freiheit für die Schwulen – Braunschweigs schwule Stadtgeschichte", die aus einer Magisterarbeit von Christoph Behrens entstanden ist. Behrens hatte sich seit 1985 in der schwulen Unigruppe stark engagiert.

Die Braunschweiger HuK

1992 war auch in Braunschweig eine Regionalgruppe der HuK als Ableger der Hannovergruppe gegründet worden, die Treffen fanden im Dominikanerkloster Albertus Magnus statt, sonst hatte sich auch die Pauligemeinde bereit erklärt, uns zu den Abenden bei sich aufzunehmen. Zur Zeit ist Wolfgang Buchmeier, Kirchenvorsteher in Bad Harzburg 1. Vorsitzender.

Der Veltheimer Pfarrer Hans Jürgen Brüser engagierte sich einige Jahre im Bundesvorstand der HuK.

Die Braunschweiger HuK fand beträchtliche Unterstützung durch die Reformierte Gemeinde in Braunschweig. Diese veranstaltete im Oktober/November 1996 eine Vortragsreihe über das Verhältnis Homosexualität und Kirche, um abzuklären, ob sie in ihrer Gemeinde eine Segnung schwuler oder lesbischer Pare befürworten sollte. Prof. Josuttis referierte über "Ungeliebte Liebe und die mißbrauchte Theologie". Diesen Abend besuchten auch einige Mitglieder des Kirchenvorstandes Offleben. Von der Bibel wäre kein Einwand zur Homosexualität zu erwarten. Die Frankfurter Theologin Kerstin Söderblom sprach über "Kirchlicher Segen auch für Lesben und Schwule" und befürwortete einen entsprechenden Gottesdienst. Am dritten Abend stellte sich die Braunschweiger HuK vor. Nach dieser Reihe fasste die Reformierte Gemeinde einen Beschluß, wonach eine kirchliche Segenshandlung vollzogen werden könnte.

Die Schwulenfrage in der Landesynode 1994

Der AIDS-Arbeitskreis legte dem Gemeindeauschuß am 8. November 1994 ein 9 seitiges Thesenpapier vor, das vom Gemeindeausschuß zu einer Vorlage an die Landessynode übernommen wurde. Darin wurden gründlich die neueren Forschungsergebnisse in der Gen- und Zwillingsforschung vorgestellt, die Bindungsfähigkeit Schwuler hervorgehoben, eine besondere Verführung Jugendlicher durch Schwule als Unterstellung abgelehnt. Sehr gründlich wurde eine besondere Sündhaftigkeit der Homosexualität aus biblischer Sicht bestritten. "Der Homosexuelle ist Sünder nicht in anderer Qualität als der Heterosexuelle und er wird auch schuldig wie der Heterosexuelle." So galt auch die Anerkennung und Achtung der Sexualbeziehung von Hetero- und Homosexuellen in gleicher Weise. Das Ehe- und Partnerschafsverständnis von heterosexuellen Beziehungen hätte sich gewandelt und machte der Kirche auch ein neues, toleranteres Verständnis homosexueller Beziehungen möglich. Eine der Trauung vergleichbare Segenshandlung wäre aber nicht möglich. Völlig anders als die Hannoversche Landeskirche wurde aus der sexuellen Orientierung kein grundsätzliches Ordinations-, Anstellung- und Einführungshindernis abgeleitet. Im übrigen wurde der Weg für individuelle Lösungen geöffnet. "Das Zusammenleben homosexueller Pfarrerinnen und Pfarrer mit ihren gleichgeschlechtlichen Partnerinnen und Partnern in Pfarrhäusern ist vermutlich in vielen Gemeinde nicht möglich, da Erfahrungen aus individueller Lebensgeschichte und religiöser Hintergrund der Gemeindeglieder dem entgegenstehen können. Unter Berücksichtigung dessen und in Achtung des öffentlichen Amtes einer Pfarrerin/eines Pfarrers sollten bei ernsthaftem Willen zur verantwortlichen homosexuellen Partnerschaft individuellen Lösungen gesucht und gefunden werden." Mit diesem verklausierten Satz hatte sich OLKR Becker für persönliche Lösungen im Einzelfall einen Weg geöffnet.

Dieses Papier war aus der Sicht der Forderung der Eltern und zahlreicher kirchlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unbefriedigend, aber vom bisherigen Stand der Landeskirche aus doch ein großer Schritt nach vorne.

Bei der Landessynode am 24.-26. November 1994 in Braunschweig wurde das Papier des Arbeitskreises diskutiert und folgender Antrag vorgelegt: "Die Landessynode der ev.-luth. Landeskirche nimmt das Thesenpapier des Gemeindeausschusses zur Homosexualität als hilfreichen Zwischenbericht zustimmend zur Kenntnis. Sie bittet die Kirchenvorstände und Gemeinden , über diese Vorlage zu diskutieren und so zur weiteren Arbeit am Thema beizutragen." Es hatte im Vorfeld der Synode Gegenwind gegeben. Das Ehepaar Renner hatte den Synodalen das Heft Nr.95 von "Sexualethik und Seelsorge" zugeschickt, das aus der Sicht des weißen Kreuzes Homosexualität als therapierbar beschreibt, d.h. aus der Sicht eines glücklichen Schwulen die Zerstörung seiner schwulen Identität. Die Pfarrer Thomas Capelle (Hordorf) und Johannes Dose (Wolfenbüttel) hatten in einem offenen Brief die Absetzung dieses Tagesordnungspunktes gefordert und sahen nun sogar die Bekenntnisgrundlage der Landeskirche gefährdet. Dr. Glöckner stellte das Papier für den AIDSAusschuß vor, Pfr. Liersch empfahl als Vorsitzender des Gemeindeausschusses der Synode die Annahme. Scharfe Kritik äußerten Propst Fiedler und Oberstudienrat Rieckmann, Helmstedt. Sie erreichten die Herausnahme des Wörtchens "zustimmend". Als sich nun auch noch eine Diskussion über das Wörtchen "hilfreich" entzündete, machten sich die Mitglieder des Gemeindeausschusses Frau Pfr. Herrmann, Propst Schinke, Pfr. Vollhardt, Pfr. Römer und der Synodale Klebe für eine Annahme eines vom Synodalen Bosse vorgebrachten neuen Antrag stark.

Er lautete:

"Die Landessynode nimmt den Bericht des Gemeindeausschusses zur Homosexualität, der auf dem Thesenpapier der darin bezeichneten Arbeitsgruppe aufbaut, als hilfreich für die weitere Thematik zur Kenntnis und dankt für die geleistete Arbeit. Sie bittet die Kirchenvorstände und Gemeinden, über diese Vorlage zu diskutieren und so zur weiteren Arbeit am Thema beizutragen".

Dieser Antrag wurde ohne Gegenstimmen bei drei Enthaltungen angenommen.. Sehr bedenklich stimmte es, daß der in dieser Synodalsitzung frisch gewählte neue Oberlandeskirchenrat Kollmar dem Beschluß völlig ablehnend gegenüberstand, später eine reichlich überholte Stellungnahme einer konservativen Kirchengruppe im Gemeindeausschuß vorlegte und sich bis heute einem Gespräch mit Mitgliedern der Braunschweiger Regionalgruppe der HuK, anders als Frau OLKR Müller, verschlossen hat.

Die Stellungnahme erreichte die Gemeinden und 10 Pfarrer der Landeskirche (Stefan Gresing, Christian Tegtmeier, Susanne Golze, Frank-Georg Gozdek, Karl Leyrer, Dirk Westphal, M. Schultzki, Claus-Dieter Sonnenberg, Udo Hauke, Johannes Dose), der Prediger Gerhard Tittelmeier und Landeskirchenoberbaurat Renner reagierten am 20.1.95 mit einem Brief an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dem sie eine sehr ausführliche Ausarbeitung des Neumünsters Pfarrers Dieter Müller beilegten, in der noch einmal alle fundamentalistischen Positionen wiederholt werden. Alle außerehelichen Lebensformen dürften nur in sexueller Enthaltsamkeit gelebt werden, genital gelebte Homosexualität sei Sünde, keine Segnungen homosexueller Beziehungen, keine Berufung Schwuler in das Pfarramt.


Wissenschaftliche Arbeiten

Das Verhältnis von Homosexualität und Kirche wurde in unserer engeren Region nun auch auf Prüfungsebene behandelt. Im September 1995 legte Ulrike von Trotha bei Prof. Dross zur Prüfung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen eine Hausarbeit zum Thema "Homosexualität und Christentum" vor, in der sich die Verfasserin gründlich und verständnisvoll mit der Problematik auseinandersetzte. Als ein kleiner Durchbruch kann es auch bezeichnet werden, dass Vikar Thomas Meyer als Hausarbeit zum 2. theologischen Examen in Wolfenbüttel 1996 das Thema "Homosexualität als Problem der Seelsorge" vorlegte. Die Arbeit setzt sich fair mit den unterschiedlichen Seelsorgepositionen im Gespräch mit Schwulen und Lesben auseinander und favorisiert deutlich die Selbstannahme des Schwulen als Seelsorgeziel bei gleichzeitiger ständiger Überprüfung des Seelsorgers hinsichtlich eigener homophober Einstellungen.


Segnungen in Offleben

Die Diskussion um Segnungen in der Kirche wurden immer vernehmlicher. Hans Georg Wiedemann hatte in seinem 1995 erschienenen Buch "Homosexuell - Das Buch für homosexuell Liebende, ihre Angehörigen und ihre Gegner" im Kapitel "Standesamt und Gottesdienste für homosexuelle Paare" einen "Lebensbündnisgottesdienst" in einer Kölner Kirche 1994 beschrieben. Der Kirchenvorstand hatte zugestimmt. Diese Zustimmung konnte sich auf einen Beschluß des Europaparlamentes berufen, wonach die Nichtzulassung von homosexuellen Paaren zur Eheschließung und das Vorenthalten der vollen Rechte und Vorteile, wie sie sich aus der Eheschließung ergeben, abzuschaffen seien, ebenso die Beschneidung des Rechtes von Schwulen und Lesben auf Elternschaft und Adoption und Erziehung von Kindern.

Die im Oktober 1994 veröffentlichten Arnoldsheimer Thesen hingegen, zu denen neben 15 anderen evangelischen Kirchen auch die braunschweigische Landeskirche gehörte, hatte eine eigene gottesdienstliche Handlung nicht befürwortet. Sie hatten zwar die Ausgrenzung homophiler Menschen in Kirche und Gesellschaft als einen Irrweg bezeichnet und von der Anerkennung und Gleichstellung schwuler Lebensformen auch im Dienst der Kirche gesprochen. Dann aber fielen sie wieder zurück in die herablassende Diktion von der "seelsorgerlichen Zuwendung". Mit diesen Thesen war also wenig für die Praxis gewonnen.

Woanders war man da schon weiter. In einer Hannoverschen Kirchengemeinde veranstaltetet die Hannoveraner HuK bereits 1993 eine Partnerschaftssegnung. Bei mir meldete sich eines Tages telephonisch ein Mann, der eine kirchliche Segnung seiner Partnerschaft begehrte. Ich war ziemlich zurückhaltend, fragte, wie er gerade auf mich käme. Er hatte rumgefragt. Ich hatte in der Schwulenzeitschrift Magnus ein Interview gegeben, das ein Braunschweiger, der nun in Holland wohnte, mit mir gemacht hatte. Mein Name war in diesen Kreisen irgendwie bekannt. Dann war er schließlich in Berlin bei der HuK gelandet und von dort eben in Offleben. Ich bat ihn, nochmal anzurufen, ich wollte mir das erst überlegen. Nach einem zweiten Telephonat verabredeten wir einen Termin in Offleben mit offenem Gesprächsausgang. Das waren nun nicht die strahlenden, sich unwiderstehlich vorkommenden Männertypen, die mir da gegenübersaßen, sondern Männer zwischen 20 und 30, die sich liebten und von mir gesegnet werden wollten. Mir war völlig klar, daß ich das nur in einem Gottesdienst und nicht privat im Amtszimmer vollziehen würde, daß ich einen solchen Gottesdienst nicht im Dunkeln nachts machen wollte, sondern in einem Gottesdienst mit Glocken und damit Einladung an die ganze Gemeinde und einer geistlichen Ordnung, die wir absprechen sollten, und daß kein Theater sein sollte mit Fernsehen und gepuschter Öffentlichkeit. Schon in den Bekenntnisschriften heißt es, daß der Gottesdienst öffentlich zu sein habe ("publice docere"), und "Winkelmessen" zu verabscheuen seien. Ich war auch der Meinung, daß ich lange genug Rücksicht auf die Kirchenleitung genommen hatte. Wir vereinbarten einen Sonnabend um 17.00, eine Zeit, die als Gottesdienstzeit in Offleben auch üblich ist. Die Sonntagsgemeinde würde nach wie vor um 10.00 kommen. Wir vereinbarten einen zweiten Termin für die Absprache der Gestaltung des Gottesdienstes. Nach dem Gottesdienst sollte im Pfarrhaus eine Feier sein. Sie waren einverstanden und als wir uns nach Wochen wiedertrafen, wollten sie immer noch zusammenbleiben und wir bastelten eine Gottesdienstordnung zusammen: Psalm, Lesung, Gebet, Lieder, Fürbitten, möglichst von Freunden und Bekannten gesprochen. Ringtausch - ich winkte ab. Das war das Symbol bei der Eheschließung und gerade das sollte es ja nicht sein. So attraktiv war denn auch nicht, was ich an Ehe um mich herum erlebte, daß die Beiden eine Ehe imitieren müßten. Schwule Partnerschaft hatte ihr eigenes Profil. Sie sollten sich was anderes überlegen und wir kamen auf einen Stein, der dann einen besonderen Platz in ihrer Wohnung haben sollte. Sie suchten sich einen aus und kamen zum dritten Mal. Ich machte daraus eine Steinpredigt. Ein sie verbindender Spruch auch als Text für die Predigt? Da hatten sie sich was überlegt. "Sei getreu bis in den Tod." Ich dachte, ich höre nicht recht. "Von wem haben Sie den denn?", fragte ich. "Von der Großmutter oder von wem?" Nein, er wäre nicht von der Großmutter, sondern wenn nun einer von ihnen stürbe, dann sollte die Verbindung nicht abreißen. Ich wurde verlegen vor soviel Enthusiasmus, aber auch ein bißchen beschämt. Das hatte mir bei einem Traugespräch noch nie ein Ehepartner gesagt. Das war nun nicht gerade eine homiletische Herausforderung , aber für diesen Fall vielleicht doch. Ich benutzte ihn bei der Einsegnung, die ich wie bei einer Konfirmation oder bei der Segnung der Eltern beim Taufgottesdienst vollzog. Es war ein buntes, fröhliches, mir ganz unbekanntes Volk im Gottesdienst und wir waren alle zufrieden. Nach dem Gottesdienst wurde in der ganzen unteren Etage des Pfarrhauses gefeiert. Am nächsten Tag, dem Sonntag, erzählte ich der Gemeinde von der Segnung und wiederholte meine Steinpredigt, die genauso für die Sonntagsgemeinde galt wie für die Samstagsgemeinde. Es gab kein besonderes Evangelium für Schwulengottesdienste. Alle standen unter dem befreienden und (auf)richtenden Wort Gottes.

Ein halbes Jahr später hatten sie sich getrennt., und ich bekam Gewissensbisse. Das waren ja die gängigen Vorurteile, daß die schwulen Freundschaften nicht dauerhaft seien. Ich tröstete mich mit der Erinnerung an die kürzeste Ehe, die ich erlebt hatte: da war der Sohn eines prominenten Schöningers mit seiner Sekretärin bei mir aufgetaucht und wollte getraut werden. Ich fühlte mich in meinen jungen Jahren wohl auch etwas geschmeichelt, daß sie zu mir kamen und machte es. Später erfuhr ich, daß diese Ehe nur einen Tag gedauert hatte. Die Frau hatte auf einer kirchlichen Trauung bestanden, war schwanger und wollte mit Standesamt und Kirche ihrem werdenden Sprößling die amtlichen Würden verleihen. Da fühlte ich mich regelrecht hintergangen. Und das waren nicht zwei Schwule, sondern Mann und Frau in den Koordinaten von "Ehe als Ordnung Gottes" und "... bis der Tod euch scheidet". Ich war ziemlich bedient.

Als ich von der Segnung der beiden Schwulen auf der Oktobersynode in Salzgitter-Bad erzählte, äußerte sich OLKR Becker ganz sachlich, daß dies seiner Meinung nach rechtlich und theologisch nicht erlaubt sei und Landesbischof Müller verband den Segen mit dem Bibelwort "Seid fruchtbar und mehret euch". Das war mir doch eher fremd. Die Presse jedoch machte aus dieser kleinen Begebenheit einen Knaller "Homosexualität erregt Kirche: Segen für ein Paar?" berichtete die Hildesheimer Zeitung.

Dann kam eine zweite Segnung hinzu: Beide wohnten in Offleben, den einen hatte ich konfirmiert, die Mutter war in der Frauenhilfe, der Kirchenvorstand hatte nichts dagegen, im Dorf gab es Stänkereien, man würde aus der Kirche austreten, wenn ich das täte. Es war ein Gottesdienst mit großer Beteiligung im Kreis mit Liedern und Lesungen, Versprechen und Vaterunser mit Handauflegung. Kein Mensch ist aus diesem Grunde damals aus der Kirche ausgetreten. Ich habe die tapfere Haltung der Offleber Eltern sehr bewundert Die Feuerwehr hatte beim Gang aus der Kirche Spalier gestanden, wir feierten nach dem Segnungsgottesdienst im Dorfgemeinschaftshaus eine fröhliche Feier, kurzum: es war richtig schön. Meine Frage war: Soll ich das nun in ein Kirchenbuch eintragen? Sollen die Beiden ein Gedenkblatt mit einem Siegel der Kirche erhalten? Ich traute mich nicht, im Kirchenbuch eine neue Spalte mit Segnungen einzurichten. Ein Gedenkblatt erhielten sie. Die Akzeptanz in der Bevölkerung und in der volkskirchlichen Kirchengemeinde war jedenfalls sehr viel größer als die zögerliche Haltung der Kirchenleitungen. Die Segnung wurde auch im Gemeindebrief unter der Spalte "Familie und Gemeinde" eingetragen.


Ein Blick in die anderen Landeskirchen zu Segnungsgottesdiensten

Wir waren in Offleben mit diesem Vorhaben keineswegs allein. Man kann deshalb beim besten Willen nicht von einem Alleingang reden. Fragen des Segensgottesdienstes wurden auch in anderen Landeskirchen diskutiert.

In der ev. Kirche in Hessen und Nassau wurden schon 1996 Segnungen sehr wohl bedacht und gründlich diskutiert. Segnungen in einem öffentlichen Gottesdienst wären in der Regel nicht möglich aber sehr wohl als Ausnahme, und seien so zu gestalten, daß in der Öffentlichkeit die Segnung als ein Ausnahmefall erkennbar sei.

1997 veröffentliche der Wiener Theologe Ulrich H.J. Körtner in der Septemberausgabe der Ev. Kommentare einen vier Seiten langen Aufsatz unter dem Titel "Segen für Schwule". Nicht nur die Ehe habe eine biblische Verheißung sondern auch "eheanaloge Lebensgemeinschaften". Körtner spricht sich unter der Überschrift "Verheißung für Homosexuelle" für einen öffentlichen Wortgottesdienst mit folgendem Segen bei einer "ganzheitlich und auf unbefristete Dauer eingegangene Paarbeziehung" aus. Die gesellschaftliche Leitbildfunktion der Ehe würde durch diese Umbewertung der Homosexualität nicht berührt.

Im theologischen Ausschuß der westfälischen Kirche wurden 1998 noch die Stellungnahmen der Gemeinden bearbeitet. Die Synode der provinzsächsischen Kirche beauftragte die Kirchenleitung 1998, liturgische Gestaltungshilfen für eine Segnung zu erarbeiten.

Ein wichtiges Kriterium ist von der Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck erarbeitet worden. Im April 1998 veröffentlichte die Landeskirche eine Thesenreihe unter dem Titel "Was dem Leben dient". Darin wird die "Lebensdienlichkeit" als Kriterium herausgearbeitet. Lebensdienlich sei es, wenn Beziehungen verläßlich und dauerhaft seien. Eine Leitbildfunktion sollten solche Lebensformen haben, die die Würde des menschlichen Lebens respektieren. "Die Würdigung anderer Lebensformen, insofern sie lebensdienlich sind, stellen Ehe und Familie als Regel nicht in Frage."

Der Theologische Ausschuß der österreichischen Generalsynode legte folgende Stellungnahme vor, in der es u.a. heißt, nicht nur die Ehe habe eine biblische Verheißung, die es öffentlich zu bezeugen gelte, sondern auch eheanaloge Lebensgemeinschaften lebten aus dem Geschenk der Versöhnung in Christus, praktizierten ihren Glauben in Vergebung und Neubeginn und bedürften der Vergewisserung durch den Segen Gottes. "Grundsätzlich ist daher nach Ansicht des Theologischen Ausschusses ein öffentlicher Segnungsgottesdienst für homosexuelle Lebensgemeinschaften nicht auszuschließen, weil es unter den genannten Voraussetzungen einen begründeten Anlaß zu evangeliumsgemäßer öffentlicher Verkündigung gibt, die im Segen ihren sichtbaren und sinnlich erfahrbaren Ausdruck findet." Der Gottesdienstausschuß der Synode erarbeitete auch eine Segnungsagende.

In einem Reader der GOK zur einer Tagung am 31.10.1998 in der Ev. Fachhochschule Hannover werden verschiedene Segnungsformulare genannt: Ein Partnerschaftssegnungsgottesdienst der HuK Hannover, eine vom Presbyterium der Kirchengemeinde Düren beschlossene Gottesdienstordnung zu diesem Anlaß, einer aus der österreichischen Kirche und einige ausgesprochen geglückte aus den niederländischen Kirchen. Die Arbeitsgruppe "Lebensgemeinschaften" der Remonstrantischen Bruderschaft Amsterdam hat folgende Vorschlag für das Versprechen beider Partner:

"Vor Gott und seiner Gemeinde will ich, N.N., hier deinen Namen N.N. mit Liebe aussprechen. Voll Freude bitte ich dich, auf Dauer Teilhaber an meinem Leben zu sein. Ich gelobe, mit Treue und Ausdauer neben dir zu stehen in guten und bösen Tagen. Und mich verlangt danach, gemeinsam mit dir den Weg nach Gottes Reich zu gehen. Möge er uns dabei voraussein."

Die Maarten Luther Kerk Amsterdam verwendet folgende Formel:

"Ich nenne dich... bei deinem Namen und in einem Atemzug will ich mit dir genannt werden. Mit dir will ich gesegnet sein und gehen all die Tage in der Sonne und in Dunkelheit. Ich verspreche, dass ich für dich ein steter Hort sein will. Auf daß Gott uns nie fehlen möge."

Es gibt auch zahlreiche Liturgiebeispiele für Segnungen von Partnerschaften aus den USA, auch wen offiziell die Kirchenleitung Segnungsgottesdienste nicht befürwortet. Das entscheidende Wort haben dort die Kirchenvorstände.

Orientierungshilfe der EKD "Mit Spannungen leben"

1996 nahm die EKD einen erneuten Anlauf, ihr Verhältnis zu den schwulen Mitarbeitern zu klären. In einer "Orientierungshilfe" der EKD vom Februar 1996 hieß es einleitend, das immer schon vorhandene, häufig aber verschwiegene Problem, wie sich die Kirche zu ihren homosexuellen Mitgliedern verhalten solle, sei zu einem unabweisbaren Thema innerkirchlicher Auseinandersetzungen geworden. Tatsächlich war dieses Thema viel weniger von uns Schwulen als eben von der Kirchenleitung verschwiegen und wie im "Falle Brinker" gerade von der Kirchenleitung in die Nichtöffentlichkeit gedrängt worden. Einleitend bedauerten die Verfasser das schwere Unrecht an den Schwulen in Laufe der Geschichte, und daß sich die Kirche oft nicht schützend vor die Angegriffenen gestellt hatte, sondern an ihnen mitschuldig geworden sei. Diese verharmlosende Feststellung ließ bereits nicht Gutes oder gar wirklich Weiterführendes mehr erwarten. Die Orientierungshilfe versuchte einen Spagat zwischen den äußerst unterschiedlichen Vorgehensweisen innerhalb der evangelischen Landeskirchen: die einen lassen schwule Partner bereits in Pfarrhäusern wohnen, wenn die Kirchenvorstände keine Einwände erheben, andere disziplinieren immer noch ihre PfarrerInnenschaft mit Berufsverbot. Entsprechend gedehnt waren die Aussagen der Orientierungshilfe mit dem bezeichnenden Titel "Mit Spannungen leben". Es gäbe eine "deutliche Spannung" hinsichtlich der biblische Aussagen. Die negativen Aussagen der Bibel bezögen sich nur "auf die homosexuelle Praxis als solches, nicht jedoch auf deren ethische Gestaltung". Und eben diese sei doch entscheidend. Im Hinblick auf die Ehe betonte die Orientierungshilfe deren Leitbildfunktion. Die Fülle des menschlichen partnerschaftlichen Lebens wäre "nur in Ehe und Familie möglich", die Enthaltsamkeit wurde plötzlich als ein Charisma gepriesen. Diakonissen, Nonnen, Mönche und Priester werden aus Beispiele für offenbar gelingende Enthaltsamkeit vorgestellt. Richtiger wäre es, endlich lesbische Ausformungen der Kaiserswerther Mutterhausdiakonie zu diskutieren und zu veröffentlichen. Es sei nicht vertretbar, das Pfarramt generell für homosexuell lebende Menschen zu öffnen, sondern es bedürfe einer "gründlichen Prüfung in Einzelfällen". Es müsse geprüft nämlich werden, ob der/die PfarrerIn auch die Bekenntnisgrundlage der Kirche anerkenne und ob er/sie ausdrücklich darauf verzichte, "die gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft als gleichrangiges oder gar überlegenes Leitbild zu propagieren". Gegen ein Zusammenleben in Pfarrhäusern sprächen insgesamt viele Argumente, allerdings wird den Kirchenleitungen auch hier notgedrungen freie Hand gelassen. Der totale Krampf dieser sog. Orientierungshilfe wurde beim letzten Abschnitt über die Segnungen deutlich. "Die Segnung einer homosexuellen Partnerschaft kann nicht zugelassen werden. In Betracht kommt allein die Segnung von Menschen". Mit dieser künstlichen Unterscheidung zwischen schwuler Partnerschaft und schwulen Menschen wiederholte die Kirche die andere ziemlich perfide Unterscheidung, Gott verurteile die Homosexualität aber liebe den homosexuellen Sünder. Nun also: kein Segen für eine Partnerschaft wohl aber Segen für Partner. Der Grund für die rabbulistische Unterscheidung wurde in Folgendem genannt: "Ihren Ort hat eine solche Segnung in der Seelsorge und der damit gegebenen Intimität. Diese Segnung im Rahmen eines Gottesdienstes vorzunehmen, kann wegen der Gefahr von Mißverständnissen nicht befürwortet werden."

Als ob eine kirchliche Trauung von Mann und Frau nicht ebensolche Intimität verlange - oder das Wort Intimität wird nur für den Sachverhalt der Verheimlichung mißbraucht - und als ob nicht auch die kirchliche Trauung frei von Mißverständnissen sei, etwa der Art, daß die Beiden nun auf Gedeih und Verderb unter einer "Ordnung Gottes zusammengeschmiedet seien und als ob wirklich Gott es sei, der die beiden zusammenführe. Diese "Orientierungshilfe" der EKD 15 Jahre nach der "Orientierungshilfe" der VELKD war keine und war im Hinblick auf die sich inzwischen weit entwickelte schwule kirchliche Kultur und Praxis ohne Bedeutung. Sie sollte ein Damm sein gegen eine ihrer Meinung nach ausufernde Praxis in einigen Landeskirchen.

Die "Gruppe Offene Kirche in Niedersachsen e.V." stellte lapidar fest, daß diese Orientierungshilfe der EKD in vielen Punkten hinter die Position vieler Landeskirchen zurückfalle. Sei sei "kaum brauchbar". Im einzelnen kritisierte sie die viel zu geringe Beteiligung von homosexuell geprägten Menschen in der Kommission, das Schuldeingeständnis der Kirche wirke lau und ungenau, die behauptete "deutliche Spannung" im theologischen Glaubensverständnis sei künstlich, die für die Pfarrerinnen und Pfarrer postulierte "Sonder-Ethik" widerspreche dem reformatorischen Bild von Kirche als Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern. Die GOK formulierte folgende Erwartungen an eine Orientierungshilfe, "statt einem wohlmeinenden Appell zur Rücksichtnahme und Toleranz, daß in ihr homosexuell lebende und liebende Menschen im Pfarramt voll anerkannt werden, ein offensives Engagement mit homosexuell lebenden Menschen in der Praxis des kirchlichen Lebens deutlich wird, das Leitbild "Ehe und Familie" als Monopol aufgehoben wird, überkommene ordnungstheologische Prinzipien überwunden und klare Positionen im Sinne homosexuell lebender Menschen bezogen werden sowie die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare im Gottesdienst befürwortet wird."


Kirchliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Gleichstellung schwul/lesbischer Partnerschaften (2000)

Die rot/grüne Bundesregierung legte Anfang 2000 einen Gesetzesentwurf zur Gleichstellung von schwul/lesbischen Partnerschaften vor. Das Kirchenamt der EKD äußerte sich umgehend unter der hoffnungsvollen Überschrift "Verläßlichkeit und Verantwortung stärken" allerdings "besorgt". "Schon die Diskussion darüber, ob eine eigene Rechtsform für gleichgeschlechtlich Lebensgemeinschaften geschaffen werden soll, ruft Besorgnis und Kritik hervor." Der besondere staatliche Schutz für Ehe und Familie dürfe nicht angetastet werden. Allerdings löst sich die Verlautbarung des Kirchenamtes von den Denkschrift "Mit Spannungen leben" und empfiehlt gesetzliche Änderungen im Mietrecht, Erbrecht, Zeugnisverweigerungsrechtes und Besuchsrecht. Die Bejahung und Stabilisierung dauerhafter, umfassender Partnerschaften gleichgeschlechtlích geprägter Menschen sei ein Beitrag zu einem Bildungs- und Gestaltungsprozeß, dessen Ausgang offen sei. Im Verhältnis zur Äußerung der Hannoverschen Landeskirche von 1980 im Falle von Pfarrer Brinker bedeutet dies eine Kehrtwendung um 180 Grad. "Es verdient Respekt und sorgfältige Beachtung, wenn nicht wenige in Kirche und Öffentlichkeit insbesondere die Risiken dieses Prozesses sehen. Aus der Sicht des evangelischen Glaubens und der evangelischen Ethik erscheint es aber durchaus vertretebar, sich für rechtliche Regelungen einzusetzen, die geeignet sind, gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften als Verantwortungsgemeinschaften zu festigen."

Diese zurückhaltende Positionen fand scharfen Widerspruch durch die Synodalpräsidenten der nordelbischen Landeskirche Langner, die mit Recht feststellte, daß der Ehe gar nichts genommen wird, sondern daß die Rechte aus dem Grundgesetz Artikel 6, die den besonderen Schutz von Ehe und Familie fomuliert - übrigens nicht den ausschließlichen! - lediglich erweitert werden. Sogar der Vizepräsident der EKD Barth wünscht eine "Beseitigung gravierender Ungleichbehandlungen beispielsweise im Miet- und Erbrecht" auch bei der Zeugnisverweigerung, schlägt aber eine Registrierung beim Amtsgericht vor.

Man muß feststellen, daß sich die Kirche in den letzten zwanzig Jahren erheblich von ihren angestammten Positionen weg bewegt hat. Die Diskriminierung schwuler Menschen und schwuler Kultur wird verurteilt, das Zusammenleben akzeptiert, die rheinische Synode hat Ende 1999 sogar unter gewissen Umständen einer Segnung zugestimmt. Über einen solchen Gottesdienst berichtete Pfr. Wiedemann in der Weststadtgemeinde in Braunschweigin der Reihe "Dinner und Dialog" im Januar 2001

Die Kirche bedenkt nicht, wie diese und andere Einschränkungen diskriminierend wirken. Sie sieht vor allem rückwärts auf ihre eigenen unzulänglichen Positionen. Es bleibt viel Aufklärungsarbeit zu leisten, wobei die offiziöse Kirche hinter der Stimmung und dem Einverständnis in vielen Gemeinde weit hinterherhinkt. Wir sind in den Gemeinde doch schon sehr viel weiter als die Brüder und Schwestern im leitenden Amt der Kirche.

Die verallgemeinernde Äußerung des Bischofs übersieht die lange Entwicklung der Schwulenfrage in unserer Landeskirche und in der Landessynode. Wieder einmal versteckte sich die Kirchenleitung hinter der Haltung der EKD anstatt wie ein wendiges Lotsenboot reformierend und ausprobierend neue Wege zu gehen.

Entwurf für eine Segnung einer Lebensgemeinschaft

In der Agendenkommission der Landeskirche hatten wir uns seit Anfang der 90iger Jahre dem Thema "Segnungen" zugewendet und dabei auch einen Entwurf für "Segnung einer Lebensgemeinschaft" ausgearbeitet. Mir war bei der von mir vorgelegten Arbeitsvorlage, die dann noch gründlich in der Kommission bearbeitet wurde, wichtig, daß es gleichgültig wäre, ob diese Lebensgemeinschaft zwischen Männern und Frauen oder zwischen Männern oder zwischen Frauen geschlossen worden war. Nach wie vor bin ich der Auffassung, daß es kein besonderes Wort Gottes für Schwule gibt, das nicht auch für Heterosexuelle gälte und daß nicht die Art der Liebe ausschlaggebend ist sondern die Tatsache, daß beide sich in gegenseitige dauerhafte Verantwortung begeben und glauben dürfen, von der Liebe Gottes getragen zu sein.


Vorschlag für die Segnung einer Lebensgemeinschaft

Musik zum Eingang

Votum und Begrüßung

Dies ist der Tag, den der Herr macht; laßt uns freuen und fröhlich an ihm sein. O Herr, hilf! O Herr, laß wohl gelingen!

Ihr seid zur ....-Kirche gekommen, weil ihr für eure Lebensgemeinschaft Glück und Segen von Gott erwartet. Laßt uns an diesem festlichen Tage miteinander sein Wort hören und für euch beten. In Gottes Namen wollen wir euch die Hände auflegen und euch segnen.

Lied

Im Wechsel Psalm 121 oder 106, 36,6-10 oder 100,1b-5

Gebet

Heiliger Gott, du treuer Vater und fürsorgliche Mutter.

Du kennst uns und weißt, wie wir es meinen. Verbinde dich mit uns, damit unsere Liebe stark und fest bleibt. Erleuchte uns durch deinen Heiligen Geist, daß wir deinen Willen erkennen und unser Leben in deinem Sinne gestalten.

Durch Jesus Christus, unsern Heiland.

Alle: Amen.

Ansprache Lied

Lesung

Setzt euch mit allen Kräften dafür ein, daß sich Liebe auswirkt, die zum Leben hilft. Das ist sinnvoller Gottesdienst.

Laßt euch nicht von dem bestimmen, was man so allgemein denkt und tut. Sondern werdet anders durch neues Denken und ergründet, worin sich Gottes Wille erweist, was weiterhilft, was dem Leben gerecht wird und zum guten Ende führt.

Keiner sollte so eingebildet sein, sich alles allein zuzutrauen. Sondern jeder soll ehrlich sein gegen sich selbst und sich auf das besinnen, was der Glaube von ihm fordert.

Christliche Liebe heißt, daß wir uns wirklich füreinander einsetzen anstatt viele Worte darüber zu machen.

Setzt euch nicht rücksichtslos durch. Nutzt euch nicht gegenseitig aus, sondern seid auf das bedacht, was für den andern gut ist.

Wendet euch einander in herzlicher Liebe zu und behaltet Achtung voreinander. Schiebt nicht vor euch her, was ausgesprochen und getan werden muß. Habt Vertrauen zu dem Geist, der euch zusammenführt. Dann ist euer Leben vom Glauben an den Herrn bestimmt. Darin liegt eure Hoffnung. Freut euch darüber und haltet euch daran bei allem, was euch den Mut nimmt

Seid nicht nur im vertrauten Kreis füreinander da, sondern seid offen für alle, die euch begegnen und euch brauchen.

(Röm. 12, 1-3.9-13 nach der Agende für die Ev. Kirche von Kurhessen-Waldecke, III)

oder:

Vor allem anderen seid drauf bedacht, daß Liebe unter euch lebendig bleibt. Denn Liebe findet ihren Weg über jeden Abgrund hinweg, der sich zwischen uns auftut. Sie vergibt und findet Vergebung. Seid offen füreinander und nehmt auch andere mit ihren Sorgen in euer Leben auf, ohne darüber viele Worte zu machen. Setzt euch füreinander ein, jeder mit seinen Fähigkeiten; nutzt die verschiedenen Möglichkeiten aus, die sich euch bieten, und wendet alles, was euch gegeben ist, sinnvoll an. Aus allen Äußerungen laßt die Wahrheit Gottes sprechen. Wenn euch eine Aufgabe gestellt ist, dann erfüllt sie in dem Bewußtsein, die Kraft dazu nicht aus euch selbst zu haben. Damit in allem, was unter uns geschieht, Gott zur Geltung komme als Liebe im Sinne Jesu Christ. Sie wird gültig sein und ihre Kraft erweisen in allen dahingehenden und kommen Tagen.

(1. Petr. 4, 8b-11 nach der Agende für die Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, III).

oder:

Das Wort Christ spricht euch an: auf Liebe, die zu Hilfe kommt, auf den Geist, der zusammenführt, auf Güte, die sich dem anderen zuwendet. Freut euch darüber und seid auf Gemeinsamkeiten aus, auf Liebe, die euch ebenbürtig macht. Bemüht euch um gegenseitiges Verstehen und seid einig in dem, worauf es ankommt. Achtet darauf, daß es keine Streitereien gibt, wenn jeder nur sich selbst gelten läßt. Nehmt vielmehr Rücksicht aufeinander und versucht eher, dem anderen gerecht zu werden, als selbst recht zu behalten. Seid nicht nur auf das bedacht, was für euch gut ist, sondern mehr noch auf das, was der andere braucht. Jeder lebe so, wie es im Sinne Jesu Christi ist.

(Phil. 2, 1-4 nach der Agende für die Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck, III)

So steht geschrieben im Brief an die Römer im 15. Kapitel:

Der Gott der Geduld und des Trostes schenke euch die Einmütigkeit, die Christus Jesus entspricht, damit ihr Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, einträchtig und mit einem Munde preist. Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes."

(Röm. 15, 5-7)

oder: 1. Mose 1,26 Hohes Lied 86-7a, Joh. 15a-12, 1. Joh. 4 16b

Anrede und Segnung

Die Gemeinde erhebt sich.

Die Heilige Schrift bezeugt, daß Gottes Liebe zu uns niemals endet. Darauf könnt ihr in eurer Lebensgemeinschaft vertrauen.

So gebt euch einander das Versprechen eurer Liebe und Treue!

Erste Form:

NN:

N., ich nehme dich als meine Partnerin / meinen Partner aus Gottes Hand. Ich will dich lieben und achten, dir vertrauen und treu sein. Ich will dir helfen und für dich sorgen, will dir vergeben, wie Gott uns vergibt. Ich will zusammen mit dir Gott und den Menschen dienen. Solange wir leben. Dazu helfe mit Gott. Amen.

NN:

N., ich nehme dich als meinen Partner / meine Partnerin aus Gottes Hand, Ich will dich lieben und achten, dir vertrauen und treu sein. Ich will dir helfen und für dich sorgen, ich dir vergeben, wie Gott uns vergibt. Ich will zusammen mit dir Gott und den Menschen dienen. Solange wir leben. Dazu helfe mir Gott. Amen.

2. Form

Die Heilige Schrift bezeugt uns die Freundlichkeit und Liebe Gottes. In der Gewißheit (im Bewußtsein) seiner Nähe können wir (als Frau und Mann / als Männer/ als Frauen ) miteinander leben.-

Wollen Sie / Wollt Ihr im Vertrauen auf Gott und in der Verantwortung vor ihm miteinander leben, Schönes und Schweres miteinander teilen und einander die Treue halten, so bestätigen Sie / bestätigt das durch ein "Ja, mit Gottes Hilfe".

NN: Ja, durch Gottes Hilfe

Gemeinsame Fortsetzung:

Reicht einander die rechte Hand. Geht hin mit Gott, bewahrt den Glauben. Seid, wo ihr geht und steht, Zeugen der Hoffnung, bleibt in der Liebe Gottes und gebt sie weiter an die Menschen in eurer Nähe.

(Unter Auflegen der Hände können von Gottesdienstteilnehmern folgende Segensworte gesprochen werden):

Gott erhalte euch und uns den Frieden in unserm Lande.

Gott gebe euch allezeit ein fröhliches Herz und guten Mut.

Gott schenke euch Gesundheit und Lebensfreude.

Gott bewahre euch vor dem Bösen.

Gott führe euch auf rechter Straße um seines Namens willen.

Oder: frei formulierte Worte.)

Seid gesegnet im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Fürbittengebet

Laßt uns beten für NN und NN, daß sie glücklich sind auf ihrem gemeinsamen Lebensweg, daß sie sich gegenseitig achten und fördern und aufgeschlossen bleiben für alles Gute und Schöne, was ihnen begegnet. Daß sie auch in Stunden der Einsamkeit und Enttäuschung einander zugewandt bleiben.

Wir bitten Gott: Erhöre unser Gebet.

Für alle, die diese beiden bisher geleitet haben,

für ihre Familien, in denen sie aufwuchsen,

für ihre Bekannten, ihre Freunde und Freundinnen,

daß Gott sie alle verbunden halte in der Nähe und Ferne.

Für alle, die sich ihr Ja-Wort zu einer Lebensgemeinschaft gegeben haben, daß sie in Freude und Leid zusammenstehen und miteinander die Lasten des Lebens tragen.

Wir bitten: Gott, erhöre unser Gebet.

Herr, dir allein gehören Ruhm und Ehre und Anbetung, jetzt und alle Zeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit..

Alle: Amen.

Alles, was gut ist und glücklich macht, komme über euch. Der Friede Gottes umhülle euch wie ein Mantel. Er segne euch und behüte euch jetzt und in Ewigkeit.

Gemeinde: Amen.

Vaterunser
Segen
Musik zum Ausgang


Predigt am Vorabend des CSD dem 26.6.1998 in der Berliner Paul Gerhardt Kirche

von Dietrich Kuessner vorgegebener Predigttext: Psalm 16,11 ff.

Thema des Gottesdienst war: die von Gott gewollte, befreite, und berührte Gemeinde

Liebe Schwestern und Brüder an der Paul Gerhardt Gemeinde,

ihr von Gott gewollte, befreite und berührte schwul/lesbische geprägte Gemeinde,

liebe Zaungäste, die ihr vielleicht erleben wollt, wie man beides zusammenbringen kann: den lieben Gott und eine schwul/lesbische Lebensweise,

liebe Gemeinde am Vorabend des CSD!

Wir feiern in diesem Jahr ein Jubiläum: den 20. CSD in Berlin. 1979 die erste CSD Demo durch das damals fest vermauerte Berlin. Und wie gerne erinnere ich mich an den CSD, als es zum ersten Mal durch das Brandenburger Tor ging, und es goß in Strömen und kühlte unsere Begeisterung. Die HuK damals noch zu Fuß, seit letztem Jahr mit einem Wagen dabei. Und immer mehr trauen sich: ich habe mir doch die Augen gerieben, als ich zum ersten Mal einen Block schwuler Polizisten mitmarschieren sah, also jene, vor denen wir uns im Park hinter den nächsten kräftigen Baum verdrückten, wenn sie mit aufgeblendetem Autoscheinwerfer Streife fuhren.

Inzwischen können die Unermüdlichen den CSD öfters feiern. Hamburg hat ihn hinter sich, Köln noch vor sich.

Was 1979 eine kantige, profilierte, zwar kleine, aber vor allem politisch motivierte Demo war, ist heute zu einem riesigen, bunten, lustvollen Umzug geworden. Die politischen Parolen kommen am Ende, im autonomen Block, im Wahljahr rücken sie vielleicht wieder weiter in die Mitte.

Im nächsten Jahr wieder ein Jubiläum, dann aber weltweit: 30 Jahre seit dem 27. Juni 1969, als sich 500 Schwule und Lesben in der Christopher Street Nr. 53 in New York vor der Subkneipe Stonewall eine befreiende Prügelei mit der verblüfften Polizei lieferten. Denen biblische Vergleiche und Bilder zur Verfügung stehen, sagen: wir haben endlich Land erreicht. Jahrhundertelang - aus der Optik der Heten - als verfaulendes Treibholz in der Brühe der schwulenfremden und schwulenfeindlichen Gesellschaft diskriminiert - nun endlich Land, wie Noah nach der Sintflut, und immer mehr Land und festen Boden unter den Füßen. Es ist wichtig, daß wir uns die Anfänge immer wieder in Erinnerung rufen. Ich fände es notwendig, daß jede Demo Jahr für Jahr mit der Verlesung ein und derselben gültig formulierten Gründungsgeschichte beginnen würde.

Uns paar Christen im Gewimmle des CSD ist es eine zusätzliche Freude, daß wir am Vorabend des CSD auch unsern Glauben nicht verstecken, unsere Lieder singen, uns in der Schrift tummeln, in diesem Jahr in den Palm 16 vertiefen, abgedruckt in der Gottesdienstordnung.

Wir finden den Zugang zu diesem Text von hinten: v 11: "Du tust mir kund den Weg zum Leben" - "Du zeigst mir den Weg zum Leben", übersetzt ein anderer.

Den Weg zu einem ungeteilten Leben mit DIR,

mit dem unerschöpflichen und unbegreiflichen, mal ganz fremden und fernen und mal ganz nahen und dann vielleicht tief befriedigenden Gott - oder: wenn er ganz nahe ist, können wir auch sagen hören: weh mir, ich vergehe.

Ein Leben mit Gott ist ein ungeteiltes Leben, nicht aufgetrennt in Schwule und Heten, in Gesunde und Sterbenskranke, in Asylsuchende und Einheimische, in Fromme und Gottlose. Solche Grenzen ziehen Menschen, vielleicht aus Selbstschutz oder aus Unwissenheit oder aus Hochmut. Im Leben mit Gott gehören sie alle zusammen.

Zusammen unter seinem Wort,

unter seinem Ja: ihr seid von mir gewollt und befreit.

Und unter seinem Nein zu Gewalt und Abgrenzung und Arroganz, die es unter uns Schwulen ja auch gibt.

Das Leben mit Gott ist nicht die Kuschelecke, in der wir uns im Glauben gemütlich niederlassen. Das Leben mit Gott ist die Erfahrung einer phantastischen Freiheit, eines scharf schneidenden Widerstandes und einer unermüdlich und immer erneuerten Einladung, sich auf ihn einzulassen.

Es heißt nicht: du tust uns das Leben mit Gott kund, sondern den Weg zum Leben, soll heißen: wir sollen uns gefälligst bewegen, auf den Weg machen, uns rühren, uns bemerkbar machen, Schritte nach vorn wagen.

Wenn uns sein Wort berührt, wenn der Funke seiner Freiheit uns versengt, nämlich unser altes, koddriges, abgeducktes, angepaßtes, knechtisches Wesen - das merken wir daran, daß wir uns bewegen. Glauben heißt: sich bewegen, berührt von dem befreienden Wort Gottes.

Aber Vorsicht: daß man sich nicht in der Richtung irre.

V. 4: "Aber jene, die einem andern nachlaufen, werden viel Herzeleid haben".

Das ist nicht von zweien gesagt, bei denen sich einer löst und mal für eine Nacht "einem andern nachläuft", oder der nach 20jähriger Freundschaft einem "andern - natürlich dann Jüngeren - nachläuft", - nein, das müssen die schon unter sich ausmachen. Unsere, in der schwulen Kultur strukturell angelegte Mehrfachbeziehungen, die es in der gegengeschlechtlichen Lebensweise ja auch gibt, sollten wir sehr viel positiver in der öffentlichen Diskussion rüberbringen.

Hier ist gemeint: jene, die einem andern Gott nachlaufen, andern Göttern nachlaufen, die werden das zu spüren bekommen, schmerzlich zu spüren bekommen, da wo das Leben pulsiert: am Herzen. Auch uns, den schwul geprägten und liebend gern schwul/lesbischen Christinnen und Christen hält Gott das erste Gebot vor, wie allen andern - es gibt keine besonderes Wort Gottes für die Schwulen - also dasselbe erste Gebot: ich bin der Herr, dein Gott, ihr sollt andere Götter neben mir nicht haben.

Also die sich für die unschlagbaren und unwiderstehlichen Götter halten und aufspielen,

die einen, weil sie aus Erfahrung so unendlich gut Bescheid wissen, wie es abläuft,

andere, weil sie sich an der dauerhaften Unterdrückung freuen,

wieder andere, weil sie sich so toll und jugendlich vorkommen.

Ihr unwiderstehlichen Götter, seht euch um, ob das die Richtung ist zu einen Leben, wo "Freude die Fülle" ist und wo v. 9 "deine Seele fröhlich ist".

Und so geht es weiter: "auch dein Leib wird sicher liegen".

Wie gerne würde ich jetzt eure Phantasieen abrufen: "Auch dein Leib wird sicher liegen"- so viel ist gewiß:

Die Körperlage gehört zu einem Leben mit Gott, das uns Wonne verspricht,

ohne Einschränkung und es folgt kein "aber". Die Körperlage gehört zu einem Leben mit Gott.

Die Kirche kann von ihren schwulen Mitgliedern viel lernen, nämlich, daß der Körper zum Glauben gehört, daß die sexuellen Regungen und Wünsche und Verschlungenheiten zu einem ungeteilten Leben mit Gott dazugehören, und diese deshalb unter dem befreienden Ja und unter dem richtenden Nein Gottes stehen.

Auch mein Leib wird sicher liegen - mit einer überraschenden Begründung, auf die wir nicht gekommen wären: "denn du wirst mich nicht dem Tode überlassen."

Wenn ein Jude - damals wenigstens - "Leib" hörte, "Körper" - dann hörte er auch immer "Hinfälligkeit", "Absterben", "Auslaufen", "Abgang", "Verwelken", wie eine Blume, wie ein blühendes Gras, und dann ist es nimmer da. So ist es bei einem Leben mit Gott nicht.

Du tust mir kund den Weg zum Leben, zu einem die Enttäuschung, den Frust, die Hinfälligkeit, den Tod überwindendes Leben. Das Ende des Weges ist nicht die "Grube", sondern das Leben, mit Körper und Seele, mit Außenhaut und Innenraum, das sich bewegt, das festen Boden unter den Füßen hat. "Ich lobe den Herrn, der mich beraten hat, auch mahnt mich mein Herz des Nachts. Ich habe den Herrn allezeit vor Augen; steht er mir zur Rechten, so werde ich fest bleiben." "Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist, weil Leben heißt: sich regen". Amen.


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