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Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Eine andere Welt ist moeglich

Zum Attac-Kongress in Berlin 19.-21-Oktober 2001

Der Audi Max der Technischen Universität in Berlin an der Strasse des 17. Juni ist am Freitag abend knallvoll. Juliane Meinhold von Attac Berlin berichtet von 2.500 Anmeldungen zum Kongress. Erwartet waren 600. In ganzen Republik sind inzwischen viele Ortsgruppen von Attac gegründet worden, die nun nach Berlin gereist sind. Attak streitet für eine Globalisierung von sozialer Gerechtigkeit,Umweltschutz, Basisbewegung und Menschenrechten, notwendigerweise verbunden mit einer scharfen Kritik an der hemmungslosen Marktwirtschaft und einer zerstörerischen neoliberalen Weltwirtschaftsunordnung. Im Audi Max herrscht Campusatmosphaere, vollbesetzte Raenge und Treppen, lueckelosen Sitzreihen,andere stehen geduldig bis zum Eingang. Die Brechtschülerin Kaethe Reichel, die schon bei der Demo am Gendarmeriemarkt vor einer Woche zum Schluss sprach,liest zur Auftaktveranstaltung Scenen aus Brechts Die Heilige Johanna der Schlachthoefe.

Horst Eberhard Richter hielt den ersten Hauptvortrag.
Die im Mittelalter vorherrschende Ideologie einer goettlichen Allmacht, die den Menschen in Unmuendigkeit gehalten habe, sei abgeloest durch die Omnipotenzvorstellungen von Menschen oder säkularisierten Ideologien, wie z.B.die einer grenzenloser Freiheit und unantastbareren Unverletzbarkeit in der westlicher Zivilisation oder einer neoliberalen Weltwirtschaftsunordnung.Dieser Staerkekult absoluter Unabhaengigkeit sei durch das Attentat am 11.September in New York schwer erschuettert. Daraus sei die Lehre zu ziehen: wir sind alle aufeinander angewiesen. Sicherheit sei nur gemeinsam zu schaffen, nie gegeneinander. Die Megalomanie - das muesse der Westen lernen - sei eine der tragenden Ursachen für den Terror. Terror sei die entstellte Form der Globalisierung. Der Westen muesse dialogfaehiger werden und ein Gefuehl und Verstaendnis fuer die anhaltenden Erniedrigungen ganzer Kontinente und Kulturen entwickeln.

Die vollen Kirchen nach dem 11. September spiegelten ein Gefuehl der Angst, dass etwas nicht in Ordnung sei und eine Ahnung von der Bruechigkeitder Fundamente westlicher Zivilisation. Statt Gewalt und Krieg, die nur Trotz hervorriefen, muesse die Einsicht Raum gewinnen, dass die Vision des Neoliberalismus pleite sei, der die Welt unheilvoll gespalten habe. Die Bereitschaft zum Wandel sei spuerbar. Dafuer sei Attac ein deutlicher Hinweis. Solidaritaet sollte nicht als Gehorsam verstanden werden sondern wie zu Willy Brandts Zeiten als Beistand.
H.E.Richter hatte im Programmheft in einem Beitrag unter dem Titel "Solidaritaet? Plaedoyer fuer eine kritische Selbstbesinnung - Ueber den Zusammenhang von oekonomischer Ungerechtigkeit und gewalttraechtiger Spannung und die Rolle der globalisierungskritischen Bewegung" bereits einen Signalbeitrag geschrieben.
Im Neuen Deutschland schreibt er in der Samstagausgabe eine Gastkolumne unter der Ueberschrift: Zuhoeren lernen.
Keine Beruehrungsaengste mit einer sozialistischen Tageszeitung. Die alten CDU-Ausgrenzungsmechanismen, die von Schroeder/Fischer anachronistisch wiederaufgewarmt werden, ziehen nicht mehr wie frueher.

Nach H.E. Richter sprach als Vertreter der Landlosenbewegung in Brasilien Joao Batista de Oliveira aus dem Bundestaat Sao Paulo, der grosse Hoffungen auf Attac setzt. Land duerfe nicht als Ware gehandelt werden, sondern muesse allen Bewohnern dienen. Aber Land werde als Symbol fuer Macht missverstanden und deshalb hassten die Reichen die Armen in Brasilien. Der Widerstand muesseglobalisiert werden in der Hoffung des Tagungsmottos "Eine andere Welt ist moeglich".

Als letzter sprach ausfuehrlich der Schweizer Jean Ziegler, UNO-Sonderberichterstatter fuer das Recht auf Nahrung, der mit zahlreichen Beispielen den taeglichen Hungertod Tausender in der Welt und die Aussichtslosigkeit der heranwachsenden Kinder schilderte.
Die von unterernaehrten Muettern Geborene nannte er die von Geburt an Gekreuzigte.
Die Erde koenne zwar 12 Milliarden Menschen ernaehren, aber der Neoliberalismus habe laengst eine dritten Weltkrieg entfesselt. Die Welt lebe an einer Abbruchkante, in der Zivilisation und Demokratie verschwinden koennten. Die sozialen Bewegungen in der Welt, zu denen nun auch Attac gehoerten, haetten in der planetarischen Zivilgesellschaft den Auftrag, den Widerstand gegen diese Zerstoerung der Erde zu organisieren. Es muesse ein oeffentlicher Raum fuer diese kritischen Anfragen wieder hergestellt werden, denn es gibt nach Adorno kein richtiges Leben im falschen. Sie koennen alle Blueten abschneiden, aber nicht den Fruehling beherrschen.

Nach diesem verheissungsvollen Auftaktabend begann es am Sonnabend mit einem eineinhalbstündigen Auftaktplenum, bei dem Barbara Unmuessig von WEED berichtete. WEED (World Economy, Ecology & Development) ist eine der zahlreichen bei diesem Kongress vertretenen Gruppen, die die wachsende Armut und Umweltzerstoerung in den Laendern der Dritten Welt beobachtet und die Hilfsprogramme kritisch durchleuchtet. Der versprochene Aufschwung durch die Globalisierung gehe an den armen Laendern der Dritten Welt vorbei, die Handel-, Finanz- und Agrarpolitik der reichen Staaten beeinflusse die wirtschaftliche Entwicklung der armen Laender und habe dort eine zunehmende Verschuldung, soziale Ungerechtigkeit und Raubbau an der Natur zur Folge. WEED gibt es seit 11 Jahren und ist eine Art deutscher Vorgänger von Attac, das eine französische Gruendung der konservativen Zeitung Le Monde ist. Ihr Gruender und erster Vorsitzender von Attac Frankreich, Bernard Cassen, sprach danach sowie der Sozialrichter Juergen Borchert von Attac Deutschland, der insbesondere die Pflegeversicherung und die Riesterrente scharf angriff.

Danach begannen in drei Zeitblöcken von 11.30 bis 19.30 je zweistündige workshops. Ziemlich arbeitsintensiv, aber lohnend. In je 26 Arbeitsgruppen wurde u.a. die Situation in den Laendern der Dritten Welt beleuchtet, ueber die Entschuldung,die Besteuerung von Spekulationsgewinnen an der Boerse (Tobinsteuer), die undemokratischen Strukturen der Welthandelsorganisation (WTO) und des Internationalen Waehrungsfonds, die Vorkommnisse bei den Gipfeltreffen in Goeteborg, Seattle und Genua, Globalisierung, Frauen und Widerstand u.v.a.m. gesprochen. Die Seminarraeume - der Kongress verteilte sich auf drei Haueserder TU - waren unerwartet ueberfuellt. Ich war vormittags in der hoechst informativen Gruppe "Warum finanziert Afrika Europa? - Verschuldungspolitik, Armutsbekaempfung in afrikanischen Laendern" und tummelte mich am Nachmittag auf dem Markt der Moeglichkeiten, wo ich ueber die Vielzahl der an dieser Thematikarbeitenden Gruppen und Grueppchen staunte.

Im dritten Arbeitsblock geriet ich in eine als "AG wissenschaftliche Kritik

Bremen" getarnte rechtsradikale Veranstaltung, die sich mit dem Terrrorkrieg gegen USA befassen wollte, ein inhaltlich wie stilistisch erbaermliches Referat eines Studenten.
Es kam zum Tumult, als ich denen ihre nicht offengelegte neonazistische Position vorhielt. Sie waeren vom Veranstalter nicht zugelassen worden, wenn sie sich zu erkennen gegeben haetten. In Berlin spielt der fruehere APO Anwalt Horst Mahler in der rechten Scene eine peinliche Rolle.

Am Abend bot die Berliner Theatergruppe Compagnie ihr neues Stueck Hotel Justice auf, ein dramatisch langweiliger, moralischer Appell. Zwei weisse Maenner und ein Einheimischer, ein Boss, schwatzen einer schwarzen Frau ihre unterernaehrten Kinder ab, um sie als Frischfleisch in Europa zu vermarkten.
Das sollte schwarzer Humor sein. Mir war das mehr als peinlich. Nach einstuendiger Darbietung versagte die Beleuchtung. Die entstandene unfreiwillige Pause - das Stueck sollte ohne Pause durchgespielt werden - nutzten die meisten, um sich zu verdruecken.

Am Sonntag Vormittag gab es hintereinander zwei Großveranstaltungen im Audimax, der noch gefuellter war als am Freitag abend, also ca 1.500 ZuhoererInnen.
Dabei fiel zunaechst ein ueberaus regierungskritisches Grusswort des geschaeftsfuehrenden Mitgliedes der IG Metall Schmitthenner auf, der von einer zeitgleichen Tagung in Frankfurt berichtete, die sich fuer einen deutlichen Politikwechsel ausspricht, der bisher ausgeblieben sei.
Schmitthenner begruesste eine Globalisierung als Oeffnung von Grenzen und supranationalen Zusammenschluessen, diese aber komme in der Wirklichkeit nur dem privaten Kapitalprofit zugute. Eine neue Finanzarchitaktur sei faellig.
IG Metall, als erstes bedeutendes Mitglied von Attac, haelt eine demokratische Gegenoeffentlichjkeit fuer geboten.

Nach einigen anderen Grussworten kommt es zu einem ausfuehrlichen Podiumsgespraech, bei dem Ingeborg Wick von Suedwind, Oskar Lafontaine und Wolf-Dieter Narr vom Komitee fuer Grundrechte und Demokratie miteinander diskutierten.
W.D. Narr hielt eine UNO von Unten, also eine Aktivierung der Basisbewegungen fuer zwingend erforderlich,
O.Lafontaine stritt fuer machbare kleine Schritte wie die Einfuehrung einer Spekulationssteuer von Boersengewinnen, die Austrocknung von Steueroasen und kritisierte deutlich die Schroederregierung vor allem wegen des Krieges gegen Afghanistan. Die sofortige Beendigung der Bombardierung des verarmten Landes gehoerte zu einer immer wieder vorgetragenen Forderung waehrend der ganzen Tagung.
Inge Wick schilderte die Lage der Frauen als Globalisierungsverliererinnen, weil sich deren Arbeitsbedingungen in der Dritten Welt dramatisch verschlechtert haetten.

Danach gab in einer zweiten Vortragsrunde Susan Georgine, Vizepraesidentin von Attac in Frankreich ueber Attac - eine Bewegung kommt ins Rollen, eine Art motivierenden Reisesegen fuer die kuenftige Arbeit. Tatsaechlich war der Kongress die Gruendungsversammlung fuer Attac in Deutschland. In Frankreich hat Attac bereits 15.000 Mitglieder, in Schweden 12.000, in Deutschland ausbaufaehige 2.000. Es war ein auch fuer die gesamtpolitische Landschaft in der Bundesrepublik bedeutsamer Kongress.

Angeregt von einer Veranstaltung von Attac in Braunschweig im Fruehjahr liegt der Landesynode folgender Antrag fuer die Tagung am 10.11. vor: Die Landessynode bittet das Landeskirchenamt, einen Beitritt der Landeskirche zum Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmaerkte (Attac) zu pruefen. Begruendung: Beim Weltsozialforum auf dem Gelaende der katholischenUniversitaet in Porte Allegro Februar 2001 ist unter dem Thema "Eine Andere Welt ist moeglich" dargestellt worden, wie stark die Globalisierung die weltweiten sozialen Verwerfungen vertieft. Um auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen und ihm entgegenzuwirken ist das internationale Netzwerk Attac entstanden. Es setzt sich insbesondere u.a. ein fuer eine staerkere Besteuerung von Kapitaleinkuenften, Schuldenstreichung fuer die Entwicklungslaender und die Schliessung von Steurerparadiesen. Der Antrag ist unterzeichnet von Welge, Lauer, Bengsch,Kaltschmidt, Huebner, Mahler, Mattfeldt-Kloth, Kuessner.

Dem Finanzausschuss lag zu diesem Antrag eine Stellungnahme des Kollegiums vor, die im Antrag geauesserte Bitte an den konziliaren Prozess in Niedersachsen empfehlend weiterzugeben. Das ist besser als nichts, aber auch nicht viel mehr. Verantwortliches Handeln wird mal wieder abgeschoben.

Dietrich Kuessner


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