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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Predigt von Bischofskandidat Propst Dr. Friedrich Weber, Wiesbaden

zum 27.10.2001 in St. Katharinen Braunschweig

Die Auferweckung des Lazarus

Es lag aber einer krank, Lazarus aus Betanien, dem Dorf Marias und ihrer Schwester Marta. Da sandten die Schwestern zu Jesus und ließen ihm sagen: Herr, siehe, der, den du lieb hast, liegt krank. Als Jesus kam, fand er Lazarus schon vier Tage im Grabe liegen.
Betanien aber war nahe bei Jerusalem, etwa eine halbe Stunde entfernt. Und viele Juden waren zu Marta und Maria gekommen, sie zu trösten wegen ihres Bruders. Als Marta nun hörte, dass Jesus kommt, geht sie ihm entgegen; Maria aber blieb daheim sitzen.
Da sprach Marta zu Jesus: Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben. Aber auch jetzt weiß ich: Was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen. Marta spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird - bei der Auferstehung am Jüngsten Tage. Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? Sie spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in. die Welt gekommen ist. Und Jesus sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie antworteten ihm: Herr, komm und sieh es! Jesus sprach: Hebt den Stein weg! Spricht zu ihm Marta, die Schwester des Verstorbenen: Herr, er stinkt schon; denn er liegt seit vier Tagen. Jesus spricht zu ihr: Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? Da hoben sie den Stein weg. Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich weiß, dass du mich allezeit hörst; aber um des Volkes willen, das umhersteht, sage ich's, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast. Als er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!
Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen! Viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was Jesus tat, glaubten an ihn.
(Johannes 11, 1 3.17-27.34.39-45)

Liebe Gemeinde!

Letzte Woche - Konfirmandenunterricht in einer Landgemeinde. Die Pfarrerin hat mich eingeladen, teilzunehmen. Um den Tod ging es. Den Fremden und den Eigenen. Die Bilder vom 11. September, von Kabul, von Bethlehem wurden wieder lebendig. Die grausamen Bilder vom Tod. Ein Mädchen fragt: "Und wie ist das jetzt mit dem Satz: Wir glauben an die Auferstehung der Toten?" Sie wollen es wissen: Wie gehen Christen mit diesem Satz des Glaubensbekenntnisses um? Was sagen Gräber zur Auferstehung? Worauf hoffen Christen? Wir gehen zusammen zum Kirchhof der Gemeinde.

Als wir später wieder im Gemeindehaus sind, hat sich bei den Konfirmanden etwas verändert. Sie sind nachdenklich, nachdenklich wegen der Inschriften auf den Grabsteinen.

Ein Jugendlicher, nicht älter als die Konfirmanden - dort oben hat er sein Grab gefunden. Daneben zwei Kinder eines Ehepaares, im Abstand von wenigen Jahren gestorben. Und dort der Name des Vaters eines der Konfirmanden und dicht daneben das Grab eines Nachbarn.

Die Konfirmanden beginnen zu begreifen, was es heißt, wenn aus Hoffen und Bangen, wenn aus dem zuversichtlichen Bericht des Arztes am Anfang, das unheilvolle Schweigen wird. Wenn ein Leben abbricht, lange vor der Zeit.

Und dann fragten einige nach den Symbolen auf den Grabsteinen: eine Rose, gebrochen, ein Anker, ein Schiff, die betenden Hände, das Kreuz.

"Was heißt es", so fragen sie, "wenn auf einem Grabstein die Buchstaben IHS gemeißelt sind? Was wird dort mitgeteilt?"

Sie haben dann mit der Pfarrerin den Sinn der griechischen Buchstaben, erarbeitet: I für Jesus, H für Sohn, S für Retter. Jesus Christus, Sohn Gottes, der Retter des Menschen, der hier im Grab liegt.

Das wollen die Leidtragenden weitersagen: Wir haben im Leid Trost gefunden haben. Hoffnung von dem, der sagt: "Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt und wer da lebt und glaubt an mich, der wir nimmermehr sterben."

Übrigens auch in dieser Kirche ist dieser Glaube dokumentiert. Die Epitaphe an den Säulen und den Kirchenwänden legen von ihm Zeugnis ab.

"Der wird nimmermehr sterben?"

Trost im Leid, Hoffnung und Zuversicht für das weitere Leben, Auferstehung der Toten, gibt es das auch für uns?

Zuhause lese ich den Brief einer Frau, die tief in das Dunkle hineingeführt wurde, die den Tod gesehen und sein mörderisches Regiment im Krieg und auf der Flucht hat miterleben müssen.

Sie schreibt:

"Ich glaube nicht an den Tod, obwohl er unbesiegbar zu sein scheint, obwohl alle Menschen, diesem Tod unterworfen sind. Ich glaube nicht an den Tod, weil ich den Tod in den Händen Gottes sehe. Weil Gott mit der Auferweckung Jesu Christi die Macht des Todes besiegt hat. Ich glaube nicht an den Tod, sondern an das Leben, das Gott durch die Auferstehung Jesu gibt, das nicht endet und dann beginnt, wenn ich diesem Jesus vertraue."

Diese Frau hat die Worte Jesu gehört: "Ich bin die Auferstehung und das Leben". Sie hat seine Frage an Martha auf sich bezogen: "Glaubst du das". Und sie hat eingestimmt in die Antwort: "Ja, Herr, ich glaube".

Nur Martha sagt zuvor zu Jesus: "Herr, er stinkt schon". Zu Deutsch: "Es hat keinen Sinn, lass es, vergiss es, vergiss ihn, lass die Toten dem Tod."

Das passt zu den Worten des Generals, dass der Tod im Krieg, - wirklich nur im Krieg? -, nun einmal nicht fein und angenehm sei, sondern immer mit Blut und Schmerz, mit Vernichtung zu tun hat. Mir reicht die Antwort nicht. Ist das alles, dass die Toten dem Tod gehören? Das Blut der Getöteten hier und dort schreit zum Himmel!

Ich glaube nicht an den Tod!

Stark ist dieses Wort - zu stark ist es der Marta und darum sagt sie: "Herr, er stinkt schon." Aber sie kann Jesus nicht aufhalten. "Wenn du glaubst", so sagt er ihr, "wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen!"

Noch ist Starre, Todesstarre, noch wird der Tod zu ernst genommen. Bis sie da in Betanien begreifen, dass Jesus ihn in seinen Grenzen sieht. Ganz lapidar heißt es: "Da hoben sie den Stein weg." Er hat sie nicht dazu auffordern müssen. Sie spüren: Es gibt Hoffnung, es beginnt neues Leben mitten im alten. Einer hat den Anfang gemacht mit dem Widerstand gegen den Tod. Und andere sind ihm nachgefolgt: Lazarus, Maria und Martha, Trauernde und vom Schrecken der Kriege und des Terrors Getroffene. Sie stehen auf gegen den Tod, so wie unsere evangelischen Schwestern und Brüder in Bethlehem, die ein Versöhnungswerk zwischen allen Fronten eröffnet haben, so wie Fatem Mukaker und Sumaya Farhat Naser, christliche Frauen aus Palästina, die mit Muslimen und Juden Wege der Versöhnung suchen. Und so wie die um einen aus ihrer Mitte Trauernden, die IHS auf den Grabstein meißeln lassen. Eine Demonstration gegen den Tod.

Es ist der Glaube an die Auferstehung, der solche Hoffnung freisetzt. Luther hat recht, wenn er sagt: "Ein Schluck Wasser und Bier ist eine Arznei wider den Durst, ein Stück Brot vertreibt den Hunger, Christus ist die Arznei wider den Tod."

Martha hat verstanden, worum es geht. Sie zieht nicht um in ein anderes Leben. Sie geht zurück an ihren konkreten Ort, genauso wie Lazarus ja auch, um dort dem Tod entgegenzutreten. Sie weiß nun was Leben heißt. Sie weiß, was Tod bedeutet. Sie weiß jetzt, wer der Herr beider ist und sie weiß, wer sie selber ist.

Vielleicht geht es ihr wie dem großen jüdischen Gelehrten Sussja, der am Ende seines Lebens noch einmal seine Schüler um sich versammelte. Voller Trauer baten sie ihn, um ein letztes Wort, an das sie sich halten könnten, wenn er nicht mehr unter ihnen sein werde. Da sagte der große Mann: "Gott wird mich nicht fragen, warum warst du nicht Mose. Er wird auch nicht fragen, warum warst du nicht Elia. " Verwundert fragten ihn seine Schüler: "Meister sag' uns, was Gott dich denn fragen wird." Der alte Mann antwortete. "Gott wird mich fragen: Sussja, warum bist du in deinem Leben nicht Sussja gewesen."

Ich nehme die Frage auf.

Sind wir - Frauen und Männer - in unserem Leben die Menschen, die wir sein sollten und sein könnten? Vom Tod befreit, Menschen, die Zukunft haben!

Wir Christen haben Zukunft, sie trägt den Namen Jesus Christus. Wir sind schon jetzt durch ihn befreit, dem Tod in seinen zahllosen Gestalten ein Nein entgegenzusetzen.

Vieles können wir tun - gerade in der jetzigen politischen Situation:

Den Deutschen in Deutschland die Augen dafür öffnen, dass die andere Religion nicht als fremd und bedrohlich angesehen werden muss, sondern als eine Gelegenheit zum Gespräch: das können wir. Unsere Kinder zur Ehrfurcht anleiten, zur Ehrfurcht vor allem, was lebt: das können wir. Dem Hungrigen das Brot brechen: das können wir. Auch Verbrecher vor Gericht bringen und für irdische Gerechtigkeit sorgen: das können wir. Mit unserer Macht ist einiges zu tun.

Nur, die Freude am Leben schenken, die Angst vor dem Tod nehmen, eine böse Tat ungeschehen machen, den Frieden auf Erden bringen: nein, das ist mit unserer Macht nicht zu tun. Auch mit unserer politischen und militärischen Macht nicht.

Aber die Hoffnung, dass sich der Sturm legt, dass es doch noch Frieden werden kann, dass es gerecht zu gehen mag, die können, die dürfen wir nicht aufgeben. Denn wir glauben an das gute Leben aus Gott.

Und damit bin ich beim letzten.

Ich weiß, dass Tod und Resignation zu unserem Leben gehören, auch zum Leben in der Kirche. Ich weiß, dass dieser Tod nicht erst eintritt, wenn das Leben aufhört. Er ist längst in unser Leben eingetreten und treibt sich herum, wo er gar nichts zu suchen hat.

Überall, wo menschliche Beziehungen zerbrechen. Wo wir kein Wort mehr füreinander übrig haben. Wo wir am selben Tisch beziehungslos nebeneinander sitzen. Wo wir Kirche verwalten. Ich weiß um diesen Tod, der nicht selten in unserer Kirche mit den Begriffen Resignation, Rückzug und Selbstaufgabe verbunden wird.

Meine Hoffnung für unsere Kirche ist begründet in der Lazarusgeschichte und im Geschehen am Ostermorgen. Und ich entdecke, dass diese Hoffnung vom "neuen Leben aus Christus" schon Wirklichkeit ist.

Natürlich erlebe und erfahre ich Kirche durchaus gebrochen und beschädigt, aber ich weiß, dass ihr und den Menschen in ihr die Verheißung unseres Gottes gilt:

"Siehe ich mache alles neu. "

Ernst Troeltsch hat zwar einst formuliert:

"Die Kirchen sind Schalen, welche allmählich den Kern verholzen, den sie schützen",

aber das ist nur die eine Seite. Ich sehe bei meinen Gemeindebesuchen wie an vielen Orten die Schalen aufspringen und neues Leben freigeben.

(Einige Beispiel nenne ich - sie lassen sich vermehren:
der Dienst der Gemeindekrankenpflege, der Diskurs in den Evangelische Akademien, soziale Arbeit im Stadtteil, Dekade zur Überwindung der Gewalt, Neuansätze in den Stadtzentren, die neue Gemeinschaft von Männern und Frauen, offene Gemeinden für Fremde und vor allem die ganz "normale Gemeindearbeit", verlässliche Präsenz vor Ort.)

Ich sehe, wie viele in unserer Kirche in Gottesdienst und Seelsorge dort sind, wo Menschen Glück erfahren und Leiden erdulden.

Ich erlebe Kirchenvorstände, die inmitten aller Verwaltungsarbeit danach fragen, wie in ihrer Gemeinde die gute Nachricht vom Leben aus Christus Raum gewinnen kann und die kritisch hinterfragen, was den Aufbruch behindert. Sie wissen sich herausgefordert, in ihrem kirchenleitenden Handeln auch zur Kritik an den Entwicklungen in der Kirche und Gesellschaft, die nicht von der Liebe Gottes geleitet sind.

Ich erlebe in den neun Kirchenkreisen der Propstei Süd-Nassau neben mancher Resignation und manchem Konflikt, der mehr von der Herrschsucht von Menschen in der Kirche, von Rechthaberei als von der Liebe Christi bestimmt ist, den Einsatz vieler für das Leben aus Christus in ihrer dörflichen und städtischen Gemeinschaft.

Und ich entdecke viele Menschen unserer Kirche, Pastoren und Pastorinnen, Kirchenvorstandsmitglieder, Prädikantinnen und Lektoren, Mitglieder von Synoden, und Gruppenleiter in ihrer Arbeit ganz eng bei den Menschen, die in unserer Welt zu kurz kommen. Ich entdecke, Menschen, die im Blick auf die Entscheidungen des Tages fragen:

"Was würde Jesus dazu sagen?"

Was würde Jesus zu einer um ihrer selbst willen existierenden Kirche sagen?

Ich freue mich an der Kirche, ihren Gemeinden und Menschen. Ich freue mich, weil so viele nicht nachlassen, von der Hoffnung, die in ihnen ist, zu berichten. Das braucht unsere Welt. Wir haben Hoffnung und wir haben Zukunft - Gott sei Dank!

Amen.


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