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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Seite 77

Die Kirche und der Terror, oder:

Ich bin ein schlechter Deutscher oder

Die Politik der Regierung Bush ist ein blutiger, verbrecherischer Irrtum

von Dietrich Kuessner

Was passierte am 11. September?

Am 11. September sind 35.615 Kinder verhungert, an einem einzigen Tag, so viele, wie in eine mittelgrosse Stadt passen. Von der Hungerbombe getroffen. Am nächsten Tag wieder eine Bombe. Bis heute ein Dauerbombardement. Wo sind die Mörder? Wer wirft solche Bomben? Die Nachricht stammt von der Welternährungsorganisation FAO und wurde vom Friedensnobelpreisträger von 1980 Perez Esquivel in diesem Zusammenhang vorgebracht. (Junge Welt 27.10. S. 3)

Was ist am 11. September passiert? Am 11. September wurde der Regierungspalast des amtierenden chilenischen Präsidenten Salvador Allende in enger Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Geheimdienst bombardiert und stürzte eine ganze Regierung gestürzt mit schrecklichen Folgen für ganz Lateinamerika. Das war im Jahre 1973. Wer waren die Mörder?

Und von welchem 11. September reden wir noch? Der wichtiger wäre? Am 11. September dieses Jahres opferten hochmotivierte, begabte, asketische, junge Männer - eine Idealvorstellung deutscher Wirtschaftskapitäne von der jungen Generation, nur leider verkehrt gepolt - ihr Leben und zerstörten zwei Geschäftstürme in New York und einen Teil des amerikanischen Verteidigungsministeriums, die sie für amerikanische Symbole unerträglicher ökonomischer und militanter Hybris, für Götzen hielten.

Der Angriff auf die Geschäftstürme in Manhattan war ein inneramerikanisches Ereignis. Es sollte die USA treffen und keine andere Nation. Schon die vorangegangenen Anschläge auf einen amerikanischen Zerstörer - nicht etwa im Heimathafen - sondern im Hafen von Aden im Oktober 2000 und auf zwei US Botschaften in Afrika sollten ausschließlich die Vereinigten Staaten von Nord-Amerika treffen sollten.

Viele waren geschockt. Sorry, ich nicht. Und der Berliner Taxifahrer auch nicht, der den Journalisten Christoph Dieckmann fragte, ob denn der Ami "so'n Uffriss machen würde, wenn die Dinger jestern in Deutschland rinjeknallt wären?" Nachzulesen in Freitag vom 28.9.

Krieg oder Anschlag?

Ich sah den Angriff auf die Manhattantürme auf der grossen Leinwand im Bahnhof Berliner Zoo und kaufte mir paar Abendblätter mit Extraausgaben. Die Berliner Zeitung titelte: "Krieg gegen Amerika. Zehntausende Tote. 2o Uhr Trauergottesdienst im Berliner Dom. US Bomber auf dem Weg nach Nahost." Ich habe kein Fernsehen und habe in den folgenden Stunden und Tagen viel Zeit gespart, weil: die brachten immer dasselbe, mit einer geradezu rituellen Wiederholung, immer wieder und alle glotzten und konnten sich nicht satt sehen. Auf diese Weise sparten sie sich das Eintrittsgeld für einen der üblichen Hollywood-Krimi-Apokalypse-Gruselschnulzen, an denen sich Amerikaner und Deutsche nicht satt sehen können Jetzt hatten sie es life und nun waren sie auch nicht zufrieden.

Der Boulevard übertrieb mal wieder um der Auflagenhöhe willen. Krieg war das nie und nimmer. Den hatte ich ja selber erlebt. Krieg - das war Verdunkelung, Lebensmittel auf Marken, Männer an der Front, und nachts die Sirenen. In Hamburg und Celle habe ich im Luftschutzkeller gesessen. Ne also, wer das Krieg nannte, hatte keinen Krieg erlebt. Ich fand das leichtfertig.

Oder wollte Amerika nun einen Krieg machen und irgendwo die Atombombe zünden? Was sollte denn das heissen: "US Bomber auf dem Weg nach Nahost"? Ich schämte mich wegen dieser ungeheuerlichen Verdächtigung, musste aber später feststellen, dass andere ebendieselbe Vermutung angestellt hatten und daraufhin sogar die späteren hysterischen Reaktionen des amerikanischen Präsidenten als massvoll lobten, nur eben weil er die Bombe über der Wüste Afghanistans nicht gezündet hatte. Es war kein Krieg sondern ein terroristischer Anschlag, wie es zuvor schon viele gegeben hatte, wie wir sie aus Irland und Spanien und Tschetschenien schon längst kennen, jedoch quantitativ erheblich wirksamer.

Oder doch Krieg?

Auf Seite 2 der Berliner Zeitung las ich einen Kommentar vom Michael Stürmer, dem Lieblingshistoriker von Helmut Kohl, einem telegenen Sonnyboy unter den Historikerprofessoren mit der Überschrift: "Was jetzt begonnen hat, ist realer Krieg". So endet der Kommentar: "Was jetzt begonnen hat, ist realer, unerklärter Krieg, überall und nirgendwo und das Ende ist nicht abzusehen. Die Welt wird nie wieder sein, wie sie bis gestern 9.45 Uhr Atlantic Seaboard Time war."

Das war mal wieder typisch Stürmer. Gerne in welthistorischen Perspektiven schwelgend. Aber es war voll daneben: "Die Welt wird nie wieder sein wie sie war". Was würde sich denn in den verelendeten und verarmte Slums z.B. in den afrikanischen Städten ändern? Oder hatte Amerika vor, seine Schulden bei der UNO zu bezahlen und über die UNO ein Riesen Dollarprogramm zur Beseitigung von Hunger und Armut zu starten? Stürmer war zu feige, um es auszusprechen: der unangebrachte amerikanische Stolz, die unangreifbare und unverwundbare Nummer eins in der Welt zu sein, - der war tatsächlich peinlich verletzt. Wer lässt schon gerne ein Flugzeug auf sein Verteidigungsministerium plumpsen? Der amerikanische Stolz war schwer gekränkt. Mir kam in den Sinn, dass Maria in Lukas 1 eigentlich wenig Betroffenheit äußert, als sie singt: "Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen." Maria, wo blieb da Deine Anteilnahme? Gefühllos, was?

Im Fernsehen wurde auch Kanzler Schröder gezeigt. Der überbot nun Stürmer noch und sprach von einer "Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt". Also gehörst du nicht zur zivilisierten Welt, sagte ich mir. Und Schröder brachte auch noch über die Lippen jene zwei bedeutungsschwangeren Worte, die dann noch Wochen die Runde machen sollten, die von der uneingeschränkten Solidarität der deutschen Regierung, womöglich Deutschlands, mit Amerika.

Ohne mich, entfuhr es mir. Uneingeschränkt sowieso nicht. Was Amerika braucht, ist jetzt was anderes. Einen Freund, der ihm sagt, wie sich ein Boxer, wenn er getroffen ist, clever verhält, nämlich: keine Wirkung zeigen. Weitermachen. Abwarten, was der andere noch kann. Aber in solchen aufgeregten Zeiten reden ja manche Blech, beruhigte ich mich.

Andrerseits verlange ich gerade in solcher Lage von derartigen Politikern ein abgewogenes Wort. Ich hatte das deutliche Gefühl: Hier wird was verkehrt eingefädelt. Also kein inneramerikanisches Ereignis, das zunächst von USA allein bewältigt werden muß und wohl auch kann, wie ich dachte, sondern ein Angriff auf die Welt. Und dann die scheußliche Schrödersche Einteilung in Zivilisierte und - das ergab sich von selbst - Unzivilisierte. Das ist eine Hackebeilpolitik. Hier wird geteilt, gehackt, getrennt, ausgegrenzt.

Worum geht es eigentlich dem Schröder

?

Erst später ließ er die Katze aus dem Sack: die Karten in der Weltpolitik würden neu gemischt und Deutschland will mitmischen und sich nicht mit einem Platz unter ferner liefen begnügen sondern Flagge zeigen, Zähne zeigen. Das war nicht meine Politik und nicht mein Deutschland. War ich ein schlechter Deutscher? Etwa ein Antiamerikaner? Keine Spur. Ich mochte San Francisco, Verwandte waren aus Nazideutschland nach USA geflohen, Amerika hatte viele Seiten. Solche die ich mochte und andere, die ich nicht mochte. Wie bei andern Ländern auch. Nichts besonderes also. Aber mit welchem Amerika verbündete sich Schröder auf Gedeih und Verderb? Und waren das noch deutsche Interessen? Etwa in Afghanistan?

Eines dagegen beschäftigte mich sehr: der gestohlene Tod der bei diesem Anschlag Getöteten und die grausam aus dem Alltag abgerissene Biografie, die die Hinterbliebenen nun zeichnete. Das ist bei dem amerikanischen Begräbnisritual besonders drastisch. Die Amerikaner pflegen ihre Toten wie Lebende zu schminken und herzurichten und ihre Kondolenzkarten wirkten auf mich, als ich sie zum ersten Mal anlässlich einer Beerdigung drüben sah, wie Frühlingskarten. Kein Trauerrand, eher "und ein neuer Frühling folgt dem Winter nach". Wenn dieses Ritual so abrupt gestört wird - dann ist der Tod doppelt grausam. In dieses Gefühl meines persönlichen Beileids mit den amerikanischen Hinterbliebenen mischten sich die Gesichter der chilenischen und argentinischen Mütter, die vor den Regierungspalästen gegen ihre verschwundenen Söhne und Väter protestierten, ihre Namen nannten, Woche für Woche, bis die Welt sie endlich wahrnahm, bevor die Geheimpolizei sie vertrieb. Ich konnte beides nicht voneinander trennen.

Als ich vom Bahnhof Zoo zurück in die Wohnung ging, läuteten tatsächlich die Glocken von Kaiser Wilhelm. Ich ging nach Hause und ohne Gewissensbisse ins Bett. Für mich hatte sich die Welt insofern geändert, als ich einige Zeitungen mehr kaufte, um etwas vollständiger informiert zu werden.

Der nächste Tag wurde nervig. Nun faselte alles vom Krieg. Die Berliner Zeitung, die ich eigentlich als Ostzeitung schätze, überschrieb ihren Leitartikel "Krieg gegen die freie Welt". Auch das noch! Die Geschäftstürme von Manhattan, aus denen das Blut der Verhungerten und Ruinierten der Dritten Welt tropfte, - das war ja nie und nimmer ein Symbol von Freiheit, wohl aber Symbol des hemmungslosen Marktes und einer rücksichtslosen, sozial nicht eingebundenen Globalisierung.

Die Süddeutsche erinnerte auf Seite 1 an die Hollywoodfilme und kommentierte auf Seite 4 zu meinem Entsetzen ebenfalls unter der Überschrift: "Amerika im Krieg". "Nach den Angriffen vom 11. September muss deshalb die noch vernunftgesteuerte Welt zusammenstehen und sich zu einem Feldzug mobilisieren, der sich gegen die kranken Hirne hinter dieser Barbarei richtet." Offenkundig war eine Hysterie ausgebrochen. War denn das etwa "vernunftgesteuert", dass die USA die Konvention über die Ächtung der Landminen nicht unterzeichnet hatte, dass sie die Antirassismuskonferenz verlassen hatte, den Klimaschutz gezielt vernachlässigt hatte, den Internationalen Gerichtshof in den Haag hintertrieb und ein gewaltiges Aufrüstungsprogramm neu in Gang setzte?

Die WELT übernahm von Stürmer den abwegigen historischen Vergleich mit dem japanischen Angriff auf die US Kriegsflotte 1942 in Pearl Harbour. "Krieg ist in Sicht, und es wäre fatal, sich in Deutschland mitfühlend, aber unbeteiligt zurückzulehnen. Amerika ist nicht allein verwundet worden. Es hat die westliche Welt, es hat uns alle getroffen." Also nicht nur Krieg, sondern Weltkrieg? BILD bemühte den lieben Gott: "Grosser Gott, steh uns bei!" Darüber: "Die Welt in Angst! Gibt es Krieg?" Und der Kommentar auf Seite 1: "Kriegserklärung an die Menschheit". Die Menschheit wurde auf USA und seine Trabanten reduziert. Lateinamerika, Afrika, der Nahe und Ferne Osten, aus denen bald ganz andere Reaktionen bekannt wurden, zählten offenbar nicht mehr zur Menschheit. Es gab nur noch eine Rettung: Die ganze Welt bestand bis auf einen terroristischen Rest aus Amerikanern. Und die ganze Welt müßte sich nunmehr zur Wehr setzen. Und der SPD Fraktionschef sprach dann am Mittwoch auch noch im Bundestag diese Albernheit tatsächlich aus: "Wir sind Amerikaner." Nein danke, ich nicht. Ich habe früher auf dem Weg zum Konfirmandenunterricht in Hamburg aus einer Konditorei Amerikaner gegessen, aber diesen verordneten Amerikanismus fand ich geradezu abstoßend.

Die Sprache verrät Hilflosigkeit

Politiker und Medien, die den Anschlag deuten, greifen auf religiöse, mythische Begriffe zurück. Der Anschlag sei die "Apokalypse", die Mörder"apokalyptische Reiter", dieser "Tat aus der Hölle" müsse die Solidarität der freien und zivilisierten Welt entgegengesetzt werden, erklärte der CSU Abgeordnete Glos (Tagesspiegel 13.9). Die freie Welt führe einen Kampf gegen "das Böse". Der Krieg sei ein "Kreuzzug." Die Verwendung dieser Begriffe verrät geringe

religionsgeschichtliche Kenntnisse. Die Apokalypse ist der Anfang des Weltuntergangs. Der Redner indes frühstückte fröhlich am nächsten Tag weiter. Der Begriff Hölle ist ein Symbol für ein unumkehrbares Scheitern und dient einer unchristlichen bleibenden Stigmatisierung des Gegners. Die Redner bedienen sich undifferenziert aus der Kiste des Mythus, und kaschieren die Hilflosigkeit ihrer Sprache. Dann ist es besser zu schweigen.

Ironisch überschreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen (18.9.) eine Interpretation der Rede von Bush als "Weltgericht". "Bisher gab es in den USA Gefängnis und Todesstrafe. Jetzt gibt es eine dritte Kriminalstrafe - den Krieg. So gesehen wäre der Krieg die staatliche Antwort auf eine neue Dimension des Verbrechens.

Der Alltag geht weiter

Es habe sich alles geändert, ist immer noch zu lesen. Pustekuchen. Schon am Donnerstag, dem 13.9. berichtet die BZ He: "Auf das gesellschaftliche Leben hingegen wirken sich die Vorkommnisse in den USA im Landkreis kaum aus. Die Elm-Lappwald Messe wird fortgesetzt". Bundesliga geht weiter, das Oktoberfest startet termingerecht, die Börse in New York ist nur vier Tage unterbrochen. Der Friedrichstadtpalast lässt seine Varieteprogramm weiterlaufen und verliest nur vorher eine Erklärung. Stell dir vor, es ist Krieg und keiner merkt es.

Einige merken es doch schmerzlich: eine Gymnasiallehrerin in Hohenstein wird umgehend beurlaubt, weil sie im Geschichtsunterricht der Klasse 10 zwei Tage nach der Attacke erklärt haben soll: "Endlich haben die USA einen Denkzettel bekommen. Warum mischen die sich auch überall ein." Die Eltern beschweren sich, 60 Lehrer distanzieren sich. (Leipziger Volkszeitung So !15.9.)

Eine Palästinenserin und ihre Familie aus Bramsche bei Osnabrück sollen abgeschoben werden, weil sie sich über den Anschlag freute. Sie hatte gesagt, in ihrer Heimat stürben viel Menschen, um die sich niemand kümmere. (taz 15.9.S.4) Der Lehrer Bernhard Nolz im Sauerland, der bei der Solidaritätsveranstaltung der Schule eine Ansprache hält, wird vorläufig suspendiert, weil er die Schüler auffordert, in diesem Falle den Wehrdienst zu verweigern, wenn sie aufgerufen würden, in diesen Krieg zu ziehen. (taz 6./7.10.) Ähnlich äußert sich ein evangelischer Pfarrer und wird umgehend vorläufig suspendiert.

Es gibt noch andere Veränderungen.

Die militärische und politische Entwicklung der kommenden Wochen entsprach genau dem eingefädelten Anfang: die NATO verkündete grundlos erstmals den Verteidigungsfall, fühlte sich also angegriffen, eine Groteske geradezu, aber eine Handhabe, nun selber einzugreifen. Die Engländer machten das auch ohne NATO. Die Regierung Bush ließ sich ein 40 Milliarden Kriegsprogramm genehmigen. Um das Volk bei Kriegsstimmung zu halten, wurden in Amerika "Kriegsanleihen" ausgeschrieben. Der Rüstungskonzern

Lookheed hat einen Rüstungsauftrag von 200 Milliarden Dollar erhalten, die Kriegsflotte schwärmte aus, Afghanistan wird bombardiert und wie eben in jedem Krieg auch Krankenhäuser, Rote-Kreuz Depots, zahlreiche Zivilisten getroffen. Da sollten die journalistischen Kriegsprofeten der ersten Stunde nicht zimperlich sein. So ist das eben im Krieg. Sie haben alle den Krieg ausgerufen und nun haben sie ihn.

Das Ende ist absehbar. Wie die Engländer im 19. Jahrhundert und die Sowjets im 20. Jahrhundert werden die Amerikaner im 21. Jahrhundert den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen, keinesfalls politisch. Dafür spricht das geologische Umfeld und die stark gegliederten, archaischen, politischen Stammesformen. Eine Veränderung der politischen Verhältnisse in Afghanistan und eine Rückkehr zu einer die Rechte von Frauen und Andersdenkenden respektierenden Zivilgesellschaft, die es in Afghanistan gegeben hat, wäre sehr wünschenswert. Aber das geht nur von innen und mit den Afghanen, nie von aussen, schon gar nicht massiv militant. Die Politik der Regierung Bush und der sie unterstützenden NATO ist ein blutiger, verbrecherischer Irrtum.

ANDY WARHOL als Verstehensschlüssel

Aber ich will verstehen, wie die Bushregierung zu dieser Verirrung kommt und gerate in die Andy Warhol Ausstellung in der Berliner Neuen Nationalgalerie. Ich mag Warhol nicht wegen seiner Darstellung des banalen Alltag und der horrenden Kommerzialisierung seiner "Kunst". "Bringt mir nicht den Alltag auf die Bühne" hatte Gustav Gründgens bei der Auswahl der von ihm inszenierten Stücke gewarnt. Hier hatte ich ihn vor der Nase. Und was sah ich? Geschäftstürme, aus denen Menschen herausfallen und blutig auf dem Pflaster aufschlagen, zerstörte Autos, One Dollar Noten x fach nebeneinander gedruckt, den einsamen elektrischen Stuhl als Schrecken moralischer Vergeltung, Elvis als Cowboy mit auf den Betrachter gezückten Pistole und den Atompilz. "Nie standen für diesen Künstler die Fragen mythischer, ethischer oder methodischer Probleme im Vordergrund" lese ich im Katalog auf Seite 25 und fühle mich bestätigt. Desasterbilder heißt eine Serie. Und so bleibt es bis zu seinem Tod 1986. "Es offenbart sich kein Sinn, präsentiert sich keine Wahrheit.. alles ist Oberfläche und nichts als Oberfläche" lautet die abschließende Deutung von Kirk Varnedoe (Seite 52). Und nun hab ich auch die BushRegierung kapiert. Es ist sinnlos, nach Zielen - die wechseln ständig - oder nach Sinn und Verstand der politischen und militanten Antwort zu fragen. Alles ist Oberfläche, nichts als Oberfläche. Und wenn sich der amerikanische Präsident gerne im Cowboylook gibt, dann ist das eben auch nichts als Oberfläche. Eine europäische Entsprechung zum Cowboytyp kenne ich nicht und mein Kunstverständnis ist auch ein anderes. Aber ich habe verstanden: man darf nicht viel fragen und Rationalität, Hintergrund, Sinn haben sich verabschiedet. Dann ist mir alles klar.

Von Anfang an auch nachdenkliche Stimmen

Von Anfang an gibt es kühl analysierende, nachdenkliche und warnende Stimmen. Der Islamkenner Karl Grobe sieht im Kommentar der FR vom 15.9. durch den Westen den "Wert der Humanität" (so die Überschrift) gefährdet, und warnt "vor menschenrechtsverletzendem Handeln. Wer menschliche "Kollateralschäden", also Opfer in der Zivilbevölkerung in Kauf nähme, verläßt die Grenzen der universellen Humanität". Zu den nachdenklichen Stimmen rechne ich auch die Rede von Bundespräsident Rau am Freitag, dem 14 .9 bei der Großkundgebung vor dem Brandenburger Tor. Damals wurden bereits Transparente gezeigt mit der Forderung: "Keine Bomben auf Afghanistan".

Susan Sontag kritisiert die US-Berichterstattung am Mittwoch abend in der Berliner American Academy, wo sie eine Lesung halten wollte. "Das Attentat sei kein Angriff auf die "Freiheit" oder die "freie Welt" gewesen, sondern ein Angriff auf die Vereinigten Staaten. Man würde der Öffentlichkeit nicht zutrauen, diese Realität zu ertragen" (Berliner Zeitung 15./16.9. S. 11/12).

Bettina Gaus schreibt in der taz vom 15.9.: Die Motive der Täter kennenzulernen und die Entstehungsumstände ihrer Taten zu begreifen wäre zwar weniger spektakulär "dürfte langfristig aber vielversprechender sein als alle Militärschläge".

Eugen Drewermann gibt der Mitteldeutschen Zeitung ein Interview, das am 15.9.erscheint. "Es gibt keinen Frieden und es gibt keine Sicherheit, es sei denn auf dem Wege der Verständigung, des Zusammenlebens.... Wir sollten den Krieg in jeder Form, egal, wer ihn erklärt, beseitigen, statt uns die "militärischen Optionen" offenzuhalten...Den Irak hat das Handelsembargo der USA so stranguliert, dass nach Schätzungen der UNO 3000 Menschen monatlich durch Mangelversorgung sterben..Was erwartet man?"

Der Bundesaussschusses Friedensratschlag Kassel erklärt "Dem Terrorismus durch zivile Maßnahmen und durch die Stärkung des Rechts und der Gerechtigkeit den Boden entziehen ist langfristig das bessere Mittel als der Gedanke an Rache und militärische Vergeltung." (in FR 13.9.)

Robert Leicht meditiert im Tagespiegel am Donnerstag 13.9. über die Feindesliebe als ein "De-Eskalationsprogramm". Schon das Auge um Auge sei ein Deeskalationsprogramm gewesen. Für ein Auge soll nicht mehr als ein Auge genommen werden. Das Gebot der Feindesliebe mutet die Fähigkeit zu, sich in den Täter "hineinzudenken", anstatt sie aus unserm Denken gedankenlos auszuschliessen. Das Gebot sei "der Aufruf, zu einer schärferen, realistischeren und vernünftigeren Weltsicht als gemeinhin üblich."

Noch in der Woche der Attacke auf die Türme gibt es erste Unterschriftenaktionen. "Brücken bauen, Gewaltspirale durchbrechen" heißt eine in der taz vom Sonnabend. 15.9 veröffentlichte. Sie stammt u.a. vom Friedensratschlag Kassel und zahlreichen anderen Friedensgruppen. "Militärschläge nützen weder den Opfern des Terrors noch sind sie ein geeignetes Mittel zur Verhinderung oder Eindämmung des Terrorismus."

In Sachsen-Anhalt kursiert ein Papier von Wissenschaftlern, Künstlern und Kirchenvertretern, in dem sie sich gegen eine militärische Vergeltung aussprechen. Die Wahnsinnstat Einzelner dürfe nicht zu einem Bündnisfall militärischer Vergeltung oder Rache werden.(Magdeburger Volksstimme 15.9.) Auch Bischof Noack hat unterzeichnet.

Kritische Stimmen gibt es von Anfang an in den Leserbriefspalten vor allem in den mitteldeutschen Zeitungen: "War es nicht abzusehen, dass die USA, die sich überall in der Welt einmischt, wo es um ihre eigenen Interessen geht, einem solchen Anschlag entgegensieht?" Ein anderer Schreiber kritisiert die Unterstützung bin Ladens durch die USA im Afghanistankrieg.

Der Eindruck, es habe keinen Widerspruch und keine die Kriegspolitik kritisierenden Stimmen gegeben, ist falsch. Die Unterdrückung dieser Stimmen in den grossen überregionalen Zeitungen soll dem Ausland und dem erschrockenen Bürger den Eindruck der "Geschlossenheit des deutschen Volkes" vermitteln. Die gibt es von Anfang an nicht.

Wie reagiert die Kirche?

Emotionale Betroffenheit und Mahnung zur Besinnung

Das 17 Uhr Gebet am Dienstag, dem 11.9. im Braunschweiger Dom, das Pfr. Hofer hält, ist überfüllt. Der Stadtrat hat seine Sitzung unterbrochen und ist gekommen. Im überfüllten Dom viel Möglichkeit zum Schweigen, Bitte um Besonnenheit, "Verleih uns Frieden gnädiglich" intoniert die Orgel am Ende. So wird es in vielen anderen Kirchen auch gewesen sein. Der Landesbischof ruft zu Gebetsgottesdiensten noch am Dienstag Abend auf, die auch vielfach in den Städten und auch auf dem Lande gehalten werden. Um 20 Uhr läuten dazu in allen Kirchen eine Viertelstunde lang die Glocken. Der Bischof predigt um 22.00 im Braunschweiger Dom. "Wenn Hass und Fanatismus zur terroristischen Tat werden, ist das Ende jeder Form von Menschlichkeit erreicht". (Krause in der BZ 12.9.)

Auch in den folgenden Tagen strömen Bürger/innen und, Schüler/Innen in die Kirchen. Der Bischof predigt zum Mittagsgebet erneut im Dom. Viele müssen vor der Domtür warten. Bischof Krause richtet an das amerikanische Volk die Bitte, Gewalt möge nicht zu Gegengewalt werden.

In der Stiftskirche Königslutter sind Andachten um 12.00 und 18.00 gut besucht.

In der Goslarer Marktkirche halten Propst Liersch und Pfr. Beims um 12 Uhr einen zentralen Gedenkgottesdienst, zu dem 600 Besucher, darunter auch viele Schüler/Innen kommen..

In der Helmstedter Stephanikirche findet am Donnerstag 13.00 ein ökumenischer Gottesdienst statt. Auf den Dörfern ist es unterschiedlich. Aber auch in manchen Dörfern: ungewöhnlich grosse Beteiligung oder: ungewöhnliche Andachtszeiten, die noch Wochen später eingehalten werden.

Grosse ökumenische Gottesdienste finden in den Metropolen statt, im Berliner Dom noch am Dienstag abend, in der Berliner Hedwigskathedrale am Mittwoch mit Spitzen der Politik (Schröder). Als Rau und der amerikanische Botschafter die Kirche betreten, klatschen die Gottesdienstteilnehmer. Am Freitag Mittag in Berlin Glockenläuten von allen Kirchen. Um 18.00 ökumenischer Gottesdienst im Frankfurter Dom. Im Magdeburger Dom halten Bischof Noack und Bischof Nowak einen ökumenischen Gottesdienst Ein zentraler ökumenischer Gottesdienst in der Düsseldorfer Johanniskirche. In der Hannoverschen Marktkirche predigen Bischof Homeyer und Bischöfin Käßmann. Es fällt mir auf, dass es einen entsprechenden größeren ökumenischen Gottesdienst mit Bischof Krause nicht gegeben hat.

Auffällig ist, dass junge Leute aus allen Schulgattungen des Landes in die Kirchen strömen. Sie sind durch die Presse und Fernsehen offenkundig derart eingeschüchtert, dass sie annehmen, weitere Flugzeuge würden in ihrer Nähe einschlagen und einen dritten Weltkrieg auslösen. Der vorgesehene Unterrichtsablauf muß geändert werden. Bei solchen Veranstaltungen kommt es auch zu Bedenklichkeiten. So forderte der Rat der Stadt Schöningen die Kirchengemeinden zu einer Veranstaltung auf, die zunächst in der St. Vincenzkirche stattfinden sollte. Vor 800 Teilnehmern, vor allem auch

SchülerInnen sprach Bürgermeister Pause von der "geschlossenen Front gegen den Terror". Man wolle "auf friedliche Weise Partei ergreifen im Kampf zwischen Gut und Böse." Vincenzpfarrer Werner Rosin sprach noch ein Gebet, Vaterunser, Segen unter freiem Himmel (BZ He 15.9.). So schnell kann eine politisch/kirchlich gemischte Veranstaltung für unevangelische Parolen missbraucht werden.

Mit der Zeit jedoch hat sich diese Angst verflüchtigt und die Spaßgesellschaft hat ihren alten Platz eingenommen.

In dieser emotionalen Betroffenheit fehlt in der veröffentlichten Meinung der Kirchen vollständig ein Verständnis für große Freude in Lateinamerika, Afrika und muslimischen Ländern, die die politische und wirtschaftliche Dominanz der USA jahrzehntelang unter drastischer Beschädigung und Beseitigung des Lebens von Millionen hautnah miterlebt haben. Diese Einseitigkeit wird durchaus von manchen empfunden, aber nicht öffentlich ausgesprochen. Als Frau Pfarrerin Lüttich sich derart im Lebenstedter Pfarrkonvent äußert, stößt sie auf heftigen Widerspruch.

Bischof Krause wendet sich zum bevorstehenden Sonntag mit einer Kanzelabkündigung an die Gemeinden. Das ist ein nur in äußersten Situationen und daher selten benutztes Mittel. Der Bischof wiederholt die Gefühle der Trauer und des Entsetzens, ruft zum Gebet und warnt vor Rache. Er bittet, besonders um die muslimischen Nachbarn besorgt zu bleiben und "mitzuwirken an einem weltweiten Netzwerk der Versöhnung." Es kommt am 18. 9. zu einer christlich-muslimischen Friedensandacht in der Katharinenkirche und wenige Tage später in der Mosche. Ich habe das sichere Gefühl, dass die Angst zwar einen gemeinsamen Notschrei unterschiedlicher Religionen ermöglicht, aber die Basis

für eine gemeinsame Andacht nicht gegeben ist. Beide kennen sich nicht, können sich nicht verstehen und kaum verständigen. Unverständliches wird nebeneinander gereiht.

KvU meldet sich im internet auf der KvU homepage am Freitag mit einigen Gedanken "wider die Hysterie".

Altbischof Hirschler interpretiert den Anschlag am Montag in Osnabrück als Erfahrung der dunklen Seite Gottes. Gotteserfahrung gebe es sowohl in Form von Schreckens- als auch in Rettungserfahrungen." (epd Nr. 108/01 S. 3)

Auf die Ankündigung von Krieg und Kreuzzug durch Präsident Bush reagiert der Ratsvorsitzende Präses Kock mit einer Erklärung, in der dem Staat mit Berufung auf Barmen V eben auch "im Blick auf terroristische Gefährdung das Recht zubilligt, als letzte Möglichkeit Gewalt anzuwenden." Das wird natürlich als eine Bestätigung derer in der evangelischen Kirche verstanden, die militärische Antworten befürworten. Wenige Zeilen später indes erklärt der Ratsvorsitzende: "Terrorismus ist jedoch mit Krieg nicht zu besiegen. In diesem Zusammenhang überhaupt von "Krieg" oder "Kreuzzug" zu sprechen, ist falsch und verhängnisvoll. Ich erwarte von der deutschen Regierung, dass sie sich bei der Bekämpfung des Terrorismus in der Solidarität aller zivilisierten Staaten auf diejenigen Schritte verständigt, die unter der Herrschaft des Rechts vertretbar sind. Sie müssen dem langfristigen Ziel der Überwindung des Terrorismus dienen, nicht einer kurzfristigen Demonstration der Stärke."

Kock wendet sich als einziger konkret an die Berliner Regierung. Aber wie soll diese sie verstehen. Weiss sie, was sie nach dem Verständnis der ev.-Kirche zu tun und zu lassen hat, oder lässt die Erklärung von Kock nicht vielmehr den Weg für eine Bejahung und für eine Verweigerung eines militärischen Beitrages offen? Ist mal wieder beides in der Kirche möglich?

Wer KvU im iinternetz verfolgen kann liest am 20.9. eine scharfe Kritik an der Bushrede. Sie lasse jedes Eingeständnis einer Niederlage vermissen, schalte die UNO aus, missachte das Völkerrecht und zusätzlich durch die Ausrufung eines Kreuzzuges den christlichen Namen

Kritische Stimmen in der Kirche

Neben dem Ausdruck emotionaler Betroffenheit und der Mahnung zur Besonnenheit gibt es von Anfang an in den Kirchen auch kritische Stimmen: Franzwalter Nieten, kath. Pfarrer in St. Gallus, kritisiert in seiner ersten Predigt nach dem Anschlag die Omnipotenz-Fantasien der USA. Schon der Papst habe Militärschlägen gegen Afghanistan ein "einhelliges Nein entgegengeschleudert"

Die innere Aufrüstung des Staates, die sich jetzt in Deutschland vollziehe kommentiert er brüsk: "Da wirds mir schlecht". (FR 29.10. S. 20).

Der Limburger kath. Bischof Franz Kamphaus, der selbständigste unter den Bischöfen, nennt es eine Wahnvorstellunf, das Böse aus der Welt herauszubomben. (Junge Welt 17.9.)

Propst Liersch widerspricht in seiner Predigt am Tag nach dem Anschlag der Einteilung der Menschen in Gute und Böse, wie es Präsident Bush getan hatte. Der Islam sei genau wie das Christentum eine Religion des Friedens. Das sind andere Töne, die über Trauerbekundung und Besonnenheitsmahnung hinausgehen.

Zu den ersten drastischeren kritischen Stimmen in der Landeskirche gehört eine Stellungnahme von Domprediger Hempel. Er erklärt vor einer Reisegruppe, die er selber nach Algerien geleitet hatte: "Auch eine pax americana wird erleiden, was eine pax romana oder eine pax sowjetica erlitt. Die Erde ist zu vielfältig und zu bunt, als dass einer bestimmen könnte, wo es langgeht." Hempel kritisierte den weltweiten Alleinvertretungsanspruch der europäischen und amerikanischen Lebens-, Wirtschaft-, Sozial und Werteordnung. Im Judentum und im Islam werde eigene Identität anders verstanden und bestimmt als bei uns üblich." (BZ 20.9.) Das ist weit mehr, als man ansonsten in der Landeskirche zu hören bekommt. Aber es stößt nicht nur bei der Reisegruppe auf Verständnis.

Am 20. September veröffentlichen Pfr. Barsnick und ich einen offenen Brief an die Pfarrerinnen und Pfarrer in den USA. Darin heißt es u.a.: "Wir bitten, dass Ihr euch für eine christliche, zivilisierte Antwort der Bush- Regierung einsetzen möchtet. Eine vorrangig militärische "Lösung mit der Mobilisierung zu einem langen Krieg halten wir für eine grundfalsche Antwort. Sie vermehrt das Leid und steigert den Terror. Die Antwort des Evangeliums "Überwinde das Böse mit Gutem" bedeutet, dass wir alle in Europa und in den USA nach den tiefen Gründen für den Anschlag suchen müssen. Auch wenn er durch nichts zu rechtfertigen ist, sehen viele von uns doch eine Zusammenhang mit der Verelendung und Verarmung vieler Menschen in Asien und Afrika, einen Zusammenhang mit den gegenwärtigen Formen der Weltwirtschaft und der selektiven Beachtung und Missachtung der Menschenrechte". Dieser Brief wird im Laufe der nächsten Wochen von insgesamt 166 kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der provinzsächsischen und braunschweigischen Landeskirche, darunter 74 Pfarrerinnen und Pfarrer aus beiden Landeskirchen, unterzeichnet.

Pfarrerin Mac Dougal aus Michigan beantwortet postwendend den Brief. Darin heißt es u.a.: "Wir müssen unsere eigene Schuld eingestehen über das Unbehagen so vieler Menschen auf der Welt und deren Verzweiflung. Hier ist Vergebung nicht angesagt, eher eine Wild West Mentalität "wir werden bis zum Äußersten gehen"... Ich fürchte, Bush hat keine Ahnung von dem großen Ausmaß des Chaos in der Welt, das er durch seine Härte anrichten könnte." Das sind ganz ungewöhnliche Töne, die von den üblichen Berichten über die Stimmungen in den USA diametral abweichen. Offenbar werden wir darüber auch völlig falsch und einseitig unterrichtet. Ein amerikanischer Pfarrer zeigt sich in einem Telefongespräch Pfr. Barsnick besorgt über die Reaktionen in Deutschland.

Es ist ein schweres Versäumnis der teuren Öffentlichkeitsarbeit der Landeskirche, dass die durchaus kritischen Stimmen aus den amerikanischen Kirchen, nämlich die vom National Council of Churches of Christ vom 13.9., und der Reformierten Kirche in den USA vom 17.9. sowie des Generalsekretärs des Lutherischen Weltbundes vom 24.9. kein ausführliches Echo in der landeskirchlichen Presse und auch nicht in Verlautbarungen des Landeskirchenamtes finden und daher den Gemeinde unbekannt bleiben.

Bei Pfarrer Andreas Riekeberg aus Rühen, Propstei Vorsfelde, ist (Wort zum Sonntag vom 6.10. in der BZ Helmstedter Ausgabe) nachzulesen, die angemessene Reaktion auf Gewalttaten wäre nach Lukas 13 die Busse. Wirkliche Sicherheitspolitik erfordere "eine Politik, die nicht vorwiegend auf eigene Stärke und eigenen Vorteil bedacht ist, sondern vielmehr auf Kooperation und Ausgleich - vor allem in Sachen internationaler Wirtschaftspolitik und internationaler Konflikte...Andere Menschen kann man durch Gewalt und Drohungen vielleicht in Schach halten; doch beständigen Frieden bekommt eher, wer den Ausgleich anstrebt." Dieses geistliche Wort fällt durch seine Eindeutigkeit und den biblischen Bezug auf die Busse angenehm zwischen anderen, alle Möglichkeiten offenlassenden Wörter auf.

Die neue Phase der Kriegseskalation: die Bombardierung Afghanistans und kirchliche Reaktionen

Der Beginn der Bombardierung Afghanistans am 7. Oktober wäre ein neuer Anlass, sich deutlicher als bisher zu äussern. Der Ratsvorsitzende Präses Kock erklärt in einem Interview mit der Berliner Zeitung vom 11.10. nunmehr "Verständnis" für die Angriffe der US Regierung. "weil natürlich ein Angriff auf die Vereinigten Staaten von solch maßloser Bösartigkeit tatsächlich zu einer Reaktion Anlaß gibt." Der Terrorismus habe eine Dimension erreicht, dass militärische Gewalt zu seiner Bekämpfung nicht mehr ausgeschlossen werden könne. Zur Beantwortung der Frage, ob die militärischen Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus angemessen seien, verfügen "wir alle über zu wenig Informationen".

Der leitende Bischof der VELKD Knuth erklärt: "Der Westen muss sich wehren, aber er darf nicht Rache üben". (epd Nr. 116/01). Diese unklare Antwort kann als Unterstützung der amerikanischen Politik ausgelegt werden. In der Sonntagsausgabe der Berliner Morgenpost vom 14. Oktober ist Bischof Huber abgebildet, beide Hände vors Gesicht geschlagen, und der Überschrift: "Kein Krieg ist gerecht. Dennoch, meint der evangelische Landesbischof Wolfgang Huber, gibt es Situationen, in denen der Gewalt mit Mitteln der Gewalt entgegengetreten werden muss." In dem ganzseitigen sechsspaltigen Interview widerspricht der Bischof, "aus dem 11. September apokalyptische Vorgänge" herzuleiten, er widerspricht auch den katholischen Bischöfen in USA, die sich auf die These vom gerechten Krieg zurückziehen, aber dann äußert er sich so: " Es gibt ein notwendiges Gewaltmonopol des Staates. Um des Schutzes von Recht und Frieden willen. In diesem Bereich bewegen wir uns im Augenblick.

Es gibt Situationen, in denen der Gewalt mit Mitteln der Gewalt entgegengetreten werden muss. Die Vorstellung jedoch, dass das Ende des Terrorismus mit Gewaltmitteln allein herbeigeführt werden könnte, diese Vorstellung ist irrig." Diese gewundene Erklärung von Bischof Huber kann als eine augenblickliche, begrenzte Zustimmung zu den amerikanischen Militärschlägen verstanden werden.

Es gibt aber auch andere Stimmen. Der sächsischen Landesbischof Kress bezweifelt einen Erfolg durch Bombenangriffe. Anders argumentiert die hannoversche Bischöfin Käßmann. Für sie ist Krieg theologisch durch nichts zu rechtfertigen. Eben auch nicht - wie ihr männlicher Partner aus Sachsen offenbar meint - - etwa durch einen "Erfolg". So wie Bischöfin Käßmann äußert sich auch Bischöfin Wartenberg-Potter aus Lübeck.

In der WELT resümiert Gernot Facius am 12. Oktober: "Die Kirchen sind in einem Dilemma: Sie erkennen das Recht auf Notwehr gegen den Terror an - doch sie fürchten die Logik der Gewalt". Keiner der männlichen deutschen evangelischen Bischöfe kann sich dem Generalsekretär des ÖKR Konrad Raiser anschließen, der daran erinnert, dass Krieg in jedem Fall eine Sünde gegen Gott und die Menschen sei.

Eskalation der Berliner Aussenpolitik: das Ende der Nachkriegszeit und der stummus episcopus

Die Regierungserklärung von Schröder am 11. Oktober, in der die deutsche Bevölkerung auf einen Kriegseinsatz der Bundeswehr ausserhalb Europas vorbereitet werden soll, wäre ein weiterer Anlass, sich endlich klar und unmißverständlich zu äußern. Schröder erklärt die ("friedliche"?) Etappe deutscher Nachkriegspolitik sei endgültig vorbei. Es gehöre zum Erwachsenwerden, nun auch wieder militärische Verantwortung zu übernehmen. Heinemanns "Der Friede ist der Ernstfall" wird zurückgedreht. Nun ist es wieder der Krieg.

Gibt es in Afghanistan deutsche Interessen oder ist nicht gerade die Beschränkung und Bescheidung deutscher Interessen auf die Mitte Europas die hohe Kunst des politisch Notwendigen. Die Presse führt ein sehr peinliches biografisches Ereignis zum Verständnis des Meinungsumschwunges von Kanzler Schröder an. Schröder habe beim Anblick des Grand Zero in New York Gefühle gezeigt und sei zum Staatsmann gereift. Offenbar ist Schröder bisher ein Spaziergang durch die Slums von Indien, Afrika und Lateinamerika entgangen. Er verfällt der amerikanischen Oberflächlichkeit, wie sie mir in der Warhol Ausstellung in Berlin anschaulich geworden war, und ohne dass Schröder es merkt, verfällt er in Cowboymanieren. Jetzt wird nicht viel gefragt, sondern geführt, entschieden und wer sich anders äußert, wie kürzlich die IG Metall Gewerkschaft, wird brüsk abgebürstet. Die auf Gleichschaltung gepolte Presse hat wochenlang Schröder aus falscher Rücksicht auf die Bushregierung geschont.

In dieser Phase bleibt eine klare und weiterführende Stellungnahme des Präsidenten des Lutherischen Weltbundes und braunschweigischen Landesbischofs etwa in der Tonart der hannoverschen Landesbischöfin unbekannt. Auch die folgenden Treffen mit dem Oberhaupt der anglikanischen Kirche und das Treffen mit Kardinal Kasper im Braunschweiger Dom am 28.10. bleiben für vergleichbar entschiedene Äusserungen ungenutzt. Ratlosigkeit? Unschlüssigkeit in der politischen Analyse? Was besagt nun die Rechtfertigung zum Thema Krieg und Frieden? Gilt die Erlösung auch bin Laden? Gilt auch für ihn der Satz Bodelschwinghs, es gehe kein Mensch über die Erde, den Gott nicht liebt. Das Salz ist taub geworden.

Es gibt aber erstmals kräftigen Kritik vom Bischof der südafrikanischen Kirche Andreas Fortuin,, vom anglikanischen Bischof David Stancliffe aus Salisbury, von kanadischen Kirchen und vom katholischen Militärbischof Walter Mixa.

Der Widerstand wächst

Am 13. Oktober finden in Stuttgart und Berlin Protest- und Friedensdemonstrationen statt. Auf dem Berliner Gendarmeriemarkt haben sich etwa 30.000 Demonstranten versammelt. Das originellste Plakat trägt vor mir eine Frau. Sie hat draufgepinselt: "Solidarität mit den USA. Bomben auf Harburg." Erst werden die Terroristen aus Afghanistan rausgebombt und dann? Tja, wo überall sonst noch Terroristen sind, denkt sie sich. Wenn schon uneingeschränkt, dann weltweit uneingeschränkt. Helmut Schmidt wohnt weiter oben im Norden der Hansestadt. .Zum Schluß kommt wohl Florida dran. Da haben sie sich ja auch versteckt. Von den Demos ist in er Presse nicht viel zu lesen. Und Kirche war auch nicht vertreten. In Berlin sprach zum Schluss jemand von pax christi. Sie seien gefragt worden, hört man, aber sie hätten abgewinkt. Dabei gibt es in den Berliner Kirchengemeinden kritische Stimmen. Aber sie trauen sich nicht.

Eine Woche später, am 19.-21.Oktober, finden zwei Kongresse statt. In Frankfurt sammeln sich Vertreter von IG Metall, Kirchen und anderen Gruppen, die bei der Bundestagswahl ganz ihre Hoffnung auf einen Politikwechsel gesetzt haben und unter dieser Voraussetzung für eine rot/gruene Regierung eingetreten sind. Diese Hoffnungen sind für sie bitter enttäuscht worden. Sie mahnen einen klaren Kurswechsel an. Da war ich mit meiner PDS Kandidatur politisch doch schon weitsichtiger.

In Berlin tagen an diesem Wochenende 4000 Teilnehmer/Innen in den Räumen der Technischen Universität und gründen eine bundesweite Organisation attak. Das ist eine in Frankreich und Schweden bereits weiter verbreitete Gruppierung, die die Nichtregierungsorganisationen bei ihrem Bemühen unterstützt, die schweren Beschädigungen durch den sog. freien Welthandel (frei für wen und zu wessen Nutzen?) zu beseitigen. "Eine andere Welt ist möglich" lautet das Motto des Kongresses. Gleich nach meiner Rückkehr habe ich einen Bericht auf der Homepage der KvU gesetzt. Eine Zusammenfassung findet sich im Heft (wenn noch Platz ist).

Am 25. Oktober macht die katholische Bildpost die Seite 1 mit der Überschrift auf: "Jesus ging nicht über Leichen. Kirchen auf Distanz zum Afghanistan-Krieg." Der Ratsvorsitzende Kock wird mit der Forderung nach sofortiger Einrichtung von Schutzzonen für die afghanische Zivilbevölkerung zitiert, der Ökumenische Rat verurteile die Bombenangriffe uneingeschränkt, die lateinamerikanischen Kirchen seien über die unkritische Haltung Deutschlands zu den USA enttäuscht, der Leiter des katholischen Büros in Berlin Prälat Karl Jüsten bemängelte das Fehlen von international verbindlichen Kriterien für eine angemessene Form der Bekämpfung des Terrorismus. Allen diesen Stellungnahmen ist gemeinsam, dass sie eine unmissverständliche Ansprache an die deutsche Bundesregierung vermissen lassen.

Pfarrer i.R. Hartmut Padel aus der Wicherngemeinde verweist in einem Leserbrief vom 19.10. in der BZ auf die Vergeblichkeit von Waffengewalt bei der Auseinandersetzung mit dem Terror auf europäischem Boden. Die Aufteilung der Welt in Gute und Böse, wobei die Guten natürlich, was immer sie tun, sich als die Guten vorkommen, könne einer Lösung nur hindernd im Wege stehen.

Der christliche Patriotismus der Amerikaner erinnert mich an die Deutschen Christen

Der Vergleich ist missverständlich. Das ist kein Grund ihm auszuweichen. Die christliche Motivation des amerikanischen Präsidenten wird immer wieder stark herausgestellt. Bei seiner Fernsehansprache an die Nation zwei Tage nach dem Anschlag zitiert Bush den 23. Psalm. "Heute abend bitte ich Sie darum, zu beten für alle, die trauern... Und ich bete darum, dass sie Trost finden in einer Macht, die grösser ist als wir alle, wie es von alters her zum Ausdruck kommt im Psalm 23 "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unheil. Denn du bist bei mir" und am Ende: "Gott segne Amerika." Aus dem protestantisch-fundamentalistischen Glauben des Präsidenten stammt die Begrifflichkeit des

Kreuzzuges und des Kampfes der Guten gegen das Böse. Die unreflektierte Koalition seines Glaubens mit der militärischen Gewalt, die Behauptung des Meinungsmonopols und die einhergehende faktische Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit - zwei Dutzend Journalisten haben laut Berliner Zeitung vom 1.11. ihren Job wg Kritik am Präsidenten verloren -, die Alternative Sicherheit oder Freiheit, der Weltanspruch auf die Wahrnehmung der einzig gültigen Werte, die Eliminierung der Andersgläubigen aus der "Weltgemeinschaft" und die proklamierte Ausradierung der das Böse unterstützenden Staaten, die damit einhergehende Beendigung eines Dialoges über eine nur gemeinsam zu erreichende Sicherheit - das hat verblüffende Parallelen mit den Grundsätzen der Deutschen Christen im Frühjahr 1933 in Deutschland. Die religiöse Überhöhung der Nation und des Nationalen, die Gleichschaltung der Presse, die unverblümte Rechtfertigung von Gewalt zur Ausschaltung Andersdenkender, der gefährliche Begriff der Volksgemeinschaft, der ja immer zugleich einen Ausschließungscharakter hatte - damals gegen Linke, Juden, Behinderte, Schwule - heute die Propagierung der Weltgemeinschaft mit gleichzeitigem Ausschluß von sog. Terroristen - und was ein Terrorist ist, bestimmt der Präsident, da muß nichts weiter bewiesen werden. Der Führer beendet die Diskussion, "es wird gehandelt", im Frühjahr 1933 wählten auch die Deutschen Sicherheit zulasten von Freiheit. Gewiß , es ist heute alles ganz anders und es darf nicht behauptet werden, Bushs Politik habe faschistoide Züge. Das führt nicht weiter. Aber die Parallelen sind bedenkenswert vor allem im Hinblick auf die Frage: Wo wird das alles enden?

Beachtliche Parallelen zum Vokabular aus der ns-Zeit werden in der deutschen Presse aber auch im Hinblick auf die Innenpolitik der Schröder/Fischer-Regierung gewählt. "Mit Riesenschritten auf dem Weg in den Überwachungsstaat" lautet die Dokumentation zum Sicherheitspaket der Bundesregierung in der FR am 7.11.

Die Erklärung der Lutherischen Biscbofskonferenz vom 19./20. Oktober

Ende Oktober tagte die Lutherische Bischofskonferenz und unmittelbar darauf auch die Lutherische Generalsynode in Bückeburg. Die Generalsynodalen erhielten eine Erklärung auf den Tisch und nahmen sie ohne Diskussion an. "Krieg und Frieden" stand auch nicht auf de Tagesordnung, sondern die Leitlinien für eine neue Lebensordnung ( mit denen sie nicht zu Potte kommen).

Die Erklärung der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom 19./20. Oktober 2001 "Menschen schützen, Gewalt überwinden" unterstreicht die Notwendigkeit der Ächtung jeglicher terroristischer Handlungen und teilt die Sorge vieler Menschen über die weiteren militärischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und in der Welt.

  1. Bei Anteilnahme und Trauer mit den Menschen in Amerika "erwarten die Kirchen, dass Politiker in den USA und den ihnen verbündeten Ländern bei Entscheidungen über Reaktionen auf die kritischen Stimmen im eigenen Land hören".
  2. Tiefe Anteilnahme mit den Menschen in Afghanistan. Militärische Aktionen müssten gegenüber humanitären Hilfsaktionen zurückstehen.
  3. Intensivierung des Dialoges mit dem Islam.
  4. Bekräftigung des Vorranges der Politik und des Dialog vor jeglicher militärischer Aktion, Besinnung auf die Ursachen, aus denen sich der Terror nährt und Einsicht in die Zusammenhänge, die die westliche Welt mit zu verantworten hat.
  5. Fortsetzung der Friedensgebetes in den Kirchengemeinden.

Diese Erklärung ist auf der Sitzung der Braunschwegischen Landessynode verteilt worden und soll die Kirchengemeinden erreichen. Ich finde sie inhaltlich erstaunlich offen. Sie kommt den Erklärungen der lutherischen Bischöfinnen sehr nahe. Aber sie hat zwei entscheidende Mängel: sie sagt nicht: Hört sofort mit der Bombardierung auf und sie vermeidet die klare Adressierung an die Berliner Regierung. Es kann sich nach Belieben jeder angesprochen fühlen, braucht es aber nicht. Die lutherische Bischofskonferenz ist sich offenbar im stillen Kämmerlein untereinander einigermassen einig, aber vor Ort redet oder schweigt jeder und jede vor sich hin. Bischof Krause schweigt sich innerhalb unserer Landeskirche vollständig aus. Bischöfin Kässmann lehnt die Bombardierung in ihrer Predigt zum Reformationstag kategorisch ab. Nicht der Inhalt der Erklärungen ist das Problem, sondern der gegensätzliche Umgang mit ihr.

Die Ermächtigung für Deutsche Interessen in Zentralasien?

Am 6. November kündigt Kanzler Schröder die Bereitstellung von deutschen Truppen für den Afghanistankrieg an. Er nennt eine Zahl: 3.900 und sonstiges, noch undefiniertes Kriegsgerät. Die Kriegsziele sind unbestimmt. Plötzlich sollen die Frauen in Afghanistans von der Verschleierung und anderen Drangsalen befreit werden. Nur dort?

Schröder selber nennt eine mögliche Zustimmung des Parlamentes zum Einsatz deutscher Truppen in Asien im November eine "Ermächtigung" und weckt bei Älteren unpassende Gedankensprünge zum "Ermächtigungsgesetz" der Nazis im März 1933. Die BZ vom 7.11. nennt dies eine "historische Entscheidung für Deutschland". Die offenkundigen Wirtschaftsinteressen der USA an den Rohstoffen Zentralasiens und die von amerikanischen Ölfirmen längst geplante Ölpipeline durch Afghanistan zum Indischen Ozean sind das eigentliche, verdeckte, öffentlich selten diskutierte Motiv der BushRegierung für den "Kampf gegen den Terrorismus" in einem der ärmsten Länder der Welt, Afghanistan. Eine Zustimmung des deutschen Bundestages bedeutet nichts weiter als eine vordergründig als Terrorismusbekämpfung kaschierte, militärische Abstützung der Wirtschaftsinteressen des reichsten Staates der Welt, der USA. Das auffällige Interesse von Aussenminister Fischer an einer Einmischung in die afghanistanische Innenpolitik nach Beendigung des Krieges, verkauft als Friedenspolitik, bedeutet nicht nur eine imperiale Ausweitung der deutschen Interessen, sondern auch eine Koalition mit den Wirtschaftsinteressen der Amerikaner an den zentralasiatischen Rohstoffen. Geradezu infam missverständlich ist daher die Äußerung vom Kanzler Schröder, der militärische Einsatz werde auch politisch und wirtschaftlich begleitet. Das kann als Bekämpfung des Terorrismus durch Bekämpfung von Armut und Hunger missverstanden werden, denn die bereits kümmerliche Entwicklungshilfe der Regierung ist noch um 200 Millionen gekürzt worden. Tatsächlich denkt sich Schröder eher eine Ausweitung der bereits in China groß ausgelegten Wirtschaftskapazitäten ins benachbarte Afghanistan (soweit die USA es als Gegendank einlösen). Ein Zusammenprall mit russischen Interessen und eine Abkühlung des deutsch-russischen Verhältnisses ist absehbar.

Entspricht eine Ermächtigung den von der Lutherischen Bischofskonferenz am 19./20. Oktober entworfenen Prinzipien des Vorrangs der Politik und des Dialogs "vor jeglicher militärischen Aktion?" "Von allen politisch Verantwortlichen muss erwartet werden, dass sie ihre Entscheidungen und ihr Handeln an dieser Prioritätenfolge ausrichten. Die Politiker sollten - so die Lutheraner - "bei Entscheidungen über Reaktionen auf die kritischen Stimmen im eigenen Land hörten". Davon merkt man nichts.

Braunschweiger Kirchenvertreter sind plötzlich mit flotten zustimmenden Erklärungen zur Hand. Propst Armin Kraft, immerhin kirchenleitendes Mitglied der VELKD, äußert bei einer Rundumfrage der BZ vom 7.11. zwar Verständnis für die verstärkt umhergehende Angst vor dem Soldatentod, bekräftigt aber die "Verantwortung, das Böse zu bekämpfen. Da müssen wir zu unsern Verbündeten stehen". Der frühere Goslarer Propst und jetzige Oberbürgermeister dieser Stadt am Harz macht es bündiger: "Wer A sagt, muß auch B sagen. Man musste damit rechnen, dass auch wir Deutsche gefordert werden und wir erfüllen unsere Aufgabe in der Welt." Das ist eine erschütternde Zustimmung zur Kriegspolitik der rot/grünen Koalition und eine vollständige Verdrehung dessen, was die lutherische Bischofskonferenz vor wenigen Wochen feierlich erklärt hat. Im Ernstfall entscheiden sie eben anders als sie feierlich und offenbar rein theoretisch erklären. Das ist schädlich und unsittlich. Dann hätten die lutherischen Bischöfe gleich erklären sollen: wir befürworten Gewalt. Vielleicht hätten die Deutschen von ihrer Kirche auch lernen können, dass ihre "Aufgabe in der Welt" eine andere ist, als deutsche Interessen in Zentralasien zu definieren und militärisch einzurahmen und womöglich durchzusetzen. Auch Pastor Isermeyer, Neu Erkerode, hält die Möglichkeit von Politik bei der Bekämpfung des Terrorismus für eingegrenzt. Das ist ein schlecht verklausuliertes Ja zur amerikanischen Kriegspolitik, die widersprüchlicherweise als illusionär bezeichnet wird.

Die Zuspitzung in der EKD durch die Bekräftigung des Militärseelsorgevertrages

Das Verhängnis für die Ev. Kirche in Deutschland spitzt sich dadurch zu, dass die Synode der EKD den alten Militärseelsorgervertrag von 1957 aufwärmt und auch für die Kirchen der früheren DDR verbindlich macht, die sich 1990 noch einen Sonderstatus erkämpft hatten. Das bedeutet zugleich auch die Einsatzmöglichkeit an atomaren, biologischen und chemischen Waffen, zu deren Herstellung die Bundesregierung die USA bereits kräftig bedient. Seelsorgerlicher Begleitung. Ist in diesem Falle pure Gotteslästerung.

Der zeitlich zufällige Zusammenhang mit der Ankündigung eines "Ermächtigungsgesetzes" im Bundestag und eine offenkundige Verhinderung einer Debatte über dieses Thema im Bundestag verheerend. Nun kann sich die EKD nicht mehr herauswinden. Wer A sagt zum Militärseelsorgevertrag, muß auch B sagen zur moralisch/kirchlichen Aufrüstung der Kriegs. Selbst wenn dies

durch anderslautende Erklärungen bestritten würde, kann eine seelsorgerliche Begleitung militärischer Einsätze in Zentralasien von der Öffentlichkeit nicht anders als Zustimmung zur Schröderschen Kriegspolitik verstanden werden. Damit steht die EKD vor einer ähnlich dramatischen Entscheidung wie 1957, als es um die Zustimmung zur atomaren Ausrüstung der Bundeswehr ging. Damals zerbrach die innere Einheit der EKD und sie hielt unter der "Ohnmachtsformel" "Wir bleiben unter dem Evangelium zusammen" ihre äußere Einheit mühsam aufrecht.

Und genauso ist es gekommen.

Die Erklärungen der EKD Synode

Nach der VELKD Generalsynode tagte in der Nähe von Nürnberg in Arnberg vom 4.-9.November 2001 die EKD Synode und anders als während der Generalsynode gab es auf der EKD Synode eine lange Plenardebatte und ein nächtelanges Tauziehen um eine mehrheitsfähige Resolution zum Thema Krieg und Frieden. Um Bischof Noack, Magdeburg hatte sich ein Kreis scharfer Gegner einer deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg gebildet.

Die EKD Synode hat in ihrer Erklärung vom 8. November in Arnberg aus dem gemeinsamen bekannten friedensethischen Ansatz in einem anstrengenden Konsensversuch, der eine gemeinsame Basis formuliert, doch zwei völlig gegensätzliche politische Möglichkeiten gezogen. Die einen stimmen der Bombardierung zu, andere lehnen sie ab. Beide Meinungen werden unverbunden nebeneinander gestellt. Die EKD Synode ist längst unter den Einfluss von redegewandten Bundestagsabgeordneten geraten, die nun ihr Gewissen genauso glaubwürdig strapazieren wie im Plenum des Bundestages. Alle wollen natürlich je ihrer Partei von EKD Seite aus den Rücken möglichst frei halten.

Die Rolle der Lutheraner in der Debatte scheint unklar. Offenbar haben sie die Erklärung ihrer Bischofskonferenz selber nicht mehr ernst genommen und die progressive Position ihrer Erklärung vom 19. 10. entweder abgeschwächt oder gar widerrufen haben.

Man hat bei diesen offiziösen Erklärungen aus der Kirche den Eindruck: die Kirche redet anders als sie denkt und entscheidet anders als sie redet.

So liegt über den Erklärungen der offiziösen deutschen ev. Kirchen eine diffuse, neblige Novemberstimmung, in der sich die Gemeinde nicht zurechtfinden. Vielleicht ist das auch der Grund, warum diese Erklärung vom Wolfenbüttler Landeskirchenamt nicht umgehend an die Gemeinde weitergegeben worden ist, sondern es ist eines Synodenbeschlusses drei Wochen später bedurfte.

Der Dietrich Bonhoeffer-Verein und die Martin Niemöller-Stiftung werfen daher der EKD zu Recht vor, den Befürwortern von Gewaltanwendung Rückendeckung gegeben zu haben. (FR 17.11.)

Die aktuelle Entwicklung

Zwei Ereignisse sind für die Kirchen eine erneute Herausforderung, Stellung zu beziehen: der in der Logik der Berliner Kriegspolitik folgerichtige Bundestagsbeschluss vom 16. 11. , Soldaten weltweit in den Krieg zu schicken verbunden mit der Vertrauensfrage des Kanzlers, die acht für die Abstimmung entscheidende Gruene Abgeordneten dazu bringen, ihre Entscheidung einfach technisch aufzuteilen: vier dagegen, vier dafür. Natürlich sind ausser der PDS die riesenrgosse Mehrheit der MdBs für einen Afghanistankrieg und entsprechen der allgemeinen Volksstimmung, die Sicherheit statt Freiheit wählt. Es gab keinen, der auf die Stellungnahmen von VELKD und EKD hinwies. Das war möglicherweise auch so beabsichtigt: den Beschluss von kirchlicher Kritik freihalten.

Vor einem solchen Beschluss hatten viele gewarnt: ein grosser Kreis von Schriftstellern und intellektuellen um Günther Grass, Juristen bestreiten die Wahrung des Völkerrechtes, mehrere grössere Unterschrifteninitiativen erschienen in Tageszeitungen. Die Kirchen fehlten.

Zu diesem verheerenden Bundestagsbeschluss erklärt der Pressesprecher der EKD in Hannover noch am selben Tage, die ev. Kirche rufe zu Besonnenheit auf. Militäroperationen müssten auf das unvermeidliche Mass beschränkt bleiben, ihre Ziele dürften nur Terroristen sei und Zivilisten müssten geschützt werden. Evangelische Christen kämen aber zu unterschiedlichen Einschätzungen. Aufruf zu Spenden und Gebeten und: "Wir hoffen auf eine gesunde Rückkehr der deutschen Soldaten". Sie würden von Militärseelsorgern begleitet. Die Erklärung wirkt angesichts der aktuellen Lage, nach sehr vielen Zivilopfern, nach Bombardierung von für humanitäre Hilfe dringend erforderlichen Hilfsgütern und Krankenhäusern nur noch peinlich und kirchenaustrittsfördernd.

Es sind nicht Kirchenvertreter sondern Journalisten wie Karl Grobe, die die Vorgänge im Bundestag ethisch folgendermassen werten: "Die Gewissensfreiheit aller Abgeordneten ist beschädigt worden. Für die freiheitlich-demokratische Ordnung wird das zur schweren Hypothek." (FR 17.11.) Es wäre für eine protestantische Kirche, in der das Lutherwortes "Mein Gewissen ist gefangen in Gottes Wort", hoffentlich noch etwas gilt, zwingend, dieses unmoralische Kanzlermanöver scharf zu geißeln.

Der Cottbusser Generalsuperintendent Rolf Wischnath hat umgehend nach der Bundestagsdebatte seinen Austritt aus der SPD angekündigt. Der Beschluß sei "falsch und verhängnisvoll." Die viel zitierte Situation der "letzten Möglichkeit" (ultima ratio) sei noch längst nicht erreicht.

Eine weitere Meldung verdient Aufmerksamkeit, nämlich die erste Aufforderung prominenter afghanistanischer Stammensfürsten, englische Truppen mögen sich aus dem Land zurückziehen. Diese Forderung könnte sich in der Folgezeit verstärken. Die amerikanische europäische Terrorismusbekämpfung in Afghanistan wird also als Invasion verstanden. Unter dieser Voraussetzung ist

jede Beteiligung Deutschlands am Afghanistankrieg geradezu verboten, denn der Beschluss des Bundestages sieht ausdrücklich vor, dass das jeweilige Land die deutsche Regierung auch ruft. Die Angloamerikaner werden sich nicht viel um derlei Äusserungen scheren und damit offenbar machen, dass sie durchaus nicht nur edel die Interessen geknechteter Völker vertreten sondern massive eigene, und zwar wirtschaftliche.

Auch hier hätte die Kirche die Aufgabe, der Regierung sehr deutlich ins Gewissen zu reden.

Was kann man tun?

Angesichts der Tatsache, dass sich die deutsche rot/gruene Aussen- und Kriegspolitik, von der CDU/CSU ganz zu schweigen, himmelweit von der VELKD Erklärung wegbewegt, verkleistern Friedensgebete die Sicht. An die Stelle von Friedensandachten sollten Andachten zur gesellschaftlichen Erneuerung Deutschlands treten, wie sie vergleichbar 1988/89 in vielen Kirchen der DDR gehalten worden sind und zur Veränderung beigetragen haben.

Bezeichnenderweise sind die Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche von Pfarrer Fuehrer wieder aufgenommen worden.

Pfarrer Barsnick und ich haben in dem Dankesschreiben an die 166 kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorgeschlagen, folgenden Einschub in das sonntägliche Fürbittgebet aufzunehmen:

"Wir bitten dich für alle, die uns regieren. Gib ihnen Weisheit und Kraft und rufe sie zurück von dem Irrweg einer vorrangig militärischen Lösung des Terrorismus in der Welt. Laß sie die schweren sozialen Verwerfungen in der Welt als eine der tiefliegenden Gründe für Armut, Verbitterung und Hass erkennen und vor allem diesen Grund mit Energie und Ausdauer beseitigen.

Lass uns mitwirken an der Wiederherstellung des Rechtes, das durch unsere Regierung beschädigt oder gar beseitigt wird.

Wir danken dir für jene Verbündete in aller Welt, die mit uns das Böse mit Gutem überwinden wollen und darauf verzichten, die Nummer eins zu sein beim Siegen und Herrschen in Politik und Wirtschaft.

Lass uns absagen aller Rechthaberei in unseren Kirchen und bei den Religionen in der Welt und dass die Achtung voreinander wachse in der Erkenntnis, dass Du, Gott, den Frieden und das Recht in allen Religionen der Welt offenbart hast."

Die Beschränkung der Arbeit der Kirchengemeinden auf Gebete ist eine unzumutbare Verkürzung. Neben die Gebete haben gründliche Diskussionen in den unterschiedlichen Kreisen der Kirchengemeinde zu treten. Dabei wäre der kulturelle und wirtschaftliche Hintergrund der amerikanisch/europäischen Afghanistaninvasion und die damit verbundenen Interessen zu analysieren und auf ihren ethischen Gehalt zu prüfen.

Es ist vor Bundestagswahlen üblich, die MdBs in die Gemeinden einzuladen und zu befragen. Das wäre in dieser Situation, in der es um Krieg und Frieden und um eine grundsätzliche Wende in der bisherigen Aussenpolitik geht, durchaus angebracht. Sie sollen ihre Haltung und Stimmabgabe vom 16. November erläutern.

Es wäre gut, sich bei solchen Veranstaltungen nachbarlich zu vernetzen und zu verabreden.

Es gibt solche, die ökumenischen Verbindungen unterhalten. Wer Freunde/Innen in USA oder woanders hat, sollte solche Verbindungen jetzt aktivieren. Ein Austausch gerade der kritischen Stimmen in allen Ländern und deren Wahrnehmung bei uns und in den Gemeindebriefen ist wichtig. Wir weisen auf die Antwort der amerikanischen Pastorin aus Michigan an uns hin. Das ist auch ein guter Gesprächseinstieg bei einem Gemeindeabend.

Ganz besonders dringlich ist die Frage nach der Weihnachtsbotschaft "Friede auf Erde" angesichts einer neuen deutschen Kriegspolitik und einem programmatischen Abschied von der Friedenspolitik Willy Brandts. Auf dem letzten Konvent der Braunschweiger Pfarrer ist diese Frage heftig diskutiert worden.

Die EZ vom 23.9. druckte ein Lied von Detlef Block ab zu singen nach "Wenn wir in höchsten Nöten sein" (EG 366) mit folgender dritten Strophe:

"Ruf alle, die im Unrecht sind,
zur Umkehr, die vor dir beginnt,
und bringe, Herr, zu gutem Schluss,
was sich bei uns verändern muss."

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