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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Ein Beitrag zur Diskussion in der Braunschweigischen Landeskirche "was ist lutherisch?"

Luther - Hitler

Ein Blick in die Schreckenskammern der Luther-Jubiläen 1933 bis 1946

Ein Vortrag von Dietrich Kuessner

Wer die ns-Zeit und die lutherische Kirche in der ns-Zeit von ihren eigenen Voraussetzungen her verstehen will, muß über das Verhältnis "Luther - Hitler" nachdenken. Es war seinerzeit ein überaus populäres Thema. Richard Schröder, jetzt Professor an der Humboldtuniversität in Berlin und früher SPD-Fraktionsvorsitzender in der Volkskammer nach der Wende, schrieb am 18.02.1996 im "Tagesspiegel" einen Aufsatz mit dem Untertitel: "Luther als Wegbereiter Hitlers - lautet ein gängiges Klischee über den Reformation." Ganz ähnlich hat sich Rabbow in der Braunschweiger Zeitung in einem Kommentar " Luther und die Folgen" ausgelassen. (Vielleicht war diese alberne Glosse aber auch nur die Rache Rabbows dafür gewesen, daß er nicht in die Landessynode berufen worden ist.) ." Schröder bestreitet zu Recht diese These, ohne sich indes dem Selbstverständnis der damaligen Zeit zu stellen

1. Die Parallele Luther - Hitler im Jahre 1933

Der Professor für Kirchengeschichte in Erlangen Hans Preuß veröffentlichte am 20. und 27. 10. 1933 in der angesehenen Allgemeinen Evangelischen-Lutherischen Kirchenzeitung ( AELKZ ) einen Aufsatz unter dem Titel "Luther und Hitler". Beide seien deutsche Führer, beide zur Errettung des Volkes berufen, beiden geht der Schrei nach einem großen Manne der Rettung voraus, beide seien aus dem Bauernstand, sie treten in den 30iger Jahren ihres Lebens als gänzlich unbekannte Leute auf, beide lieben ihr Vaterland, die Frauen treten für beide aus der Öffentlichkeit zurück in die Häuslichkeit, beiden lehnen den Parlamentarismus ab und kämpfen einen Zwei-Frontenkrieg und als leuchtende Schlußparallele "Luther und Hitler fühlen sich vor ihrem Volke tief mit Gott verbunden". Hitler kenne das Gebet. "Er denkt auch an den Heiland". "Man hat gesagt, daß deutsche Volk habe dreimal geliebt: Karl den Großen, Luther und Friedrich den Großen. Wir dürfen nun getrost unseren Volkskanzler hinzufügen. Und das ist wohl die lieblichste Parallele zwischen Luther und Hitler."

Bei der Festversammlung des Martin-Luther-Bundes in Coburg hält Hans Preuß am 31. 10. 1933 in Anwesenheit des Coburger Herzogpaares, von Kultusminister Schemm und Landesbischof Meiser den Hauptvortrag und "legte die überraschende Ähnlichkeit Luthers mit dem Adolf Hitlers dar" ( nach AELKZ). Hans Preuß war seit 1914 Professor in Erlangen und damals 57 Jahre, keinesfalls ein wilder deutscher Christ, vielmehr ein vielgelesener anerkannter Autor. "Die deutsche Frömmigkeit im Spiel der bildenden Kunst" (1920) hatte mehrere Auflagen erlebt Ich selber habe sein 1936 geschriebenes Buch "Von den Katakomben bis zu den Zeichen der Zeit" gerne gelesen. 1934 schreibt Hans Preuß ein Lutherbuch, in dem er ausdrücklich auf diesen Aufsatz verweist. Ein Sonderdruck seines Aufsatzes in der AELKZ erscheint in Neuendettelsau.

Hans Preuß steht keinesweg alleine da. Professor W. Oepke, Leipzig, wiederholt in einem Aufsatz "Luther und seine Zeit" in der AELKZ die Thesen von Preuß, Luther sei das Urbild des heldischen, arischen Menschen,ein gewaltiger, deutscher Streiter gegen welsches Wesen, Antisemit, "der erste Nationalsozialist sozusagen. Wer ihn von dieser Seite nicht kennt, der kennt ihn in der Tat nicht." Aber das sei nicht das Entscheidende an Luther. Oepke kritisiert an Preuß, daß der angefochtene und mit der Bibel verwachsene Luther zu kurz komme. Aber erstaunlich, er nimmt die These von Preuß positiv auf.

Am Reformationsfest 1935 hält Prof. Hermann Werdermann an der Hochschule für Lehrerfortbildung in Dortmund einen Vortrag über das Thema "Luther und Hitler". 1937 erscheint es in 2. Auflage. Werdermann wiederholt die von Preuß bereits genannten Parallelen und fügt im Schlußteil hinzu: Luther und Hitler seien bedeutsame Beispiele für positives, praktisches und persönliches Christentum.

Die Parallele Luther - Hitler bewegte sich keineswegs auf der akademischen Ebene, sondern war auch auf der Basis sehr populär. General Litzmann vergleicht bei einer Versammlung in Wolfenbüttel im Januar 1933 Luther mit Hitler, der preußische Kulturminister Rust vergleicht in Eisleben,dem Geburts- und Sterbeort Luthers, 1933 beide miteinander. "Ich denke, die Stunde ist vorüber, wo man Luther und Hitler nicht in einem Atemzug nennen durfte. Sie gehören zusammen." In Gemeindebriefen wird dieses Thema gerne aufgegriffen. Der Connewitzer Gemeindebote benutzt die Parallele als Aufmacher.

Der aktuelle Anlaß für den Aufsatz von Preuß mag das Lutherjubiläum im November 1933 gewesen sein, die 450. Wiederkehr des Geburtstages Luthers. Dazu laufen seit Mai 1933 auf Reichsebene Vorbereitungen zu kooridinerten und zentralen Veranstaltungen an. Die Lutherstädte Eisleben, Wittenberg und Coburg planen im August, September und Oktober großangelegte Lutherwochen. Es gibt Plaketten, eine Illustrierte, Fähnchen. "Es ist uns kein Zweifel, wo er (nämlich Luther) heute stehen würde mit jubelnder Seele", nämlich " als Bannerträger deutschen Volkstums". "Mit Luther und Hitler für Glaube und Volkstum" ist die öffentlich plakatierte Losung der ev.-luth. Landessynode von Sachsen am 17.11.1933. Landesbischof Coch hatte dazu in der Oktobernummer der sächsischen DC "Christuskreuz und Hakenkreuz" den Leitartikel geschrieben unter der Überschrift "Luther und Hitler". Und Dr. Walter Grundmann, der späterer Neutestamentler, 1933 Gaupropagandaleiter der DC schreibt: Das Wollen der deutschen Christen heiße " die Revolution Adolf Hitlers hineinzugründen in die deutsche Reformation Martin Luthers."

In den Textvorschlägen für die Lutherfeiern in den Schulen wird am Ende immer wieder auf die Linie Luther - Friedrich d. G. - Bismarck - Hitler abgehoben: Luther und Hitler, die Retter und Führer aus deutscher Not. Auf die Melodie "Deutschland , Deutschland über alles" wird die Strophe gesungen "Und es soll die Losung sein / evangelisch bis zum Sterben / deutsch bis in den Tod hinein."

In die Planungen zum 10.November platzt die Ankündigung Hitlers, aus dem Völkerbund auszutreten und am 12. November eine Volksabstimmung verbunden mit einer Reichstagswahl abzuhalten. Beides ließe sich zwar wirkungsvoll miteinander kombinieren unter der Parole: Das doppelte Ja der Deutschen: am 10.11. zu Luther, am 12.11. zu Hitler. Aber das ist in einem konfessionsgemischten Gebiet nicht opportun.

Anders in Braunschweig: der Aufruf zum Luthertag kombiniert beide Ereignisse: "In der Schicksalswende des deutschen Volkes rüsten wir uns zum 19. November, dem 450. Geburtstag Martin Luthers. Der Führer selber hat aufgerufen zum letzten Einsatz für Deutschlands Ehre und Freiheit. In diesen schicksalschweren Tagen begegnen sich Gegenwart und Vergangenheit. Der Reformator der Deutschen und der Kanzler des Volkes reichen einander die Hand. Ihnen Beiden geht es um Deutschland. So spricht der Führer: Wir haben nur einen Glauben und der heißt Deutschland. Und es bekennt der Reformator: Für meine Deutschen bin ich geboren, meinen lieben Deutschen will ich dienen." In der gemeinsamen Sicht vom 12. und 19. November ist Braunschweig eine Ausnahme. Sie setzt sich reichsweit nicht durch, und die Lutherfeierlichkeiten werden auf den 19. November verschoben, außerdem will Hitlers am Freitag, dem 10.11. mittags selber reden. Mit keinem Wort geht Hitler bei seinen Reden im November 1933 auf das geplante Lutherjubiläum ein. Ihm ist Luther vollkommen fremd. Größere Gegensätze lassen sich auch kaum denken. Es ist die Kirche, die auf die Parallele drängt.

Braunschweig indes macht bei den Lutherfeierlichkeiten eine weitere Ausnahme. Am 19. November können in der Stadt keine Lutherfeierlichkeiten stattfinden, weil dieser Sonntag seit langem für den reichsweiten, zentralen "Tag des Handwerks" besetzt ist. Das wäre ein Grund, die Landeskirche im Regen stehen zu lassen und das Lutherjubiläum als rein kirchliche Angelegenheit zu behandeln. Klagges dagegen hat ein hohes kirchenpolitisches Interesse, Nationalsozialismus und Christentum miteinander zu verbinden. Das Braunschweiger Land ist außerdem kein konfessionsgemischtes Gebiet, sondern 1933 rein protestantisch. Im auffälligen Gegensatz zu allen anderen ns.Führern erteilt Klagges den Schulen kurzerhand am 10. November vormittags schulfrei, organisiert auf dem Hagenmarkt eine zentrale Lutherfeier für alle Braunschweiger Schulen und redet selber zu diesem Thema. Luthers Thesenanschlag sei ein revolutionäres Handeln, das sich keinesweg auf die Kirche beschränken wolle, sondern: "wieder deutsches Leben in deutschen Landen zu gestalten." Der durch Luther entstandene konfessionelle Riß sei durch Hitler geheilt. Er habe die Reformation vollendet durch die Schaffung der deutschen Einheit, der sich auch die Kirchen unterzuordnen hätten. Luther und Hitler verhalten sich also wie Anfänger und Vollender.

Luther wird auch eingespannt für den Antikommunismus Hitlers. Im Aufruf zum Luthertag heißt es: "Wir stehen in den Geburtswehen einer neuen Zeit. Deutschland ist erwacht und kämpft um seine Seele. Wer soll in diesem Kampfe Führer sein? Martin Luther oder Lenin?..Wer sein Volk aus ganzem Herzen liebt, muß das Werk des deutschen Reformatoris ehren, dessen ganzer Kampf der Freiheit des deutschen Wesens und Glaubens galt."

Lutheraufsätze tauchen in der Folgezeit nun auch in den Schulungsbriefen der Partei auf.

2. Die Herkunft der Parallele zwischen Luther und Hitler

Houston Stewart Chamberlain, 1855 geboren, Schwiegersohn von Richard Wagner, 1927 in Bayreuth gestorben, verfaßte 1899 ein problematisches, schwülstisches Werk "Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts". Darin sind auch der Reformation und Luther ein Kapitel gewidmet, in dem Luther vor allen Dingen als Politiker gewertet wird. "Der schwache Punkt war bei Luther seine Theologie; wäre sie seine Stärke gewesen, er hätte zu seinem politischen Werke nicht getaugt, seine Kirche auch nicht." Luther wird also theologisch entkernt, seine Theologie in Politik verkehrt, lutherische Zitate Luthers nur oberflächlich benutzt und in andere Absichten gepreßt. Chamberlains Buch erlebte viele Auflagen und von 1933 bis 1942 12 weitere Auflagen, die dafür sorgten, daß dieses Lutherbild auch im Dritten Reich weit verbreitet wurde. Wenn Luther vor allem als Politiker verstanden wird, erscheint ein Vergleich Luther - Hitler schon einleuchtender. Es ist ein Vergleich zwischen zwei politischen Menschen.

Ein Beispiel für die theologische Entkernung Luthers und seine Verkehrung in Politik bot bereits das Luther-Jubiläum 1917, der 400. Jahrestag des Thesenanschlages. Luther wird im vorletzten Kriegsjahr als Landsknecht Gottes besungen und dessen Landsknechtsfaust das protestantische Deutschlands nun gebrauchen müsse. Luther wird in einem Atemzug mit Alldeutschland gestellt, jener Gruppierung, die noch 1917 groteske Kriegsziele wie die Eroberung Belgiens, Kurlands und Weißrußlands propagierte. " Du stehst am Amboß, Lutherheld / umkeucht von Wutgebellfer/ und wir, Alldeutschtland dir gesellt / sind seine Schmiedehelfer / Wir schmieden, schmieden immerzu / Alldeutschland wir und Luther du / das deutsche Geld und Eisen / und wenn die Welt in Schutt zuerfällt / wird deutsche Schwertschrift schreiben / das Reich muß uns doch bleiben." , gemeint ist natürlich das Reich Bismarck und nicht das Reich Gottes. Gottfried Maron hat in seinem Aufsatz "Luther 1917" in der Zeitschrift für Kirchengeschichte 1982 folgende Kapitel abgefaßt: "Luther als Materialschlacht an der Heimatfront" und "Auf dem Wege zum deutsch-Christentum". Er faßt sein Ergebnis zusammen, daß die leitenden Gedanken der DC-Bewegung 1917 bereits sämtlich vorweggenommen seien. Die Parallele "Luther - Hitler" ist also kein Kunstprodukt des Jahres 1933, sondern ihre Voraussetzungen sind bereits seit 1899 geschaffen. Es ist daher durchaus typisch, wenn schon zum Reformationsfest 1932 der stadtbekannte Pfarrer Johannes Schlott in einer Andacht in der Braunschweiger Tageszeitung Luther und Hitler miteinander vergleicht. "Hätte es nicht greifbar nahegelegen, die Parallele zu ziehen zwischen Luther und unserem Führer Adolf Hitler? Wie einst Gott uns Luther gesandt, die deutsche Seele freizumachen zu neuem Leben, hat er uns heute Hitler gesandt, dem deutschen Volk eine Seele zu geben. Heute ist Hitler unser großer Umwälzer, und wie einst das deutsche Volk sich seines Luthers erfreute, frohlockt heute das deutsche Volk seinem Hitler." Das Geschwür der Politisierung und theologischen Entkernung Luthers kommt 1933 zum Ausbruch und ging weiter.

3. Die Nazifizierung Luthers

Die Parallelisierung Luther - Hitler ist auch nicht auf das Jahr 1933 beschränkt und durchaus unabhängig von dem aktuellen Anlaß des Lutherjubiläums im November 1933. Arno Deutelmoser veröffentlicht im angesehenen Diederichs-Verlag 1937 ein Luther-Buch unter den Titel "Luther - Staat und Glaube". Deutelmoser war weder Theologe noch Historiker. Luther habe sich zwar subjektiv für einen Christen gehalten. Aber "tatsächlich geht Luther, indem er das Christentum zu Ende denkt, darüber hinaus." Luther habe nicht nur in seiner Staatsauffassung, sondern "bereits in seinen Glauben den Boden des Christentums verlassen". Er verkündige die Selbstherrlichkeit des Staates, kenne einen staatlichen Arbeitszwang, und der Krieg erweise sich nach Luther ohne jede Einschränkung als ein Mittel zur Ausübung der staatlichen Herrschaft. Deutelmoser ist der Erfinder der historischen Reihe: "Luther - Nietzsche - Hitler". Diese ganz abwegige Theorie wird unterstützt vom Chefdenker der Partei Alfred Rosenberg, der in seinem "Mythos des 20. Jahrhunderts" ganz auf Chamberlain fußt und in seiner Streitschrift "Protestantische Rompilger" der evangelischen Kirche Verrat an Luther vorwirft, weil sie sich eben der theologischen Entkernung widersetze.

Deutelmoser wird ernst genommen. Auf der Herbsttagung der Luthergesellschaft 1937 hält ihr Vizepräsident der Gesellschaft Knolle, Hauptpfarrer in Hamburg, einen ausführlichen Vortrag über Deutelmosers Buch, der auch in der Schriftenreihe der Luthergesellschaft gedruckt erscheint. Knolle weist darin nach, daß Deutelmoser nach Inhalt und Formulierung auf das Buch von Friedrich Hielscher "Das Reich" aus dem Jahre 1931 zurückgehe. Hielscher indes habe den Nationalsozialismus schroff abgelehnt. Mit diesem Nachweis, erweckt Knolle den nützlichen Eindruck, daß Deutelmosers Lutherinterpretation nicht systemgerecht sei.

4. Widerspruch zur Parallelisierung Luther - Hitler

Von Anfang an hat es gegen die von Preuß so drastisch ausgezogene Parallele "Luther - Hitler" entschiedenen Widerspruch gegeben. Karl Barth behandelt im Heft 4 der "Theologische Existenz heute" das Thema "Lutherfeier 1933". Barth, damals weit bekannter Theologieprofessor an der Universität Bonn, distanzierte sich von der Mode, sich einseitig bei Luther zu bedienen, wie es einem gerade passe. Das Barock habe Luther als geistlichen Herkules gefeiert, die Aufklärung sehe in Luther ein Vernunftlicht, die Liberalismus schätze an ihm die religiöse Persönlichkeit. "Heute dürfte aus naheliegenden Gründen vor allem Luther, der große Deutsche, an der Reihe sein", spottet Barth. Für Barth ist Luther nichts anderes als ein Leser und Ausleger der Bibel, und darin ein Lehrer der christlichen Kirche. Karl Barth merkt aber auch, daß mit dem völkischen Lutherbild Kirchenpolitik gemacht wird und veröffentlicht dazu im selben Heft einige Gegenthesen: "Wer heute ein im deutschen Volkstum verwurzeltes Christentum predigt, bindet das Wort Gottes an eine eigenmächtig gebildete Weltanschauung, hebt es damit auf und stellt sich außerhalb der evangelischen Kirche. 4. ...Wer heute die Reformation als eine spezifische deutsche Angelegenheit behandelt, interpretiert sie profangeschichtlich und stellt sich außerhalb der evangelischen Kirche. 5...Wer heute eine Prägung des Glaubens durch Ereignisse wie das der ns-Revolution verkündigt, macht den Glauben selbst zu einem vergänglichen Menschenwerk und stellt sich außerhalb der evanglischen Kirche."

Karl Barth steht keinesweg allein da. Ernst Wolf, ein Schüler Barths, hält am 25. Oktober 1933 einen Vortrag über Martin Luther, abgedruckt in "Theologische Existenz heute, Nr. 6". Luther sei der Kritiker aller Religionen, es gebe keine Anknüpfung an die Welt Gottes durch Volk- und Vaterlandsliebe oder sittliche Ordnungen, Gott sei allein durch Jesus Christus zu hören.

Aus einer ganz anderen theologischen Richtung meldete Hermann Sasse, Professor in Erlangen, seinen Protest an. Er veröffentlichte im Kaiserverlag 1934 den Aufsatz "Was ist lutherisch?" und stellt zutreffend fest, daß die Person Luthers dann besonders in den Vordergrund rücke, je weniger Luthers Theologie beachtet werde. Von Sasse stammt der eingangs zitierte Ausdruck von der "Schreckenskammer der Lutherjubiläen". "Je mehr die Lehre Luthers aus dem Bewußtsein seiner Kirche schwindet, umso törichter wird der Kultus seiner Person getrieben. Und je mehr man dem evangelischen Volk in schwülstigen, verlogenen Festreden den "Helden von Worms", den "Landsknecht Gottes" und wie die übrigen Gestalten und Symbole aus der Schreckenskammer der Luther-Jubiläen heißen, vorsetzte, umso mehr entfremdete es man der Reformation." Die Reformation sei weniger ein Ereignis der Weltgeschichte, der Kulturgeschichte oder Nationalgeschichte, sondern zuallererst ein Ereignis der Kirchengeschichte, also eine Antwort auf die Frage, wie man vor Gott fromm und gerecht werde. Sasse hat sich mit diesem Lutherverständnis vom Nationalsozialismus weit distanzieren können, aber er ist unter den Lutheranern doch eine Ausnahme geblieben.

Auch aus Braunschweig gibt es Protest. Der Direktor des Predigerseminars in Wolfenbüttel Fritz Dosse, Pastorensohn, und 1937 43 Jahre alt und Geschäftsführer der Luthergesellschaft, veröffentlichte im "Evangelisches Deutschland" 1937 einen Aufsatz "Ein neuer Luther?" Dosse weist unmißverständlich auf die Rechtfertigungslehre Luthers als das bleibende Kernstück der lutherischen Theologie hin. Ein neues Lutherbild sei wirklich überflüssig.

Im Gegensatz zur These "mit Luther zu Hitler" veröffentlicht der norwegische Bischof Berggrav in seiner Schrift "Wenn der Kutscher trunken ist" die These "Mit Luther gegen Hitler" und bläst in einer Vortragsreihe 1941 zum Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht.

5. "Mit Luther nicht gegen aber auch nicht für Hitler"

Die Schriften Luthers wurden im Dritten Reich viel gedruckt, die wissenschaftliche Arbeit an der Gesamtausgabe von Luthers Werken, der sog. Weimarana ging weiter, die lutherischen Kirchen Hannovers und Bayerns blieben "intakt". Es wurde eine neue Zeitschriftenreihe "Luthertum" unter Mitwirkung von Landesbischof a.D. Schöffel, Bischof Meiser, Bischof Marahrens und den lutherischen Professoren Elert und Althaus herausgegeben. Dieselben Professoren geben eine Schriftenreihe unter dem Titel "ecclesia militans - für lutherische Lehre und Gestaltung" heraus, in der sie sich scharf von den Lutherinterpretationen Karl Barths aber auch der Deutschen Christen distanzieren. In Erlangen erschien im Martin-Luther-Verlag für die Hand der Gemeinde die Schriftenreihe "Lutherischen Bekennen". Es gab also sehr viel Freiraum für die lutherische Mitte in einer Zeit, wo die Presse aller Rechts- und Linksparteien längs aufgelöst und beschlagnahmt war. Das kirchenpolitsche Ziel war, die lutherische Kirche mal in Nähe und mal in Distanz zur Hitler-Diktatur zu positionieren. Dafür ist typisch die zweibändige Lutherbiographie von Rudolf Thiel. In 5 Kapiteln "der Ketzer - der Mönch - der Kämpfer - der Führer - der Wächter -" zeichnet Thiel ein lebendiges, flüssig geschriebenes Lutherbild unter Verwendung von vielen Textstellen. Weniger die Theologie Luthers als der Mensch Luther stehen im Mittelpunkt dieser Biographie. Thiel ist offenbar auch überrascht von den zahlreichen menschlichen Schwächen Luthers, die indes auf ihn eher anziehend wirken. Thiel ist weder Theologe noch Historiker, hat sich aber in jahrelanger selbständiger Lutherlektüre die Grundlagen für seine Biographie angelesen. Dieses Lutherbild störte nicht während der Nazizeit, sondern beließ dem Reformator seinen frommen, religiösen Raum.

Von dieser Biographie ist besonders der Minister für die kirchlichen Angelegenheiten Hans Kerrl angetan, der dafür eintritt, daß Protestantismus und Nationalsozialismus friedlich nebeneinander bestehen sollen. Als er am 3. Advent 1943 verstirbt, widmet ihm die Kirchenkanzlei und der geistliche Vertrauensrat einen ehrenden Nachruf, in dem auf dieses Nebeneinander von Luthertum und Nationalsozialismus ausdrücklich verwiesen wird.

6. Luther-Jubiläum 1946

Schon während des Krieges wird die historische Reihe Luther - Hitler nun mit einem Negativzeichen versehen und Luther zum geistigen Urheber des Nationalsozialismus gemacht. 1941 veröffentlichen Mc Govern und W. Montgomery das Buch "From Luther to Hitler" und 1949 P.F. Wiemer "Martin Luther - Hitlers Spiritual Ancestor". Scharfe Kritik löst diese Verbindung besonders bei marxistischen und katholischen Historikern aus. Ernst Niekisch sieht in seinem Buch "Deutsche Daseinsverfehlung" Luther als den heimlichen Vater der heillosen Entwicklung, die zum Nationalsozialismus führte. Er habe das Bündnis mit den revolutionären Bauern abgelehnt, damit sei die Reformation politisch zusammengebrochen, und Luther habe das Fundament zum deutschen Obrigkeitsstaat gelegt, das im NS-Staat seien furchtbaren Ausdruck fand. Im "Hochland", der katholischen Elitezeitung, erscheint 1946 ein Aufsatz von Alfred v. Martin. Er macht die Reformation für den Anfang der Säkularisierung verantwortlich, die sich im preußischen Machtstaat und in der ns-Diktatur fortsetze und verdichte.

Auch zum Luther-Jubiläum November 1946, also zum 400. Todestag Luthers, erscheinen Lutherdeutungen, z. B. von Hanns Lilje und auch von Walter Künneth in seinem vielgelesenen Buch "Der große Abfall". Künneth sieht in der Säkularisierung seit dem 16. Jahrhundert den beginnenden Abfall vom christlichen Glauben, der nun in der Nachkriegszeit eine dramatischen Zuspitzung erfahre. Man stehe in der Krisis zwischen den gottwidrigen und gottgewollten Kräften. Dabei sei eine Rückbesinnung auf die Reformation hilfreich, denn Luther stelle "den historischen Gegenpol" zu Hitler dar, die Reformation stehe "in unbedingtem Gegensatz zum Nationalsozialismus". Die Kirchen seien "Widerstandszentren" gewesen, und die Kirche habe in den Stürmen der Weltgeschichte das Wächteramt zu vollziehen, nämlich die säkularen Elemente auszuscheiden und sich einem biblischen Realismus, wie ihn Luther neue entdeckt habe, zuzuwenden. In dem Kapitel "Grundsätze einer evangelischen Geschichtsdeutung" feiert Künneth die christliche Gesinnung der Preußenkönige, die friederizianische Welt sei noch gehalten von christlicher Tradition, noch eindrücklicher erweise sich die christlichen Gebundenheit der preußisch-deutschen Geschichte in der Epoche der Freiheitskriege, Bismarck bejahe bewußt die christlichen Fundamente für sein persönliches Leben. Künneth feiert "die beiden letzten Ritter christlichen, deutschen Soldatentums, Mackensen und Hindenburg". "Die Preisgabe der christlichen Tradition des deutschen Heeres war der tiefste Grund seines Untergangs." Künneth zieht hier also die im Dritten Reich so beliebte Linie Luther - Friedrich der Große - Bismarck - Hitler wieder aus, aber ersetzt Hitler durch Hindenburg und gibt dieser Traditionslinie wieder ein christliches Vorzeichen. Eindrucksvoller läßt sich die Kontinuität der Nachkriegszeit mit der Hitlerzeit und zur Kriegszeit um 1917 nicht belegen. Nicht eine erneute Militarisierung Westdeutschlands ist dann die Sorge Künneths, sondern ob diese Remilitarisierung im christlichen Geiste erfolgen wird. Das sieht Künneth dann in den 50iger Jahren unter Adenauer bei der CDU gewährleistet. Das Buch erlebt 1946 / 47 eine beispiellose Aufnahme, zwei Auflagen sind in kurzer Zeit vergriffen, und Künneth schreibt in seinen Lebenserinnerungen aus dem Jahre 1979, daß Buch habe "an Aktualität noch nichts eingebüßt".

Mit Blick auf diese Schreckenskammer der Lutherjubiläen kann ich nur bitten: "Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit. Erbarm dich, Herr".

Zusammenfassung eines Vortrags in der Wicherngemeinde, Braunschweig, am 25. Februar 1996

Leicht verkürzt abgedruckt in Kirche von Unten Heft 82 Juni 1996


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