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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 104, März 2002, Seite 72-74
(Download als pdf hier)


SCHLAGLICHT: DER JESUS BOOM

von Kurt Dockhorn

Triumphierend konnte Idea Spektrum am 30.01.02 notieren: "Eine überraschende Wende gibt es offensichtlich in der kirchlichen Beurteilung der Aktion "Kraft zum Leben". Die Wende herbeigeführt hatte ein Referat des Leiters der "Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen" Hempelmann vor dem Rat der EKD, indem er zu einem "im wesentlichen positiven" Ergebnis kam und das Produkt aus amerikanisch-fundamentalistischem Haus (de Moss Stiftung) eine "Chance für den Glauben" nannte. Beobachter der Szene werden sich an eine Hochglanzbroschüre erinnert fühlen, die hieß "Vom Minus zum Plus", und mit ihr wurden alle deutschsprachigen Haushalte in Europa beglückt. Absender dieser nicht bestellten Sendung war der umstrittene Afrika-Missionar Reinhard Bonnke, und die Aktion war so "erfolgreich", daß die Initiatoren nie mit einer Auswertung an die Öffentlichkeit gingen. Ein ähnliches Schicksal wird "Kraft zum Leben" beschieden sein, also insofern gibt es keinen Grund zur Aufregung. Aufregend und die theologische Entwicklung kennzeichnend ist vielmehr die schwindende Bereitschaft kirchlicher Glaubenshüter, sich kritisch von der Verwandlung des christlichen Glaubens in eine durch Werbung angepriesene Ware abzusetzen. Verkauft wird der immer gleiche dünne Aufguß der Evangelikalen: "die persönliche Beziehung zu Gott neu gestalten" (CVJM-Generalsekretär Parzany in Chrismon 02/02).
Drive und Bewegung bekommt die christliche Marktstrategie aber nicht mit dieser modernisierten Methode des Traktate-Verteilens, sondern mit einer entschlossenen Hinwendung zur Jugend. Daß eine Glaubensband sich schon auf Platz vier hochgesungen hat bei der deutschen Vorentscheidung zur diesjährigen Grand-Prix-Teilnahme in Tallinn, belegt die aktuelle Entwicklung.

Am 19. Dezember 2001 widmete die ZEIT ein ganzes Dossier dem neuen Jesus-Kult. Titel: "O Jesus, Kumpel und Lover". Inzwischen feiern über 100 Jesusfreaks-Gruppen in Deutschland ein "fettes Comeback" von Jesus und vermitteln einer rasch wachsenden Anzahl von Jugendlichen ein Gefühl von Highsein mit Jesus ganz ohne sonstige Drogen. Pastor Karsten Wolff ist Pfarrer in Dresden mit engem Kontakt zu den dortigen Jesusbewegten Jugendlichen. In den frommen Teens von heute sieht er die Kirche von morgen. Maria Jepsen, Bischöfin in Hamburg, bejaht in einem Interview in derselben ZEIT die Frage, ob es gerechtfertigt sei, von einem religiösen Boom zu sprechen, und man spürt in ihren Antworten die Sehnsucht nach Erlösung der stagnierenden und zerfallenden Kirche durch den jugendlichen Jesus-Kult: "Die Jesusfreaks und ähnliche Gruppen machen uns Mut, deutlich unser Profil zu schärfen. Wir waren zu verkopft.... Fürs religiöse Überleben unserer Gesellschaft ist es meines Erachtens wichtig, daß wir.... Religion fühlen wie eine gute Droge". War diese Frau nicht mal Hoffnungsträgerin der Kirche?. Wir können hier besichtigen, wohin sich Hoffnung in der EKD inzwischen verlagert.

Essig in den Wein hat der Berliner Jugendforscher Richard Münchmeier auf der Januar-Synode der Rheinischen Kirche gegossen. Glaube wird, unabhängig von boomenden Moden, auch in der jungen Generation, immer mehr zur Privatangelegenheit, die Kirche wird dieses Wasser nicht auf ihre Mühlen leiten können. Das aber heißt: daß Gott unter Jugendlichen wieder modern sei, nicht aber die Kirche (so die ZEIT), ist demnach von äußerst begrenzter Aussagekraft. Die Kirche wird sich nicht retten, weder durch Liebäugeln mit evangelikalen Kampagnen, noch indem sie nach den neuen Jesuskulten wie nach einem Strohhalm greift. Beides wird vielmehr ihre Verzweiflung und Ratlosigkeit vergrößern. Die große Gefahr dieses neidvollen Schielens auf angebliche Erfolge anderer, die doch nur neue Wahnideen sind, innerhalb des Protestantismus sehe ich in etwas anderem: Im Unterschied zu anderen Konfessionen der Weltchristenheit ist es Bestimmung und Schicksal des Protestantismus, sich in Spruch und Widerspruch dialogisch-dialektisch zur Aufklärung zu verhalten. Es ist beklemmend zu sehen, wie die protestantischen Kirchen diesen Auftrag vergessen. Man kann es auch so sagen: Der Bedeutungsverlust des Protestantismus geschieht nicht durch Säkularisierung, er vollzieht sich vielmehr als Selbstentmachtung durch Theologieverzicht.




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