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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 110, Dezember 2003, Seite 50-51
(Download als pdf hier)


Buchbesprechung
KLAUS BELGARDT: DER STALLJUNGE

von Kurt Dockhorn

Klaus Belgardt hat seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben. Darin blickt der Mann aus Salzgitter auf ein wahrhaft bewegtes Leben zurück. Die in diesem Jahr erschienene Autobiographie ist in mehrfacher Hinsicht exemplarisch: Die Lebensräume Berlin-Schlesien-Salzgitter ergeben sich aus Flucht und Vertreibung, wobei die erste "Vertreibung" nicht auf das Kriegsende verweist, sondern eine Austreibung aus der Berliner Kindheitsfamilie war. In dieser Geschichte der ersten Jahre steckt eine weitere "Vertreibung", nämlich die aus einer geordneten Schullaufbahn, an die sich, so war es gedacht, eine Lehrerausbildung anschliessen sollte. Was folgte, würde man heute eine Patchwork-Biographie nennen: Der Flüchtlings-junge traf in Salzgitter sklavenähnliche Ausbeutungsverhältnisse in der Landwirtschaft und im Kohlenhandel an. Der Preis für das Überleben war die Ruinierung seiner physischen Kräfte. Ebenso exemplarisch schildert Belgardt die Arbeitsbedingungen in der Stahlindustrie und die dort gegebenen Gesundheitsrisiken. Eindrucksvoll arbeitet der Bericht heraus, daß für ihn das Überleben in der Hütte verbunden war mit einer Politisierung, die ihm durch Teilnahme an der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit ermöglicht wurde. Folgerichtig mischt Belgardt sich im weiteren Verlauf in die Kommunalpolitik ein. Wiederum exemplarisch zeichnet er Konflikte und die Rolle der Presse in der Politik nach. Patchwork ja. Aber ein durch und durch schlüssiger Lebenslauf, bis dahin, daß er, als selber betroffener Schmerzpatient, in seinem Ruhestand eine Selbsthilfegruppe ins Leben ruft.
Dabei ist das Ganze lebendig und farbig erzählt, und die Lektüre macht staunen angesichts der Fülle konkreter Details, die das Buch von der Kindheit bis ins Alter durchziehen.

Wie lebten die Menschen nach dem Krieg in unserer Region, welche Arbeitsbedingungen fanden sie vor, welche Chancen und Hoffnungen hatten sie? Wer darüber etwas erfahren möchte, wird hier auf seine Kosten kommen.
Übrigens: der Lebensbericht kommt fast ganz ohne Erwähnung von Gott und Kirche aus. Vielleicht ist das nicht untypisch für Salzgitter. Belgardt erwähnt lediglich, daß bei seiner kirchlichen Trauung Pfarrer Hansmann in Lesse gepredigt und mit seiner Predigt Widerspruch hervorgerufen habe. Seine Prognose für den Bestand der Ehe sei skeptisch gewesen: Sie einheimisch, er Flüchtling. Sie evangelisch, er katholisch. Sie mit Familie. Er elternlos. Belgardts Erinnerung: "Meine Schwiegermutter nannte die Predigt eine Unverschämtheit.' Andere fanden sie gut".




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