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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von unten Nr. 117, März 2006, Seite 51-54
(Download als pdf hier)


Lektorenausbildung und lutherischer Bekenntniskrampf

von Dietrich Kuessner

Das neue Amtsblatt vom 15. November 2005 beglückt die Landeskirche mit einer weltfremden Kirchenverordnung zur Ausbildung von Lektorinnern und Lektoren. In der Gemeindepraxis sieht das so aus: ein Gemeindemitglied hat Freude am Gottesdienst und kommt häufig. Es unterhält sich auch mal mit dem Pfarrer, der Pfarrerin über den Gottesdienst und die Predigt und hat vielleicht sogar eigene Vorschläge. Der Pfarrer empfiehlt ihr, sich an der Gestaltung des Gottesdienstes zu beteiligen. Mal liest sie im Wechsel mit der Gemeinde den Psalm, mal eine der Lesungen, mal eine der Fürbitten. Sie wächst in den Gottesdienst ihrer Gemeinde hinein. Das fällt auch dem Kirchenvorstand auf. Es ist Sommer, der Pfarrer „auf Urlaub,“ ein anderer schlecht zu besorgen. Ausfallen lassen? „Du könntest außer dem Evangelium doch auch eine Lesepredigt vorlesen, muß nicht lang sein, aus einem Kalenderblatt“. „Es kommen doch so wenige“, „ausfallen lassen?“, „ne, ich probier es mal“. Die gesungene Liturgie fällt aus, aber Psalm, Lesung, Glaubensbekenntnis, Vorlese aus dem Kalenderblatt, Fürbitten, Vaterunser, doch das geht. „Das hast Du gut gemacht“, sagt eine aus dem Kirchenvorstand. Und wir haben nur bekannte Lieder gesungen.
Vielleicht wußte der Pfarrer gar nicht Bescheid. Der eine freut sich, fragt nach, wie sie sich gefühlt hat, ob sie es noch mal machen würde, ob man gemeinsam darüber sprechen könnte, auf jeden Fall sollte man mal im Kirchenvorstand darüber reden. Und wie die Frauenhilfe darüber denkt. So entsteht eine eigene Urlaubsvertretung in der Gemeinde, der Lektor, die Lektorin wird immer sicherer, es ist ihr schön, daß der Kirchenvorstand ihr das zutraut, und daß sie hinterher mit ihrer Pfarrerin, ihrem Pfarrer darüber sprechen kann. Der andere ist gekränkt, fühlt sich übergangen, fühlt sein „Amt“ bedroht“, sie aber macht weiter. Nach einem Jahr vergleicht er die Gottesdienstbesucherzahlen und stellt beleidigt fest, „daß bei ihr mehr da waren.“
Mit diesem fröhlichen Wehen des Geistes in den Gemeinden soll es gemäß der Verordnung vom 13. 10. 2005 endgültig vorbei sein. „§ 1 Voraussetzungen. Die Bewerbung für die Ausbildung zum Lektor oder Lektorin erfolgt beim Predigerseminar. Eine Stellungnahme des zuständigen Propstes oder der zuständigen Pröpstin und des Gemeindepfarrers oder Gemeindepfarrerin ist beizufügen.“
In welchem Referat des Landeskirchenamtes ist diese Afterverordnung ausgebrütet worden? Am Anfang steht nicht die Freude und das Ausprobieren und das Echo in der Gottesdienstgemeinde und eine Besprechung im Kirchenvorstand, sondern eine „Anmeldung“, ausgerechnet im Predigerseminar, das von der Gemeindesituation keine Ahnung hat und auch nicht angehalten wird, sich diese zu Gemüte zu führen. Mit der Anmeldung allein ist es jedoch nicht getan. „§ 2 Zulassung. Über die Zulassung zur Teilnahme an einem Lektorengrundkurs entscheidet das Landeskirchenamt“. Was bildet sich diese Behörde ein, nach welchen Kriterien will sie ihre „Zulassung“ treffen? Kennt sie Gemeindesituation und die Lage im Kirchenvorstand und in der Gottesdienstgemeinde? Im Ausnahmefall ja, in der Regel hat sie keine Ahnung, aber kömmt großkotzig mit dem Anspruch einer Zulassung daher.
Einmal auf der schrägen Ebene ist natürlich des Irrsinns kein Halten mehr. Nach Bewerbung und Zulassung hat sich die Lektorin einem „Lektorengrundkurs“ zu unterwerfen, der „im Auftrag des Landeskirchenamtes vom Predigerseminar gestaltet und verantwortet wird“ (§ 3) Nun kommt also die willige Lektorin in wildfremde Hände, die seit Jahren vom Gemeindepfarramt keine Ahnung mehr hat. Richtig wäre es, eine gewisse Ausbildung, wenn sie von der Lektorin, dem Lektor gewünscht wird, in die Hände eines aktiven oder emeritierten Gemeindepfarrers zu legen. Das war früher Pfarrer Nebel und der hat es nach Aussagen der Lektorinnen und Lektoren prima gemacht. Danach hatte Dr. Hennig die Arbeit übernommen. Warum wird dieser gewachsene Rhythmus nun gestört? Ganz einfach und banal: das Predigerseminar ist nicht ausgelastet, giert und lefzt nach immer neuen Aufgaben und hat sich nun die Lektorenausbildung unter den Nagel gerissen. Dumm, ganz einfach nur dumm. Die Anbindung an eine Gemeinde ist natürlich ideal, die kalten Räume des Predigerseminars stoßen geradezu ab. Mindesten zu acht Wochenendseminaren sollen die Auszubildenden antanzen, am Ende erfolgt ein Kolloquium und eine Einführung. Liebe Leute in der Kirchenleitung, laßt die Tassen im Schrank! „§ 5: Nach Abschluß der Ausbildung entscheidet das Landeskirchenamt über die Beauftragung zum Lektorendienst auf Vorschlag des Predigerseminars(!).“ Dafür halte ich die Leitung des Predigerseminars schlicht für ungeeignet.
Wieviel Verachtung für die geistliche Verantwortung eines Kirchenvorstandes und für die seelsorgerliche Verantwortung des Ortspfarrers, der Ortspfarrerin sind auf dieser Schräge angesammelt.
Keine Kirchenverordnung ohne Hintertürchen. „ § 6 In Ausnahmefällen kann eine Beauftragung auch ohne die vorgeschriebene Ausbildung erfolgen.“

Wie war es früher? Ich fand in meiner Offleber Kirchengemeinde zum Lektorendienst fähige Leute vor: einen Kirchenvorsteher aus dem Osten, eine Hausfrau aus dem Dorf, einen Theologiestudenten. Der Kirchenvorstand schlug diese drei zum Lektorendienst vor, OLKR Kammerer kam zu einem Gottesdienst in die Gemeinde und beauftragte diese förmlich. Gedacht war dieser Auftrag vor allem für Gottesdienste in der eigenen Gemeinde; der Kirchenvorsteher aus dem Osten hatte schon längere Praxis und machte Gottesdienste auch in den umliegenden Dörfern. Das war in den sechziger Jahren. Man sehe sich die abstoßende Entwicklung bis zu der Mißgeburt vom Oktober des Jahres an.
Ist der Lektorenvertrauenskreis gründlich und von Anfang an in die Entstehung dieser Verordnung einbezogen worden? Wie hat er votiert?
Gemeindeausschuß?
Es geht in unserer Landeskirche auch anders, ganz anders. Der damalige Jugendwart Kolb beschreibt in seinen Erinnerungen, wie er zum Lektorenamt gekommen ist. Sein Bericht:
„Bruder Kolb“, sprach mich Propst Leistikow an: „Halten Sie bitte in 14 Tagen den Gottesdienst in unserer Gemeinde“. „Aber Herr Propst, ich bin doch als Jugendwart angestellt!“ „In dieser Zeit, da etliche Amtsbrüder auch anderweitig gefordert werden, müssen wir zusammenstehen. Reichen Sie mir bitte das Predigtkonzept vorher ein.“ – Nun ich tat, wie’s erbeten wurde und hielt den Gottesdienst. Kurze Zeit darauf kam vom Landeskirchenamt eine Bescheinigung für das Recht der freien Wortverkündigung zu mir. Das hatte ich nicht beantragt.“

Daß in dieser Sache manches in Bewegung ist, macht eine Empfehlung der lutherischen Bischofskonferenz zum Thema „Allgemeines Priestertum, Ordination und Beauftragung nach evangelischem Verständnis“. vom November 2004 deutlich. Sie kommt zu erstaunlichen Aussagen: Das Verkündigungsamt wäre der ganzen Kirche (und eben nicht nur dem Pfarrestand) aufgetragen und damit die Sache aller Christenmenschen. (S. 10) Grundsätzlich wird zwar unterschieden zwischen Ordination und Beauftragung. Pfarrer und Pfarrerinnen werden ordiniert, Prädikanten und Prädikantinnen werden beauftragt. (S. 16./20) „In einzelnen Fällen“ jedoch könnten auch „entsprechend ausgewiesene Prädikanten“ ordiniert werden. (S. 21) Diese Empfehlung der Bischofskonferenz hat den Widerspruch der Vorsitzenden des Theologischen Ausschusses der VELKD Frau Prof. Wendebourg gefunden. Sie sieht die Aussage der Augsburgischen Bekenntnisschrift, wonach nur der Pfarrer ordiniert werden dürfte, aufgeweicht. Da hat sie recht und deshalb ist die Gedankenkonstruktion, eine neues Amts- und Dienstverständnis mit dieser Bekenntnisschrift zu verbinden, widersprüchlich.
Tatsächlich ist der Bekenntniskrampf der Lutheraner, auf den die anderen Teile der evangelischen Kirche scheinbar Rücksicht nehmen müssen, ein schweres Hindernis, in dieser Sache einen Durchbruch zu erzielen. Es muß eben konsequent zwischen dem einen, einzigen von Christus der Kirche anvertrauten Amt und den sich daraus entfalteten Diensten in der Kirche unterschieden werden. Auf das Wort „Ordination“ sollte ganz verzichtet werden. Es sollte durch das Wort „Berufung“ ersetzt werden. Für die Berufung gäbe es keine Voraussetzung (etwa die theologische Kompetenz). Pfarrerinnen und Pfarrer, Lektorinnen und Lektoren, Prädikantinnen und Prädikanten, Organisten und Organistinnen, Katechetinnen und Katecheten, Diakonissen und Diakone, Küsterinnen und Küster, übrigens auch Oberlandeskirchenräte, die nicht Theologie, sondern Jura studiert haben, – alle, alle werden berufen und es gibt keinen grundsätzlichen Unterschied, weil sich alle diese Dienste auf das eine einzige von Christus gegebene Amt beziehen. Alle (alle!) stehen in ihren verschiedenen Diensten im einen „Amt der Verkündigung“. Das heißt auch: wir sollten die Augsburger Bekenntnisschrift als ein zeitgeschichtliches Dokument wohl in Ehren halten, ansonsten uns jedoch von ihren Aussagen auch entschlossen trennen. Es gibt nur ein Bekenntnis und das heißt: „Christus ist der Herr“. Daher ist die immer wieder aufgestellte Behauptung von der „Bekenntnisgebundenheit“ ein schrecklicher Irrläufer und Irreführer, wenn damit leider die Gebundenheit an das historische, und zwangsläufig antiquierte Bekenntnis von 1540, zum Ausdruck gebracht werden soll. Es ist geradezu eine Wahnvorstellung, wenn es in der Empfehlung heißt: „Die Orientierung am Bekenntnis erschließt dabei den Zugang zur Schrift und dient zugleich der Erkenntnis dessen, was schriftgemäß ist“ (S. 3). Sie wären „maßgebliche Orientierung“. Ha ha! Wann haben denn die Theologiestudenten je ihre Nase in die Augsburgische Bekenntnisschrift gesteckt, wo befindet sich das Exemplar in ihrer theologischen Bücherei? Ich weiß, unter Theologen wird so geschwollen besonders in Rücksicht auf die rechten lutherischen Brüder geredet. Man sollte um der Ehrlichkeit willen damit endlich Schluß machen und dem Heiligen Geist die Chance einräumen, daß auch heute in eigener Sprache und in zeitgemäßer Ordnung über Kirche und Amt nachgedacht werden kann.




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