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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von unten Nr. 117, März 2006, Seite 58-59
(Download als pdf hier)


Das Evangelium nach Pilatus von Eric-Emmanuel Schmitt
NICHT ZUM LESEN EMPFOHLEN

Eine Buchbsprechung von Kurt Dockhorn

Der Autor, 2004 berühmt geworden mit "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran", hat im vergangenen Jahr auf französisch und deutsch ein "Evangelium nach Pilatus" vorgelegt. Darin blickt er auf 80 Seiten zurück auf das Leben Jesu aus dem Blickwinkel der Nacht vor seiner Verhaftung und auf weiteren 200 Seiten aus der Perspektive des Pontius Pilatus. der im Verlauf der Erzählung fast zum Christen wird, nachdem seine Frau sich zu den Nachfolgerinnen des Nazareners gesellt hat: Pilatus als Pilger unter Pilgermassen auf dem Weg nach Nazareth - das ist peinlicher religiöser Kitsch.
In beiden Teilen wird munter drauflos erzählt, als hätte es nie eine Dekonstruktion der Leben-Jesu-Forschung durch Albert Schweitzer gegeben. Und so verwundert es den Leser auch nicht mehr, im Nachwort zu vernehmen, daß sich der Autor dem Jesus-"Biographen" Renan besonders verbunden fühlt.
Wirklich ärgerlich indes ist, daß infolge der beliebigen und unkritischen Verknüpfung aller vier Evangelien der neutestamentliche Antijudaismus ungefiltert in Schmitts Jesus-Roman eingeht. Eine üble Kostprobe: "Welche Tiere schlachten die Juden eigentlich zu Ostern?", fragt der Besucher Fabian auf Seite 122 Pilatus. Auf dessen Erwiderung: "Lämmer" wirft ein dritter Anwesender ein: "Lämmer genügen ihnen nicht mehr; in diesem Jahr mußte es ein Mensch sein". Da haben wir es wieder, das sattsam bekannte wohlvertraute antisemitische Vorurteil vom blutdürstigen Juden.

Immerhin, im Nachwort hat der Autor eine Überraschung für uns bereit. Ich meine nicht dies, daß er sich als gläubiger Christ outet - nach einer Nacht in der Wüste bekehrt in die Zivilisation zurückgekommen. Das geht in Ordnung, obgleich es, hätte man es schon in einem Vorwort gelesen, gleich im Hinblick auf die literarische Qualität der Erzählung mißtrauisch gemacht hätte. Sondern ich meine seine Distanzierung vom Antisemitismus, die eingebettet ist in den Bericht von der wahrlich krimihaften Entstehungsgeschichte dieses Buches. Schmitt bezieht sich auf seine Behandlung der Judas-Figur und nennt den Verrat für 30 Silberlinge "eines der Fundamente des christlichen Antisemitismus" (S.269). Dieser Widerspruch zwischen Roman und Nachwort ist in der Tat überraschend in einem insgesamt ziemlich spannngsfreien Text. Auf S.279ff. nennt Schmitt die Debatten darüber, ob Jesus von den Juden oder den Römern getötet worden sei, "lächerlich". Er begnügt sich mit der Auskunft, daß es "die Macht und die Institution " waren. Es kümmert ihn nicht im mindesten das nachvollziehbare Interesse der Evangelisten, die Römer im Verfahren gegen Jesus zu entlasten, um dafür im Gegenzug die Juden zu belasten. Die Frage nach der Verantwortung für die Hinrichtung Jesu verflüchtigt sich ins Totale und Allgemeine von "Macht und Institution" als Gegenüber zu dem anderen Totalen der Erlösung der Menschheit durch den Opfergang des Gottessohnes ans Kreuz. Mit diesem schlichten Dualismus, der schlicht zuviel ist, kann uns heute nicht gedient sein.
Eric-Emmanuel Schmitt wäre nicht der erste und einzige Christ, der Antisemit ist und sich diese Tatsache wortreich verdeckt.




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