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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von unten Nr. 117, März 2006, Seite 37-41
(Download als pdf hier)


Mehr nehmen als geben
Wie aus einem Recht wieder Unrecht werden muss

von Eberhard Fincke

Was man zurzeit selbst nicht braucht, kann man verleihen. Wer jedoch Geld leiht, verlangt es mit Zinsen zurück und merkwürdig, wir alle halten das für Recht, Was tut das Kind, wenn die Mutter vom Butterbrot erst ein Stück abbeißt, bevor sie es ihm gibt? Es schreit, mit Recht.

In der hebräischen Bibel heißt das Wort für Zins wörtlich übersetzt: "Biss" oder "Abbiss". Der Geldverleiher beißt von der Leihsumme einen Teil ab, verlangt sie aber voll zurück. Wieso ist das Recht?

Diese Frage können auch die Wirtschaftswissenschafter bis heute nicht eindeutig beantworten. Immer noch meinen sie trotzdem, das Recht dazu müsste sich aus der Natur der Sache ergeben oder aus der Entstehung der Zinszahlung. Bisher ist man da aber nicht fündig geworden. Alte bisherigen Theorien sind letzten Endes nicht stichhaltig (Gunnar Heinsohn). So glauben wir alle mehr oder weniger, dass es mit der Zinsforderung seine Ordnung hat und nicht, dass sie einfach Habsucht ist.

Martin Luther, der Trotzkopf, hat sich noch quer gestellt. In den Jahren 1520 - 24 hat ihn die Sache mit dem Zins beschäftigt. In seiner Schrift "Von Kaufhandlung und Wucher", 1524, kam er zu dem Schluss, der Zins sei mehr oder weniger abzuschaffen, weil moralisch und volkswirtschaftlich schädlich und von Christen ohnehin abzulehnen.
Die lutherische Kirche ist ihrem Martin nicht gefolgt. Sie glaubt den Wirtschaftsexperten mehr und lässt sich einreden, Luther stehe mit seiner Meinung noch im Mittelalter. Moderne Geldwirtschaft sei ihm fremd. Während sich in England Theologen und Philosophen wie Hobbes, Locke, Hume, Smith und schließlich Karl Marx dem Problem stellten und Lösungen suchten, war der Zins für die deutsche protestantische Theologie bis in unsere Tage kein Thema.
So sucht man z, B. in dem großen zehnbändigen "Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament das Stichwort "Zinsen" vergeblich, obwohl ja doch im Alten und Neuen Testament von Zinsen die Rede ist. In dem sechsbändigen Handwörterbuch "Die Religion in Geschichte und Gegenwart" aus den 60er Jahren wird der Zins {von einem linken Wirtschaftstheoretiker) lediglich als ziemlich selbstverständliches Element der modernen Wirtschaft erklärt (Bd VI, Sp. 1912 f). Inzwischen jedoch zeigt die 4. Auflage desselben Lexikons, in unseren Tagen erschienen, dass die Probleme der sogenannten Dritten Welt, der Globalisierung und der Ökologie dazu geführt haben, dass man auch in den Kirchen zu fragen beginnt, wie das denn eigentlich mit dem Wirtschaftssystem, besonders mit den Zinsen ist, und warum Israeliten, Christen und Moslems in der Frühzeit sog. Zinsverbote erlassen haben.

Im Kern fasst Luther das Zinsproblem in seiner genannten Schrift so zusammen:

"Kurz, es (das Zinsnehmen) ist wider Gott: Denn wo du einen Vorteil an deinem Nächsten suchst, den du nicht auch wolltest an dir ihm lassen, da ist die Liebe aus und das natürliche Gesetz zerrissen." (Werke, Clemen Bd. 3, S. 44)

Unter "natürlichem Gesetz" versteht Luther solche Grundsätze, die jedem Menschen unabhängig von Religion und Weltanschauung einleuchten, wie: "Was du nicht willst, das man dir tut, das füg' auch keinem anderen zu." Wer Zinsen fordert, will mehr nehmen als geben. Das kann man sich auf die Dauer nur bei Menschen leisten, die sich nicht wehren können. Mit aller Klarheit kommt das im V. Buch Mose 23, 19 f zum Ausdruck:

"Du sollst von deinem Volksgenossen keinen Zins nehmen, weder Zins für Geld noch Zins für Speise, noch Zins für irgendetwas, was man leihen kann. Von dem Ausländer magst du Zins nehmen, von deinem Bruder aber sollst du nicht Zins nehmen, auf das der Herr... dich segne."

Mit anderen Worten: Wo Zinsen verlangt werden, hat man sich schon lange aus der Solidarität der Stammesgesellschaft verabschiedet. In ihr waren die Menschen durch gegenseitige Hilfe abgesichert. In der "Eigentumsgesellschaft" (Heinsohn) muss jeder auf seine eigene Leistungsfähigkeit bauen und ist angewiesen auf das, was er angespart hat. Schon in den antiken Stadtstaaten Mesopotamiens und Griechenlands hat die rücksichtslose Vorteilsnahme über Kredit und Zins so um sich gegriffen, dass große Teile der Bevölkerung in Schuldknechtschaft gerieten. Kredite und Zinsen konnten sie nicht zurückzahlen. Damit ging ihr verpfändetes Land in das Eigentum des Gläubigers über. Sie mussten es fortan als Sklaven bearbeiten.
Den Regierungen konnte es wegen des Machterhalts und der gesamtwirtschaftlichen Lage nicht gleichgültig sein, wenn die Kluft zwischen Reich und Arm immer weiter auseinander ging. Darum gibt es in den alten Zeiten Reformversuche, Aufhebung der Schuldknechtschaft, Schuldenerlass, Kritik am Zins, Zinsverbote und dergleichen. Solche zum Teil eindrucksvollen Versuche (V. Mose 15) hatten jedoch wenig Wirkung, fanden kein Gehör. Sie zeugen aber von dem Bewusstsein, der Zins sei eigentlich Unrecht, missachte alte Grundsätze von Gegenseitigkeit und Solidarität. Wie aber konnte der Zins in den letzten 500 Jahren vom mehr oder weniger geduldeten Unrecht zum Recht werden?

Im Wesentlichen haben drei Entwicklungslinien zur Wandlung vom Unrecht zum Recht geführt, der wachsende Kapitalbedarf der Industrie, die wissenschaftliche Unterwerfung der Natur und die Trennung von Moral und Recht.

Seit die Industrialisierung einsetzte, benötigten die Unternehmer immer mehr Kredite, weil eine erfolgreiche Produktion von Waren davon abhing und bis heute davon abhängt, dass laufend verbesserte Maschinen beschafft und günstige Rohstoffe und Energien erschlossen werden. Dieser Hunger nach Krediten lässt sich nur befriedigen, weil der Zins dafür sorgt, dass geliehenes Geld zügig wieder in die Hände von Kreditgebern zurückfließt und für neue Kredite bereit steht. Anders gesagt, der Zins treibt die Unternehmer, Schulden zügig zurückzuzahlen. Unter diesem Druck suchen sie, aus ihren Arbeitern sowie aus den zur Verfügung stehenden Rohstoffen und Energien das Letzte herauszuholen.
Musste früher Sklaven, Leibeigenen, Lehnsleuten, Tributpflichtigen usw. die Leistung mit Gewaltandrohung abgefordert werden, so peitscht seit der Befreiung von Sklaverei und Leibeigenschaft der Zins Produktion, Produktivität und Kapitalbildung voran. Er ist der Sprit, der die Maschine aus Investition, Produktion, Erlös und neuer Kapitalbildung auf immer größeren Touren bringt. Der Zins bildet somit ein Element in einem Vorgang, dessen Notwendigkeit man kaum noch zu bezweifeln wagt.
Dies um so weniger, da es so aussieht, als folge das Wirtschaftsgeschehen naturgegebenen Gesetzmäßigkeiten, z. B. der Konkurrenz um den Vorteil. In den Augen Luthers dagegen, das sahen wird oben, stellt sich das natürliche Gesetz um des Friedens willen gegen die Jagd nach dem Vorteil. Inzwischen jedoch kann der westliche Mensch eine solche Orientierung am Frieden in der Natur nicht mehr ausmachen und will es auch nicht. Die Natur sucht er wissenschaftlich und technisch zu beherrschen und die scheinbar unbegrenzte Fülle ihrer Schätze wie ein Rohstofflager auszubeuten.

So erscheint das Recht auf den Zins als objektive Gesetzmäßigkeit, der man sich unterwirft. Dem gegenüber werden rechtliche Bedenken aus Vernunft oder Empfinden, aus herkömmlichem Glauben oder religiöser Tradition als Moral gesehen, die je nach Kultur und Religion verschieden ausfällt und schon deswegen das Recht nicht in Frage stellen kann. Die Praxis, mehr zu nehmen als zu geben, ist also in Ordnung. Freilich ist die Moral allemal willkommen, um die sozialen Folgen der mechanistisch-naturgesetzlich gedachten Wirtschaftsordnung abzufedern.

Nachdem die westlich-christliche Zivilisation ihrer Ordnung, mehr nehmen ais geben zu können, rund um den Globus Geltung verschafft hat, kehrt sich diese in der sog. Globalisierung gewissermaßen wie ein Bumerang gegen sie. An ihrem Ausgangspunkt erzeugt sie nun ebenfalls strukturelle Arbeitslosigkeit und Verschuldung, ist also nicht in Ordnung. Weltweit ist es weder ökonomisch noch ökologisch, schon gar nicht sozial möglich, mehr nehmen zu wollen als zu geben, also auch nicht Recht. Als Recht konnte dies nur gelten, solange der Westen die Folgen nicht selbst zu spüren bekam. Jetzt aber sind die Wirkungen jenes falschen Rechts, zunehmende Verschuldung und Arbeitslosigkeit, Terror und Fluchtbewegungen, Klimaverschiebungen, Wasser und Energieknappheiten usw. schon so massiv, dass man ihnen politisch und technisch nicht mehr beikommt. Was Recht ist, muss grundlegend überprüft und neu formuliert werden, nicht zuletzt in Bezug auf den Zins.




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