Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube

[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 118/119, Mai 2006, Seite 79-81
(Download als pdf hier)


Gewalt in der Theologie

von Eberhard Fincke


Die Rede vom Opfertod Jesu, er sei für unsere Sünden gestorben, löst zu Karfreitag und Ostern alle Jahre wieder Ratlosigkeit, Verlegenheit oder Ablehnung aus, wird aber meist als Bestandteil christlicher Lehre hingenommen. Nur hält man sie heute für schwer vermittelbar. In Wirklichkeit offenbart die Einstellung zu dieser Rede recht scharf, auf welcher Seite einer steht im Streit um das Verständnis des christlichen Glaubens. Schließlich ist es ja keine Nebensache, wenn ein Mensch zum Tode verurteilt, hingerichtet und dann behauptet wird, dies sei notwendig gewesen. Gibt es irgendein Recht, das Leben eines Menschen zu fordern oder es ihm zu nehmen? Mit der Antwort auf diese Frage scheiden sich die Geister.

Jesus hat die Frage verneint. Allem Recht zur Gewalt hat er die Nächstenliebe als Feindesliebe entgegengehalten. Gott, wie er ihn zur Sprache bringt, hält nichts von dem Gesetz, dass alle Schuld bezahlt oder bestraft werden muss, sondern vergibt, heilt und sagt: "Du sollst nicht töten". Er lehnt Opfer ab ("Liebe will ich und nicht Opfer", Hosea 6,6) und die Todesstrafe. Genau deswegen wurde Jesus ein Opfer von Hass und Gewalt. Recht und Sicherheit sahen die Hüter der öffentlichen Ordnung bedroht, sollte sich seine Rede von Gott ausbreiten.

Aus den Passionsberichten geht klar hervor, dass die Behörden Jesus verhaften konnten, weil er an sie verraten worden ist. Er hat sich also der Verhaftung entzogen, wollte nicht sterben. Dem Risiko, verhaftet zu werden, ist er allerdings auch nicht ausgewichen, ist mit seinem Leben eingestanden für das, was er vertrat. Hat er also mit seinem Leben bezahlt? Hat er sich geopfert?

Zur Zeit des Neuen Testaments legte die religiöse Vorstellungswelt der Völker es nahe, seinen Kreuzestod als Opfer zu deuten. Aber auch heute fasziniert die Darstellung von Hingabe und Opfer in Film und Literatur. Solche Faszination verführt leicht dazu, die herrschende Gewalt als unvermeidlich hinzunehmen. Begriffe wie Gewalt, Opfer, Schuld, Geld, Bezahlung, Strafe bilden einen mächtigen, ja schicksalhaften und rechtswirksamen Zusammenhang. Ehe man sich's versieht, werden dann heute Opfer des Verkehrs, atomarer Katastrophen oder von Kriegen, wohl gar als Gottes Wille "in Kauf genommen", oder, wie ein Verantwortlicher des öffentlichen Wohls, der Hohepriester im Evangelium des Johannes 11,47 formuliert: "Es ist uns besser, ein Mensch sterbe für das Volk, denn dass das ganze Volk verderbe."

Wer den Kreuzestod Jesu als Opfer deutet, gibt den Behörden die Handhabe, den von ihnen gekreuzigten Jesus der Gewaltordnung wieder einzufügen, gegen die er doch gelebt hat. Dem Recht, gegen das er unter Einsatz seines Lebens eine bessere Gerechtigkeit bezeugt hat, soll er als Toter Geltung verschaffen, als wäre er ein Teil von ihm. Und seine Jünger?

Wohl verkünden sie, wie z.B. Paulus oder der Verfasser des Hebräerbriefs, dass alles Opfern erledigt sei. Und zu Recht sehen sie dies durch seinen Tod besiegelt. Aber sie spielen dafür auf die Vorstellung vom Opfer an, und die ist stärker. Das Anliegen des Paulus, Gerechtigkeit allein aus Glauben, wird auf diesem Wege ins Gegenteil gekehrt, in eine Opfertheologie, nach der selbst Gott seinen Sohn opfern muss, um die Schuld von den Menschen zu nehmen. So sieht sich Jesus auch von seinen Jüngern verlassen, ganz wie es die Passionsgeschichten erzählen. Mit der Opfertheologie fallen sie zurück in das herkömmliche und herrschende Sicherheits- und Ordnungsdenken, schlagen sich damit auf die Seite der Gegner Jesu, bejahen ein Recht zum Töten und die Unvermeidlichkeit von Opfern und Kriegen.

Christliche Theologie hat somit eine Bringschuld. Sie muss einen kritischen Maßstab entwickeln, mit dem sie auch die Texte der Bibel daraufhin prüfen kann, ob es sich um Opfertheologie handelt, die ein gewisses Maß an Gewalt für notwendig hält, oder ob bezeugt wird, dass Leben und Frieden der Liebe und dem Entgegenkommen zu danken sind.




[Zurück] [Glaube] [Helfen]
Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/kvu118/gewalt.htm, Stand: Mai 2006, dk