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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 118/119, Mai 2006, Seite 27-31
(Download als pdf hier)


Die verfassungsrechtliche Dimension der Konrad-Klage des Landwirts Traub

von Dr. Christa Garms-Babke

Wiltrud Rüelle-Hengesbach, Anwältin des Landwirts Walter Traube, stellte am 1. März 2006 im Klage-Verfahren gegen die Genehmigung Schacht Konrads als Atommüllendlager vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg zwei Anträge mit dem Ziel, die verfassungsrechtliche Dimension der Klage durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen.

Beim ersten Antrag ging es um die Frage der Grenzziehung zwischen den Aufgaben, die verfassungsrechtlich der Legislative bzw. der Exekutive zugewiesen sind, und zwar konkret um die Frage: Hätte das Parlament die Entscheidung für das Konzept der Wartungsfreiheit treffen und hinreichend bestimmt im Atomgesetz festlegen müssen? Oder ist das Konzept bereits durch die Grundsatzentscheidung für die Atommüllendlagerung und die Entscheidung der Genehmigungsbehörde im Planfeststellungsverfahren demokratisch und rechtlich legitimiert?

In der Klageschrift Traube wird die Auffassung vertreten, dass das Konzept der nicht-rückholbaren Endlagerung (Wartungsfreiheit) im Rahmen des Art. 20 a Grundgesetz vom Parlament hätte normiert werden müssen, weil diese Form der Endlagerung nicht revidierbar ist und die Folgen im Schadensfall nicht überschaubar und nicht beherrschbar sind. Interessanterweise hatte das Nieders. Umweltministerium zur Zeit der SPD-Landesregierung ebenfalls die fehlende Normierung des Konzeptes durch die Legislative gegenüber dem Bundesumweltministerium angesprochen. Angesichts der Weisungslage, so das NMU damals, habe es jedoch keinen Spielraum gehabt, gegenläufige Auffassungen zu verfolgen.

Im zweiten Antrag wurde die Frage der Generationenverantwortung thematisiert und damit der Langzeitsicherheitsnachweis des Endlagers, der einen Zeitraum von einer Million Jahren zu umfassen hat. Die Generationenverantwortung hat seit 1994 mit Aufnahme der Umwelt-Staatszielbestimmung in das Grundgesetz (Art. 20 a GG) über ihre ethische Dimension hinaus Rechtsrelevanz erlangt.

Die mit der Langzeitsicherheit verbundenen Problematiken sind bisher von der Rechtssprechung nicht behandelt worden. Im Vorfeld der Klage war die Frage zu klären, wer in Verantwortung für nachfolgende Generationen die notwendigen Voraussetzungen für ein die Nachwelt erfassendes Sicherheitskonzept einklagen kann. Adressat der Umwelt-Staatszielbestimmung ist der Staat. Sein Handeln – hier die Aufgabe der Endlagerung – muss sich daran messen lassen, ob es die natürlichen Lebensgrundlagen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen schützt. Im Falle der Endlagerung unterliegt der Staat jedoch erheblichen Interessenskollisionen. Er ist im Planfeststellungsverfahren Schacht Konrad zugleich Antragsteller, Betreiber, Genehmigungsbehörde und Weisungsgeber. Es kann zwar von ihm ein umfassender Einsatz auf allen Gebieten zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen verlangt werden. Dies schließt, so folgerte Frau Ruelle-Hengesbach, aber aus, dass er der „Berechtigte“ in einem Streitfall ist, an dem er gegenläufig beteiligt ist. Die Kirche, in der ethischen Diskussion als Trägerin von Langzeitverantwortung hervorgehoben, habe jedoch, so schließt sie weiter, „ihre Zuständigkeit … verneint und dies durch Klagerücknahme dokumentiert.“

Vor diesem Hintergrund wurde die Zulässigkeit der Klage im Blick auf den „Nachweltschutz“ auf die Besonderheiten der Landwirtschaft im Allgemeinen, hier die Merkmale Nachhaltigkeit und Generationenbezug, sowie des landwirtschaftlichen Betriebes und bäuerlichen Familienverbandes des Landwirts Traube im Besonderen, gegründet. Losgelöst von den Fragen, wer den „Nachweltschutz“ einklagen kann, steht auch in diesem Teil der Klage wieder das angewendete Konzept der Nicht-Rückholbarkeit radioaktiver Abfälle im Mittelpunkt. Es stellt sich die Frage, ob dieses Konzept der Endlagerung angesichts der Unmöglichkeit belastbarer Fernprognosen, der grundlegenden Nichtrevidierbarkeit dieser Form der Endlagerung und im Schadensfall der Unbeherrschbarkeit ihrer Folgen, verantwortbar und mit dem Stand von Wissenschaft und Technik vereinbar ist.

Die Anwältin des Umweltministeriums verstieg sich in ihrer Erwiderung zum Antrag von Frau Rüelle-Hengesbach zu der Aussage, dass es „kein Recht auf Nachweltschutz“ gäbe. Frühestens in 300.000 Jahren würden radioaktive Schadstoffe in der Biosphäre erwartet und es sei eine sehr optimistische Annahme, dass dann noch Menschen leben würden. Das Gericht widersprach nicht. Einer Prüfung der verfassungsrechtlichen Dimension der Klage Traube durch das Bundesverfassungsgericht wurde nicht zugestimmt. Sie wurde insgesamt als unbegründet abgewiesen, eine Revision nicht zugelassen.

Mit dieser Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts wurde die Chance zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Konzept der Wartungsfreiheit nicht genutzt. Es bleibt zu hoffen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht Erfolg hat und dass über diesen Weg die Implikationen des Konzepts geprüft werden, denn seine Anwendung ist weder ethisch noch rechtlich vertretbar.

Bei der wartungsfreien Endlagerung geht es um eine Form der Endlagerung, die auf sich selbst bezogen und in ihren Folgen eine neue Dimension aufweist. So kann ein wartungsfreies Endlager im Unterschied zu einem Atomkraftwerk weder stillgelegt noch abgeschaltet werden. Es ist nicht revidierbar. Bleibt im Schadensfall bei einem Atomkraftwerk grundsätzlich die Möglichkeit des Eingreifens, des „Abstellens“ der Schadensquelle, so ist das beim wartungsfreien Endlager ausgeschlossen. Wenn sich angesichts der Mängel menschlicher Erkenntnis und der Begrenztheit der Methoden herausstellt, dass die Fernprognosen über die Wasserlaufzeiten und die Wasserwegsamkeiten falsch waren, wenn es durch Störzonen, durch Klüfte in der natürlichen Barriere oder aber auch durch die technische Barriere des Schachtverschlusses zu einem schnellen und vorzeitigen Austritt der belasteten Wässer in das oberflächennahe Grundwasser und damit zu einer radioaktiven Verseuchung des Grundwassers und der Böden kommt, dann wären die natürlichen Lebensgrundlagen flächendeckend zerstört und die Menschen in der Endlager-Region den Gefährdungen ausgeliefert. Die Möglichkeit, Entstehung, Verortung und Umfang eines Schadens zu klären und die Schadensursache abzustellen, ist aufgrund der Unzugänglichkeit der Lagerstätte nicht möglich. Die Schadensfolgen sind unüberschaubar und unbeherrschbar. Möglicherweise bereits kontaminiert, bleibt den Menschen in der Region – wenn überhaupt – allenfalls der Wegzug.

Dass ein Schadensfall nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden kann, liegt u.a. darin begründet, dass es prinzipiell keine belastbaren Fernprognosen und damit keine Sicherheiten gibt. Die Annahme des Umweltministeriums, dass erst in 300.000 Jahren radioaktive Schadstoffe in die Biosphäre eintreten und dass dann die Belastung für Menschen und Mitwelt unterhalb heute geltender Grenzwerte bleibt, ist eine ungeprüfte Behauptung, wissenschaftlich aber nicht haltbar. Diese Aussage basiert auf einem positivistischen Verständnis von zeitlos gültigen Naturgesetzen unter gleich bleibenden Randbedingungen, der Möglichkeit linearer Extrapolationen vergangener Zustände in die Zukunft und damit verbunden der Belastbarkeit von Fernprognosen.

Dieses überholte positivistische Verständnis wurde dem Langzeitsicherheitsnachweis für Schacht Konrad zugrunde gelegt. Es entspricht nicht mehr dem Stand der Wissenschaft. Es wurde abgelöst durch ein erkenntnis- und wissenschaftstheoretisches Paradigma, in dessen Mittelpunkt die Zeitabhängigkeit und Überholbarkeit wissenschaftlicher Annahmen und Theorien steht. Danach sind wissenschaftliche Annahmen immer nur vorläufig bewährte Annahmen. Sie müssen überprüfbar, falsifizierbar sein und damit neuer Erkenntnis weichen können. Belastbare Fernprognosen sind unmöglich. Es ist leicht zu erkennen, dass die Annahmen, die dem Langzeitsicherheitsnachweis Schacht Konrad zugrunde gelegt worden sind, angesichts der Wartungsfreiheit des Endlagers nicht mehr überprüft, nicht mehr falsifiziert und nicht mehr neuen Erkenntnissen Platz machen können.

Vor diesem Hintergrund mutet das Konrad-Projekt an wie ein großer Feldversuch in der Salzgitter-Region, wie ein Glücksspiel. Die Menschen in der Region sind der Einsatz. Das Umweltministerium setzt auf Sieg. Was aber ist, wenn radioaktive Schadstoffe statt in 300.000 Jahren bereits in 50 oder 100 Jahren oder früher in die Biosphäre eintreten, weil die Begrenztheit menschlichen Wissens und des methodischen Vorgehens, die Möglichkeit von Irrtümern und der Gedanke an nicht vorhersehbare Entwicklungen nicht zugelassen wird? Was ist, wenn auch dieser Feldversuch misslingt, wie die Versuche Morsleben und Asse mit den Problemen der Instabilität der Endlager und dem nicht vermuteten Wassereinbruch?

Noch bleibt ein Umsteuern möglich. In den USA, der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich und Schweden wurden Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, dass es international bislang nicht gelungen ist, eine dauerhafte Isolierung der Abfälle von der Biosphäre zu gewährleisten. Es werden seit längerem Alternativen zum wartungsfreien Endlager, wie z.B. die Endlagerung mit Rückholbarkeit der Abfälle, diskutiert und verfolgt. Im Hinblick auf das weitere Konrad-Verfahren bleibt nur zu hoffen, dass das Konzept der Nichtrückholbarkeit radioaktiver Abfälle doch noch verfassungsrechtlich auf den Prüfstand kommt und in seinen nicht vertretbaren Implikationen erkannt wird. Darüber hinaus muss auf der gesellschaftlichen und politischen Ebene die Diskussion über Alternativen zur nicht-rückholbaren Endlagerung geführt werden. Angesichts der Erfahrungen mit den Endlagern Asse und Morsleben bleibt zu hoffen, dass die Endlagerung der Zukunft in Deutschland eine reversible sein wird.

Buchtipp: Garms-Babke, Christa, Die Unvereinbarkeit nicht-rückholbarer Endlagerung radioaktiver Abfälle mit dem Grundgesetz, Am Beispiel von Schacht Konrad, Peter Lang Verlag, Frankfurt/Main 2002




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