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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 118/119, Mai 2006, Seite 58-60
(Download als pdf hier)


Stolpersteine

von Klaus Pieper

Hopsa- das waren sie also, die Stolpersteine direkt unter und vor mir auf dem Fußweg vor den Hackeschen Höfen. So klein und doch eindrücklich. Mein gezieltes Suchen nach ihnen in Berlin war erfolglos geblieben. Und nun war ich unversehens über sie „gestolpert“. Ich wollte die Inschriften lesen und musste den Kopf senken, mich also vor diesen konkreten namentlich benannten Nazi-Opfern verneigen.

Schon anderthalb Jahre hatten wir in einem kleinen Kreis die Verlegung von Stolpersteinen in Braunschweig vorbereitet. Nun sah ich endlich, wie sie aussahen und warum sie diesen Namen führten: Menschen sollten unabsichtlich auf sie stoßen, auch und gerade solche, die nicht in ein Museum gingen, um sich gezielt über Nazi-Opfer zu informieren.

Und nun, seit dem 9. März, haben wie sie also auch in Braunschweig.
Nein, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet, dass an diesem Morgen früh um 8. 30 Uhr auf der Steinstraße (vor dem heutigen Parkhaus) ca. 50/60 Menschen versammelt waren. Sie waren hier zusammengekommen, um der ersten Verlegung von Stolpersteinen in Braunschweig beizuwohnen. Bürgermeisterin Kükelhan als Vertreterin von Oberbürgermeister Dr. Hoffmann als Schirmherrn erinnerte daran, dass es der Jahrestag der ersten Bücherverbrennung (der Neuzeit) in Deutschland war. Am 9. März 1933 hatten SA und SS-Leute das Gebäude von Sozialdemokraten und Gewerkschaft in der Schlossstraße gestürmt, Menschen durchgeprügelt und Bücher verbrannt.

Gunter Demnich, der Initiator der Aktion, verlegt heute die ersten Stolpersteine – insgesamt sollten es an diesem Tag 11 werden. Auf der kleinen 10x 10 cm großen Messingplatte, die auf einem würfelförmigen Stein befestigt ist und in die Straße eingelassen wird, steht jeweils der Name eines Juden, der von dem betreffenden Haus aus in ein KZ verschleppt wurde (oder noch rechtzeitig fliehen konnte) und weiter Geburtsjahr, Datum des Abtransports und „ermordet in..“ Mehr nicht. Nach der Verlegung verlasen Schülerinnen und Schüler einige Daten aus der Lebensgeschichte und dem zeitgenössischen Zusammenhang. Am Schluss legte eine Teilnehmerin eine Rose auf die Steine.
Zwei weitere Steinverlegungen folgten an diesem Tag: auf dem Altstadtmarkt (Gewandhausseite) und Kohlmarkt Ecke Friedrich-Wilhelm-Straße .

Zum Vorabend hatte der Verein „Stolpersteine für Braunschweig“ zu einer Einführung ins Städtische Museum eingeladen. Zur großen Überraschung kamen fast 200 Menschen. Dr. Andreas Dörung vom NDR interviewte gekonnt den Künstler Gunter Demnig. Dabei schälte sich deutlich der bisherige Weg und die Konzeption der Aktion Stolpersteine heraus. Dezentral sollte erinnert werden an Menschen die einst als Mitbürger unter uns gewohnt haben und über Nacht verschwanden. In Köln (wo es begann) dauerte es 6 (!) Jahre von der Herstellung der ersten 200 Stolpersteine bis zur Verlegung im Jahr 1994. In Hannover (Innenstadt) und München z.B. hat die Stadt es jeweils abgelehnt. In Braunschweig hingegen war die Stadt ausgesprochen kooperativ. Inzwischen sind in 140 deutschen Städten und einigen weiteren in Europa Stolpersteine verlegt; in Niedersachsen in 12 Städten. Insgesamt hat Günther Demnig schon über 7.500 Stolpersteine verlegt.

Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 der Realschule Maschstraße und der Klasse 10 der Christopherusschule hatten in den letzten Monaten mit ihren Lehrerinnen Eva-Maria Ahlers-Görlach und Rita Weiler den Lebensweg und Weg in den Tod einiger Juden mit großem Engagement recherchiert und in nüchternen Worten und Zahlen dargestellt. (Später sollen auch Namen von Roma und Sinti und andern Nazi-Opern dazu kommen.) Und das wurde in der Veranstaltung zu einem eindrücklichen Zeugnis. Z.T. legten auch die in der Nazizeit vernichteten Unterlagen beredtes Zeugnis ab.

Die Erfahrung zeigt (was nicht überraschen kann), dass es z. T. Reserven oder auch hartnäckigen Widerstand seitens einiger Hausbesitzer gibt. Sie wollen nicht, dass vor ihrem Haus oder Geschäft auf dem Fußweg ein solcher Hinweis verlegt wird. Darum gilt es, den Verein auf eine breite Basis zu stellen und für die Idee zu werben. Gegen den andauernden Widerstand eines Hausbesitzers wird jedoch normalerweise kein Stein verlegt.

Demnigs Motto für diese Aktion ist: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist.“
Die Braunschweiger Initiative ging von 3 Einzelpersonen aus, von denen Sigrid Bauer und Jutta Salzmann jetzt Vorsitzende sind. Inzwischen ist es ein eingetragener gemeinnütziger Verein, zu dem bisher auch folgende Institutionen gehören:

Deutsch-Israelische Gesellschaft
Evangelische Erwachsenenbildung Braunschweig
Ev.-luth. Propstei Braunschweig
Friedenszentrum Braunschweig
Gesellschaft für Christlich-.Jüdische Zusammenarbeit Niedersachsen-Ost e.V.
Jüdische Gemeinde Braunschweig

Die nächste Verlegung von Stolpersteinen ist für Dezember an anderen Orten vorgesehen. Dann werden andere Klassen und Lehrer die Geschichten von Opfern recherchieren.
Das Projekt Stolpersteine finanziert sich allein aus Spenden. Ein Stolperstein kostet inklusive Verlegung € 95. Es sollen noch viele Dutzend Stolpersteine verlegt werden. Darum sucht der Verein Menschen die einzeln oder gemeinsam eine Patenschaft übernehmen. Geld kann – vorläufig - überwiesen werden an die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Niedersachsen –Ost e.V. Konto 70 30 802 BLZ 250 500 00 Nord LB Stichwort „Stolpersteine“. Spendenbescheinigungen sind möglich.

Verein „Stolpersteine für Braunschweig“ Auf dem Brink 9, 38 112 Braunschweig Telefon: 0531-32 22 64

Klaus Pieper
Pfarrer i. R., Trauer -und Traumbegleiter, Adolfstr.14, D 38102 Braunschweig
Tel/Fax. 0531 – 7 18 66 + 70 14 984 e-mail: pieperklaus@gmx.de




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/kvu118/stolpersteine.htm, Stand: Mai 2006, dk