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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 118/119, Mai 2006, Seite 32-36
(Download als pdf hier)


Trauerfeier für Gerhard Traube

eine Predigt von Pfr. Dirk Westphal
in der Bleckenstedter Dorfkirche
am Mittwoch, den 15. März 2006



Lieder: 65, 1+4; 325, 1,2+10; 561, 1
Trauerwort: 1. Johannesbrief 4, 16
Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.


Eingang:
Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes treten wir in dieser Trauerstunde gemeinsam vor den lebendigen Gott, unseren Schöpfer, der in Jesus Christus die Liebe besaß, selbst ein Sterblicher zu werden und den Tod zu erfahren. Er kann darum auch Menschen wie uns in dieser Zeit begleiten und weiß um die Not, die mit unserem Ausgang aus dieser Welt verbunden ist!
Weil er aber der Prototyp (der „neue“ Mensch) ist, der den Tod überleben konnte, darf jeder, der mit ihm (in Taufe und Glaube) verbunden ist in der Erwartung leben, dass das Sterben der Geburtskanal zur Ewigkeit ist.
Darum lasst uns die Worte Jesu am Anfang dieses Trauergottesdienstes förmlich aufsaugen: Den Frieden hinterlasse ich euch indem ich euch meinen Frieden gebe; euer Herz sei getrost, seid ohne Furcht!
Es gibt ein hochinteressantes Wort, dass gerne in Verbindung mit unserer Lebenslänge gebraucht wird: die Lebenserwartung! In diesem und auch biblischen Sinne, dass unser Leben im „Höchstfalle“ 80 Jahre währt, hat Gerhard Traube das Erwartbare (mehr als) erfüllt. Das aber ist das eine Verständnis. Lebenserwartung ist auch all das, was wir uns vom Leben versprechen und erhoffen. Wie schön, sich heute um einen Mann scharen zu dürfen, der noch letzthin seine Familie wissen ließ: ich habe ein schönes Leben gehabt! Reich-lich erfüllte Erwartungen also auch hier!
Eigentlich dürfte man sich nicht fragen, was erwarte ich mir vom Leben, sondern vielmehr: Wer oder was wartet auf mich….? Und: Wer erwartet etwas von mir? Viktor Frankl
Also kann man die Lebenserwartung auch noch als Gottes Anfrage an uns begreifen und die Frage, ob wir SEINE Erwartungen erfüllt haben in eine Alternative kleiden: haben wir „nur“ gut gelebt oder haben wir gut (sprich als Gute) gelebt? Wenn Gerhard Traube dafür Zeugen bräuchte, dass vor allem letzteres in seinem Leben wahr ist und zutrifft, würden sich viele der hier Anwesenden sofort erheben und von ihm bekunden: er war ein feiner Mensch, er war ein vorbildlicher, ja er war – bei aller Zurückhaltung, weil sich Gott immer das letzte Wort vorbehält – er war ein „guter Mensch“! Doch, gerade bei allem, was wir von Gottes Erwartungen an uns wissen, hat er diese erfüllt.
Liebe Familie, liebe Trauergäste, wenn die Erwartungen nach allen uns bewussten Seiten erfüllt oder gar übererfüllt wurden, dann dürfen sich Ruhe und Frieden einstellen, dann können wir etwas von dem tiefen Frieden annehmen, den Gerhard in der letzten Zeit so ausstrahlte und den sie auch in den Stunden des Abschieds auf seinem Antlitz erkannten. Dann dürfen wir es gut sein lassen (vgl. Lass gut sein!!), selbst wenn wir „natürlich“ voller Trauer sind. Dann sind wir bereit, uns auch dieser Führung Gottes anzuvertrauen. Wie heißt es in dem von Mozart vertonten Gedicht:
1. Üb' immer Treu und Redlichkeit Bis an dein kühles Grab, und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab.
2. Dann wirst du wie auf grünen Au'n, durch's Pilgerleben geh'n. Dann kannst du sonder Furcht und Grau'n dem Tod ins Antlitz seh'n.

Aber Christen können noch mehr. Sie können sogar dem ins Antlitz sehen, der den Tod zu einem Instrument in Gottes Händen zurückstuft und ihm jede Eigenmacht genommen hat. Sie schauen über Jesus Christus dem Gott der Liebe ins Antlitz und sehen darin so viel Güte, die es uns glaubhaft macht: Gott wird seine „(An-) Vertrauten“ nicht dem Tod überlassen! Dies glaubend können wir nun Worte und Gedanken dieser Abschiedstunde vor Gott bringen und lassen uns von der Dunkelheit nicht stumm machen!

Gebet - Die Welt ist eine Brücke; gehe darüber, aber baue dir kein Haus darauf!

Liebe Frau Traube inmitten ihrer großen Kinder-, Enkel- und Familienschar, werte Schwester Ingeborg Meinecke und Gerhard Kerb mit Familie, geschätzter großer Verwandten- und Bekanntenkreis und all diejenigen, die über die Familie hinaus unserem Gerhard am meisten verbunden waren, sehr geehrte Bleckenstedter sowie alle seine Weggefährten aus den Bereichen der Landwirt- und Feldinteressentschaft (deren langjähriger Vorsitzender er war) , der Feuerwehr (die er jahrzehntelang unterstütze), des Sportvereins Germania (deren Ehrenmitglied er wurde) und des Widerstandes gegen Schacht Konrad (dessen „Prozess“ im Doppelsinn des Wortes er zu seinem großen Anliegen machte), würdige stattliche Trauergemeinde in der Kirche, für die sich Gerhard im Rahmen des Kirchenvorstandes 44 Jahre investiert hat!

Wie wunderbar ist ein Menschenleben, wenn es für sich selber spricht. Gerhard Traube lebte ein Leben, das für sich selber spricht. Er bleibt uns als klarer, geradliniger und offener Mensch gewärtig. Ein Mensch, der aus Unrecht und Verletzungen, aus erlittenen Gemeinheiten im Verlauf seines Heranwachsens in den Jahren der Nazidiktatur positive Lehren ziehen konnte und schlussfolgerte, jeden Menschen sehr persönlich/unabhängig wahrzunehmen und gelten zu lassen. Er, der über eine vermeintlich rassische Zugehörigkeit definiert und beeinträchtigt/verfolgt wurde, wusste fortan, jedem Einzelnen seine Lebensberechtigung zu belassen und wurde ein Muster an Toleranz! Wir alle stehen unter dem Eindruck, in ihm ein menschliches „Schwergewicht“ unter uns gehabt zu haben, eine stille Autorität! Sagen wir es ruhig und ich bin sicher, niemand wird mir widersprechen: er war und ist etwas ganz Besonderes. Das er aber werden konnte, der er wurde, liegt nicht zum wenigsten an ihnen Frau Traube, die sie 57 Jahre genauso sehr an seiner Seite standen, wie er an ihrer! Und vieles, was ich im folgenden über ihren Mann sagen möchte, gilt darum immer: sie eingeschlossen. Ein langer, v.a. aber ein intensiv gelebter Lebensbogen spannt sich – Gott sei es gedankt – vor uns aus, wenn wir an Gerhard denken.
Ein Jahr nach Ende des 1. Weltkriegs erblickte er als ältester Sohn auf dem Hof in Engelnstedt das Licht der Welt und wurde in die Zeit der Weimarer Republik hineingeboren. Nach schöner, erinnerungsträchtiger Kindheit sollte dann sein Werdegang zum Hoferbe vorgezeichnet sein, doch es kam anders, weil die Zeiten in den 30-er Jahren ganz andere wurden. Plötzlich wurde die „Blutgruppe von Menschen“ wichtig und gräuliche Auslese betrieben. In diese Mühlen gerieten Vater Walter (der in Auschwitz umgebracht wurde) und Sohn Gerhard hinein und machten schließlich alle Lebensaussichten zur Makulatur. Gerhards unbeugsamer Optimismus muß sich in jenen „bösen Jahren“ bewährt und für sein weiteres Leben gefestigt haben, dass sich in allem Dunklen auch immer etwas Helles findet. Oder mit einem Sprichwort gefasst: wenn die Not wächst, wächst auch das Rettende! Solch eine punktuelle Retrospektive wie eine Trauerrede macht möglicherweise die durchaus stattgefunden habenden Tränen, Sorgen und Ängsten etwas zu klein, Gerhard aber konnte erfahren, dass sich inmitten der Rasterverfolgung aller jüdischen Spuren, die ihm immer auf den Fersen war, doch Auswege und Hilfen fanden. In dieser wirren und zukunftsdüsteren Zeit wurden sie, Herr Kerb als Gerhards ältester Sohn geboren, doch viele Umstände ließen nicht zu, an der Seite des Vaters aufzuwachsen. Gerhards Festhalten am Prinzip Hoffnung trog nicht: > so konnte er trotz seiner halb-jüdischen Brandmarkung sogar auf einem Internat über Beziehungen sein Abitur machen, > erfuhr an sich die zähen körperlichen Voraussetzungen, die Arbeitslagerzeit (in Torgau) nach der Entlassung aus der Wehrmacht durchzustehen und > überstand die Flucht in den Wirren der Nachkriegsneuordnung mithilfe eines „Leihwagens“ seiner Freundin, um schließlich seine Mutter und Schwestern in Hallendorf wieder zu finden. Ich appelliere an ihr geschichtliches Vorstellungsvermögen, sich diese wenigen Aufzählungen, in ihrer ganzen Bedrohlichkeit und Aufregung auszumalen. Dazwischen widerfuhr ihm auch noch die Enteignung des Engelnstedter Besitzes und damit der Entzug der Lebensgrundlage! Aus diesen Erfahrungen heraus in der Nachkriegszeit ohne Ressentiments hervorgegangen zu sein, das sagt wahrscheinlich mehr als alles andere etwas über die besondere Menschlichkeit von Gerhard Traube. Viele andere hat dies eher in Verbitterungen hineingetrieben. Mit Millionen anderen fing er ganz neu (bei Null) an und kämpfte um eine Rehabilitation und Kompensation. Mit dem Hof in Bleckenstedt wurde die Neuverwurzelung als Landwirt, als Familie der Traubes wahr gemacht und wieder einmal erlebt: keine Dunkelheit kann so groß sein, dass es nicht auch immer wieder Licht gäbe - alles hat seine gute Seite. Was endlich in den 50er Jahren ganz Eigentum wurde, baute er mit Kraft und Elan, aber auch mit der anderen Landwirte Hilfe da längst schon jahrelang vorher als Pächter auf. An seiner Seite, aus Überzeugung mehr denn aus Notwendigkeit stets (Jahr für Jahr 2) Lehrlinge, die ihn dazu bewegten immer in generationsübergreifenden Bahnen zu denken/leben! In gewisser Weise bewegte er sich darum stets am Puls der Zeit, was ihm von der Enkelgeneration auch bestätigt wurde: ein Opa mit jungen Einstellungen, der nicht stehen blieb, sondern mit der Zeit ging! Zeiget sich seine Modernität nicht auch in seiner Neigung zu allem, was da elektrisch oder gar elektronisch funktioniert. Eine Kontrastfaszination an Technik zur eher bodenständigen Agrarwirtschaft!?

Endgültig aber legte er ein neues Fundament in seinem Leben erst als sie sich, Frau Traube auf dem Hof begegneten, sich einander annäherten und nach 2 -jähriger Prüfungszeit, in der sie mit Gerhards Unterstützung (Nachhilfe) die landwirtschaftliche Gehilfin bestanden, 1949 den kirchlichen Segen erbaten für eine wunderschön – einheitlich und gesegnete Ehegemeinschaft, die nun auf dem besten Wege zur diamantenen Hochzeit war. Gesegnet war ihre Ergänzung, ihr lebenslanges Gespräch ohne Tabus, ihre gegenseitige Lernbereitschaft, der Freiheitsraum, den sie sich immer beließen, die vertraute Innigkeit und die Achtung, die sie sich zollten, ihre gemeinsame Lust an Reisen und Fahrten zwischen Wohnwagen und Lanzarote, aber v.a. natürlich auch der Segen ihrer 5 Kinder (Christiane, Dagmar, Barbara, Angela und Walter), der sich im Bereich der Nachfolgenden Enkel „verdreifachte“ und ihnen so immer einen „großen Tisch“ bescherte, wie letzthin am 50. Kinder-Geburtstag. Ein Landwirt denkt in der Kategorie von Saat und Ernte. So haben sie beide Leben gesät und sehen ihre Familie immer wieder blühend wachsen, wie kürzlich mit Gerhards jüngsten Enkeln Lenn und Vivien! Im Aufführen des wachsenden Familienstammbaums haben wir schon die letzten 5 ½ Jahrzehnte bis in die Gegenwart überflogen. Doch damals, in jungen Jahren, da geschah noch etwas, was nicht unerwähnt bleiben soll und das sich auf die Geschwister Spickschen bezieht, die Gerhard gleich mit unter seine Fittiche nahm. Wenn im Trauergespräch das Wort von seinem väterlichen Charme fiel, dann sprachen sie damit sein großes und weites Herz an, das stets Raum für Menschen auch außerhalb der Familie im engeren Sinn hat. So wurde, Frau Traube Bleckenstedt mit ihrem Hof zugleich Heimat für die ihrigen und wurde gleichermaßen „heimlicher“ Mittelpunkt im Leben vieler! Die unbeschwerte Gastlichkeit, die Verständnisbereitschaft, die hohe Akzeptanz, die jeder fühlen kann, der durch ihre Tür geht, führt dazu, sich hier aufgenommen und wohl zu fühlen.

Gott ist die Liebe…, so lautet nicht nur ihr einstiges Trauwort, das hat für sie Leitwortcharakter, wie er heute leider nicht mehr oft zu finden ist. Möge sich das unter ihren Kinder und Kindeskindern fortpflanzen, möge es allen, die hier sind nahe gehen, wenn sie vernehmen, wie Liebe ein Dach baut, das unzähligen Unterschlupf gewährt. Das geht wohl heute nur dann, wenn man sich ein großes Stück innerer Unabhängigkeit und Freiheit bewahrt, wenn man durchaus souverän gegenüber unbedachten oder oberflächlichen Kommentare der Mitmenschen entschieden seinen Überzeugungen folgt. So hat sich Gerhard Traube seine eigene Welt in seiner kleinen „Hofburg“ geschaffen und mit Familien- und Nächstensinn Versorgung, Schutz und Gemütlichkeit gestiftet. Die Feiern in ihrem Hause sind immer würdig, aber nie steif und förmlich. Durchzogen von unbeschwerter Menschlichkeit und Unkompliziertheit! Fürsorge, da schlug sein Herz, ob es sich um Essenbereitungen handelt, oder gesundheitsfördernde Kupferbänder (die zum Renner im Familienkreise wurden); ob selbstgestaltete Kleinkunstobjekte, die verlässlichen Sonntagsanrufe, Besuche bei der reisefreudigen Familie oder sparsamstes Wirtschaften, indem man keinen Reparaturversuch unterließ (nicht gleich alles neu) – immer zeigte sich (s)eine Ader der Versorgung der Seinen. Freilich, auch die eigene war ihm nicht ohne Interesse und an einem guten Essen konnte er sich stets laben! So war Vater und Opi eine Art Schutzpatron mit großer Ansprechbarkeit. Sein Charisma war eher das offene Ohr, als die erzieherische Maßnahme. Er konnte, von ihnen Frau Traube angefangen, seine Familie in Freiheit (Erfahrungen machen) lassen und wurde gerade deshalb vielleicht besonders gesucht und als weise Stimme geschätzt! Vielleicht kann man die besondere Dynamik in ihrer Familie so zuspitzen, dass Gerhard die Mitte seiner Familie bildete und sie Frau Traube sein Mittelpunkt waren.
Ich habe in ihren Reihen trotz des großen Verlustes sehr viel Haltung gefunden, sicherlich auch deshalb, weil sie ihr lebelang immer intensiv miteinander umgingen und jetzt nicht unter dem Eindruck stehen, wesentliches verpasst zu haben.

Offenbare mir, was du wahrhaftig liebst, was du mit deinem ganzen Sehnen suchst und anstrebst, und du hast mir dadurch dein Leben gedeutet. Was du liebst, das lebst du. Diese angegebene Liebe eben ist dein Leben und die Wurzel, der Sitz und der Mittelpunkt deines Lebens. J. G. Fichte

Wenn Liebe bedeutet, annehmen zu können, dann war das eine zentrale Lebenswurzel in Gerhard Traubes Leben, die er auslebte. Er hat es nicht nur geschafft, sein damals unverschuldet gebrochenes Leben anzunehmen und das Beste daraus zu machen, er konnte auch Menschen unnachahmlich annehmen und ihnen damit das Geschenk einer großen Bestätigung machen. Und er hat – über die Liebe zu ihnen, Frau Traube – auch den Glauben wieder mehr und mehr annehmen können. Den Glauben, dass wir als kleine, fehlsame Menschen eingebunden sind in eine so leidenschaftliche Liebe, die mit dem Einsatz Jesu Christi darum ringt, jeden Menschen Gott angenehm zu machen. Hören wir das Fazit ihres Trauwortes und hören wir es so, als ob es heute nur für unseren Gerhard gilt: …der bleibt in Gott und Gott in ihm! Lassen sie uns das alle „unterschreiben“ und dazu miteinander das Wort glaubender Bestätigung sagen: Amen!




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