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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 118/119, Mai 2006, Seite 67-75
(Download als pdf hier)


Das Wohnzimmer ist überschwemmt

Beobachtungen zur Kirchenvorstandswahl 2006

von Dietrich Kuessner


Der Tag der Kirchenvorstandswahl war in sehr vielen Kirchengemeinden ein Fest, ein Volkfest mit Kaffe und Kuchen, Zeit zu Gesprächen, Spielen für die Jüngeren, Konzerte für alle. Phantasievoll waren die vorangegangenen Gottesdienste gestaltet, öfters auch mit der Vorstellung der Konfirmanden kombiniert.

Ein Lob auf die Landgemeinden
In unserer Landeskirche haben insgesamt 413 Kirchengemeinde gewählt. Der landeskirchliche Durchschnitt lag bei 24,25 %. Von den 413 Kirchengemeinden hatten 257 ein überdurchschnittliches Beteiligungsergebnis von über 30 %. Sie liegen auf dem Lande.
81 Dorfkirchengemeinden haben sogar mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten an die Wahlurne gebracht (50,7 % - 77,2 %!), nicht etwa nur Minidörfer, sondern 25 mit 200 – 454 Wahlberechtigten bereits größere Dörfer.

Beispiel 1:
Vier Kirchengemeinden (963 Gemeindeglieder)


Das Wahlergebnis der Gemeinden Westerlinde, Wartjenstedt, Binder und Osterlinde
      davon Briefwahl Kandidaten
Gemeinde Wahlber. Wähler Wähler % aufgestellt zu wählen
Westerlinde 196 148 20 10,2 7 4
Wartjenstedt 234 174 22 9,4 6 4
Binder 121 82 16 13,2 6 4
Osterlinde 205 98 08 3,9 6 4


In diesen Kirchengemeinden mit insgesamt 963 Gemeindemitgliedern arbeitet seit acht Jahren das Pastorenehepaar Matthias Bischoff und Christiane Cordes-Bischoff. Sie haben ein Jahr lang auf dieses Ereignis hingearbeitet, beim Epiphaniasempfang der Kirchengemeinde für Vereine und Kommunalvertreter war die Kirchenvorstandswahl wichtiges Thema. Bei den Jahreshauptversammlungen der Dorfvereine haben Pfarrerin und Pfarrer zur Teilnahme bei der Kirchenvorstandswahl eingeladen. Der Sportverein hat auf seiner Homepage dazu aufgefordert. Die Mitglieder der Kirchenvorstände haben nach Möglichkeit die Wahlbenachrichtigungskarten persönlich in den Häusern der Wahlberechtigten zugestellt; noch am Wahltag wurden Säumige zur Teilnahme ermuntert, z.B. eine Familie von Rußlanddeutschen, denen die Bedeutung der Wahl nicht deutlich genug war und auf Einladung hin im Wahllokal erschien. In jedem Dorf stand eine Wahlurne. Es waren insgesamt 25 Kandidaten aufgeboten. Die Wahl wurde der Dorfgemeinschaft wichtig gemacht und so erschienen mehr als dreiviertel der Wahlberechtigten an der Wahlurne.
Bezeichnenderweise ist die Zahl der Briefwähler groß.
Das Ergebnis fiel nicht vom Himmel, sondern ist das Ergebnis einer zielstrebigen, viele Monate anhaltenden Arbeit. Es zeigt zugleich, was in unseren Dorfgemeinden möglich ist und was zu verbessern wäre.

Beispiel 2:

Das Wahlergebnis der Gemeinden Ammensem, Stroit und Naensen
      Wähler Kandidaten
Gemeinde Ein-wohner Wahlbe-

rechtigte

Zahl % auf-gestellt zu wählende wieder-gewählt
Ammensen ca. 700 266 164 61,7 7 4 3
Stroit ca. 400 280 154 55,0 7 4 3
Naensen ca. 400 454 242 53,3 7 4 3


Die drei Dörfer Ammensen, Naensen und Stroit bilden gemeinsam die Kirchengemeinde Naensen mit insgesamt 1.205 Gemeindemitgliedern, insgesamt 1.000 Wahlberechtigten und 560 Wählerinnen und Wählern. In den letzten zehn Jahren haben die dortigen Kirchenvorstände zwei Vakanzen hinter sich. Die Kirchenvorstände führten in der eineinhalbjährigen Vakanzzeit den Gemeindebetrieb so selbständig wie möglich fort. Ab 1.1.2006 ist der Pfr. a.Pr. Ulf Stoischek in die Gemeinde abgeordnet.
Die Kandidatensuche verlief schwieriger als sonst, weil der von der ehrenamtlichen Tätigkeit erschöpfte Kirchenvorstand einen Wechsel wünschte. Es ist beachtlich, daß das gesetzlich vorgeschriebene eineinhalbfache der aufzustellen Kandidaten sogar überschritten wurde. Die hohe Wahlbeteiligung ist nach Angaben von Pfr. Stoischek auch dadurch bedingt, daß die Dörfer zwar unter der allgemeinen strukturell wirtschaftlichen Auszehrung (immer weniger Läden, keine Bank, keine Post) leiden, aber die Bevölkerung zu über 80 Prozent noch evangelisch ist und die Kirche nunmehr neben den dörflichen Vereinen der einzige Identifizierungspunkt für die Einwohnerschaft ist. So ist dann eine Kirchenvorstandswahl, die von den Kirchenvorständen den Gemeindemitgliedern wichtig gemacht wird, eine Art Bekenntnis zur dörflichen Eigenständigkeit. Das ist häufiger zu beobachten und sehr ernst zu nehmen. Es wäre verheerend, wenn nun auch noch die Selbständigkeit der Kirchengemeinde eingeschränkt und etwa „auf das Seelsorgerliche“ dezimiert würde.

96 Kirchengemeinden erreichten eine Beteiligung von über 40 Prozent, davon sind 35 Dorfgemeinden mit 200-399 Wahlberechtigten, 24 Gemeinden mit 400-699 und neun über 700 Wahlberechtigten. Bei einem landeskirchlichen Durchschnitt von 24,25 % kann auch die Wahlbeteiligung von über 30 Prozent noch als beispielhaft und als Zielvorgabe für das Wahljahr 2012 bezeichnet werden. Eine Wahlbeteiligung zwischen 30 und 39 Prozent verzeichnen insgesamt 81 Kirchengemeinden. Auch bei diesen 81 Kirchengemeinden zwischen 30 und 39 Prozent fehlen die Städte wie Wolfenbüttel, Goslar, Helmstedt, Königslutter, Salzgitter, Seesen. Es sind jeweils die umliegenden größeren Dörfer mit dieser überdurchschnittlichen Wahlbeteiligung.

Man wende auf diese Situation die viel benutzten Argumente für eine Zentralisierung der Kirchengemeinden an, also: eine einzige Wahlurne, um die Pfarrer und Kirchenvorstände zu „entlasten“, statt 25 Kandidaten auf vier Wahlscheinen ein einziger Wahlschein usw. Es liegt auf der Hand, daß eine Zentralisierung für das Leben der Kirchengemeinden schädlich wäre.
In den Landgemeinden unterschiedlicher Größe herrscht eine große Bereitschaft zur selbstverantwortlichen Mitarbeit, die durch die Belassung pastoraler, finanzieller und organisatorischer Funktionen gestärkt werden sollte.

Ein Lob auf die Stadtgemeinden
Auch in den Städten gab es überdurchschnittliche Ergebnisse, die nicht vom Himmel gefallen sind und von denen man sich einiges abgucken kann: Martin Chemnitz in Braunschweig, 66,21 % Wahlbeteiligung und die Michaelisgemeinde, Helmstedt, 48,28 % Wahlbeteiligung. Beide sind Stadtrandgemeinden mit in der ersten Nachkriegszeit gebauten Betonkirchen und einer ursprünglich familienreichen Bevölkerung, auf der die Gemeindepfarrer mit einem kontinuierlichen breiten Angebot an Kinder- und Jugendarbeit eingehen. Pfr Juenke, 53 Jahre alt, ist seit 26 Jahren in der Gemeinde, Pfarrer Meerheimb, 51 Jahre alt, seit 14 Jahren in der Gemeinde tätig. Ihre Stadtrandgemeinden schrumpfen. M. Chemnitz hat 1.001 Gemeindemitglieder, Michaelis 1.203 Gemeindemitglieder. Beide Stellen sind auf 50 Prozent gesetzt.
In beiden Gemeinden ist bezeichnenderweise der Anteil der Wähler unter 18 Jahren prozentual sehr hoch, in M. Chemnitz 12 Personen, in Michaelis mit 17 Personen der weitaus höchste Anteil in der Propstei Helmstedt. Dabei macht sich das Konfirmandenferienangebot von Michaelis deutlich bemerkbar. Diese Jugendlichen holen dann wieder ihre Eltern an die Wahlurne.
Ein weiterer Grund für die hohe Wahlbeteiligung liegt m.E. im extrem hohen Anteil der Briefwählerinnen und Briefwähler in beiden Gemeinden.
Pfr. Juenke hatte sich schon im Wahljahr 2000 und jetzt wieder einen Wahlhelfertrupp zusammengesucht, der die Wahlbenachrichtigungskarten zusammen mit einem Blatt, auf dem die Kandidaten vorgestellt werden, in die Häuser brachte und bei dieser Gelegenheit auf die Möglichkeit der Briefwahl hinwies. Der Antrag für den Wahlschein konnte bei der Gelegenheit gleichausgefüllt werden und wurde umgehend ins Haus gebracht.

In der Michaelisgemeinde hat Pfr. Meerheimb in den zahlreichen Gruppen z.B.


Die Kirchengemeinden Martin Chemnitz, Braunschweig und Michaelis, Helmstedt
Gemeinde Mitglieder Wahl-berecht. Wähler davon Briefwähler Anteil Briefwähler
Martin Chemnitz 1.001 802 531 232 28,9 %
ebendort 2000 1.249 904 661 288 31,9 %
Michaelis 1.203 961 454 254 26,4 %
ebendort 2000 1.342 989 388 187 18,9 %


bei den verreisenden Eltern und in den Altengruppen auf die Möglichkeit zur Briefwahl hingewiesen und ebenfalls die Anträge dann in die Häuser gebracht.

Es gibt Braunschweiger Kirchengemeinden, die über dem landeskirchlichen Durchschnitt von 24,25 % , jedoch weit über dem städtischen Propsteidurchschnitt von 14,28 % liegen. Alle fünf Kirchengemeinden haben ihr Eigenleben am Stadtrand, die Gemeinden Auferstehung (Gartenstadt), Markus und Christuskirche in modernen Betonkirchen, Hondelage und Mascherode noch mit Dorfcharakter, aber Fühlern zur Stadt. Alle leiden mit Ausnahme von Markus unter abnehmender Zahl der Wahlberechtigten. Mit Ausnahme von Mascherode sind die Pfarrerin und Pfarrer seit 9 – 11 Jahren dort tätig und haben der Gemeinde durch rege Konfirmanden- und Gruppenarbeit und Musikangeboten ein deutliches Profil gegeben. Sie haben bereits Wahlerfahrung und die Wahl 2000 durchgeführt. Sie sind 46 bis 58 Jahren alt und geben den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Gefühl, daß sie mit dem gewählten Kirchenvorstand nunmehr auf absehbare Zeit zusammenarbeiten wollen und Projekte planen können.

Sieht man sich die Wahlergebnisse in absoluten Zahlen an, dann rücken die städtischen Kirchengemeinden nach vorne. In 22 Kirchengemeinden sind zwischen 500 und 877 Gemeindemitglieder zu den Wahlurnen gekommen. Sie stammen überwiegend aus den größeren Städten Seesen, Bad Gandersheim, Bad Harzburg, Goslar, Vorsfelde, Wolfenbüttel, Königslutter und Braunschweig.

Spitzenreiter in dieser Kategorie ist die Andreasgemeinde in Seesen. Die einen mögen sagen: kein Kunststück bei 6.901 Gemeindemitgliedern, 5.750 Wahlberechtigten und drei amtierenden Pfarrern, darunter einer mit Amtsbonus eines Propstes. Ich finde es trotzdem sehr beachtlich, an einem Tag 746 Gemeindemitglieder in Richtung Gemeindehaus zu bewegen. Am Nachmittag mag ein Konzert in der Andreaskirche noch manche Wahlberechtigte in Richtung Wahlurne gelockt haben. Ich denke vor allem an den Aufwand im Gemeindehaus selber und an die dort tätigen Wahlhelferinnen und Wahlhelfer. Für diese ist die Höhe der Wahlberechtigten gleichgültig. Arbeit machen die vielen, die kommen.

Ähnlich wie in Seesen ist die Lage in Bad Gandersheim und in Bad Harzburg bei der Martin Luthergemeinde. Jeweils drei Pfarrstellen, Pröpstinnenbonus, weites volkskirchliches Umfeld.
813 Gemeindemitglíeder in Bad Gandersheim und 728 in Bad Harzburg zu einem eigentlich langweiligen Wahlakt zu bewegen, erfordert eine große Mobilisierung an Helferinnen und Helfern, um bei den Hunderten einen einladenden Eindruck von der Gemeinde zu hinterlassen, und es ist ein erheblicher Unterschied, ob 877 Stimmzettel mit 14 Kandidaten (Seesen) und 813 Stimmzettel mit 13 Kandidaten (Bad Gandersheim) ausgezählt werden oder 100 bis 200 Stimmzettel in Gemeinden mit über 50 prozentiger Wahlbeteiligung.

Von den 22 ersten Kirchengemeinden stammen sieben aus Braunschweig, sowohl Innenstadt (St. Johannis), Stadtrand (Wichern, Riddagshausen), dem besonderen Stadtteil Weststadt und den eher Vorstadtgemeinden wie Volkmarode und Wenden, die beide schon der Propstei Königslutter zugehören, aber von der Vorstadtlage Braunschweigs geprägt sind.
Die größte unter ihnen, die Weststadt, mit 7.258 Wahlberechtigten und dreieinhalb Pfarrstellen, brachte mit 459 Gemeindemitgliedern auch die meisten Wählerinnen und Wähler ins Gemeindehaus. Es ist gut, wenn die Arbeit der unter besonderen Bedingungen einer in den 60 Jahren hochgezogenen Trabantenstadtgemeinde in den Blick kommt und nicht wegen ihrer 8,21 Prozent unter „ferner liefen“ abgehakt wird. Die Weststadt hatte ein einziges Wahllokal im Gemeinderaum der Emmauskirche, Pfarrer und Pfarrerin waren Ansprechpartner am Nachmittag. Viel zusätzliche Arbeit machte das Austragen des Bischofsbriefes an die Jungwähler. Das Auszählen der insgesamt 733 Wahlzettel dauerte gut zweieinhalb Stunden, denn 15 Kandidaten standen auf jedem Wahlzettel. Hier ist also weniger von spektakulären Methoden und Besonderheiten zu berichten, sondern es soll nur auf den vermehrten Arbeitsanfall aufmerksam gemacht werden.

Bei den 27 Kirchengemeinden mit zwischen 400 und 500 Wählerinnen und Wählern rücken andere, bisher nicht erwähnte Stadtkirchengemeinden wie Pauli, Braunschweig, Stephani in Goslar, Trinitatis in Wolfenbüttel, Mariae-Jakobi Salzgitter Bad und Vechelde in den Vordergrund, aber auch größere Dörfer wie Bortfeld, Gittelde, Immenrode, Kreiensen, Schlewecke, Badenhausen, Greene und Othfresen.

Mehr als nötig
Geradezu phantastisch ist auch die Tatsache, daß es 188 Kirchenvorständen gelang, mehr Kandidaten aufzustellen als nötig, also mehr als das gesetzlich vorgeschriebene Eineinhalbfache. Das zeigt: es ist Bewegung in sehr vielen Gemeinden. Ein Aufbruch eigener Art? Jedenfalls ist es das Ergebnis hartnäckiger Arbeit im Vorfeld, vieler Hausbesuche und Nachfragen. Die
Stellenbewertung dieser Kirchengemeinden sollte für die nächsten sechs Jahre um einige Punkte erhöht werden.

Beipiel 4:
In der Propstei Schöppenstedt verwaltet der 42 jährige Pfarrer Axel Bothe im Pfarrverband Gr. Dahlum-Schliestedt sieben Kirchengemeinden mit insgesamt 1.535 Gemeindemitgliedern. Eine ganz außerordentliche Herausforderung, besonders an den Festtagen, zur Vertretungszeit und nun auch bei einer Kirchenvorstandswahl

In allen sieben Kirchengemeinden wird gewählt und steht eine Wahlurne.


Kirchengemeinde Wahlberechtigte Kandidaten
  2006 2000 2006 2000
Gr. Dahlum 396 403 9 9
Kl. Dahlum 53 64 5 6
Eitzum 216 229 8 6
Uehrde 178 195 6 6
Schliestedt 199 171 6 6
Warle 105 112 6 6
Watzum 155 157 5 5
Insgesamt 1.302 1.331 45 44


Man mag es kaum fassen, daß überhaupt ein Pfarrverband mit einer derart geringen Zahl von Wahlberechtigten von 1.331 Gemeindemitgliedern schon im Jahr 2000 44 (!) Kandidaten auftreiben konnte, und diese Zahl nicht nur nach sechs Jahren hält, sondern bei gewiß geringfügig abnehmender Zahl der Wahlberechtigten sogar steigert, und zwar im Dorf Eitzum mit 216 Wahlberechtigten von sechs auf acht Kandidaten, und insgesamt von 44 auf 45 Kandidaten!

58 weitere Kirchengemeinden haben die hohe Zahl der Kandidaten von 2000 erneut erreicht. Das heißt: sie haben das hohe Niveau des Übersolls über sechs Jahre gehalten. Das ist ein besonderes Zeichen von kontinuierlicher Arbeit, selbst wenn die Kandidaten gewechselt haben sollen.
43 Kirchengemeinden haben dieses Übersoll dadurch gehalten, daß sie weniger Kandidaten als 2000 aufgestellt haben. Das entspricht dem Trend der abnehmenden Gemeindemitgliederzahl und wäre jenen Kirchengemeinden zu empfehlen, die über zu wenig Kandidaten klagen. Dann muß eben die Zahl reduziert werden und kann dem Gesetz doch mehr als Genüge getan werden.

Die Überschwemmung im Wohnzimmer
Eine Besonderheit dieser Kirchenvorstandswahl sind in 37 Kirchengemeinden die Abweichungen von der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestzahl von Kandidaten. Abweichungen dieser Art hat es auch bei der Wahl im Jahre 2000 gegeben. Die Häufigkeit und Intensität der Abweichungen ist jedoch ein Ärgernis der diesjährigen Kirchenvorstandswahl.
Die 37 Unregelmäßigkeiten verteilen sich sehr unterschiedlich auf die Propsteien. Auffällig ist die Abweichung sogar am Propstsitz Königslutter. Während im Jahr 2000 noch 15 Kandidaten in der Stadtkirche Königslutter aufgestellt worden waren, hat Propst Weiß die Anzahl auf 9 zurückgestutzt, davon aber sieben wählen lassen. Das geht nicht. Fünf weitere Gemeinden in der Propstei Königslutter sind ebenfalls betroffen. Auffällig ist auch die Vielzahl in der Propstei Schöppenstedt. (10!) Dieses läßt den Schluß zu, daß im Pröpstekonvent die Wahl nicht so behandelt worden ist, daß eine unterschiedliche Interpretation ausgeschlossen worden ist.

Problematisch wird es bei den 14 Kirchengemeinden, bei denen der Abstand zwischen aufgestellten und zu wählenden Kandidaten nur noch eine Person beträgt. Die gesetzwidrige Kombination lautet zwei mal 6:5, vier mal 5:4 und acht mal 4:3. Diese Kombination ist schon wegen der geringst möglichen Zahl von Ersatzkirchenverordneten von einer Person problematisch. Bei den Wählerinnen und Wählern entsteht der Eindruck, dass die Wahlmöglichkeit beeinträchtigt ist. Auch psychologisch finde ich es schwierig, nunmehr eine einzige Person auf dem kleinen Kandidatenkreis herauszuwählen.

Völlig indiskutabel ist die Tatsache, daß in sieben Kirchengemeinden ebenso viele Kandidaten aufgestellt wurden wie gewählt werden konnten. Hier sind vom Landeskirchenamt und von Pröpsten gesetzwidrige Ansichten verbreitet worden. Das verstößt gegen den demokratischen Anstand und bedeutet die Rückkehr zu jenem unseligen aus der Kaiserzeit stammenden Wahlrecht, das bis 1966 galt, wonach die vom Kirchenvorstand aufgestellten Kandidaten als gewählt galten, wenn nicht mehr als zu wählende aufgestellt worden waren. Man hatte damals allerdings folgerichtig auf einen Wahlakt verzichtet.

Da § 29, 4 vorschreibt, daß im Falle der Unterschreitung nur Zweidrittel der auf dem Wahlaufsatz Genannten auch als gewählt gelten, muß nun streng in allen 37 Fällen überprüft werden, ob dies auch so abgekündigt worden ist, was höchst unwahrscheinlich ist.
Die Sache ist kein Unglück, keins, das sich nicht beseitigen ließe, wie ein Überschwemmung im Wohnzimmer. Man darf nur nicht so tun, als ob alles prima bestens ist und die Vorhänge zuziehen; vielleicht etwas Durchzug machen und hoffen, daß es im Wohnzimmer wieder trocken wird. So geht das nicht. Es muß aufgewischt werden. Ich habe Wochen nach der Wahl nicht den Eindruck, daß jemand im Landeskirchenamt und im Pröpstekonvent bereits den Wischlappen in der Hand hat. Dann bleibt der Kirchenregierung nur der Gang zum Rechtshof.

Fazit
In Stadt und Landgemeinden hat die Aufstellung zahlreicher Kandidaten, eine persönliche Zustellung der Wahlbenachrichtigungskarte, das gleichzeitige Angebot einer Briefwahl, die bei dieser Gelegenheit überbrachte schriftliche Information über die Kandidaten, die Einbeziehung üblicherweise kirchenfremder Gruppen wie Ortsvereine, die Mobilisierung der sich zur Kirche zugehörig fühlenden Gruppen zu weit überdurchschnittlichen Wahlergebnissen geführt.

Hohe Wahlbeteiligungsergebnisse sollten sich in der Pfarrstellenbewertung niederschlagen.

Eine Zielvorgabe von 30 Prozent Wahlbeteiligung für das Wahljahr 2012 ist denkbar.

Die beschleunigte Wiederherstellung einer einheitlichen Rechtsauffassung, ist vordringlich.

Den Propsteivorständen sollte durch Kirchengesetz oder Kirchenverordnung Gelegenheit gegeben werden, von dem Mindestmaß des Eineinhalbfachen in begründeten Fällen abweichen zu dürfen.
Die Aufstellung einer gleichen Anzahl von Kandidaten wie zu wählenden muß grundsätzlich und sofort ausgeschlossen werden. In diesen wenigen (sieben) Fällen wäre eine Neuwahl die sauberste Lösung.

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