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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 120, Oktober 2006, Seite 28-31
(Download als pdf hier)


Glaube an den Schöpfer - Religion des Kapitalismus

von Eberhard Fincke


Der Streit ist schon alt, ob Gott die Welt erschaffen habe oder ihre Ent­stehung naturwissenschaftlich zu erklären sei. Heute wird er von Bush und seinen Creationisten wieder hochgezogen. In Wirklichkeit kommen beide Ansichten sozusagen aus dem gleichen Stall. Steigt man in diese Auseinandersetzung ein, dann redet man viel über Gott und die Welt, aber nicht von sich.

In Bibel und Gesangbuch ist das anders. Die dort zu Wort kommen, reden beim Stichwort Schöpfung ganz viel von sich, aus dem Bewusstsein, ein Geschöpf zu sein. Z.B. Jesaja:

"So spricht der Herr, der dich geschaffen,
der dich gebildet von Mutterschoß an,
dein Helfer: Fürchte dich nicht." (Kap.44, vgl. auch 43)

oder Martin Luther, Kleiner Katechismus, Erklärung zum 1. Artikel:

"Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat
samt allen Kreaturen"...

Solche biblischen Zeugen äußern sich, mit den Worten Albert Schweitzers, als

Leben, das leben will,
inmitten von Leben, das leben will.

Sie reden aus Staunen, Begeisterung und Dankbarkeit angesichts von Schönheit und Vergebung, Heilung, Rettung und der daraus wachsenden Geborgenheit. Allererst erleben und erfahren sie sich als Geschöpf unter Mitgeschöpfen, gegeneinander und miteinander angewie­sen auf Frieden. Kinde sind dafür offen und Liedersänger wie Paul Gerhardt mit seinem Choral "Geh aus mein Herz...".
Solches Erleben, aufmerksam und ehrlich ins Bewusstsein gehoben, kann einen hindern, eine lästige Fliege zu erschlagen. Und in solchem Bewusstsein könnten wir wahrnehmen, dass wir Menschen den Mitge­schöpfen und damit auch uns selbst die Luft zum Atmen nehmen. Jedoch, wie selbstverständlich eingebunden in die kapitalistische Produktions- und Konsumweise fährt man Auto, fliegt, heizt, kauft und ver­braucht mehr, als man Mitmenschen und Mitgeschöpfen erklären könnte, wäre man im Gespräch mit ihnen. Stattdessen führt das The­ma "Schöpfung" in eine theoretische Auseinandersetzung über die Entstehung der Welt. Wie kommt das?

Eine wichtige Ursache ist die patriarchale Prägung des Glaubens in Juden- und Christentum. Hier hat man den Ursprung allen Lebens dem Schöpfer zugeschrieben, einem Mann, was doch abwegig ist, beden­ken wir, wie wir auf die Welt kommen. Und dies führt alsbald zur Vor­stellung vom Handwerker oder Künstler, der die Welt mit all ihren We­sen "erschafft". In der Bibel wird z.B. das Bild vom Töpfer gebraucht, der den getöpferten Krug auch wieder einstampfen kann. Mag die Be­ziehung des Künstlers zu seinem Werk noch so lebendig sein; es ent­steht dabei kein Partner, sondern ein Gegenstand. Den kann er än­dern, verwerfen und verkaufen, eine Sache.
Diese Sicht auf die Sache wird noch einmal verstärkt, da Gott, der Schöpfer, in erster Linie "Herr" genannt wird. Der Herr einer Sache, also der Eigentümer, so sagt es unser geltendes Sachenrecht,

"kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegen-stehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen."(§ 903 BGB)

Dieses Recht ist ursprünglich im römischen Reich fast gleichzeitig mit dem Neuen Testament formuliert worden, und man stufte dort nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern sogar Sklaven als "Sachen" ein. Es ist gelungen, die Sklaven da heraus zu nehmen, uns Menschen also ent­schieden von den Sachen zu trennen, aber damit auch von den Pflan­zen und Tieren. Unversehens wechseln wir so auf die Seite des Schöpfers, den Geschöpfen gegenüber.
Wir wollen uns dort gar nicht anmaßen, Gott oder Schöpfer zu sein, nehmen aber eben von da aus die Geschöpfe als Sachen wahr. Nach Schöpfungsglauben und Eigentumsrecht dürfen wir mit ihnen so umgehen, wie es heute im Kapitalismus geschieht.

Von der dadurch entstandenen Armut der 2/3 Welt, von Überfischung, Aussterben der Arten, Waldsterben, Erderwärmung usw. wissen wir. Dass wir dieses Wissen nicht zum Bewusstsein werden lassen und entschiedener da nicht mehr mitmachen, liegt sicher daran, dass wir es als lähmende Bedrohung massenhaft verdrängen. Doch uns blen­det eben auch jenes Recht "im Sinne einer absoluten Beherrschung", wie ein Kommentar zum BGB noch 1978 formulierte. Das schließt Gewalt ein, die Rechtmäßigkeit des Zwangs und so alle Möglichkeiten der Technik.
Das Ineinander von Sachenrecht, Glauben an den Schöpfer und Technik ließ die Aufklärung im Schöpfer den Uhrmacher sehen, Descartes und seine Schüler lebendige Organismen als Maschinen begreifen und John Locke mit dem Liberalismus das Eigentum definieren. Nur so konnte sich der Kapitalismus rechtfertigen und ausbreiten, der heute unser Leben bestimmt. Und es erscheint uns selbstverständlich, "Biotechnologie" zu betreiben. Die ist auf allen Ebenen mit viel Gewalt verbunden, wie jeder weiß und z.B. an den sogenannten Nebenwir­kungen körperlich erfährt.

Verführt durch Recht und Glauben wollte man im christlichen Abend­land das Recht des Eigentümers, mit der Sache nach Belieben zu ver­fahren, lange Zeit nur einschränken, soweit dieser andere Menschen in ihrem Eigentumsrecht hinderte oder beeinträchtigte. Dass man Tiere um ihrer selbst willen gesetzlich schützt, ist noch ziemlich neu und verdankt sich der wachsenden Bestürzung angesichts grenzenloser Tierquälerei. Und langsam fangen auch Viele an zu begreifen, dass unsere eigene Existenz auf dem Spiel steht, wenn wir Pflanzen und Tiere weiterhin als Sachen oder Eigentum betrachten, kaum aber als Lebewesen, denen wir entgegenkommen müssen, weil wir nur ge­meinsam mit ihnen leben können und Frieden haben.

Das Entgegenkommen ist in Wahrheit der Schlüssel zum Leben, den die menschliche Gesellschaft wieder entdecken kann. Geführt und verführt vom westlichen Recht hat sie einseitig auf Herrschaft, also auf Technik und Gewalt gesetzt. Selbst in der Beziehung zu den Mitmen­schen wurden Entgegenkommen bzw. Liebe oder Barmherzigkeit der moralisch-religiösen Beliebigkeit überlassen. Weil aber die Lebewesen der Erde aufeinander angewiesen sind, gehört das Entgegenkommen zur biologischen Ausstattung, was neue Forschungen in vieler Hinsicht zeigen. Ohne Entgegenkommen gäbe es gar kein Leben auf der Erde. Es bildet zusammen mit unserem Empfinden für Gerechtigkeit und Wahrheit das notwendige Gegengewicht zur Gewalt, zu der nun ein-mal alle Lebewesen fähig sind, wenn sie sich in ihrer Existenz bedroht fühlen Die Einsicht, dass die Wesen auf der Erde nicht Sachen sind, sondem mit uns Menschen eine Lebensgemeinschaft bilden, und die Freude, dass viele von ihnen noch am Leben sind, die Partnerschaft mit ihnen also noch möglich ist, kann uns solche Texte wie die von Paul Gerhardt, Luther oder Jesaja ganz neu nahebringen und uns kri­tisch machen gegenüber unserer Rechts- und Glaubenstradition.




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