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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 120, Oktober 2006, Seite 15-20
(Download als pdf hier)


„Weltweite Gerechtigkeit in Zeiten der Globalisierung”

von Hans Goswin Cremen

Nachdem Professor Zimmerli sich beim Vortrag in der Reformierten Gemeinde über das von ihm abgewandelte Jesus zugeschriebene Wort vom Reichen, dem Kamel und dem Nadelöhr als Hohepriester des Gottes Mammon geoutet hat, ist es angebracht, einige Zusammenhänge, was die Globalisierung für die Mehrheit der Menschen weltweit und auch bei uns bewirkt; darzustellen. Das ist nicht die Angleichung der hübschen Hotelzimmer weltweit oder die kulturelle Pluralität. Es geht auf der einen Seite um Profit um jeden Preis und auf der anderen Seite um den Verlust der Existenzgrundlagen und letztlich um das Verhungern. „Und hinter jedem Verhungernden steht ein Mörder.” Wie es der UNO-Beauftragte für das Recht auf eigene Ernährung ausdrückt.
Die großen Wirtschaftsunternehmen und Finanzkräfte handeln heute global mit dem Ziel: Gewinne machen, neue Märkte erobern, Konkurrenten ausschalten, Hindernisse für den „freien Markt” beseitigen. Dieses Finanz- und Wirtschaftsmodell wird als neoliberales Wirtschaftssystem bezeichnet.

Es schlägt jetzt auch bei uns kaum noch-gebremst zur Wolters, die Banken, VW, alle.. Aus eigener Betroffenheit und aus unserem Glauben in der Nachfolge Jesu, der die frohe Botschaft für die Armen verkündet und gelebt hat, müssen wir fragen nach Wesen und Ursachen, den Anfängen der heutigen Ausprägungen, den Folgen und nach möglichen Alternativen der neoliberalen Globalisierung.

Wesen und Ursachen der neoliberalen Globalisierung
Die kapitalistische Finanz- und Wirtschaftsform wird immer konsequenter bis in die kleinsten Lebensbereiche hinein umgesetzt mit dem einzigen Ziel: Profit um jeden Preis.. Geld will arbeiten. Es entwickelt eine eigene Dynamik, eine eigene „Logik" Daraus entstehen eigene Gesetzmäßigkeiten:

Profit machen um jeden Preis
Die reine Lehre darf nicht begrenzt werden durch Überlegungen nach Nebenwirkungen für andere Bereiche wie

Arbeitsplätze, die verloren gehen, weil sie der Profitmaximierung im Wege sind. So wird rationalisiert, werden Arbeitsplätze durch Maschinen ersetzt, wird die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich verlängert, wird Arbeitsschutz abgebaut, wird die Produktion in Billiglohnländer verlegt oder zumindest damit gedroht.
Die Besitzer der Unternehmen sind nicht mehr die einzelnen Kapitalisten, wie es mal die Krupps und Flickse waren, die noch auf das Wohlergehen ihrer Arbeiter angesprochen werden konnten. Heute führen Manager die großen Unternehmen, die allein. den Aktionären gegenüber verantwortlich sind. Die Aktionäre haben keinen Bezug zu dem Unternehmen, zu den Produkten und zu den Arbeitern: Ihr Interesse besteht allein in der Wertsteigerung der Aktie und der Dividende.

Heute werden Profite nicht mehr allein durch Produktion erzielt. Die Spekulation mit dem Geld, also, reine Geldgeschäfte, machen einen Großteil der Gewinne von Unternehmen und natürlich der Fonds aus. Siemens hat seine Gewinne im. Jahre 2003 zur Hälfte aus reinen Geldgeschäften gemacht.

Umwelt, die ausgebeutet und zerstört wird. Umweltauflagen werden umgangen. Das Geld geht dahin; wo niedrige oder keine Standards sind. Werden welche eingeführt, wandert das Geld an den nächsten Platz. Naturressourcen werden für den kurzfristigen Gewinn auf Dauer zerstört.

Sozialstruktur, die auch in den alten -Industrieländern aufgeweicht wird Die soziale Marktwirtschaft, gewachsen nach dem 2. Weltkrieg in der BRD im Schatten der Mauer, wird Schritt für Schritt der reinen Lehre der Profitmaximierung geopfert.

Gemeinwohl, das die menschliche Grundversorgung mit Wohnen, Essen, Wasser, Energie, Verkehr, Bildung, Information abdeckte, wird den Profitinteressen überlassen. Auch diese Bereiche werden privatisiert. Sogar das Militär wird privatisiert. Die 2. größte Armee im Irak nach den Amerikanern ist nicht die der Engländer sondern sind private Sicherheitsdienste, die dort für „gutes –blutiges“ Geld „arbeiten”.

Konkurrenz und Konzentration
Der Konkurrenzkampf des Kapitals gegeneinander wir wird mit allen Mitteln geführt -gnadenlos. Konkurrenten werden vom Markt gefegt oder geschluckt. Bei der „feindlichen” Übernahme von Mannesmann durch Vodafone hat ein Aktionär 10 Milliarden „verdient” durch den Übernahmepoker. Der Chefmanager ,Pokerspieler" Esser hat dafür 300 Millionen Erfolgsprämie kassiert –und 4.000 Arbeitsplätze sind bei Mannesmann verloren gegangen. In der Asienkrise und bei Argentiniens Finanzfall sind diese Länder von Finanzjongleuren angegriffen worden. Das Kapital will die Alleinherrschaft. Immer größere Konzentrationen von Kapital bilden sich heute. Und je mehr Kapital an einer Stelle, in einer Hand vorhanden ist, desto größer ist die Macht bei seinem Einsatz.. Die großen Kapitaleigentümer, die TNCs, die transnationalen Konzerne und die großen Fonds .bereiten sich auf den Endkampf vor.

Herrschaft über alle Lebensbereiche
Das Geldgesetz verschafft sich in allen Bereichen die Herrschaft. Wir laufen auf einen Kulminationspunkt zu. Alles wird nach dem Geldwert bemessen. Die menschlichen Gene, die der Tiere und Pflanzen werden patentiert, um daraus mögliche Gewinne zu sichern. Die Gesetze, die das ermöglichen, sind von den Unternehmen über die WTO durchgesetzt worden. „Lohnt sich das?” ist nicht nur mehr die Frage in der Wirtschaft sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Jeder Bereich wird durchforstet nach „unnötigen” Faktoren, die keinen Gewinn bringen. Sie werden beseitigt. Mammon besetzt die Köpfe --auch unsere.

Wer auf dieses System setzt, wird zum Sklaven des Geldes. Jesus hat es gegenüber dem -römischen Imperium und dem kapitalistischen Denken seiner Zeitgenossen so ausgedrückt: Du kannst nicht zwei Herren gleichzeitig dienen. Gott und Mammon. Einen wirst Du verraten. (Gott steht da für das Allgemeinwohl und Mammon für das egoistische Gewinnstreben.)

Die Anfänge der heutigen Ausprägung. und ihre Inhalte
Nach dem 2. Weltkrieg hat sich die internationale Finanz- und Wirtschaftswelt neu geordnet. Die Finanzwelt wurde in Bretton Woods auf den US$ mit seinen Geldreserven festgemacht. Die führende westliche Wirtschaftsmacht war und ist die USA. Demgegenüber stand der Ostblock. Die 3. Weltländer waren Schauplatz und Opfer um den Kampf um Einfluß der jeweiligen Machtblöcke. Die heutige neoliberale -Globalisierung ist lange vor dem Zusammenbruch des Ostblocks entwickelt und in den 3. Weltländern angewendet worden.

Es gibt einen „Consensus von Washington”, der aus einer Reihe von informellen Gentlemen 's Agreements, die während der Jahre 1970 - 1990 zwischen den Bankiers der Wallstreet, dem amerikanischen Treasury Department (Finanzministerium) und den internationalen Finanzorganisationen geschlossen wurde. Er beinhaltet vier Rezepte, die überall auf der Welt anzuwenden sind:

Privatisierung und Deregulation sowie makro-ökonomische Stabilität und Budgetkürzung
Alle gesetzlichen; staatlichen oder nicht staatlichen Schranken, die-die totale Liberalisierung der Kapitalmärkte behindern, müssen verschwinden. Danach handeln Weltbank, Internationaler Weltwährungsfond (IWF) und die Weithandelsorganisation (WTO). Das ist das Glaubensbekenntnis des Gottes Mammon und seiner Jünger.

Die Aufgaben für das Gemeinwohl, für die lebensnotwendige Grundversorgung werden dem profitorientierten Kapiteleigentum ausgeliefert
Der Staat als organisierter Zusammenschluss von Menschen auf einem bestimmten Territorium zum solidarischen Schutz der Lebensrechte aller Meuschen und zur Sicherung der Grundversorgung aller seiner Mitglieder mit den lebensnotwendigen Dingen wird weltweit dieser Aufgaben beraubt: Er dient meist nur als Subventionsgeber für das Kapital und als Wächter mit seinen Gesetzen und seiner polizeilichen und militärischen Macht für die Freiheit des Kapitals und dessen Eigentümern.

Über die Regierungen der Industrienationen haben die großen Kapitalinteressen mit der WTO ihre Gesetze durchgesetzt. Weltweiter Handel geht nur noch nach den Gesetzen der WTO; in denen die Privatisierung und der freie Markt an vorderster Stelle stehen. Die US-Regierung als größte militärische Macht steht ganz im Dienste dieser Wirtschaftsideologie. (Allerdings fordern die USA und auch andere große Industrienationen das nur von den anderen. Sie selbst betreiben immer noch an wichtigen Stellen Protektionismus: d. h. sie schützen ihre Interessen durch Subventionen und durch Zollschranken) Wer also weltweiten Handel treiben will oder nur durch einseitige Ressourcen im eigenen Land dazu gezwungen ist, muss die Bedingungen der WTQ unterschreiben. Über 140 Staaten - darunter jetzt auch China - gehören schon zur WTO

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und des gesamten Ostblocks herrscht der Neoliberalismus angeführt von den USA weltweit. Wer sich dem widersetzt, wird mit allen Mitteln - wirtschaftlichen, ideologischen und militärischen – bekämpft.

„Der Kampf für die Freiheit,” so formulierten die amerikanischen Militärs in ihrem Strategiepapier 1989/90, »für die Freiheit des Geldes ist unsere wichtigste Aufgabe;" Sie nannten die Befreiungstheologie und die sozialen Bewegungen in südamerikanischen Ländern bis hin zu deren Unterstützern m den 3.Weltgruppen in Europa ihre Feinde, die mit allen Mitteln von der Propaganda bis hin zu Enthauptungsschlägen bekämpft werden müssen. Der islamitische Fundamentalismus mit seinen Terrorattacken war da noch nicht als große Gefahr im Blick.

Vor dem Mauerfall ist die neoliberale Wirtschaftspolitik in den 3:Weltländern durchgesetzt worden - mit Gewalt wie am ll. September (73) in Chile und durch das Einsetzen von Militärregierungen in ganz Südamerika; die dann durch gewaltige Auslandsschulden ihre Länder in totale Abhängigkeit der neoliberalen Finanzkräfte gebracht haben. Auch nach dem Rückzug der Militärs in die Kasernen haben die demokratisch gewählten Regierungen keine Chance mehr; sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien - s. das Beispiel Argentinien. und Brasilien.

Landvertriebene. in Brasilien - einem „Schwellenland” -, die zu zigtausenden brachliegendes Land besetzt haben, warten auf die Unterstützung .,,ihres" neuen Präsidenten LULA vergeblich. Es ist kein Geld für soziale Aufgaben zur Verfügung. Die besetzten Ländereien können nicht freigekauft werden, die Familien bekommen keine Starthilfe. LULA musste schon vor seinem Amtsantritt zur Wallstreet und unterschreiben, dass er im Falle seines - voraussehbaren - Wahlsieges die Schuldzinsen zahlt. Andernfalls würden große Sanktionen gegen Brasilien eintreten.

Brasilien hat fast 240 Milliarden US$ an Auslandsschulden. Dafür zahlt LULA seit seinem Amtsantritt vom Januar 2003 jedes Jahr an die 70 Milliarden US$ an Zinsen. Doch die Schulden steigen weiter, weil sie natürlich verzinst werden. Das ist die Schuldenfalle, die teuflischste Form von Ausbeutung -eine immer sprudelnde Geldquelle: Und alles ist rechtens!

Was sind die Folgen der neoliberalen Globalisierung
Die neoliberale Globalisierung ist für viele Menschen auf unserer Erde täglicher Terror". Durch Terror sterben Menschen. Terror ist Mord. Der Terror, das Morden durch die neoliberale Globalisierung geschieht ohne Bomben, ohne Kalaschnikows, ohne Sprengladungen, ohne Selbstmordattentäter. Es geschieht dadurch, dass Menschen ausgeschlossen werden, von den Möglichkeiten, ein Leben in Würde zu führen. Ihnen werden die Lebensgrundlagen entzogen: der Boden zum Anbau von Lebensmitteln, der Zugang au sauberem Frischwasser, soziale Absicherung, gerechte Arbeit, medizinische Grundversorgung, Bildung und Mitbestimmung über die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen im eigenen Land.

Täglich sterben durch diesen Terror 100.000 Menschen an Hunger und seinen unmittelbaren Folgen: Die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Kapitalbesitzenden und Besitzlosen klafft in allen Ländern täglich weiter auseinander - auch in Deutschland. Die Konzentration des Kapitals in immer weniger Händen nimmt zu. Wer bei dein Spiel nicht mitmacht, erlebt seinen 11.. September.

Die Schere zwischen den Kapitalbesitzenden und den Nichtbesitzenden wird in allen Gesellschaften von Tag zu größer - auch in Deutschland. Aber ein Umdenken ist nicht in Sicht. Der Kommentar Jesu: „Wer hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, dem wird auch das noch genommen.“

Wer zahlt die Zeche? Denn jeder Gewinn, jede Zinsmark muss ein anderer bezahlen. Es sind die Nichtkapitalbesitzenden, die .Arbeitenden, durch: niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten. Es sind die Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und Rentner über weitere Kürzungen.
Gegen diese Kapitalmächte ist auch ein einzelner Staat fast machtlos.

Gibt es Alternativen?
Die Freiheit für das Kapital muss begrenzt werden durch Regeln aus sozialen und ökologischen Gesichtspunkten. Auf den Gegengipfeln in . Porto Alegre und in Indien haben die weltweiten sozialen Bewegungen, die NGOs, die Gewerkschaften und Teile der Kirchen wie Kairos Europa Alternativen vorgelegt. Bei attac finden sich ausgearbeitete Konzepte.

Eine andere Welt ist machbar. Das Ziel von Arbeit und Wirtschaft darf nicht mehr in erster Linie der Profit sein sondern der Mensch. Jeder Mensch muss ein Leben in Wurde führen können. Wir alle spielen ja mit in diesem System. Als Befürworter und Konsumenten werden wir dafür gebraucht.

Die andere Welt muss in unseren Köpfen und in unserem Verhalten beginnen mit Sehen - Urteilen -Handeln und das zusammen mit anderen ..

Der Satz eines armen Landlosen in einem Lager in Brasilien bleibt mir und wird immer wichtiger: „Wir selbst müssen den reichen Kopf ablegen und unsere Geschichte selbst in die Hand nehmen.”




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