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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 120, Oktober 2006, Seite 46-49
(Download als pdf hier)


Was ist gerechte Sprache?

von Eberhard Fincke


Da die BIBEL IN GERECHTER SPRACHE zum diesjährigen Reformationsfest erscheinen soll, signalisieren die Übersetzerinnen und Übersetzer, ein Kreis von über 50 Theologinnen und Theologen, ihr reformatorisches Selbstverständnis. Vor einem Jahr haben sie in dem Buch DIE BIBEL - ÜBERSETZT IN GERECHTE SPRACHE?, Gütersloh 2005, die Grundlagen ihrer Übersetzung und Proben davon vorgestellt. "Gerecht" soll diese Übersetzung der Bibel vor allem in dreierlei Hinsicht sein:
Gerechtigkeit gegenüber der jüdischen Religion,
Geschlechter-Gerechtigkeit und
Soziale Gerechtigkeit (So Helga Kuhlmann S. 86-89).

Je mehr man sich in dieses Programm hineindenkt, um so gewaltiger oder gar unmöglich erscheint es. Und die vielen Beiträge des Buches, die das Problem des Übersetzens, der Bibelübersetzung und besonders des Gottesnamens zum Thema haben, machen die großen Schwierigkeiten des Vorhabens deutlich. Sie bieten spannende Einsichten, aber es bleiben doch Fragen und Einwände.

Die hebräische Bibel unterscheidet beim Gottesnamen ausdrücklich zwischen Schrift und Sprache, geschrieben JHWH, aber gelesen adonaj=Herr oder hschem=der Name. Deswegen ist wohl von "gerechter Sprache" die Rede, weil eine gerechte Übersetzung hier und auch sonst kaum erreichbar ist. Sprache ist Dialog, ist Bewegung. Das Hin und Her des Sprechens und Erörterns bei der Übersetzungsarbeit zwischen zwei oder mehreren Personen, bei dem man einander schon unwillkürlich gerecht zu werden sucht, verlangt freilich irgendwann eine Entscheidung, wenn die Angelegenheit nicht in der Schwebe bleiben soll. Es ist wie vor Gericht oder in der Gesetzgebung. Das Urteil oder das Gesetz am Ende des Abwägens und Argumentierens ist ein Kompromiß. Die Wirklichkeit ist komplizierter, häufig verwickelt wie der sog. Gordische Knoten. Den durchschlägt die staatliche Macht in der Person des Königs Alexander mit dem Schwert.

Übersetzen wollen und sollen, wir jedoch nicht gewaltsam und gerecht wäre das schon gar nicht (vgl. Jürgen Ebach S. 42). Zumal diese Bibelübersetzung sich ja gerade gegen Übersetzungen richtet, "welche selbst Gewalt geübt haben und ausüben, Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen jüdische Menschen, Gewalt gegen Kranke und Behinderte" (Jürgen Ebach S. 43) und, wie ich ergänze, durch Rechtfertigung des Krieges. Aber darf andererseits bei dieser Gegnerschaft etwas in der Schwebe bleiben?

Die Übersetzerinnen und Übersetzer retten sich, was den Gottesnamen angeht, zu der erwähnten Lösung der hebräischen Bibel, zur Unterscheidung von Schrift und Gelesenem. Sie schreiben für Gott in der dritten Person "ErSie" oder SieEr" und überlassen es Leserinnen und Lesern, was sie hier laut lesen.

Jedoch, unserer Kultur ist das fremd. Und war nicht das Kunstwort JHWH, das wahrscheinlich so nicht gelesen wurde, vor über 2000 Jahren in Israel auch nur eine Sache der wenigen, die überhaupt lesen und schreiben konnten, eben der Schriftgelehrten? Wenn wir dagegen heute den Bibeltext auf diese Weise freigeben, liefern wir ihn dann nicht der ohnehin zunehmenden Beliebigkeit aus? Das paßt doch nicht, da es vor allem gegen die Gewalt gehen soll.

Außerdem verstärkt das Brüten über dem Dilemma, ob wir Gott nun männlich oder weiblich nennen, jene Art von Theologie, die immer nur um die Frage nach Gott kreist und die Gerechtigkeit versäumt. Wir können ja doch Gott nicht gerecht werden. Mehr Gerechtigkeit aber in der Beziehung zu den Juden, zwischen Frauen und Männern und in der Gesellschaft ist wohl der Mühe einer gerechten Sprache beim Übersetzen der Bibel wert.

Leider haben die Übersetzerinnen und Übersetzer eine Hilfe dazu bisher nicht berücksichtigt. Sie wird von der hebräischen Bibel selbst bereitgehalten, der Fingerreim. Im Zusammenspiel der fünf Finger, das bei Männern und Frauen gleich ist, wird modellhaft sichtbar, wie die fünf entscheidenden Gesichtspunkte der Gerechtigkeit sich miteinander verbinden. In vielen Fällen kann man sich bei der Bibelübersetzung also das Verständnis "an den Fingern abzählen". Jener Gordische Knoten wird damit sozusagen durchsichtig und muß nicht mehr durchschlagen werden. Die Zehn Gebote im 2. und 5. Buch Mose sind wahrscheinlich auf diese Weise aneinander gereiht worden, als Fingerreim. (Vgl. E. Fincke, Die Wiederentdeckung der sozialen Intelligenz, Stuttgart 1997).

So sind die Zehn Gebote formal und inhaltlich kein Gesetz, sondern eine Orientierungshilfe. Als solche gelten sie der jüdischen Tradition als "Weisung", hebräisch "Tora", und nicht als "Gesetz". Um dem gerecht zu übersetzen, möchte Luise Schottroff im Römerbrief, wo sich Paulus mit dem Gesetz, griechisch "nomos", auseinandersetzt, aber inhaltlich von der Tora ausgeht, statt "Gesetz" "Weisung" schreiben. Auf den ersten Blick scheint das "gerecht". Und doch würde Paulus dadurch entscheidend verkürzt.

Paulus liegt mit dem Wort "Gesetz" voll im Sprachgebrauch des Judentums seiner Zeit. Das hat unter der übermächtigen Herrschaft hellenistischer Despoten und Kultur mehrere. Jahrhunderte versucht, eine Gerechtigkeit durchzuhalten, die sich an der Weisung des befreienden Gottes orientiert. Hellenistische und dann römische Herrschaft dagegen erzwingt Gerechtigkeit auf Grund des Gesetzes mit Gewalt. Gesetz und Gewalt gehören hier zusammen, während die Orientierung an der Weisung Gewalt gerade vermeiden will.

In Widerspruch und Anpassung hat das Judentum seine Weisung (Tora) als Alternative zum Gesetz der Herrschenden verstanden, aber dann eben auch als Gesetz. Obwohl der Wortlaut gleich bleibt, ändert sich der Sinn, und aus der. Weisung wird ein Instrument, um den Nächsten zwingen zu können. Das jüdische Volk hat auf diesem Wege sogar eine Theokratie ausgebildet ähnlich wie heute der Iran.

Jesus hat dagegen gekämpft, in der Weisung ein Gesetz zu sehen. Deswegen ist er als Gesetzesbrecher zum Tode verurteilt worden. Paulus hat diese Kritik am Gesetz - nicht an der Weisung! - auf seine Weise fortgesetzt. Das wäre kaum mehr zu erkennen, würde man bei ihm statt "Gesetz" "Weisung" schreiben.
Dass eine solche Übersetzung überhaupt erwogen werden kann, hängt wohl mit einer grundlegenden Fehlentwicklung der Theologie in Deutschland zusammen. Die hat bis heute nicht wirklich in sich aufgenommen,
"dass der in den neutestamentlichen Schriften - sei es in den Evangelien, sei es in den paulinischen Schriften verwendete Begriff des "Gesetzes" - in aller Regel und grundsätzlich nicht Gottes Weisung vom Sinai meinte, sondern den "nomos" politischer Herrschaft, wie er im Hellenismus und im Rechtsdenken des Imperium Romanum auch den Aramäisch und Koine sprechenden und denkenden Juden der Provinz Judäa geläufig war."(Micha Brumlik S. 135)

Martin Luther, in dessen Theologie der Begriff "Gesetz" eine zentrale Rolle spielte, war diese Einsicht selbstverständlich. Es sieht so aus, als habe unsere Theologie nach ihm, gerade auch die linksgestrickte, mit staatlicher Herrschaft vielfältig verknüpft, für die biblische Kritik am Gesetz und seiner Gewalt keinen Blick.




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