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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 121, Februar 2007, Seite 38-43
(Download als pdf hier)


Stellungnahme und Vorschläge des Pfarrkonventes der Propstei Vechelde zu Kirche unter den Menschen

Stellungnahme der theologischen Kammer der Ev.-luth. Landeskirche in BS


Wir begrüßen den Versuch der theologischen Kammer, „Vorschläge zur konkreten Gestaltung der zukünftigen Arbeit in den Gemeinden“ - auch in der Frage der Stellenreduzierung zu wagen. Im Sinne einer konstruktiven Beteiligung möchten wir folgende Gesichtspunkte kritisch anmerken und Alternativvorschläge unterbreiten:

  • In den theologischen Eingangsüberlegungen wird leider nicht genauer reflektiert, wie sich Kirche in einer postkonfessionellen Gesellschaft darstellen kann, die ausgewiesenermaßen ein hohes Interesse an Religion und religiöser Praxis hat. Der Auftrag an die Kammer (S. 4) hätte erwarten lassen, dass die sozialwissenschaftliche Theorieentwicklung in der Religionsgeographie und ihre Relevanz für die kirchliche Arbeit stärker bedacht worden wäre.
  • Leider gab es, ähnlich wie bei dem Impulspapier der EKD, keine Beteiligung von den mit betroffenen Gemeindepfarrer/innen.
  • Das Dilemma der Entwicklung und Förderung des Ehrenamtes einerseits und der Abwälzung vieler Aufgabenbereiche der Kirchengemeinde andererseits auf ehrenamtliche Mitarbeiterinnen wird verschärft statt gemindert. (vgl. u. a. Nr. 39) Wenn die „Schlüsselfrage“ hierbei ist, „ob es gelingt, eine ausreichende Zahl von Ehrenamtlichen zu gewinnen“, dann muss die Frage nach dem „wie“ immer mit gestellt werden (vgl. S. 20): Weil aber lediglich nach dem Faktum der Gewinnung von Ehrenamtlichen gefragt wird, kommt die Beschreibung der Konditionen für die Gewinnung von Ehrenamtlichen - das „wie“ - gar nicht erst in den Blick: Ehrenamtliche aber wachsen in ihre kirchliche Identität im überwiegenden Maß durch Teilnahme und Anbindung an Gruppen und Kreise hinein, durch intensive, kontinuierliche, persönliche Begleitung, nicht aber durch Kompetenzzentren. Das bedeutet für die Stellungnahme: die Vorschläge setzen falsche Prioritäten: nicht zuerst die Ausbildung, Förderung und Fortbildung von vorhandenen Ehrenamtlichen ist zu betonen, sondern sämtliche Möglichkeiten der Unterstützung der Gruppen und Kreise vor Ort sind zu fördern, in denen Ehrenamtliche den Zugang zur Kirche finden.
  • Das oben beschriebene Dilemma ist für die Pfarrerschaft nicht zu lösen: Sie braucht Entlastung und nicht eine Maximierung der Anforderungen an sie. Auf der Agenda muss aber dennoch stehen: persönliche Präsenz vor Ort.
  • Bewertungskriterium für die Mittelzuweisung zur Sicherung der Gebäude darf nicht die Gemeindegliederzahl sein. Das hätte fatale Folgen für die Gemeindearbeit. Die ohnehin in der Vergangenheit schon benachteiligten kleineren Gemeinden würden noch mehr benachteiligt; denn wo trotz geringerer Gemeindegliederzahlen eine hohe Beteiligung von Gemeindegliedern am Gemeindeleben stattfindet (vgl. unten), würde noch weniger Raum zur Verfügung gestellt. Damit ist der Vorschlag kontraproduktiv für Gemeindearbeit. Ein konkreter Nutzungsplan o. ä. wäre stattdessen ein gerechteres, den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechendes Kriterium.
  • Wir bedauern die einseitige Sichtweise des Papiers vorwiegend aus dem Blickwinkel einer Stadtgemeinde: (Belege: Nr. 52!, oder 66, …“ u. ö.) mit der Folge, dass bei den konkreten Vorschlägen eine weitere Benachteiligung der dörflich strukturierten Gemeinden in Kauf genommen wird.
  • Wenn denn Konsens darüber besteht, dass
    1. „die Bevölkerung nicht abermals,… insbesondere in ländlichen Bereichen ….zu den Verlierern gehören darf, … (S.16),
    2. „gerade ländliche Kirchengemeinden erheblich zur Stabilisierung der Kirchenmitgliedschaft beitragen“, was besonders „durch die vergleichsweise hohe Beteiligung der Dorfbevölkerung an den Kirchenvorstandswahlen dokumentiert,“ wird (Nr.62),
    3. der Identifikationsfaktor mit Kirche auf dem Land deutlich höher ist (vgl. Nr.62) und damit zwangsläufig die persönliche Präsenz Hauptberuflicher noch stärker gefordert ist als in einer Stadtgemeinde, und
    4. „im Gegensatz zu den kirchlichen Diensten und Werken, zu City-, und Tourismusgemeinden, die stets nur bestimmte Zielgruppen ansprechen“ können und wollen, gerade die parochiale Ortsgemeinde im dörflichen Bereich alle Kirchenglieder erreichen will und soll (vgl. Stellungnahme des Pastorenausschusses der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers zum Impulspapier der EKD, 2.4), dann bedeutet das konkret:
  • Das Verhältnis der Bemessungszahl pro Pfarramt für den Gemeindepfarrdienst sollte mindestens von 1.500 Gemeindegliedern auf dem Lande zu 2.200 in der Stadt umgesetzt werden (vgl. Nr.129) unter Berücksichtigung der weiteren Kriterien des Pfarrstellenbewertungsplanes.
  • Der Pfarrstellenbewertungsplan sollte erhalten bleiben und auch auf Stadtgemeinden mit besonderem Profil weiter angewendet werden. Er bietet nach wie vor ein einigermaßen objektivierbares Mittel zur Bewertung, das eine annähernde Gleichbehandlung zwischen Stadt- und Landgemeinden ermöglicht. So genannte „Leuchttürme“ „Citygemeinden“ etc. können ausreichend durch die Anwendung der „Schwerpunktpunkte“ berücksichtigt bleiben.
  • Folgende theologische Gewichtung möchten wir gegenüber der Stellungnahme der theologischen Kammer betonen: Der „Gottesdienst im Alltag der Welt“, also auch alles sozial-diakonische Reden und Handeln, gehören je zum aktualisierten Ursprungsort von Kirche. Gruppen und Kreise, Kirchenvorstände, Vereine, Verbände und Einrichtungen, Gemeinschaften, Kommunitäten und Geschwisterschaften stellen in ihren Lebensformen, soweit sie sich selbst in der Nachfolge Jesu Christi verstehen, Ursprungs- und Realisierungsorte von Kirche dar, (vgl. Thesen 13-16 von „Kirche im Wandel“!). Insofern dürfen Gruppen und Kreise etc. nicht als nachgeordnete Lebensformen der Kirchengemeinde verstanden werden, die sich erst aus dem Gottesdienst zu entwickeln hätten. Vielmehr findet gottesdienstliches Leben in all diesen Lebensäußerungen von Kirche statt. Nicht (zuerst) der Gottesdienst, (so S. 42), sondern die Gemeinde/Kirche soll die Vielfalt des Leibes Christi darstellen (vgl. 103). Eine „Gefahr der Trennung zwischen Gemeindearbeit und dem gottesdienstlichen Leben“ (S. 42f) ist allerdings nur dann gegeben, wenn die Gemeindearbeit in Gruppen und Kreisen in ihrer identitätsstiftenden Kraft unterschätzt wird, wie das besonders in Nr. 76 der Stellungnahme deutlich wird: Der „Bedeutungsverlust“ der Kirchen wäre um ein Vielfaches größer, würde es die seit dem frühen 19. Jahrhundert sich entwickelnde, auch sozial-diakonische Gemeindarbeit in ihren Gruppen und Kreisen nicht geben.
  • Die interne Spannung in der Bewertung der Gemeindearbeit in der Stellungnahme ist so frappierend, (76 versus 101, 104), dass ein klarer inhaltlicher Vorschlag für eine konkrete Gestaltung der zukünftigen Arbeit hier überhaupt nicht erreicht werden kann.
  • Für die Pfarrerschaft bedeutet das u.a.: sie kann und soll nicht aus der Verantwortlichkeit für die vielfältigen Gruppen und Kreise entlassen werden, indem man den ehrenamtlichen Mitarbeitern allein die Verantwortlichkeit überlässt.
  • Ein möglicher Rückzug auf die so genannten „Kernaufgaben in Verkündigung, Unterricht und Seelsorge“, bei gleichzeitiger Forderung der Übernahme von Aufgaben durch Ehrenamtliche (besonders deutlich: Nr. 86, Geschäftsführung einer Gemeinde durch Ehrenamtliche (S.37)), hätte fatale Folgen: a) die Gefahr der Frustration Ehrenamtlicher durch Überforderung, b) der Verlust an Attraktivität des Ehrenamtes und c) weniger statt mehr Ehrenamtliche.
  • Stattdessen sollte eine Handlungsmaxime sein: Weil „überzeugende und gewinnende kirchliche Arbeit in den Gemeinden personalintensiv ist und nicht beliebig durch zusätzliches ehrenamtliches Engagement gewährleistet werden kann“ (S.15, besonders Anmerkung 8), müssen alle Möglichkeiten zur Gewinnung von Mitarbeitern ausgeschöpft werden, also primär die Rahmenbedingungen für Identifikations- und Beheimatungsprozesse in den Gemeinden vor Ort gefördert werden. Das heißt konkret: Gruppen und Kreise, das kirchliche Vereinswesen etc. braucht zuerst Wertschätzung, Begleitung, Mittel und Räume (spirituell und materiell) vor Ort!
  • Unklar ist die Zielgruppe in dem Satz S. 16, Anm. 8: „So, wie ehrenamtlich Tätige einen Teil ihrer Freizeit dazu aufwenden, damit Gemeinde lebendig werden kann, ist auch den hauptamtlich Tätigen im Interesse der Gemeinden ein Pensum an unentgeltlich durchzuführenden Nebentätigkeiten zuzumuten, das dem der Ehrenamtlichen entspricht.“ – Gemeindepfarrerinnen und –pfarrer üben neben ihren hauptamtlichen Tätigkeiten oft ein Vielfaches an ehrenamtlichen Nebentätigkeiten im Vergleich zu anderen Ehrenamtlichen in der Gemeinde aus. Bezieht sich dieser Satz auch auf die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Landeskirchenamt und auf die Inhaber funktionaler Pfarrämter?
  • Bei Überlegungen zur zukünftigen Gestalt unserer Kirche muss entgegen Absatz 137 berücksichtigt werden, dass die Mobilität der Gemeindeglieder abnehmen wird. Zum einen werden Energie und Kraftstoffe knapper und in deren Folge Energiekosten steigen. Zum anderen wird das durchschnittliche Lebensalter unserer Gemeindeglieder steigen. Das bedeutet, dass der Kirche vor Ort besondere Bedeutung zukommen wird. So genannte „Kompetenz-Zentren“ oder Kirchen als „Leuchtfeuer“ für die Regionen, die die Kirche vor Ort ersetzen sollen, führen auch deswegen in eine Sackgasse.
  • Absatz 139 fordert „neue Impulse“ für die „Belebung des Gottesdienstes für alle Generationen“, der „Alltagsseelsorge, im Besuchsdienst und in der Seniorenseelsorge“. Die Stellungnahme der theologischen Kammer bleibt jedoch die Auskunft schuldig, woher die neuen Impulse kommen sollen und wer sie entwickelt. Ein Satz wie „Profilierung des Gemeindelebens im Sinne christlicher Lebensvollzüge“ bleibt in diesem Zusammenhang unverständlich. Was ist damit gemeint?


Alternativvorschläge:
  1. Damit wir „einladende Gemeindearbeit“ weiter betreiben können, bedarf es vorrangig der Förderung der gemeindlichen Arbeit vor Ort, erst zweit- und drittrangig, wenn denn dafür noch finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen, des Aus- und Aufbaus von Kompetenzzentren und „Leuchttürmen“. Beheimatung und christliche Gemeinschaft stiftende Rahmenbedingungen möglichst ganzheitlicher Art vor Ort sind mehr denn je gefragt und gefordert (128).

  2. Bei der konkreten Gestaltung der zukünftigen Arbeit in den Gemeinden sind vorrangig alle Möglichkeiten zur Gewinnung von Ehrenamtlichen auszuschöpfen, nicht aber zuerst „Auswahl, Qualifizierung und Beauftragung“ derselben. Unterstützung der Gruppen und Kreise vor Ort durch Wertschätzung, pastorale Begleitung und persönliche Präsenz von Hauptamtlichen und

  3. Ehrenamtlichen statt des Aufbaus von „Kompetenzzentren“ ist nötig (138 und 37).

  4. Wir halten für eine gerechtere Verteilung unserer Ressourcen zwischen „Stadt und Land“ die Bemessungszahl von 1.500 Gemeindegliedern pro Pfarramt auf dem Land und 2.200 in der Stadt für gerechtfertigt. (129) Mittelfristig muss die Bemessungszahl von 1.500 Gemeindegliedern pro Pfarramt auf dem Land gehalten werden, um eine Eskalation des Kirchenmitgliederschwunds zu vermeiden.

  5. Wir schlagen auch für die Zukunft eine konsequente Anwendung des Pfarrstellenbelastungsplanes vor, inklusive der Anwendung der so genannten Schwerpunktpunkte, um besondere Arbeitsprofile zur Gemeindeentwicklung zu fördern. Es sollten dementsprechend keine Sonderkonditionen für „Leuchttürme“, Citykirchen etc. entwickelt werden.

  6. Bewertungskriterium für die Mittelzuweisung zur Sicherung der Gebäude sollte auf keinen Fall ausschließlich die Gemeindegliederzahl sein, sondern z.B. ein Nutzungsplan o. ä. (50).

  7. Zur Erhaltung von Gemeindepfarrstellen sollen die funktionalen Pfarrämter im Verhältnis von 1 zu 5 Gemeindepfarrämtern im Rahmen der gesellschaftlichen und kirchlichen Erfordernisse angestrebt und erhalten bleiben (130). Man beachte: 1973 war das Verhältnis noch 1 zu 13, heute liegt es bei 1 zu 3,5.

  8. Wir halten eine Beteiligung der mit betroffenen Gemeindepfarrer/innen und der vor Ort tätigen Mitarbeiter/innen an der Erarbeitung von Vorschlägen „zur konkreten Gestaltung der zukünftigen Arbeit in den Gemeinden“ für zwingend erforderlich.



Verabschiedet auf der Sitzung des Pfarrkonventes der Propstei Vechelde am 17.1.2007




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