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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 121, Februar 2007, Seite 25-27
(Download als pdf hier)


Prügelpädagogik?
Zu Paul Gerhardts Lied „Ein Lämmlein geht..“

von Herbert Erchinger


„Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ (EG 83). Als Pfarrer habe ich diesen Choral Paul Gerhardts nie singen lassen. Aber er klingt in mir wie eine ferne Sehnsuchtsmelodie aus der Kindheit. Und da ich als Pfarrerskind bis zum Abitur eigentlich jeden Sonntag den Gottesdienst besuchte, ist er mir unauslöschlich im Gedächtnis. Noch dazu sang die Gemeinde damals während der Austeilung des Abendmahls passende Lieder durch bis zur letzten Strophe. Erst als Vikar habe ich gemerkt, daß ich dadurch viele Lieder bis zum letzten Vers im Kopf habe.
„Ja, Vater, ja von Herzensgrund“ pflegte meine Schwester spitz zu antworten, wenn mein Vater sie um eine Gefälligkeit bat. Paul Gerhardts Sprache ist ja so eingängig, daß ihre Formulierungen eine Eigendynamik bis in die Alltagssprache entwickeln. So auch in diesem Choral.
Er beginnt ganz harmlos mit dem Lämmlein wie ein Kinderlied. Aber dann wird gefährliche Gottesvergiftung transportiert. Denn es bleibt ja nicht aus, daß die folgende intime Beschreibung der Leidensbereitschaft Jesu einen normativen, appellativen Charakter im Sinne einer problematischen „imitatio Christi“ bekommt:

Entsaget allen Freuden!
Nehmet an Schmach, Hohn und Spott,
Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod!
Und sprecht: Ich will´s gern leiden.
Geh´ hin mein Kind und nimm dich an
Zur Straf und Zornesruten.
Die Straf´ist schwer, der Zorn ist groß!

Ist das nicht die reinste religiöse Unterfütterung der schwarzen Prügelpädagogik.?
So ist das jedenfalls bei mir angekommen in einer Kindheit, wo in Familie und Schule noch geprügelt wurde. Das war für mich als Kind reinster Masochismus, auch wenn ich damals den Begriff noch nicht kannte.

Ich weiß natürlich, Paul Gerhardt, daß Du das nicht so masochistisch gemeint hat. Du meinst es eher wie Zinzendorf: „Das tat ich für dich, was tust du für mich?“ Und dichtest dann weiter: „Mein Lebetage will ich dich aus meinem Sinn nicht lassen“. Und die Verse 4-7 sind auch viel positiver und lebensbejahender, wurden aber viel weniger gesungen und haben sich kaum eingeprägt.
Nein, diese Leidensmystik V 1-3 hat nichts Widerständiges, eröffnet keine Protestkultur. Da ist nur Ergebenheit und Selbstaufgabe.
Das blieb nicht ohne Wirkung auf Untertanengeist und Militarismus. Da darf man sich nicht wundern, daß fromme und gebildete Christen sich widerstandslos verheizen ließen in den Schlachten des Alten Fritz . Der war ein religiöser Zyniker, liebte aber den Gehorsam, zu dem ihm die Kirche seine Untertanen erzog. In der Tat liest sich V 3 wie eine militärische Dienstvorschrift:
„Ja, Vater, ja, von Herzensgrund, leg auf, ich will dir´s tragen.
Mein Wollen hängt an deinem Mund, mein Wirken ist dein Sagen.“
So marschiert man brav bis nach Stalingrad.

Verzeihung, lieber Paul Gerhardt, ich weiß, daß ich überzogen habe und Dir bitter Unrecht tue.
Du hast ja durchaus Widerstand geleistet und den Maulkorberlaß Deines reformierten Kurfürsten nicht unterschrieben. Du hast lieber auf Dein Amt verzichtet, als gegen Dein Gewissen zu handeln.
Und so will ich auch zugeben, daß mir dieses Lied trotz aller schwarzen Pädagogik doch immer lieb gewesen ist und mich bis heute mit einer tiefen bittersüßen Sanftmut erfüllt. Das liegt nicht zuletzt an der fast heiteren Melodie, die die Annahme des Leidens vergoldet in einer Art „Desperatio ad infernum“. Wenn ich all meinen Widerstand gegen Strafe und Qual, gegen Kränkung und Schmerz aufgebe, bin ich mit meiner Schuld und der Strafe im Reinen und finde meinen Frieden. Aus meiner Lektüre der Briefe zum Tode Verurteilter weiß ich, daß manche in diesem Gemütszustand getröstet zum Richtplatz gingen. Und bei aller Kritik bleibt dieser unzerstörbare Schatz Deiner Passionslieder erhalten: Sie sind vielleicht nicht immer eine Lebenhilfe, aber sicher eine Sterbehilfe.
„Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir“ (EG 85,9).
“Und wenn mein Herz in Stücke bricht, sollst du mein Herze bleiben“(EG 83,4).
„Kein Urteil mich erschrecket, kein Unheil mich betrübt,
weil mich mit Flügeln decket mein Heiland, der mich liebt.“ (EG 351,6)
Dies sind Lieder am Rande des Lebens, Lieder der „ars moriendi“, der Kunst des Sterbens. Damit kommt ein wesentlich therapeutischer und seelsorgerlicher Aspekt Deiner Lieder in den Blick. Eine „eiserne Ration“ für das Sterben. Nicht nur am Ende des Lebens. Denn sterben wir nicht täglich in unseren Hoffnungen, Illusionen und Planungen? Es sind Lieder gegen die Sprachlosigkeit des Leidens und Sterbens gerade des modernen ach so aufgeklärten Menschen. Gut, sie auswendig zu kennen, wenn ich einmal soll scheiden.
Eindrucksvoll besingst Du die Unzerstörbarkeit des Glaubenden. Daraus könnte Zivilcourage wachsen. Leider kommt die in Deinen Liedern kaum vor. Und es bleibt die Mahnung Bonhoeffers, daß der Glaube nicht nur am Rande des Lebens, sondern in der Mitte des Lebens tragen soll. Der Glaubende sitzt bei Dir geschützt wie in einer Käseglocke („wenn Not und Trübsal blitzen in Deinem Schoße sitzen“ EG 58,5,), wirkt aber nicht sozialethisch nach außen. Es fehlt durchgängig dieser „tertius usus legis in renatis“. Diese neue Wertschätzung der Ethik hättest Du nun wirklich von den Reformierten in Berlin lernen können.
Ja, ich finde wenig ethische Orientierung in Deinen Liedern, lieber Paul. Das „sola gratia“ frißt alles auf. Nur ja keine Werkgerechtigkeit:
„Ach, Hüter unsres Lebens, fürwahr, es ist vergebens
mit unserm Tun und Machen, wo nicht dein Augen wachen.“ (EG58,6)
„An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd,
Was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert.“(EG 351,3)
Diese ständige Abwertung der Fähigkeiten des Menschen! (Verständlich im Blick auf die Schrecken des 30jährigen Krieges.) Natürlich ist das theologisch korrekt auf dem Hintergrund der lutherischen Rechtfertigungslehre. Der Wert des Menschen und seines ethischen Tuns entsteht erst durch Christus und wird erst durch ihn ermöglicht. Alles richtig. Aber die Betrachtung des Leidens Christi hätte doch auch zum Appell der Gewaltverweigerung und zur aktiven Soldarität mit den Leidenden führen können. Deine Lieder haben gewiß die Leidensfähigkeit, aber weniger die Mitleidensfähigkeit, die Empathie befördert. Auch das hat sich historisch bis heute in Deutschland ausgewirkt. Das Selbstmitleid entwickelte sich bei uns stärker als das Mit-Leiden mit den Opfern von Unrecht, Krieg, Unterdrückung und Gewalt. So hätte ich mir gewünscht, daß Du, lieber Paul, den Glauben in seinen ethischen Konsequenzen mehr und ausführlicher in Deinen Liedern entfaltet hättest. Vielleicht wäre ich dann ein besserer, friedlicherer, liebevollerer, aufrichtigerer und toleranterer Mensch geworden. Denn ich lebe und sterbe mit Deinen Liedern.




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