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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 121, Februar 2007, Seite 20-23
(Download als pdf hier)


Der Weg des Liederdichters Paul Gerhardt

Ein Baustein für einen Gottesdienst
in zwei Teilen vorzulesen, unterbrochen von einem Gerhardt-Lied

von Dietrich Kuessner


Teil eins
Als Paul Gerhardt 1607 geboren wurde, war sein Vater Bürgermeister des Städtchens Gräfenhainichen. Es hatte 1000 Einwohner, eine Stadtmauer mit zwei Stadttoren, eine Art Schloß mit Ländereien, eine Kirche mit zwei Pfarrstellen, eine Stadtschule, und lag nur 27 Kilometer von der Lutherstadt Wittenberg entfernt. Sein Großvater war mütterlicherseits Superintendent (in Eilenburg) gewesen. Die Gerhardts gehörten zu den führenden und begüterten Einwohnern der Stadt. Das Anwesen umfaßte Wohnhaus, Stall, Scheune und ein Brauhaus. Paul war der zweite Sohn, dem noch zwei Schwestern folgten. 15 Jahre lang lebte Paul Gerhardt in dieser gesicherten und geachteten Umgebung, aber als er 12 Jahre alt war, starb sein Vater (1619) und zwei Jahre später schon seine Mutter. Die vier Kinder wurden auf die Verwandten verteilt, der Älteste war bereits auf der Fürstenschule Grimma, und mit 15 Jahren kam auch Paul Gerhardt dahin.
Grimma war eine Art Eliteschule, in einem ehemaligen Kloster mit Klosterkirche gelegen, die nicht billig war. Die Gerhardts bezahlten jährlich 15 Gulden für eine spartanische Ausbildung, die Paul Gerhardt und sein Bruder mit 90 anderen Schülern erhielt. Morgens um 5 Uhr aufstehen, knieend das Morgengebet, 6 – 7 erste Schulstunde, danach um 7 Uhr die Morgenandacht in der Klosterkirche, anschließend Morgensuppe. 8 bis 10 Uhr Unterricht und Stillbeschäftigung. Um 10 Uhr Mittagessen. Von 12 bis 13 Uhr täglich Musikunterricht. 14 Uhr Vesperbrot und Stillbeschäftigung bis zum Abendessen um 17.00 , 18 – 19.00 letzte Studierstunde, danach einen Schlaftrunk und ins Bett. Jede Schulstunde begann mit einem Vaterunser auf lateinisch oder griechisch. Am Sonntag vormittag und nachmittag Gottesdienst und an einem Freitag auch noch. Austausch mit anderen Schülern aus der Stadt gab es nicht und war auch nicht erwünscht. Am Sonntag nachmittag konnten sich die Schüler unter Aufsicht im benachbarten Wäldchen aufhalten. Der ältere Bruder hat diese Art von Bekenntnisschule nicht ausgehalten und war ausgerissen, Paul Gerhardt war seinen Zeugnissen nach normaler Durchschnitt und machte 1627 mit zwanzig Jahren seinen Abschluß.
Paul Gerhardt ging zum Theologiestudium nach Wittenberg, und wohnte zeitweise im Haus des dortigen Stadtpfarrers, dessen Kinder er unterrichtete und sich so sein Studium verdiente.
Wittenberg war damals eine Hochburg des lutherischen Fundamentalismus, bekenntnistreu bis auf die Knochen. Er blieb dort 14 Jahre bis 1641. Hier erlebte Gerhardt die Schrecken des 30jährigen Krieges, die er schon auf der Schule in Grimma zu spüren bekommen hatte, als zeitweise die Verpflegung ausfiel und die Pest den Ort heimsuchte. Ein Pestopfer war auch unter den Schülern gewesen. Von Wittenberg aus erlebte Gerhardt die Zerstörung seiner nahe gelegenen Geburtsstadt Gräfenhainichen, Kirche, Schule, Pfarrhaus, Schloß und 166 Wohnhäuser wurden 1637 von schwedischen Truppen geplündert und niedergebrannt, darunter auch das der Gerhardts. Sein Bruder starb im selben Jahr an der Pest.

Teil zwei
1643 nahm Paul Gerhardt die Stelle eines Hauslehrers bei einem bedeutenden Juristen am Berliner Kammergericht ein. Er unterrichtete dessen Enkelkinder, fand in Folge der prominenten Wohnlage auch Verbindung zu anderen Familien der Berliner Oberschicht, später heiratete er die Tochter des Hauses, Maria Berthold. Berlin und Brandenburg wurde (seit 1640) vom Großen Kurfürsten regiert und zu einem absolutistischen Wohlfahrtstaat ausgebaut. Es ging nach den Schrecken des Krieges wieder bergauf. Paul Gerhardt schloß Bekanntschaft zum neun Jahre älteren Kantor der großen Nikolaikirche, Johann Crüger, der schon lange (seit 1622) dort für die Kirchenmusik zuständig war. Gerhardt vertraute ihm einige seiner Gedichte an, die er als Hauslehrer gedichtet hatte Crüger hatte ein Liederbuch veröffentlicht und nahm in die zweite Auflage 18 Lieder von Paul Gerhardt auf und schrieb dazu auch Melodien, darunter „Wach auf, mein Herz und singe“ und „Nun ruhen alle Wälder“. Das Liederbuch war für den Gottesdienst gemacht. Da wenigstens 50 Prozent der Berliner damals Analphabeten waren, wurde „aus dem Kopf“ gesungen, und durch Nachsprechen gelernt. Zum Text lernte der Schülerchor die Melodien. Es wurde ohne Orgel gesungen, oft aber mit mehrstimmigem Chor und Instrumentalbegleitung.
Nach acht Jahren Hauslehrerin Berlin bekam Gerhardt das Angebot, sich auf die Propststelle in Mittenwalde zu bewerben. Mittenwalde, lag südlich von Berlin, zwei/drei Stunden mit der Postkutsche unterwegs entfernt, sein Kollege in Mittenwalde hatte sich beim Rat unbeliebt gemacht, weil er dessen Zinsgeschäfte von der Kanzel kritisiert hatte, und sollte deshalb die Stelle nicht bekommen. Im Krieg hatten Soldaten den Propst vor dem Altar erschossen. Nun seit 1651 ordiniert und in Amt und Würden mit regelmäßigem Predigtdienst, Taufen, Trauungen und Beerdigungen, Schulaufsicht, Beaufsichtigung von elf Pfarrern in der Umgebung heiratete Gerhardt mit 48 Jahren (1655) die 32jährige Anna Maria Berthold. Die Trauung war in Berlin im Haus des Propstes von Nicolai. Der Berliner Nicolaikantor Crüger hatte 1653 in die fünfte Auflage seines 500 Lieder umfassenden Gesangbuches 82 Lieder von Paul Gerhardt aufgenommen hatte. Gerhardt wurde bekannt und berühmt. Auch andere Gesangbücher aus Dresden und Rostock nahmen Gerhardtlieder in ihre Sammlungen auf.
Schon nach sechs Jahren verließ Gerhardt wieder Mittenwalde, denn in der Berliner Nicolaikirche war eine Pfarrstelle freigeworden. Die Stadt zog ihn und die Bekanntschaft mit dem Kantor Crüger und das Haus der Schwiegereltern (seit 1657). Wieder in Berlin war Gerhardt ein geachteter Pfarrer und Seelsorger seiner Kirchengemeinde. Auch die Zusammenarbeit mit dem Nachfolger von Kantor Crüger, Johann Georg Ebeling, gestaltete sich fruchtbar. Anders sah es in seiner Familie aus. Ihnen wurden fünf Kinder geboren, von denen vier schon im Säuglingsalter verstarben. Nur Paul Friedrich überlebte seine Eltern.
Einige Berliner Pfarrer gerieten in einen Religionsstreit mit dem Gr. Kurfürsten. Dieser wollte jede theologische Auseinandersetzung in seiner Kirche vermieden sehen. Die Lutheraner stritten sich damals im ganzen Reich heftig mit den Reformierten um theologische Fragen. Aber in Kassel und sogar in Thorn hatten Religionsgespräche stattgefunden. So auch in Berlin, aber ohne Erfolg. Der Kurfürst verlangte die Unterschrift seiner Pfarrer unter einen Erlaß, demzufolge sich die beiden Konfessionen tolerieren sollten. Viele unterschrieben, einige nicht, unter ihnen auch Paul Gerhardt, dem daraufhin mit anderen die Ausübung seines Amtes unter Weiterzahlung seines Gehaltes untersagt wurde. Zwei Jahre lang dauerte der Streit, der Kurfürst lenkte etwas ein, der stramme Lutheraner Paul Gerhardt befürchtete einen Einbruch in das Bekenntnis seiner Kirche. Mitten im Streit verstarb 1668 mit 46 Jahren seine Frau.

Pfarrer Gerhardt verließ schließlich Berlin, denn er wurde von Rat der repräsentativen Stadt Lübben zum Pfarrer an der dortigen Stadtkirche gewählt, obwohl er schon 62 Jahre alt war. Gerhardt zog mit seiner großen Bibliothek von über 1000 Büchern in das für ihn erheblich erweiterte Pfarrhaus, und lebte dort zunächst mit seiner Schwägerin, die wenig später verstarb, und seinem Sohn und drei Hausangestellten bis zu seinem Tode am 27. Mai 1676 im 70. Lebensjahr.
In diesem Jahr schrieb er in einem Lebensrückblick an seinen Sohn:
„Nachdem ich nunmehr das 70. Jahr meines Alters erreichet, auch dabei die fröhliche Hoffnung habe, daß mein lieber, frommer Gott mich in kurzem aus dieser Welt erlösen und in ein beßres Leben führen werde als ich bisher auf Erden gehabt habe, so danke ich ihm zuvörderst für alle seine Güte und Treue, die er mir von meiner Mutter Leibe an bis zu jetziger Stunde erwiesen hat.. Meinem einzigen hinterlassenen Sohn überlasse ich von irdischen Gütern wenig, dabei aber eine ehrlichen Namen, dessen er sich sonderlich nicht wird zu schämen brauchen.
Es weiß mein Sohn, daß ich ihn von seiner zarten Kindheit an dem Herrn meinem Gott zu eigen gegeben, daß er ein Diener und Prediger seines heiligen Wortes werden soll. Dabei soll er nun bleiben..
(Es folgen Ermahnungen nichts Böses zu tun, sich nicht zu erzürnen, sich der fleischlichen Lüste zu schämen, Gutes zu tun und den Geiz zu fliehen.)
„Summa: bete fleißig, studiere was ehrliches, lebe friedlich, diene redlich und bleibe in deinem Glauben und Bekenntnis beständig, so wirst du einmal sterben und von dieser Welt scheiden willig, fröhlich und seliglich Amen.“
Mit diesem Wunsch versperrte der Vater dem Sohn die freie Berufswahl, was prompt daneben ging. Paul Friedrich studierte zwar Theologie, auch in Wittenberg, wurde Schulkonrektor auf einem Dörfchen bei Riga im Kurland, flüchtete mit seiner Frau vor Kriegswirren wieder nach Berlin, wo er jedoch keine Stelle mehr bekam und starb mit 54 Jahren im Jahre 1716 mittellos, arbeitslos, kinderlos. Die Witwe versteigerte die Bibliothek noch im selben Jahr.




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