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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 122, Juni 2007, Seite 21-24
(Download als pdf hier)


Wir sind in die Irre gegangen
60 Jahre Darmstädter Wort

von Kurt Dockhorn

Kennt noch jemand das Darmstädter Wort?
Am 8. August jährt es sich zum 60. Mal, daß der "Bruderrat der Evangelischen Kirche in Deutschland" (Klingt repräsentativ, aber war er das, zwei Jahre nach Kriegsende, noch oder war er da bereits eine links-barthianische Randgruppe im sich volkskirchlich neu formierenden deutschen Protestantismus?) ein Wort "zum politischen Weg unseres Volkes" verabschiedete.
Das "Stuttgarter Schuldbekenntnis", das keinerlei Schuld konkret benannt hatte und dennoch innerkirchlich heftigst angefeindet worden war, lag noch keine zwei Jahre zurück, als der Bruderrat im Sommer 1947 mit seinem vierfachen wuchtigen "Wir sind in die Irre gegangen" sich an die evangelische Öffentlichkeit in Deutschland wandte.
Was sind, dem Darmstädter Wort zufolge, die vier Irrwege des deutschen Protestantismus?
Es ist 1. der "Traum einer besonderen deutschen Sendung". Es ist 2. das Errichten einer "christlichen Front" gegen notwendige Neuordnungen des gesellschaftlichen Lebens. Es ist 3. die Bildung einer "Front der Guten gegen die Bösen", und es ist 4. die Ignoranz gegenüber der Anfrage, die der Marxismus an "die Sache der Armen und Entrechteten" darstellt.

Beim Nachlesen dieser vier in den Morast einer erst Thron-und-Altar-gläubigen, dann antidemokratischen und schließlich Faschismus-infizierten Kirche gehämmerten Thesen staune ich, von welch bestürzender Aktualität der 60 Jahre alte Stoff von Darmstadt ist:
Die besondere deutsche Sendung: Ist sie nicht wieder zurück auf der Bildfläche, seit das Ende der DDR einherging mit einer behaupteten "gewachsenen Rolle" Deutschlands in der Weltpolitik, die heute an zahlreichen Kriegs- und Konfliktschauplätzen und unserer militärischen Präsenz dort ablesbar ist?
Die christliche Front: Die Säkularisierung ist inzwischen sechzig Jahre weiter. Um so grotesker mutet der Kirchenkampf - nein, nicht etwa für ein soziales Europa, sondern - für "Gott in die Präambel" einer vorerst gescheiterten EU-Verfassung an. Als ob die Beschwörung eines inhaltslosen Gottesbegriffs irgendetwas an der wirtschaftsliberalen, militärischen, flüchtlingsfeindlichen Politik dieser EU ändern würde! Ja doch, die christliche Front, etwa gegen einen Beitritt der Türkei, (innenpolitisch) gegen die Preisgabe von überholten Kirchenprivilegien, gegen eine gleichberechtigte Vertretung von Humanisten und anderen Nichtchristen in Ethik- und Grundwertekommissionen, feiert in unseren späten Tagen fröhlich Urständ.
Die "Front der Guten gegen die Bösen": Diese Formulierung im Darmstädter Wort katapultiert uns geradewegs und direkt in die Jetztzeit nach 9/11. Zugegeben: die aktuelle Formulierung stammt aus dem Umfeld des derzeitigen US-Präsidenten. Waren damals mit den Bösen die Linken gemeint, sind es heute die Terroristen, aber zu bedenken ist, daß wir uns hier auf glattem Eis befinden. Terroristen können leicht und irrtümlich für links gehalten werden, und schlimmer: Linke geraten leicht unter Terrorismusverdacht. Immer nach Ernst Jandels Motto, daß man rinks und lechts leicht verwechseln kann. Aber im Ernst und unter Annahme der Frontstellung: Die Definition von Gut und Böse übernehmen wir auch in der Kirche nur allzu gern von der Politik, im Zweifel übernehmen wir die Zuschreibungen von der Sprachregelung in der sog. westlichen Wertegemeinschaft. Das aber bedeutet, daß mit der (ja richtigen) Identifizierung des Terrorismus als des Bösen all der Terror ausgeblendet wird, den der weltweite Krieg der Reichen gegen die Armen bedeutet. All diese Dinge werden beim heute (6.Juni) beginnenden Kirchentag in Köln wieder einmal ebenso scharf wie folgenlos genannt werden.
Womit wir bei der vierten und letzten Darmstädter These wären, daß nämlich der Marxismus eine Mahnung an "Auftrag und Verheißung der Gemeinde für das Leben und das Zusammenleben der Menschen im Diesseits" sei. Nun ja, spätestens seit 1990 wissen wir ja, was damals Norbert Blüm auf der Werft in Danzig verkündete: "Marx ist tot, Jesus lebt".
Wie, wenn beide lebten und sich als Brüder im Geist erwiesen? Ist es nicht enttäuschend und beängstigend, dieses zunehmende Verstummen der Kirchen, nach ihrem guten Sozialwort vor zehn Jahren (siehe dazu in dieser Ausgabe den Beitrag von Wolfgang Belitz), als sie noch einmal die Kraft zum Einspruch gegen die Zerstörung der sozialen Netze aufbrachten? Und reicht es aus, die nationalen und globalen Opfer der Entwicklung zu beklagen, die wachsende Armut, den alltäglichen Hungertod einen Skandal zu nennen (so der Landesbischof am 6. Juni in der Braunschweiger Zeitung), ohne die dafür ursächliche Triebfeder des Kapitalismus, nämlich die Profitmaximierung, beim Namen zu. nennen?

Wie viel Zeit wird vergehen, bis die Kirche oder eine relevante Gruppe in ihr, aufs Neue einen Versuch wie das Darmstädter Wort von vor sechzig Jahren wagt? Und mit neuen Thesen eine neue Zeitansage und damit Widerspruch riskiert? In denen fromm, frei und fröhlich die Rede wäre etwa von dem Irrweg, das kapitalistische Weltmodell anzuerkennen? Oder von dem Irrweg, eine dogmatische Front gegen andere Religionen, insbesondere den Islam, aufzurichten? Oder von dem Irrweg, die Auslegung der biblischen Botschaft zu vertauschen gegen Angebote religiösen Wohlbefindens?

Man darf gespannt sein, ob und wenn ja wie die EKD im August sich des Darmstädter Worts öffentlich erinnern wird. Einige sind schon mal mit gutem Beispiel vorangegangen: Im April hatte die Evangelische Akademie Arnoldshain zusammen mit der "Initiative Kirche von Unten" (nicht zu verwechseln mit dieser KvU!) und der Evangelischen Studierendengemeinde in der BRD zu einer Tagung über dieses immer noch und heute wieder mehr als denkwürdige Wort des Bruderrats eingeladen.
Das Darmstädter Wort zitiert am Ende Barmen mit dem Satz von der "frohen Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen". Darum wird die Hoffnung machende theologische Klammer um die finstere Zeit der theologischen Nachgiebigkeit, insbesondere der Lutheraner, gegenüber der braunen Pest, nicht von Barmen und Stuttgart gebildet. Nein, Barmen und Darmstadt heißt die Klammer.
Nachzutragen bleibt der Hinweis auf ein schweres und schwer zu verstehendes Versäumnis im Wort des Bruderrates, das erst viel später in den Landeskirchen jeweils einzeln nachgearbeitet worden ist (in Braunschweig erst 2005): Man sucht den Text vergeblich ab. Es fehlt auch der geringste Fingerzeig auf die Shoa. Die allererste These hätte so lauten können: Wir sind in die Irre gegangen, als wir die frohe Botschaft antijüdisch ausgelegt haben und damit dem mörderischen Antisemitismus, der in Deutschland an die Macht gekommen war, nichts entgegenzusetzen hatten.




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