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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 122, Juni 2007, Seite 17-21
(Download als pdf hier)


Klima, Energie und Gesetz

Was die Christenheit vergessen hat

von Eberhard Fincke

Seit etwa 100 Jahren bringen vor allem die reichen Länder der Erde mit ihrem Energieverbrauch nicht nur das Klima aus dem Gleichgewicht. Auch was man für Recht gehalten hat, stimmt nicht mehr. Bisher war z.B. das Autofahren, das Fliegen mit dem Flugzeug oder überhaupt die Nutzung von Kohle und Erdöl nur eine Sache des Geldes. Niemand hat gefragt, ob man auch das Recht dazu hat.
Seit kurzem ist das anders. Da jeder weiß, dass die Erderwärmung für Mensch und Tier schon ziemlich bald katastrophal werden kann, steigt man nicht mehr unbefangen ins Auto oder ins Flugzeug. Unversehens ist man am Rechtfertigen. Gibt es aber ein Recht, andere in Gefahr zu bringen oder ihnen zu schaden? Wohl kaum. Also bleibt ein ungutes Gefühl.

Lange hat man sich in Ausreden geflüchtet, in noch vor kurzem übliche Verschiebe- und Ablenkungsmanöver wie: Andere - die Amerikaner - verbrauchen noch viel mehr Energie; es sind die Kraftwerke bzw. die Flugzeuge, nicht so sehr die Autos; mein kleines Auto zählt wenig; Schuld ist die Autoindustrie usw. Seit jedoch die menschengemachte Erderwärmung nicht mehr bestritten werden kann, wirken solche Reden kindisch.

Man verlegt sich sodann darauf, das Problem technisch lösen zu wollen. Mit Hilfe der Sonnenenergie in all ihren Formen (Wind, Wasser, Wellen, Biomasse, Solarzellen usw.) wäre es wohl möglich, den bei 2/3 der Menschheit noch steigenden Energiebedarf zu decken und gleichzeitig weltweit Kohle und Erdöl schrittweise zu ersetzen. Doch einer solchen Wende zur Solarwirtschaft steht auf der Erde die riesige Kluft zwischen Reich und Arm im Wege. Weltweit sind die hohen Kosten zur Erschließung der Sonnenenergie aufzubringen und gleichzeitig müssen die reichen Länder ihren Energieverbrauch drastisch senken. Das ist nun weniger eine technische Frage, sondern eine an den Willen, sich dem Problem von Reich und Arm zu stellen. Wir sind wieder bei der Gerechtigkeit, beim Recht und bei der Rechtfertigung. Damit haben wir es gerade in den reichen Ländern auf allen Ebenen zu tun, im Privaten wie im Politischen.

Rechtfertigung und Moral

Geht etwa einer wirklich daran, das Haus besser zu isolieren, Sonnenkollektoren aufs Dach zu setzen, das Auto stehen zu lassen oder gar abzuschaffen, aufs Fliegen zu verzichten usw., so wird es alsbald schwierig. Er gilt als vorbildlich. Man fühlt sich aufgefordert, es nachzutun, und moralisch zurückgesetzt, wenn man es unterläßt. Um sich zu rechtfertigen, nimmt man jenen moralisch unter die Lupe oder erklärt ihn zum Gutmenschen.
In Politik und Wirtschaft sind Angeberei und Heuchelei mit Forderungen, Ankündigungen und Darstellungen ökologischer Großtaten zum Klimaschutz an der Tagesordnung.

Wenn wir nicht aufpassen, können wir uns, bedrängt von der Klimaveränderung, schon bald in einer Gesellschaft wiederfinden, in der man einander beim Energieverbrauch beobachtet, belauert und kontrolliert, sich gegenseitig etwas vormacht, verheimlicht und rechtfertigt, statt sich zu unterstützen und zusammenzuhalten.

Gesetz und Zwang

Darum richtet sich die Hoffnung auf das Gesetz. Verbote und höhere Steuern auf Benzin, Strom, Gas usw. schaffen den nötigen Druck auf alle, damit das Notwendige passiert. Und es liegt nahe zu meinen, weil ein Gesetz alle trifft, fügt man sich leichter. Hat man es jetzt nicht beim Rauchen gesehen? Weil es überall in der Öffentlichkeit, in allen Restaurants verboten wird, ist die große Mehrheit einverstanden. Hier sind freilich nur die Raucher betroffen.

Benzin, Strom und Gas hingegen sind kein entbehrliches Genußmittel, sondern Treibstoff des gesamten Wirtschaftslebens. Alle sind abhängig von diesem Stoff. Der gesetzliche Druck, den Verbrauch einzuschränken, trifft darum alle und zwar empfindlich. Druck erzeugt Gegendruck, Abwehr, Protest und Ausweichen in die Kriminalität. So muß die Befolgung von Gesetzen kontrolliert und durchgesetzt werden.
Kontrolle und Zwang jedoch machen Solidarität unmöglich. Wo das Gesetz bestimmt, kann man auf solidarisches Mitmachen nicht rechnen. Womöglich gar entwickeln die Menschen wie einst in der DDR Solidarität und Zusammenhalt, um diesmal einander gegen den staatlichen Druck zum Energiesparen beizustehen.

Zudem trifft die Verteuerung der Energie durch Vorschriften, Verknappung und Steuern am meisten die kleinen Einkommen. Ungerechtigkeit provoziert neue politische Konfrontation, vermeintliche Berechtigung zu Gewalt und Krieg.

Es stellt sich also die Frage, wie wir die notwendige Energiewende erreichen wollen, ohne den privaten und gesellschaftlichen Zusammenhalt mit Gesetz und Moral ganz zu ruinieren. Die politischen Parteien von links bis rechts kennen nur den Weg über die Gesetzgebung.

Kritik des Gesetzes

An diesem Punkt sei daran erinnert, dass der christliche Glaube einst genau aus dieser Frage entstanden ist: Wie hältst du es mit dem Gesetz und der Moral? Ohne den Streit darüber, was es mit dem Gesetz auf sich hat und wie damit umzugehen sei, gäbe es das Christentum wahrscheinlich nicht. Von ihm könnte man also jetzt viel Hilfe erwarten. Leider aber ist die Sache mit dem Gesetz in Theologie und Kirche zur Zeit wieder ganz in Vergessenheit geraten.

Jesus, Paulus und später Luther haben leidenschaftlich als zentralen Punkt ihrer Botschaft vertreten, dass es zwar ohne Gesetz nicht geht, dass wir aber verloren sind, wenn wir uns am Gesetz orientieren. Denn wollen wir den anderen gewinnen, für den Frieden, für Gerechtigkeit oder das Leben, dürfen wir ihm nicht mit dem Gesetz kommen. Im Grunde weiß das jeder aus Erfahrung.
Das Gesetz ist also kritisch zu sehen.

In der christlichen Geschichte hat man die Kritik des Gesetzes immer wieder aus den Augen verloren. Sie erschien unverständlich. Im Grunde störte sie die kleinen und großen weltlichen und geistlichen Herren beim Regieren. Am deutlichsten hat Luther sie wiederentdeckt. Allerdings haben seine Lutheraner sie sehr bald mit der sog. Zwei-Reiche-Lehre wieder entschärft bzw. regierungs- und herrschaftsfähig gemacht.

Auch heute leben wir in einer Phase der Gesetzesvergessenheit. Es wird kaum als Problem wahrgenommen, dass wir unsere Lebensverhältnisse fast nur noch vom Gesetz bestimmen lassen. Wirtschaft und Markt, Regierung, Verwaltung und Justiz, Kranken- und Rentenversicherung usw. erscheinen in erster Linie als Mechanismen, die aufgrund von Gesetzmäßigkeiten funktionieren. Sie werden als komplexe Systeme hingenommen, genutzt und ausgenutzt wie Computer und Internet, deren Zustandekommen und innere Zusammenhänge man ja auch nicht versteht.

Solidarität und Zusammenhalt

Unsere Systeme und Gesetze sind aber eben kein Naturgesetz. Sie gehen vielmehr darauf zurück, dass Menschen mit Mut und Überzeugung, durch Zusammenhalten und Solidarität dafür Mehrheiten gewonnen haben gegen Widerstände, die weiterhin mächtig sind. Doch darauf ist der Blick verstellt. Darum kann man auch kaum an die Möglichkeit von Zusammenhalt und Solidarität glauben und bleibt einzeln. Gewerkschaften, Parteien und andere Organisationen sollen einem durch geltende Bestimmungen hindurchhelfen, das eigene Recht gegen das anderer erzwingen. Gelingt das nicht, zieht man sich enttäuscht und verbittert zurück.

Aus dieser Gesetzesvergessenheit gilt es aufzuwachen. Eine große Hilfe dazu wäre es, besännen sich die Christen auf ihren Ursprung. Ist das Gesetz nicht mehr selbstverständlich, sondern erst einmal fragwürdig, so werden sich immer mehr Menschen auf die Suche machen nach einem Recht, das Solidarität und Zusammenhalt fördert, statt sie zu verhindern wie das Gesetz. Die kommenden Energieprobleme sind anders nicht zu überwinden. Es gab und gibt schon wichtige Suchbewegungen in dieser Richtung: Anarchismus und Konzepte der Gewaltfreiheit, kooperative Lebensgemeinschaften, die ökologisch wirtschaften und den Konsens pflegen, historische und ethnologische Erforschung matriarchaler Gesellschaftsformen sowie biologische und neurologische Forschungen über die Voraussetzungen der Kooperation.

Die überlieferte christliche Kritik des Gesetzes kann dabei etwas einbringen, was solchen Suchbewegungen und ihrer Kritik am Gesetz leicht entgeht, die Selbstkritik. Sie macht bewußt, wie sehr wir alle immer wieder Sicherheit durch das Gesetz suchen, ihm mehr glauben und gar Gott zu einem Gesetzgeber machen.




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