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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 123 - Mai 2008


Predigt anlässlich der Trauerfeier für Prof. Dr. Jürgen Weber am 30.6.2007

von Albrecht Fay
(Download als pdf hier)

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt.
Aus Matthäus 27:
„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. Und siehe der Vorhang im Tempel zerriß in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der Entschlafenen standen auf und gingen aus den Gräbern und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen“.
Jürgen Weber hat diese Szene von der Auferstehung der Toten in seine Kreuzigungsdarstellung an der Christentums-Säule aufgenommen – wohl einzigartig in der Kunstgeschichte. Neben dem in Folter und Schmerz zum Kreuzigungstod geschundenen Jesus tun sich die Gräber auf und die losen Gebeine der Verstorbenen bekommen wieder Gestalt und Form. Auferstehung aus den Gräbern – und das neben dem tief erniedrigten Mensch gewordenen Angesicht Gott in Jesus von Nazareth.
Auferstehung aus den Gräbern – das einzigartige Ja Gottes zum Menschen. So möge er, an dessen Sarg wir uns hier eingefunden haben – so möge er nun schauen dürfen, was er geglaubt hat, und der Auferstehung harren, die vor seinem inneren Auge schon solch große Gestalt gewonnen hatte.

Liebe Trauergemeinde, insbesondere Sie, Frau Renate Weber und Sie, die Kinder des Verstorbenen und Ihre Familien, nicht zuletzt liebe Schwestern, seien auch Sie gegrüßt, auch an Sie gedacht.

De mortuis nihil nisi bonum – über die Toten nichts, wenn nicht Gutes – das mag eine kluge und der Versöhnung dienliche Regel sein. Andrerseits wollen wir uns der Verpflichtung zur Wahrheit erinnern und uns gerade am Sarg dieses Mannes zu ihr gemahnen lassen, hat er doch selbst so wie kaum einer um Wahrhaftigkeit gerungen und gestritten – und die Erkenntnis der Wahrheit, wie auch um die Durchsetzung des Erkannten, der doch unter den Defiziten von Wahrheit so leiden konnte und musste.

Nun zu dem Platz an dem ich hier stehe. Das Pult geformt nach der Geschichte vom Brennenden Dornbusch des Mose – war es nun eine Luftspiegelung, waren es Fantasiebilder eines der Mittagshitze der Steppe ausgelieferten Hirten?
(Verlesung von 2. Mose 3, 1-6 und 14)
Ich bin, der ich bin ist auch „Ich werde sein, der ich sein werde“. Im Hebräischen sind Gegenwart und Zukunft dieselbe grammatische Form: ich bin ist auch ich werde sein. Der Gott der Geschichte ist auch der Gott, der Zukunft eröffnet, der Gott, der zur Gegenwart befreit.
So ziehen die Gestalten alttestamentlicher Erzählungen, wie hier Mose, nie als Vorbilder vor uns auf, sondern: schuldbeladen, mit Ängsten, wehrlos, voller Widersprüche, dann auch mit starken Emotionen, von Lust und Leidenschaft, von Glück und Kraft, von Niederlagen und Resignation. – und immer wieder voller Hoffnung und Glauben an diesen Gott der Geschichte, ich bin der ich bin, der Zukunft offen hält und für die Gegenwart befreit.
So ist denn in solchen Geschichten – wie hier von Mose – auch immer schon von uns die Rede. Da sind wir auch mitten drin und kommen darin vor, mit allem was uns umtreibt.
Auch mit unseren Verletzungen, zu unsern Lebensabbrüchen, Lebenskrisen, unsere Trauer, unsern Zorn. Wir tragen das in diese Kirche, lassen es wie ein Bild aus uns aufsteigen an diesen Wänden und zu diesen Gewölben in dieser Kirche mit ihrer schlichten, strengen und kargen Gestalt, wo Platz ist für unsere inneren Bilder, der Ort, wo der Gott, der mit uns ist, - der Ich bin der ich bin – auch unsere Geschichte annimmt und wir nun dazu gehören in seinem Haus, ein Ort, wo wir Gottes Nähe feiern, was uns eine Gegenwelt ahnen lässt, das „Himmelshaus“.
So müssen wir durch die Trauer hindurch, dürfen uns nicht in ihr verlieren,, denn wir sollten aus ihr aufstehen: können dankbar sein und Vieles bewahren, wollen uns trennen von Belastendem, wollen vergeben und loslassen, uns selbst auch stellen zu dem, wo wir etwas versäumten oder einander etwas schuldig geblieben sind.
Große Lebensbühne:
geboren in Münster am 14. 1. 1928, dort aufgewachsen mit zwei Schwestern. Der Vater war Biochemiker und bekam 1939 einen Ruf als Physiologe an die Universität Königsberg. Die Eltern gehörten zur Bekennenden Kirche. So erfuhren die Kinder schon früh von Martin Niemöller und seinem aufrichtigen Weg im Widerstand gegen die Nazis. 1940 Konfirmation. Jürgen Weber trat dem Königsberger CVJM bei. Es gelang der Familie die schwierige Balance, nicht ins Fadenkreuz der Ns- Machthaber zu geraten, ohne dabei aber anpasserisch zu werden.
In fortschreitenden Kriegsjahren wurde Jürgen Weber als sog. Lagermannschaftsführer verpflichtet in Kinderlandverschickungsheimen, Heimen mit Kindern evakuierter Schüler aus den zerbrochenen Großstädten. Sport und Wettkampf waren angeordnet, aber es war auch Raum für Spielen möglich und – wie sollte es bei ihm andres gewesen sein – bildnerisches Gestalten.
Flucht aus Königsberg Anfang 1945, die Familie fand wieder in Tübingen zusammen. Dort dann Abitur. 1952-1956 Studium an der Kunstakademie Stuttgart, Eheschließung mit der Kommilitonin Gertrud Hemel. Broncegießerlehre, freie künstlerische Tätigkeit, Kirchenportale in Stuttgart und Pforzheim. 1960 ein Stipendium in der Villa Massimo in Rom.
1961 Ruf nach Braunschweig an das Institut für Elementares Formen im Fachbereich Architektur als Nachfolger von Kurt Edzard über die Altersgrenze hinaus bis ins Jahr 2000. Bedeutsame bildhauerische Tätigkeit von internationalem Rang – und darin der gegenständlichen Kunst verpflichtet.
Er litt besonders unter jenen Kritikern gegenständlicher Kunst, die noch nicht lange zuvor die abstrakte Kunst als „entartet“ angefeindet und verfolgt hatten und nun in blankem Opportunismus gewendet wieder an den Schaltstellen von Kunst und Kultur zu finden waren. So ist seine Arbeit fortgesetzt begleitet vom Streit um Konzepte von Kunst fern vom Kunstmarkt oder Kulturbürokratie Es gibt wohl kaum ein Werk, um dessen Gestaltung nicht gestritten wird. Und darin war es mit ihm gewiss nicht leicht.
In Ihnen, Frau Renate Weber, fand er beides: die Ehefrau und die Gefährtin in solchem Streit und Konflikten. Als ein Beleg dieser besonderen Partnerschaft möge gelten, dass man Sie an vielen Werken erkennen kann, z.B. am Turm der Salzgitter Arbeit, am Narrrenschiff, am Historienbrunnen in Koblenz und nicht zuletzt an der Christentumssäule.

Ich möchte an den Anfang zurückkehren, zu den Gedanken um Kreuzigung und Auferstehung und dazu unsere Blicke lenken auf das Kruzifix hier auf dem Altar von St. Andreas hinter Jürgen Webers Sarg. So hat er die Kreuzigung immer gestaltet – auf Portalen, für Altäre – auch für das Grab seines Vaters – und so das Kreuz wohl auch immer verstanden wissen wollen, nämlich die Hinfälligkeit der geschundenen Kreatur, im Erstickungstod der Kreuzigung, entblößt, entwürdigt, die verkrampften Hände ringen gleichsam mit dem Himmel, als wollten, als könnten sie dort Halt finden.
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen – mit diesem Schrei fordert Jesus im Sinne des Psalm 22 die endgültige Gegenwart Gottes heraus und mit diesem Rufen nach Gott ist auch unsre Gottverlassenheit umfangen und gewandelt und hindurchgetragen zu diesem anderen, fast zärtlichen;: „Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Ja, Auferstehung – wir sind noch auf dem Weg – und dazu mein Gruß vom Anfang wie auch am Schluss: Gnade mit uns und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt.. Amen.

Der Flötenspieler
Der Flötenspieler von Jürgen Weber 1957/58




Anmerkung der Redaktion:
Wer sich näher mit der Kunst Webers befassen will, greife zu seiner Autobiografie „Das Narrenschiff“ München 1994, mit hochinteressanten Interna zur Braunschweiger Lokalgeschichte, zur Kulturpolitik der BZ in der damaligen Zeit, zu der Verspätung der 68er an der Braunschweiger Uni, zur ausgedehnten Arbeit für das Kenndy-Center in Washington und zu den weiteren Kunstwerken. Weber ist mit zahlreichen Skulpturen auf öffentlichen Plätzen in Braunschweig repräsentiert. Seine fundamentalen Werke mit kirchlichen Motiven stehen u.a. in der Andreaskirche und in der Bugenhagenkirche. Weber ist für mich in seiner Mischung aus Gegenständlichkeit und Abstraktion, aus Sinnlichkeit und Frömmigkeit ein Wegweiser in die zeitgenössische Kunst.
Da das Ehepaar Weber aus der Kirche ausgetreten war, zögerte Andreaspfarrer Kapp die Andreaskirche für die Trauerfeier zur Verfügung zu stellen. Die hohe Geistlichkeit in Wolfenbüttel entschied, Frau Weber müsse vorher wieder in die Kirche eintreten. Ob diese Entscheidung eine Eingebung des Heiligen Geistes war, werden wir wohl erst am Jüngsten Gericht erfahren. Wie schade.
Webers 80. Geburtstag ist in der lokalen Kunstszene und im Feuilleton unbeachtet geblieben. Aber auch unsere Redaktionsbitte um eine sachkundige Würdigung seiner kirchlichen Kunst ist ungehört geblieben. Kue




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