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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 123 - Mai 2008


Pfarrervertretung in Malmkrog, Siebenbürgen

von Herbert Erchinger
(Download als pdf hier)

Nach unserer Gruppenreise nach Siebenbürgen vor zwei Jahren und dem damaligen Kurzbesuch bei Verwandten in Malmkrog (Malancrav) ging mir dieses eindrucksvolle Dorf mit seiner ehrwürdigen Kirchenburg nicht mehr aus dem Kopf (KvU 117). So entstand die Idee, dort einmal im Sommer den Vertretungsdienst für den Pfarrer zu übernehmen.
Nach langem Hin und Her klappte es im August des vergangenen Jahres. Gudrun und ich fuhren mit dem Auto in zwei Tagen über Tschechien, die Slowakei und Ungarn nach Rumänien und dort bis Malmkrog in der Nähe von Schäßburg (Sighishoara). Wir bezogen Quartier bei unseren Verwandten und ich konnte mich noch kurz vom Ortspfarrer einweisen lassen, bevor dieser seinen wohlverdienten Urlaub antrat.
Es tat von Anfang an gut, wirklich gebraucht zu werden, eine Funktion zu haben. Das ist etwas ganz anderes, als als Tourist ein fremdes Land zu bereisen.
Da gleich am ersten Abend ein großes Konzert in der Bergkirche zu Schäßburg standfand aus Anlass der Hochzeit einer Pfarrerin, lernte ich an diesem Abend gleich viele Kollegen kennen und konnte mich auch dem Dechanten vorstellen, der meinen Dienstplan gleich noch ein wenig anreicherte. Er bat mich nämlich, Sonntags nachmittags bei Bedarf auch noch Gottesdienst in abgelegenen Dörfern zu halten.

Gottesdienste
Die Predigten hatte ich zu Hause schon inhaltlich vorbereitet , mich aber bereits vorher entschieden, frei zu sprechen an Hand meiner Stichwortnotizen und die Gemeinde anschauen. Das hat sich sehr bewährt. Denn so konnte ich spontan Eindrücke und Erfahrungen vor Ort einfließen lassen. An Hand der jeweiligen Predigttexte habe ich versucht, Mut zu machen für Veränderungen, zum Dableiben, zur Oekumene, zu Versöhnung und Verständnis vor Ort. Die vielen Besucher aus Deutschland waren mir Anlass, die Chancen der Europäischen Einigung für Kirche und Glauben zu reflektieren. Am Samstag brachte ich der netten „Burghüterin“, die den Küsterdienst verrichtet, die Lieder zum Antafeln und gleich auch dem Herrn Kurator,- so heißen dort die Gemeindeältesten-, der gleichzeitig den Organistendienst versah. Ich mußte sehr darauf achten, daß ich Choräle mit dort bekannten Melodien auswählte.
Auch die gut lutherische Eingangs- Liturgie hatte ihre Besonderheiten. Es gab praktisch drei kurze Eingangsgebete: Bittruf, Lobpreis und Kollekte, die jeweils von der Gemeinde liturgisch beantwortet oder umrahmt wurden.
Hier konnte ich viele meiner mitgebachten Gebets- und Meditationstexte unterbringen. Auch das „Evangelische Gottesdienstbuch“ hat mir sehr geholfen. So waren Liturgie und Gottesdienstgestaltung gar kein Stress.
Nur der wunderschöne gotische Flügel-Altar war etwas weit von der Gemeinde entfernt. Daher ging ich wo immer möglich ganz an die Gemeinde heran.
Das Predigen selbst hat mir ganz viel Freude gemacht. Ich hatte aber auch tolle Texte: Die anvertrauten Pfunde (Mt25, 15-30), Jesus weint über Jerusalem (Lk 19,41-48), die Salbung Jesu durch die Sünderin (Lk 7, 36-50) und die Verklärung (Mk9). Ich hatte eigentlich jedesmal das Gefühl, den richtigen Ton getroffen zu haben. Den Gottesdienstbesuch habe ich von 33 auf 79 hochgetrieben. Das hatte natürlich auch mit Neugierde der Einheimischen und wachsenden Besucherzahlen aus Deutschland zu tun.
An die vorgegebene lutherische Liturgie habe ich mich konsequent gehalten. Bei einer kurzen Vertretung darf man sich nicht als Neuerer aufspielen. Natürlich ist mir aufgefallen, daß in dieser von Abwanderung und Auszehrung bedrohten Kirche die Beharrungskräfte besonders stark sind. Nur ja nichts verändern! Von der Empore hing eine grüne Fahne mit der Aufschrift in altdeutscher Schrift: „Väter Art treu bewahrt!“ Selbst die Sitzordnung war strikt geregelt. Die Frauen und Mädchen im Mittelschiff auf harten Bänken ohne Rücklehne. Aber nur wer Respekt vor gewachsenen Traditionen zeigt, kann später auch etwas verändern.

Lebendige Ökumene
Mittwochs war immer Bibelstunde in Form einer Textandacht mit vielen Liedern und Gebet. Gleich am ersten Mittwoch fiel diese Andacht wegen eines Sterbefalles aus. Am Abend vor der Beerdigung war Totengebetswache im Sterbehaus und die Kerngruppe der Bibelstunde wollte gern daran teilnehmen. Da das ganze Dorf ganz selbstverständlich an der Beerdigung teilnahm, machte auch ich mich schwarz gekleidet auf den Weg, obwohl die verstorbene Sächsin der Pfingstgemeinde angehörte. Die beiden rumänischen Prediger der Pfingstgemeinde, die auch ein wenig deutsch sprachen, baten mich spontan um ein Grußwort nach den Eingangsgebeten, als der Sarg aus dem Trauerhause in den Torhof getragen wurde und die Familie ihn weinend umstand. Es war sehr bewegend. Der Posaunenchor spielte u.a.“Komm süßer Tod, komm sel´ge Ruh, im Himmel ist es besser und alle Lust viel größer“ aus dem Chemelli-Gesangbuch von Bach. Ich kenne den Satz genau, weil mein Freund Roland und ich das immer auf Spiekeroog und beim Segeln singen. Ich rezitierte nun aus dem Gedächtnis Offenbarung 20 „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen…“. Viele Sachsen sprachen mich hinterher darauf an, dass ihnen die deutschen Worte bei diesem Anlass gutgetan hätten. Beerdigungen sind sehr integrierende Anlässe und führen zu einem guten oekumenischen Miteinander. Es gab in Malmkrog einige Sachsenfamilien, die zu den Pfingstlern gewechselt waren, vielleicht auch, weil es dort weniger steif traditionell und hierarchisch wie in der lutherischen Kirche, dafür aber emotionaler zugeht. Sie haben auch einen Chor, der ganz gefühlig lang gezogen mehrstimmig deutschsprachige Glaubenslieder singt.
Da ich nun am folgenden Sonntag über den Text „Jesus weint über Jerusalem“ predigte, nahm ich als Einstieg die Tränen bei der miterlebten Beerdigung. Dies wurde mir hoch angerechnet. Als ich am nächsten Tag den alten Schmied besuchte, der gerade einem Zigeunerpferd die Hufe neu beschlug mit viel Feuer, Dampf, Anstrengung und Bier, das ich gleich mittrinken musste, lobte er mich: „Wie der Herr Pfarrer so schöön gesprochen hat von den Träänen, das hat uns tief bewäägt.“ So verwob sich in diesen Wochen alles mit allem.

„Mein Dorf“
Ganz wichtig wurde, dass ich einen Ausdruck der Gemeindekartei in Händen hatte, nebst einigen Besuchsempfehlungen. Diese Besuche ergaben sich fast von selbst. Ich ging einfach in der Abendsonne gemächlich durch das Dorf und traf viele Menschen, die mich und die ich freundlich grüßte. Da merkte ich gleich, wer Deutsch sprach und kam fast immer ins Gespräch. Viele Ältere saßen auf einer Bank vor ihrer Haustür und genossen den Feierabend. So manches Mal wurde ich spontan aufgefordert, mich dazuzusetzen. Der Herr Pfarrer war immer willkommen.
Ja, ich war der Herr Pfarrer, ich muss selbst darüber lachen. Ich habe den Respekt, der mir entgegengebracht wurde, durchaus genossen. Das habe ich in Deutschland nie gehabt und als 68er auch nie gewollt. Und doch war´s schön. Auch schon nach drei Tagen das Gefühl: „Das ist mein Dorf“ war mir ganz neu und angenehm. Und wenn dann in der Abenddämmerung die Kühe langsam durchs Dorf zogen und dem heimatlichen Stall zu strebten, war die Zeitreise perfekt.

Abwanderung
Sehr schnell wurde mir auch bewusst, dass Malmkrog als Dorf mit noch etwa 200 Deutschen in Siebenbürgen eine große Ausnahme ist. In anderen Dörfern, die ich besuchte, gibt es gar keine mehr oder noch 5 – 10. Und die Kirchenburg ist oft baufällig und verrammelt. So predigte ich einmal Sonntags nachmittag in Rode (Zagar) nördlich von Mediasch. In die wunderschöne Kirche kamen 9 Besucher, darunter mehrere Gäste aus Deutschland. Die Renovierung war von einem nach Deutschland ausgewanderten ehemaligen Gemeindeglied gestiftet worden. Abschied und Trauer lagen in der Luft. Nach dem Gottesdienst bat uns eine Dame, ihre 12jährige Tochter in ihrem schicken Kirchengewand zu fotografieren. Mutter und Tochter lebten längst in Deutschland und besuchten die Oma, die noch in Siebenbürgen lebt. Die Enkeltochter sollte aber doch wenigstens noch einmal vor der ehrwürdigen Kirchenburg im traditionellen Kirchengewand abgelichtet werden. Das fand ich ganz typisch. Man hatte längst Abschied genommen, aber das Heimweh blieb. Und in der Heimat sollte alles bleiben wie früher. Das erlebte ich immer wieder.
Dazu muss ich den Begriff Sommersachsen einführen. Das sind Siebenbürger Sachsen, die längst in Deutschland leben, aber gern im Sommer ihren Urlaub in der alten Heimat verbringen, ihre betagten Verwandten besuchen und oft noch ihre früheren Häuser bewohnen oder sogar noch besitzen. Das hat viele positive, aber auch groteske und problematische Seiten. So bringen die Sommersachsen viel Geld in die alte Heimat. Sie protzen auch schon mal mit ihren dicken Autos. In Malmkrog wurde viel an den schönen alten Bauernhäusern renoviert und verschönt. Erst dachte ich erfreut: Schau an, hier geht es vorwärts. Bis ich dann mitkriegte, dass das Geld meist aus Deutschland kam und die Sommersachsen es sich und ihren Verwandten schön machten. Mit einheimischen Mitteln ist das kaum möglich. Denn die einheimische Wirtschaftskraft ist noch sehr gering.
Deshalb verstehe ich heute auch viel besser, weshalb ein großer Teil der Sachsen auch noch nach der Wende 1990 auswanderte. Der Einkommensunterschied zu Deutschland ist einfach zu groß. Er ist heute noch etwa 1 zu 10, wenn man bedenkt, dass ein Lehrer dort monatlich ca 250 Euro verdient. Und die Preise sind ähnlich wie bei uns. Da hilft auch der eigene Garten mit Obst und Gemüse nicht wirklich weiter. Dazu kommt noch ein wichtiger politischer Unterschied: Die Rumänen sprechen nicht von der Wende wie wir in Deutschland, sondern von der Revolution. Sie war durchaus blutig und chaotisch und es war mehrere Jahre nicht absehbar, ob es wirklich auf Dauer in Richtung Demokratie und Europa ging. Als die Lage sich endlich stabilisierte, waren schon viele schweren Herzens nach Deutschland ausgewandert. Was bleibt ist eine tiefe Zerrissenheit in allen Familien, die wir kennenlernten.
Unsere Verwandten, bei denen wir wohnten, stammen aus Ostdeutschland und sind nach der Wende nach Malmkrog gezogen und haben dort eine Lehr-Tischlerei aufgebaut. Es fiel uns auf, dass die meisten der zugereisten Deutschen aus Ostdeutschland kommen. Die kommen noch am ersten mit den dortigen Standards zurecht, kennen noch Plumpsklo und Brunnen nebst Pumpe. Die Westdeutschen sind oft zu verwöhnt und vermissen ihr schickes Badezimmer mit fließend warmem Wasser. Ich selbst habe es genossen, mich morgens im Garten mit einer kleinen Gießkanne abzuduschen. Das Klima ist im Sommer ja sehr angenehm. Im Winter wird es dagegen bitter kalt.
Ich wurde ausdrücklich gebeten, meinen Abschiedsgottesdienst als Abendmahlsgottesdienst zu feiern. Auch hier habe ich mich an die dort übliche Liturgie gehalten. Die Abendmahlsgäste kommen in kleinen Gruppen zum Altar und empfangen kniend das Sakrament. Dabei halten Kirchenvorsteher ein langes weißes, mit Bibelversen besticktes Tuch in Brusthöhe der Kommunikanten, dass ja nicht Leib oder Blut Christi zu Boden fallen. Dieser altertümliche Brauch hatte durchaus seine besondere Würde in der Hochschätzung des Sakraments. Nach diesem Gottesdienst war ich endgültig als Siebenbürger Pfarrer akzeptiert und wurde feierlich gebeten, doch ja wiederzukommen.

Die Roma
Als Pfarrer mit langjährigem Seelsorgeauftrag für Sinti und Roma in Braunschweig interessierte ich mich natürlich sehr für die Roma in Malmkrog. Einerseits werden sie ganz klar verachtet und diskriminiert. Besonders erbittert sind viele Sachsen, wenn Roma in ihre verlassenen Höfe ziehen und sie sichtbar verkommen lassen. Aber wenn man wegzieht, kann man eigentlich nicht verlangen, dass alles so erhalten wird wie es war. Die langen schmalen Bauernhöfe mit ihrer Einfahrt, die sich nach hinten zum Garten bis zum Wald verlängert, liegen ganz dicht nebeneinander. Neben uns wohnte eine nette Roma- Familie. Es war durchaus ein freundschaftliches Verhältnis. Sie waren fleißig in ihrer Landwirtschaft und hatten den Hausschlüssel unserer Verwandten. Und wenn unsere Nichte verreist oder krank war, führten sie sogar den Haushalt und kochten für die ganze große Familie. Unsere Nichte hat 5 eigene Kinder zwischen 6 und 20 Jahren. Dazu haben sie noch zwei Roma- Mädchen von 5 und 9 Jahren angenommen. Das klappt sehr gut. Es gibt nur den feinen Unterschied, wie mir die Roma-Tochter erzählte: „Wir sind aus Mamas Herzen, die anderen sind aus Mamas Bauch“. Viele Roma wohnen aber ganz am Rande des Dorfes in winzigen baufälligen Hütten. „Hier ist die Ziganie“, erklärte man uns leicht pikiert. Die Familien sind riesig. Ihre einzigen Einkünfte sind oft das Kindergeld oder der Milchpfennig, wenn sie Milch zur Molkerei geben. Außerdem bieten sie verschiedene Dienstleistungen an. Sie mähen den Rasen, jäten Unkraut, verkaufen gesammelte Brombeeren und Steinpilze. Die hatten einen festen Platz in unserem Küchenplan. Die Romakinder betteln aber auch recht heftig. Übrigens haben die Roma ihre eigenen freikirchlichen Gemeinden in alten Bauernhöfen eingerichtet und sind sehr religiös. Als die Dorfjugend aus Anlass einer Hochzeit die Dorfstraße absperrte, um vom Brautpaar Geld zu erhaschen, erkannte ein Roma- Ältester in mir den Pfarrer, kam auf mich zu, küsste mir die Hand und legte sie auf sein Herz.
Unsere Nichte hatte für den Jugendchor der Kirche einige sangesfreudige Roma-Mädchen gewonnen. Beim Gemeindefest waren sie dann plötzlich bei einigen nicht willkommen. Da musste erst ein Machtwort gesprochen werden.
Bei meinen Besuchen in der Gemeinde wurde oft auf die „Zigainer“ geschimpft. Aber bei den Berichten über die schwere Nachkriegszeit erfuhr ich dann ganz nebenbei, dass die Roma Kranke gepflegt und mit großem Geschick auf der Straße die dringend benötigten Ziegel für die Reparatur der Häuser gebrannt haben. Und auch heute noch verrichten Roma- Frauen mit großem Einsatz Pflegedienste bei betagten und gebrechlichen Sachsen. Das wurde immer so ganz nebenbei erwähnt. In der Vergangenheit war es wohl oft so, dass die Sachsenhöfe ihre festen Romafamilien hatten, die im Sommer bei Feldarbeit, Vieh und Ernte halfen und dafür in den strengen Wintern auf den Höfen Unterschlupf fanden. „Beisassen“ heißt so etwas in der Lutherbibel.
Es gibt in Siebenbürgen aber auch viele reiche Roma in bunten Gewändern mit großen Hüten. Bei Oradea fuhren wir an riesigen Schloss-ähnlichen Romavillen vorbei, alle in unfertigem Rohbauzustand. Uns wurde gesagt, dass diese reichen Roma ihre Häuser extra im unfertigen Zustand belassen, weil sie erst Steuern zahlen müssen, wenn der Bau fertig ist. Durchaus pfiffig: Nichts ist so dauerhaft wie ein Provisorium.

Einsamkeit der Alten
Die seelsorgerischen Gespräche mit den in Malmkrog gebliebenen Deutschen waren sehr bewegend. Gleich am zweiten Tag traf Gudrun auf dem romantischen Bergfriedhof eine alte Dame, die weinend vor dem Grabe ihres kürzlich verstorbenen Mannes stand. „Er hat mich verlassen und bin ich nun ganz allein. Was soll werden?“ Wir haben sie mehrfach besucht und es entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis, das noch heute in Briefen seine Fortsetzung findet. Kinder und Enkel sind in Deutschland und können nur selten zu Besuch kommen. So lebt sie mit Hund und Hausschwein -„hat mein Mann noch gekauft“- allein in ihrem großen ehrwürdigen Bauernhof mit vielen gestickten Bibelsprüchen und gusseisernen Öfen. Die Hofeinfahrt hat sie mit wunderschönen Steinröschen zuwachsen lassen, denn kein Fuhrwerk fährt da mehr rein. Den großen Garten bewirtschaftet sie nach wie vor. Sie erzählte viel aus schweren Zeiten und die Kirche und der Herrgott sind ihr einziger Trost. Die schwere Ceaucescu- Zeit hat sie ohne Hunger durchgestanden: „Haben wir gefüttert ein Schwein für Staat, ein Schwein für uns und eins verkauft, hatten wir Geld genug!“ Auch Herrn und Frau Pfarrer lässt man dann nicht verhungern. So mussten wir mehrfach reichlich Speck, Eier, Tomaten und Palucke mit nach Hause nehmen. Palucke ist ein siebenbürgisches Nationalgericht aus Schafskäse und Polenta- sehr lecker!
„Wo Asien an Europa grenzt und jedes Kind die Schule schwänzt, / die Bauern die Palucke würgen ist meine Heimat Siebenbürgen.“

Wirtschaft und Infrastruktur
Damit bin ich beim Stichwort Subsistenz-Wirtschaft. Die Landwirte in Malmkrog leben im Wesentlichen von der Hand in den Mund. Die Gärten und kleinen Äcker sind sehr fruchtbar, die Wiesen liefern Futtergras und Heu genug. Aber es bleibt nichts übrig. Ein wenig Milch wird abgeliefert, aber sonst reicht es gerade für den Eigenbedarf. Es gibt nur wenige Großbauern, die Land von der ehemaligen LPG bewirtschaften. Die Infrastruktur ist sehr schwach. Die Teerstraße endet sieben Kilometer vor dem Dorf. Die dann folgende Schotterpiste zwingt jedes Auto zum Radfahrtempo. Stoßdämpfer und Ölwanne leben gefährlich. Das ist für Wirtschaft und Tourismus ein großes Hindernis. Die ehrwürdige Kirchenburg wird von vielen Touristen besucht, die auch manches in den Opferkasten tun. Aber eine kleine Pension, ein Café und Freizeiteinrichtungen fehlen völlig. Immerhin gibt es drei Lebensmittelgeschäfte. Oft stehen Bier trinkende Männer in Gruppen vor der Tür. Der Alkohol ist ein großes Problem und verweist auf die Perspektivlosigkeit vieler Menschen. Eine Gruppe engagierter Gemeindeglieder versucht, einen verlassenen Hof als Jugendhaus zu renovieren. Tagelang haben wir das Dach mit „Biberschwänzen“ frisch eingedeckt. Da ist noch viel zu tun. Ein Fußballprojekt wurde gestartet mit dem Motto: „Wer gut ist im Fußball, ist auch gut in der Schule.“
A Propos Schule: Es gibt in Malmkrog noch deutschsprachige Grundschul-Klassen, die aber nur lebensfähig sind, weil auch rumänische und Roma- Kinder von ihren Eltern dorthin geschickt werden. In der Kreisstadt Schäßburg gibt es dann als weiterführendes Gymnasium die traditionsreiche deutsche Bergschule. Es ist schon erstaunlich, daß deutsche Bildungsinstitutionen in Siebenbürgen trotz der massiven Abwanderung noch so weitgehend erhalten sind. Ach Rumänen schicken ihre Kinder dort hin. Diese deutschen Schulen sind eine wichtige Voraussetzung für die Zukunft der noch dort lebenden deutschsprachigen Familien. Und wenn die Industrie weiterhin aus Deutschland nach Siebenbürgen zieht wie Conti und Nokia, hat vielleicht auch die deutsche Sprache eine Überlebenschance.

Zukunft zwischen Hoffen und Bangen
Für die deutschsprachigen Kirchengemeinden Augsburgischer Konfession hatte ich bis vor Kurzem die Vision, dass sie allmählich zu rumänisch sprachigen Gemeinden werden und so eine Zukunftsperspektive haben. Dazu gibt es Ansätze bei Chören, Konzerten und mehrsprachigen Amtshandlungen. So habe ich in der Kirche in Malmkrog eine sehr lebendige Trauung miterlebt, die der Dechant auf Deutsch und Rumänisch zelebrierte. Aber insgesamt bin ich skeptisch. Die Rumänen sind weitgehend so tief in der orthodoxen Kirche und Spiritualität verwurzelt, dass der Protestantismus ihnen völlig fremd ist. Daher können sie auch mit den typisch sächsischen Kirchenburgen nichts anfangen, wenn die Deutschen ausgewandert sind. Sie bauen sich lieber landauf landab die typischen orthodoxen Mehrkuppelkirchen in geschichtslosem Stahlbeton. Überall im Land trafen wir sie im Rohbau. Die orthodoxe Kirche erfreut sich eines großen Bau-Booms, denn die kinderreichen Rumänen füllen das Vakuum der verlassenen sächsischen Siedlungskerne. Durchaus ein aufstrebendes Land.
Die schönen alten Kirchenburgen dagegen zerfallen, wenn sie nicht von einer Stiftung oder als Weltkulturerbe der Unesco erhalten werden. Dieses Glück hat zB Deutsch-Weißkirch (Viscri), das Sockendorf Harald Rieses. Wir sind extra dorthin gefahren auf endloser Schotterpiste, mühsam jedes knietiefe Schlagloch umfahrend. Tatsächlich trafen wir auf strickende Frauen und kauften für unsere Enkel bunte Socken. Und dann traf ich sogar einen alten Sachsen, der Harald Riese kannte. „Wir sind noch 8 Sachsen im Dorf.“ Harald Riese wohnt übrigens auch längst wieder in Deutschland und holt nur regelmäßig vor Ort den Socken- Nachschub ab. In der wunderschönen Kirchenburg findet noch alle 14 Tage ein Gottesdienst statt. Der ganze Ort ist ein Museumsdorf wie Cloppenburg, alles schön hellblau gestrichen und renoviert von der Eminescu- Stiftung, aber leer und verlassen bis auf die Touristenbusse. Da wurde mir erst klar, wie lebendig Malmkrog noch ist.
Es ist schon eine Tragik. Die sächsische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses ist ganz stark an die deutsche Sprache Martin Luthers gebunden. So ist es für sie eine Existenzfrage, ob sich in Siebenbürgen die deutsche Sprache hält. Ich wünsche es mir von Herzen. Es erfüllt mich mit Wehmut, dass eine 800 Jahre bestehende Kultur abzubrechen droht. Natürlich hat das auch mit der nicht aufgearbeiteten Schuld der Nazi-Zeit zu tun, der die Siebenbürger Sachsen ziemlich wehrlos ausgeliefert waren. Deutsche Minderheiten waren ja überall für diesen Ungeist sehr empfänglich.
Siebenbürgen- für mich sind das heute Personen, Gesichter und Schicksale, die mich mit Wehmut, Anteilnahme und Trauer erfüllen. Gudrun bemerkt es manchmal leicht spöttisch, dass wir beide wohl ein Faible für sterbende Kulturen und Regionen haben. Ostfriesland, Siebenbürgen, das Land der Tuareg in der Sahara, der Inka-Trail nach Machu Picchu… Und jeden Heimwehfilm über Ostpreußen schauen wir uns an. Und ich liebe alte Rah-Segler, auch wenn ihre Zeit längst vergangen ist….Sehnsucht erhofft immer die Zukunft der Vergangenheit. Ernst Bloch bringt es auf den Punkt: „..so entsteht etwas, was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ Ja, es war eine Zeitreise.




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