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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 123 - Mai 2008


Vom neuen Nutzen verwaister Kirchen
Vortrag beim Architekten- und Ingenieurverein Braunschweig im Theologischen Zentrum

von Landesbischof Dr. Friedrich Weber am 11. Februar 2008
(Download als pdf hier)

Kirchenumnutzung - eine neue Diskussion?
Kirchen sind Orte, die dem Glauben ein Haus geben. Sie sind Heimat für viele Menschen, sie halten die Frage nach Gott offen und bieten Menschen geistliche Orientierung. Sie sind aber auch Orte des kulturellen und öffentlichen Lebens und bilden – meist schon durch ihre Lage und den sie oft umgebenden Platz – eine die Identität des Ortes oder des Stadtteils prägende Größe. Dennoch sind in den letzten Jahren verstärkt Kirchenbauten ins Gerede gekommen. Vor allem in Nordrhein-Westfalen – und hier neben den katholischen Bistümern auch in den beiden evangelischen Landeskirchen – ist es zu gravierenden Problemen mit dem Unterhalt von Kirchen gekommen. In den Landeskirchen der ehemaligen DDR hat man zwar auch die Erfahrung machen müssen, dass wegen des drastischen Rückgangs von Gemeindegliedern in den zurückliegenden 50 Jahren viele Kirchen nicht mehr unterhalten und gebraucht wurden, nach der Wende wurden aber Kirchengebäude an vielen Orten als die die Identität einer Stadt oder eines Dorfes bestimmenden Gebäude gesehen. So haben dort in den letzten Jahren eine Vielzahl von Kirchenbauvereinen damit begonnen, die Kirchen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten aus Mangel an finanziellen Ressourcen und politischer Unterstützung nicht unterhalten werden konnten, in eigener Initiative zu sanieren und wieder herzustellen. An diesen Unternehmungen sind bei weitem nicht nur die Mitglieder von Kirchengemeinden beteiligt, sondern auch Menschen, die mit dem Glauben, für den die Kirche steht, wenig verbinden, setzen sich für den Unterhalt, für den Aufbau und für die Wieder-Ingebrauchnahme von Kirchen ein.

Dennoch, es bleibt dabei: Zurückgehende Finanzen, demographischer Wandel und Strukturveränderungen haben in Deutschland dazu geführt, dass Kirchengemeinden darüber nachdenken und entscheiden müssen, ob sie die ihnen zur Verfügung stehenden Finanzmittel für den Unterhalt und erforderliche Investitionen an ihren Gebäuden einsetzen wollen, ob die Mittel überhaupt dazu noch reichen, ob die Investition der Mittel in Gebäude die Gemeindearbeit unmöglich macht und ob die Gemeinde in ihren bisherigen Strukturen überhaupt noch bestehen kann. Schmerzlich wird die Diskussion dann, wenn es um das eigentliche Kirchengebäude geht, über Gemeindehäuser oder Pfarrhäuser wird – wenn es denn sein muss – emotionsloser diskutiert. Neu ist die Diskussion allerdings auch in Deutschland nicht. Übergroße Kirchbauten aus dem wilhelminischen Deutschland z.B. in Berlin-Kreuzberg wurden schon im letzten Jahrhundert zu multifunktional zu nutzenden Zentren umgebaut. Gemeindehaus, Stadtteilcafe, Büros, Galerien und Wohnungen fanden Platz, ein variabel zu gestaltender Gottesdienstraum bildet das Zentrum. Umnutzungen fanden und finden statt. So wird die ehemalige Pfarrkirche St. Josef in Aachen als Grabeskirche genutzt, die Immanuelskirche in Wuppertal als Kulturzentrum in privater Trägerschaft, eine Kirche in Langenberg als Eventkirche und die Peterskirche in Frankfurt als Jugendkirche.

Die Situation in der braunschweigischen Landeskirche
Nun wäre es realitätsfern, wenn in den evangelischen Kirchen die Frage von Verkauf, Abriss oder Umnutzung von Kirchen nicht bedacht würde. In der braunschweigischen Landeskirche gibt es mehr als 400 Kirchen und Kapellen, zumeist denkmalgeschützte, historisch und kunsthistorisch wertvolle Bausubstanz. Die Mehrzahl ist im Besitz der örtlichen Kirchengemeinde, einige wenige sind Stiftungseigentum oder werden von Dritten unterhalten. Neubauten entstanden vor allem nach 1945 als man von der „Stunde der Kirche“ sprach und davon überzeugt war, dass volle Kirchen dann gewährleistet seien, wenn jedes Gemeindeglied den Ort des Gottesdienstes gleichsam in Sichtweite hätte. Hinzu kam, dass sehr viele Heimatvertriebene sich im Kirchengebiet niederließen – viele allerdings nur vorübergehend. Dank der leistungsfähigen landeskirchlichen Baupflegstiftung und des hohen Engagements der Kirchengemeinden gibt es derzeit im Kirchengebiet keinen umfänglichen Entscheidungsdruck hinsichtlich der Aufgabe von Kirchen. Die Zahl der ca. 1000 Gemeindehäuser, Pfarrhäuser oder andere Immobilien wird hingegen kontinuierlich reduziert. In verschiedenen Gemeinden sind in den letzten Jahren Räume für die Gemeindearbeit in das Kirchengebäude integriert worden. Einige wenige Kirchen wurden umgenutzt, so eine Kirche in Salzgitter zur Kulturkirche. Gegenwärtig wird über die Einrichtung einer Jugendkirche in Braunschweig entschieden. Dennoch zeigen die äußeren Daten der Landeskirche, die vorrangig als Ergebnis einer sehr schwierigen Demographie und der ehemaligen Zonenrandlage zu deuten, dass es in absehbarer Zeit dazu kommen kann, dass Gemeinden nicht mehr die hinlänglichen finanziellen Mittel haben, ihre Kirche zu unterhalten und zu erhalten. Hinzu kommt, dass in nahezu jeder Gemeinde – anders als in Regionen mit Kirchspielstruktur – eine Kirche errichtet wurde. Es geht also darum sich schon jetzt gedanklich und planerisch auf eine eventuell kommende Situation einzustellen, in der eine Kirche verwaist. Diese Perspektive nicht zu verdrängen bedeutet aber auch für Kirchenvorstände in sehr kleinen Gemeinden, die in einem Pfarramt verbunden sind, über Fusionen nachzudenken.

Aktuell diskutiert wird das Thema „Aufgabe der Gemeindekirche“ nur in der Matthäuskirchengemeinde in Salzgitter-Lebenstedt. Es sind im Kern folgende Grundprobleme, die in Salzgitter die Diskussion und den Entscheidungsdruck auslösten:

  1. die in den 60 Jahren des letzten Jahrhunderts errichtete Kirche hat einen ungewöhnlich hohen Sanierungsbedarf
  2. die Gemeindegliederzahlen sind seit Gründung der Gemeinde um gut 65 % gesunken, d.h. auch: die Kirche ist zu groß und im Unterhalt zu teuer
  3. in fußläufiger Entfernung befindet sich die Kirche der Nachbargemeinde, mit der über Kooperation bis hin zur Fusion verhandelt wird.



Im Unterschied zum Bistum Hildesheim existiert aber in der braunschweigischen Landeskirche keine „Liste“ mit aus den oben genannten oder anderen Gründen aufzugebenden Kirchen. Impulse hierzu gehen, wenn überhaupt von den örtlichen Gemeinden aus, werden im Kirchenvorstand diskutiert, in Gemeindeversammlungen und einer darüber hinausgehenden Öffentlichkeit beraten und im Entscheidungsprozess von den Fachleuten im Landeskirchenamt begleitet.
Motive gegen Veränderungen
Die Erfahrung in der Begleitung dieses für uns exemplarischen Prozesse in der Matthäuskirchengemeinde, der noch nicht zum Abschluss gekommen ist, zeigt allerdings, dass trotz aller rationaler Einsicht in die evtl. Notwendigkeit der Aufgabe einer Kirche die Trauer, der Zorn und das öffentlich geäußerte Unverständnis groß sind. Ganz unterschiedliche Motive sind bestimmend und müssen bei allen Diskussionsprozessen und Entscheidungen Berücksichtigung finden. Einige nennen ich:
  1. Obwohl aus reformatorischer Sicht Kirchengebäude nicht als „heilige Räume“ beschrieben werden, gewinnen sie grundsätzlich dadurch, dass sie „sichtbares dauerhaftes Zeichen der Hinwendung Gottes zu den Menschen (sind), die dann je in Wortverkündigung und Sakramentsfeier konkret erfahrbar wird“ eine jede Profanität überstrahlende Dignität,
  2. diese wiederum verbindet und realisiert sich in der religiösen Biografie von Menschen – und zwar nicht nur von Kirchenmitgliedern -, die hier an den Knotenpunkten ihres Lebens Begleitung, Zuspruch, Trost und Vergewisserung erfahren haben.
  3. Kirchen sind stadt- und dorfbildprägend. Kirchen gehören immer zu den Symbolen und Bildern einer Stadt und eines Dorfes und prägen deren Erscheinungsbild. Die Kirchen mit ihren dazugehörenden Plätzen – auch dem Kirchhof - sind Treff- und Sammelpunkte, Orientierungspunkte mit integrativem Charakter.
  4. Dies bedeutet, dass ein Kirchengebäude im Rahmen eines Dorf- oder Stadtbildes offenbar eine Dimension des Lebens zum Klingen bringt, die über und vor den anderen mehr oder weniger wichtigen Gebäuden gehört werden möchte. Ich möchte sie als die Öffnung zu einem weiteren Horizont des Lebens beschreiben, den wir durch die Gebäude, die wir ansonsten errichten, nicht ausdrücken können. Kirchen stehen in der Zeit für eine, die jetzige Zeit übergreifende Dimension. Man könnte verkürzt sagen, sie stehen für die Ewigkeit. Damit meine ich nicht ihren Bestand als Bauwerk aus Stein, Glas, Ziegel und Holz, sondern ich meine damit, dass sie durch ihre materiale Existenz, nicht selten auch durch den zum Himmel ragenden Turm, auch durch das Geläut, das die Zeit gliedert und die Stunde ansagt, über die Gegenwart hinaus auf das Unverfügbare weisen, das unser aller Leben vorausliegt.
  5. Mit Kirchen verbindet sich durch deren Ausstattung und kulturelle Nutzung (Kirchenkonzerte etc.) die Erfahrung von Transzendierung des Alltags.
  6. Kirchen bezeugen die „Ideale und Prinzipien ..., die zum gemeinsamen Erbe Europas gehören“. (Parlamentarische Versammlung des Europarats 1989)
  7. Gerade Kirchen, die nach dem 2. Weltkrieg neu errichtet wurden, sind mit erheblichen Opfern der zum Teil heimatvertriebenen neuen Gemeindeglieder ermöglicht worden, und wurden so zu einem Garanten für den Willen in der Fremde heimisch zu werden,
  8. denn ein Kirchenbau ist mehr als das, was er ist.
Dass diese Motive auch mit dem der Säkularismuskritik verbunden werden, zeigt die Anmerkung des katholischen Rottenburger Bischofs Fürst. Er sagt: „Wenn wir Gotteshäuser abreißen, leisten wir einer Gesellschaft und einer Mentalität Vorschub, die nur noch nach materiellen Erwägungen handelt.“

Dennoch kann die Abgabe einer Kirche, d.h. ihre Entwidmung und Fremdnutzung bis zum Abbruch nötig werden – so zeigen die Entscheidungen des Bistums Hildesheim und der Diskussionsprozess in der Matthäuskirchengemeinde -, „weil
  • das geistliche Leben der Gemeinde sich verlagert hat,
  • keine Gemeinde vorhanden ist, die den Raum braucht,
  • infolge von Strukturveränderungen ein anderes Kirchengebäude in das Zentrum des gemeindlichen Lebens gerückt ist,
  • die Aufwendungen für Bauunterhalt und Bauinvestition weder durch den Haushalt der Kirchengemeinde noch durch sonstige Anstrengungen aufzubringen sind,
  • die durch das Gebäude entstehenden Belastungen die Gemeindearbeit behindern.“

Was ist zu tun?
Die Vereinigte Evangelisch-lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) hat im Dezember 2003 theologische und juristische Leitlinien zur Umnutzung von Kirchen veröffentlicht, die statt Verfall bzw. Abriss des Kirchengebäudes möglichst eine kirchliche Nutzung empfehlen. Dort heißt es: Angesichts der zahlenmäßig kleineren Gemeinden seien kirchliche Mehrfachnutzungen der meist zu großen Kirchen anzustreben. Neben dem Gottesdienstraum könnten Gemeinderäume, aber auch kirchliche Büroräume oder etwa Wohnungen für kirchliche Mitarbeiter eingebaut werden. Im städtischen Bereich müsse nicht jede der zahlreichen Kirchen für den Gottesdienst genutzt werden. Konzepte von City-Kirchen, Konzert- oder Ausstellungskirchen in kirchlicher Trägerschaft seien zu entwickeln. Angesichts der Kulturbedeutung der Kirchengebäude und ihres öffentlichen Charakters sei die gesamte Gesellschaft für die Erhaltung zu sensibilisieren und der Staat an seine Verantwortung zu erinnern. Für eine notwendig gewordene Fremdnutzung von Kirchenräumen gelte es, den Bezug zu kirchlichen oder wenigstens kirchennahen Arbeitsfeldern herzustellen. Dieser sei etwa mit der Vermietung an Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Suppenküchen gegeben. Bei einer - wenn auch kirchennahen - Fremdnutzung sei eine Entwidmung des Kirchengebäudes vorzunehmen. Eine Fremdnutzung auf Grund von Miet- oder Pachtverträgen biete der Kirche eine effektive Möglichkeit, als Eigentümerin entsprechende Nutzungsbeschränkungen durchzusetzen. "Wenn keine sinnvollen Nutzungsformen möglich sind, ist ein Abriss besser als ein langsamer und stetiger Verfall", heißt es in diesen Leitlinien. Verfallende Kirchen könnten als Gestalt gewordene Manifestation des inneren Verfalls der Kirche fehlgedeutet werden. Wenn ein Verkauf unvermeidlich sei, so wird als beste Lösung die Abgabe an eine Gemeinde einer christlichen Kirche gesehen. Problematisch sei die Möglichkeit eines Verkaufs an nichtkirchliche und nichtchristliche Nutzer. Der Verkauf von Kirchen an nichtchristliche religiöse Gemeinschaften führe zu einer Diffusion in der öffentlichen Wahrnehmung: "Der äußere Symbolwert ist noch mit der christlichen Kirche verbunden, im Inneren wird aber ein anderer Gott verehrt." Wörtlich heißt es in dem Papier der VELKD: „Nutzungen, die dem Symbolwert des Kirchengebäudes offen widersprechen, sind auszuschließen.“ Denn „schon eine geringe Zahl von Kirchen, die als Diskotheken, Einkaufszentren oder Fischrestaurants genutzt werden, gefährdet den Symbolgehalt auch anderer Kirchen.“ Der Verkauf von Kirchengebäuden etwa an Moscheevereine wird so ebenfalls ausdrücklich abgelehnt. Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz hat noch eine weitere Überlegung ins Spiel gebracht: „Eine mögliche Alternative neben Umnutzung und Abriss ist die Aufgabe der Kirche, aber die Beibehaltung des besonderen Ortes - etwa als Kirchenruine. Der Grundgedanke dabei ist, dass es bei Kirchengebäuden nicht nur um die Funktion geht, sondern auch um die Bedeutung des Ortes.“

Folgerungen
Als Zusammenfassung der Diskussion und Anregung für die Weiterarbeit an diesem Thema lassen sich vier Grundsätze formulieren, die sinngemäß lauten:
  • Aufgabe kirchlicher Immobilien „von außen nach innen“ (Prüfung ob die Möglichkeit besteht, Funktionen eines Gemeindehauses zu übertragen)
  • Abbruch vor imageschädigender Fremdnutzung
  • Kirchenmitnutzung vor Kirchenverkauf (kirchliche Einrichtungen, Diakonie, Seniorentagesstätte, ACK-Kirchen)
  • Verträgliche Fremdnutzung vor beliebiger Fremdnutzung (Abgabe an andere ACK-Kirchen, an öffentliche oder private Träger zur Nutzung für soziale und kulturelle Zwecke)
Wir tun uns mit der Umnutzung oder gar dem Abbruch von Kirchen schwer. Beides muss die ultima ratio sein. Mein Plädoyer geht eindeutig dahin, Kirchen, die von einer Gemeinde aus finanziellen Gründen nicht erhalten werden können, Kirchen, denen die Gemeinde abhanden gekommen ist, Kirchen, die im Zuge von Gemeindefusionen nicht mehr genutzt werden, vorrangig umzunutzen. Wenn Veränderungen unausweichlich sind, hat die Umnutzung, also die Suche nach einem neuen Nutzen für die verwaiste Kirche unbedingte Priorität. Das dieser neue Nutzen nur mit den vor Ort Verantwortlichen erarbeitet werden kann, ist selbstverständlich. Der Anstoß hierzu sollte vom örtlichen Kirchenvorstand ausgehen, Beratungen mit dem Propsteibauausschuss und dem Denkmalschutz sind unumgänglich. Das Landeskirchenamt bietet seine fachliche Begleitung an.

Grundkonsens aber muss sein, dass „die uneingeschränkte Nutzung als Gottesdiensthaus auch heute für eine Kirche noch immer die beste Lösung bleibt.“ Dies allerdings setzt voraus, dass in der braunschweigischen Landeskirche einerseits mit geringer werdenden Gemeindegliederzahlen auf Grund der Demographie zu rechnen ist, anderseits aber sich von dieser mittel- bzw. langfristigen Perspektive nicht lähmen zu lassen, sondern entschieden missionarisch tätig zu sein.




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