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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 126 - Mai/Juni 2009


Predigt über Exodus 32, 7 - 14

am Sonntag Rogate, am 27. April 2008, 10.00 Uhr in St. Dionysius, Holle

von Gerhard Hinrichs
(Download als pdf hier)

Der Herr sprach zu Mose: "Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Stierbild gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat."
Und der Herr sprach zu Mose: "Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen." Mose aber flehte vor dem Herrn, seinem Gott und sprach: "Ach Herr, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland gerührt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilge sie vom Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig."
Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.

Liebe Gemeinde !
Warum eigentlich gilt Mose als einer der ganz Großen im Alten Testament? Ist er es etwa deshalb, weil er das Volk Israel aus der Sklaverei in Ägypten, aus der Fronarbeit in die Freiheit geführt hat? Ist er etwa deshalb einer der ganz Großen im Alten Testament, weil er, als die Ägypter nun dem Volk nachjagten wie einem entflogenen Bienenschwarm und sie wieder zurückholen wollten, das Schilfmeer öffnete, so dass die Israeliten trockenen Fußes hindurch ziehen konnten und das Wasser war ihnen wie Mauern zur Rechten und zur Linken und dann, als die Ägypter ihnen nachsetzten, liess er die Wassermauern zusammenstürzen, so dass alle Ägypter in den Fluten ersoffen. Ist er deshalb einer der ganz Großen im Alten Testament?
Nein, sagt da ein anderer. Nicht wegen solcher Mirakel. Sonder Mose ist einer der Großen, weil er dem Volk die zehn Gebote gab, die er von Gott auf dem Sinai erhalten hatte, die Gebote, die wir noch heute als Grundlage eines vernünftigen menschlichen Miteinanders ansehen, mit dem "Du sollst nicht töten" und mit dem "Du sollst nicht stehlen" und mit dem "Du sollst über deinen Mitmenschen keine bösen Gerüchte verbreiten". Ohne solche Gebote wäre ja ein erträgliches Miteinander gar nicht möglich, und darum ist er einer der ganz Großen.
Unsere Geschichte gibt eine andere Antwort auf die Frage, warum Mose einer der Großen im Alten Testament ist: Da hat also Mose das Volk Israel aus der Knechtschaft des Pharao herausgeführt, hat es vor den heranrasenden Streitwagen der Ägypter gerettet und jetzt lagert das Volk am Fuße des Sinai, auf den Mose hinaufgestiegen ist um aus der Hand Gottes die zehn Gebote entgegen zu nehmen. Und kaum ist Mose auf den Berg gestiegen, da macht das Volk sich ein goldenes Stierbild und sagen: "Das ist dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat." Und danach setzte sich das Volk, um zu essen und zu trinken und miteinander seine Lust zu treiben.
Verständlich, dass Gott über solch ein undankbares Verhalten nicht nur erzürnt ist, sondern dass er dem Mose mitteilt, dass er dies Volk jetzt vernichten werde. Und jetzt kommt die große Stunde des Mose. Er legt für dieses Volk Fürbitte ein: "Gott, das kannst du nicht machen. Du machst dich damit selbst lächerlich. Erst befreist du sie aus dem Land der Ägypter und dann lässt du sie jämmerlich in der Wüste umkommen. Das Gelächter der Ägypter möchte ich nicht hören. Und im Übrigen: Du hast es ja den Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob geschworen, dass du sie in das gelobte Land hineinführen willst. Hältst du so wenig von deinen Versprechen?"
Unser Predigttext fährt fort: "Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte und tat es nicht."
Das ist das Besondere des Mose, das macht ihn zu einem der Großen im Alten Testament, dass er Fürsprache einlegt für ein schuldig gewordenes Volk. Mose beschönigt nichts, aber erstellt sich auf die Seite der schuldig gewordenen Menschen. Und das gibt es auch noch in unseren Tagen.
Ich erinnere Sie an ein Ereignis aus unserer Zeit. Es ist das Jahr 1989. Die Mauer in Berlin öffnet sich. Erich Honecker, wahrlich kein Engel, wird abgesetzt, flieht krank aus seinem Wandlitz nach Moskau, seine Margot hat sich schon vorher nach Chile abgesetzt, aber in Moskau will man ihn nicht haben und schickt ihn zurück in die sich auflösende DDR. Wo soll er nur bleiben? Er, der eben noch allmächtige Vorsitzende, den sie alle gefürchtet haben irrt herum wie ein Landstreicher, dem niemand ein Obdach gewährt. Da öffnet ein evangelischer Pfarrer ihm sein Pfarrhaus, nimmt ihn auf und gewährt ihm eine Bleibe. Nein, der Pfarrer beschönigt nichts. Es war ja auch ein Unrechtsregime mit willkürlichen Haftbefehlen und mit dem Schießbefehl. Und die Kirche und die Pfarrer und ihre Kinder hatten in diesem Staat nun wirklich nichts zu lachen sondern galten eher als Staatsfeinde. Aber einer aus dieser Kirche nimmt ihn auf, stellt sich auf seine Seite und redet mit ihm. Er stellt sich wie Mose auf die Seite des Schuldig-Gewordenen und lässt ihn nicht ins Bodenlose fallen.
Aber wir brauchen gar nicht in die große Politik zu gehen. Wie halten wir es in unserer Familie, in unserer Nachbarschaft zum Beispiel mit den Menschen, die straffällig geworden sind? Lassen wir sie fallen, meiden in Zukunft jeden Kontakt zu ihnen, wir wollen mit ihnen nichts zu tun haben, sie sind für uns zu Un-Personen, zu Un-Menschen geworden. Groß wären wir , groß wie Mose, wenn wir uns auf ihre Seite stellten.
Ich will Sie an dieser Stelle an Jesus erinnern, der sich immer auf die Seite der schuldig gewordenen Menschen gestellt hat. Er sagt: "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Volkes Israel." Er sagt: "Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken." Er spricht dem schuldig gewordenen Schächer am Kreuz zu: "Amen, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein." Und einer seiner ersten Nachfolger betet für die eigenen Mörder: "Herr, behalte ihnen diese Sünde nicht." Es wäre ein gutes Zeichen für die Christenheit, wenn sie immer an der Seite der schuldig Gewordenen zu finden wäre.
Es gibt zu dieser Erzählung der Fürbitte des Mose im Alten Testament eine Gegengeschichte.
Da ist die Klage über die Sünde einer Großstadt, sie heißt Ninive, bis zu Gottes Ohren gedrungen. Darauf schickt er seinen Propheten Jona in die Stadt, und der predigt ihr, dass noch vierzig Tage vergehen werden und dann werde die Stadt ein Opfer des Strafgerichtes Gottes. Darauf hin ändern die Bewohner ihren Lebenswandel, sie gehen in Sack und Asche und tun Buße. Da gereut Gott das Unheil, dass er dieser Stadt ankündigen ließ und er tut es nicht. Daraufhin zürnt der Prophet Jona mit Gott und er wirft ihm seine Barmherzigkeit vor. Die Erzählung endet mit dem schönen Satz Gottes: "Mich sollte nicht jammern einer so großen Stadt, in der mehr als hundertundzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was gut und böse ist, dazu auch viele Tiere?" In dieser Erzählung ist also Gott, der auf der Seite der Schuldigen steht und der "Unprophet" Jona will lieber das Strafgericht sehen.
Lassen Sie uns also an der Seite der Schuldigen bleiben. Lassen Sie uns wie Mose versuchen, barmherziger zu sein als Gott! Dann sind wir in Wahrheit groß.
Amen.

Als Predigtnachlied wurde aus dem Lied "Nun lob, mein Seel, den Herren" gesungen die Strophe 2 und 4:
"Er hat uns wissen lassen sein herrlich Recht und sein Gericht" und
"Die Gottesgnad alleine steht fest und bleibt in Ewigkeit".

Es folgten die Fürbitten:

In diesem Gottesdienst beten wir für alle, die schuldig werden an anderen Menschen und an der Schöpfung. Für sie beten wir:
Gott, erbarme dich.

Wir beten für die Politiker und Machthaber, die andere Menschen unterdrücken und verfolgen, weil sie die Macht nicht abgeben wollen:
Gott, erbarme dich.

Wir beten für die Frauen und Männer in der Wirtschaft, die nur den eigenen Profit im Auge haben und die ihre Mitarbeiter ausbeuten:
Gott, erbarme dich.

Wir beten für die Eltern, die ihre eigenen Kinder vernachlässigen, weil sie ihnen lästig sind:
Gott, erbarme dich.

Wir beten für die Kinder, die ihre Eltern verachten und ihnen weh tun:
Gott, erbarme dich.

Wir beten für uns selbst, weil wir immer an anderen Menschen schuldig werden:
Gott, erbarme dich.

Wir beten für uns Menschen in dieser Zeit, die wir Erde und Schöpfung zerstören:
Gott, erbarme dich.

Gott, in Jesus Christus hast du dich den schuldig gewordenen Menschen zugewandt. Nimm dich auch unser an, wenn wir jetzt gemeinsam beten:
Vater unser




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