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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 126 - Mai/Juni 2009


Rückblick nach 90 Jahren Novemberrevolution 1918

War die Abschaffung der Monarchie ein Fehler?

von Herbert Erchinger
(Download als pdf hier)

Bei den interessanten Vorträgen von Dietrich Kuessner und anderen zum 90. Jahrestag der Novemberrevolution in Braunschweig bin ich in der Diskussion auf eine Frage gestoßen, die mich seitdem beschäftigt und zum Weiterdenken veranlasste: War die Abschaffung der Monarchie damals zwangsläufig und demokratiefördernd?

Hintergrund dieser Frage ist die Beobachtung, dass viele der krisenfesten Demokratien Europas konstitutionelle Monarchien sind: Großbritannien, Dänemark, Schweden, Norwegen, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, dazu neuerdings auch Spanien. Insofern ist auch der Titel des Sammelbandes zu den Braunschweiger Vorträgen "Von der Monarchie zur Demokratie" (s.u.) ein Ärgernis. Beides muss offensichtlich gar kein Gegensatz sein.

Die später gescheiterte Revolution 1918/19 war ja entgegen allen späteren Diffamierungen weithin gewaltfrei und längst nicht so radikal systemstürzend angelegt wie die der Bolschewiki in Russland. Die Matrosen, die im Herbst 1918 nicht mehr bereit waren, den Krieg in einem Kamikaze-Vorstoß gegen England fortzusetzen, handelten ja in Übereinstimmung mit der friedenswilligen Reichsregierung unter Prinz Max von Baden und deren demokratischen Legitimation durch die Mehrheitsfraktion der SPD im Reichstag. Die Meuterer waren also nicht die Matrosen, sondern die die Waffenstillstandsbemühungen hintertreibende Seekriegsführung. In berechtigter Sorge um das Leben ihrer also zu Unrecht als Meuterer verhafteten Kameraden ergriffen die Matrosen durch eine große Demo gewaltlos die Macht in Kiel und schickten kleine Trupps "revolutionärer" Matrosen in alle deutschen Hauptstädte, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Dort übernahmen sie fast überall wiederum ohne große Gewaltakte die Macht.

Wie gesagt: Die Anliegen dieser revolutionären Matrosen und der durch sie angeregten nun entstehenden Arbeiter- und Soldatenräte waren durchaus nicht systemsprengend im Sinne eines antikapitalistischen und sozialistischen Wirtschaftsystems mit enteigneten Betrieben. Was sie beseitigten, war die durch den Krieg peu a peu entstandene Militärdiktatur Ludendorffs und Hindenburgs, die insgeheim ja längst auch die Monarchie entmachtet hatte. "Was beseitigt wurde, waren die Generalkommandos , die militärischen Obergewalten…Die zivilen Verwaltungsbehörden blieben unangetastet und arbeiteten unter der Aufsicht und Oberhoheit der Räte weiter….An das private Eigentum rührte die Revolution nicht. In den Fabriken blieb alles beim alten. Die Revolution war nicht sozialistisch oder kommunistisch. Sie war -mit einer gewissen unausgesprochenen Selbstverständlichkeit, fast nebenbei- republikanisch und pazifistisch; bewusst und vor allem war sie antimilitaristisch."(Haffner 61-62)

Den Matrosen und Arbeiter- und Soldatenräten ging es also nicht in erster Linie um die Staatsform, sondern um die Abschaffung des Militarismus. Ihr Aufstand richtete sich gegen die Militärdiktatur und die von ihr ausgehende Disziplinargewalt der Offiziere. Sie wollten Mitbestimmungsrechte und waren auch nicht per se Gegner des Parlamentarismus.

Meine These: Die Abschaffung der Monarchie im Reich und in den deutschen Teilstaaten war nicht zwingend. Viele Monarchen verließen einfach verzagt und pflichtvergessen ihr Amt. So soll der König von Sachsen gesagt haben. "Macht euren Dreck alleene". Der Kaiser desertierte feige nach Holland und entzog sich seiner Verantwortung. Das war mit der Moral Friedrichs des Großen nicht vereinbar, der sich als erster Diener seines Staates sah. Auch der Braunschweiger Herzog unterschrieb nach knapper Bedenkzeit kurzer Hand die Abdankungsurkunde, schenkte den Matrosen und Schneider Merges wohl noch je eine Zigarre und verschwand auf seine Güter nach Gmunden. Die Abschaffung der Monarchie geschah weitgehend en passant und beruhte auf einem Missverständnis: Die Monarchen waren nicht in der Lage, die Macht- bzw Regierungsübergabe von der Abdankung zu trennen. Mit bösen Folgen. Hätte man nicht als Monarch den Übergang vom Stände- und Militärstaat zur Demokratie moderieren, begleiten und abfedern und sozusagen notariell beglaubigen können? Man stelle sich vor, der Herzog hätte in einer feierlichen Veranstaltung die neuen Autoritäten von August Merges bis Minna Fasshauer vereidigt und eingeführt! Oder man stelle sich vor, der Kaiser hätte in feierlicher Reichstagssitzung die Friedens-Regierungserklärung seines Reichskanzlers Prinz Max von Baden oder gar Friedrich Ebert verlesen müssen, wie solches in England gängige Praxis ist! Diese Phantasie - Vorstellung macht deutlich, dass die Monarchie eine emotionale Kontinuitäts- und Identitäts- Brücke sein kann, gerade in schweren Umbruchszeiten. Verlorener Krieg, (wo man sich im März 1918 nach dem Sieg im Osten dem Sieg auch im Westen noch so nahe glaubte!), Hunger, Reparationen, Gebietsverluste, vielfache Demütigungen, Vermögensverluste waren einschneidende und belastende Veränderungen. Wie viel Veränderung verträgt eine Gesellschaft und wie viel der einzelne Mensch? Die Abschaffung der Monarchie war ein Stück Veränderung zu viel. Ihre Beibehaltung hätte ein tröstliches kleines Zeichen bewahrender Kontinuität und Identität sein können. Hätten nicht verantwortungsbewusste Monarchen Notare und Geburtshelfer dieser schweren Veränderungen sein können?

Schon das schwarz-rot-goldene Paulskirchenparlament hatte 1848 ganz selbstverständlich eine konstitutionelle Monarchie angestrebt und im Kaiserreich nach 1871 war der Weg in diese Richtung schon ein Stück weit beschritten durch die allgemeine und freie Wahl des Reichstags. Tatsache ist vor allem, dass das Deutsche Reich dann vom 5.Oktober 1918, dem Tag der Amtsübernahme des Reichskanzlers Prinz Max von Baden und seiner Regierung, die sich parlamentarisch auf die sozialdemokratische Mehrheitspartei im Reichstag stützte, bis zum 9. November 1918 eine konstitutionelle Monarchie mit entsprechender Verfassung war. Diese Chance wurde vertan.

So sehe ich durchaus einen Zusammenhang zwischen der Abschaffung der Monarchie und der schlechten Verwurzelung der Weimarer Republik sowie dem Erstarken des Nationalsozialismus. Es fällt auf, dass auch in anderen europäischen Ländern, die nach 1918 die Monarchie abschafften, der Faschismus die Oberhand gewann: So in Österreich, Ungarn, Spanien, Portugal.

Die Verführungskunst und Prachtentfaltung der Nazis nach 1933, ihre Huldigungs- und Reichsparteitagsrituale bis hin zum Führergeburtstag füllten dann in perverser Weise die Lücke und das schmerzende Loch, das die Abschaffung der Monarchie gerissen hatte. Hitler war ein Ersatzkaiser und auch das Verhalten Görings und anderer Nazi- Paladine hatte durchaus pseudomonarchistische Züge.

Dann doch lieber eine konstitutionelle Monarchie. Der Hof und die Apanagen sind zwar teuer und kitschig, aber der Faschismus kam uns unendlich teurer zu stehen.

Ein Sonderfall war Italien, wo die Monarchie trotz der uneingeschränkten Machtentfaltung des Duce rudimentär erhalten blieb. Und siehe da, es war der König, der bei sich abzeichnender Kriegs-Niederlage 1943 die Absetzung Mussolinis und einen Waffenstillstand mit den Alliierten durchsetzen konnte. Es wäre nicht schlecht gewesen, wenn nach Stalingrad auch bei uns ein kleiner Monarch dem Führer die Rote Karte hätte zeigen können.

Ein interessantes Beispiel ist auch Spanien, das auf dem Umweg der Wiedereinführung der Monarchie zu einer wehrhaften Demokratie zurückfand. Ironie der Geschichte: Juan Carlos zeigte trotz Erziehung durch Franco bald nach dessen Tod den Faschisten die Zähne, als diese sich mit Hilfe des Militärs an die Macht zurückputschen wollten. "La corona no puede tolerar". Der König rettete die Demokratie. Wer hätte das gedacht? Das durch den Bürgerkrieg in unvorstellbarer Weise in Hass und Konfrontation bis aufs Blut zerrissene Land fand durch die konstitutionelle Monarchie zur Versöhnung. Die Monarchie kann offensichtlich harte Gegensätze versöhnen. England und "Her Majesty´s loyal opposition" leben es vor.

Es ist eine Tatsache, dass bei uns weite Teile des Bürgertums dem Weimarer Staat gegenüber fremdelten. Übrigens gerade auch weite Teile der Pfarrerschaft und der kirchlich Gebundenen. Diesem Staat fehlte der emotionale Überbau. Als Reichspräsident machte Ebert nichts her, diffamierende Fotos, die ihn in Badehose zeigten, demontierten ihn bewusst. Als sozialpolitisch hoch kompetenter Kanzler unter einem Monarchen, der ihm die lästigen Repräsentationspflichten vom Leibe gehalten hätte, hätte er eine bessere Figur gemacht. Mühsam rettete danach der monarchistisch geprägte Hindenburg die Republik mit Notverordnungen durch magere Jahre und streichelte wenigstens ein klein wenig die nach Monarchie lechzende Seele. Ein Monarch mit rein repräsentativen und notariellen Kompetenzen hätte dem Weimarer Staat gutgetan.

Dass auch im Braunschweiger Land die Abschaffung der Monarchie lange nicht überwunden war und unerfüllte Sehnsüchte hinterließ, zeigt der Kult, der mit Viktoria Luise, der in Riddagshausen standesgemäß Hof haltenden Witwe des 1918 abgedankten Ernst August bis zu ihrem Tode 1980 und der bombastischen Trauerfeier im Dom durch Armin Kraft getrieben wurde.

Die USA haben übrigens aus ihrem Fehler gelernt, dass Wilson 1918 als Voraussetzung des Waffenstillstandes die Abdankung des Kaisers gefordert hatte. 1945 verzichteten sie bewusst auf die Abschaffung der Monarchie in Japan und beließen den Tenno im Amt. Das erwies sich als weise.

Mir geht es gewiss nicht darum, die Mischpoke der Monarchen in irgendeiner Weise zu verklären. Die sind allzumal Sünder und menscheln in jeder Weise. Aber das Amt trägt die Person. Das ist wie in der kirchlichen Hierarchie. Die sollen gefälligst professionell ihren repräsentativen, integrativen, Identität sichernden und notariellen Job machen. Der ist durchaus nicht immer ein Vergnügen, sondern erfordert Disziplin und Selbstverleugnung, wie man bei Queen Elizabeth II lernen kann.

Die Überforderung der Menschen durch die Schmucklosigkeit und das Mausgrau der reinen Republik hat übrigens eine interessante Parallele in der Reformierten Kirche. Ausgezeichnete Theologie und Sozial- Ethik, gute Predigten, aber kein Sinn für Rituale, keine Prozessionen, keine Taufkerzen, keine festliche Liturgie, keine Bilder, keine Kuschelecke. Theologisch korrekt, aber lieblos gegenüber den emotionalen Bedürfnissen der Menschen. Die Hervormde Kerk in den Niederlanden schließt so zu meinem großen Kummer immer mehr ihre Pforten und widmet ihre riesigen Kirchen in Teppichhäuser um, weil sie zwar rechtgläubig, doch in Gefolge Calvins zu streng, nüchtern und kalt ist. Die Menschen laufen ihr weg. Aber am "Koninginne Dag" tanzen in ganz Holland die Menschen auf den Straßen. Allein aus dem Wort leben weder Demokratie noch Kirche. Beide brauchen das verbum visibile Identität und Geborgenheit stiftender Rituale. Der Mensch will mit allen Sinnen und auch seinen Emotionen angesprochen sein. Das hat die Weimarer Republik nicht geleistet. Ein fortschrittlicher Monarch etwa vom Schlage eines Prinz Max von Baden hätte da hilfreich sein können. (Dieser hatte sich schon 1917 leidenschaftlich für einen Verständigungsfrieden eingesetzt, engagierte sich für US- Kriegsgefangene, kämpfte weitsichtig gegen den uneingeschränkten U-Boot- Krieg, der zum Kriegseintritt der USA und damit zur Niederlage Deutschlands führte und baute später die Reformschule Salem auf.) Er hätte es vielleicht geschafft, auch das Bürgertum mit dem verlorenen Krieg und der Demokratie zu versöhnen und so die zerrissene Nation zu einen. (Nicht ganz ernstgemeint ist die romantische Vorstellung, dass er sich vielleicht aus der Volksmarinedivision, die damals im Berliner Schloss einquartiert war und als einzige die Freikorps - die Mörder Rosa Luxemburgs- aufs Haupt geschlagen hatte, eine schmucke Palastwache rekrutiert hätte. Denn auch die in Monarchien übliche Palastwache mit Touristen anlockender Wachablösung im Entengang ist ein versöhnendes und verschmitzt friedensförderndes Ritual: Kampftruppen konvertieren (!) zu harmlosen exotischen Operettendarstellern, die präsentierten Waffen sind völlig veraltet, funktionsuntüchtig und nicht geladen.)

Nun gut, die Chance ist vertan. Begnügen wir uns also heute in protestantischer Kargheit mit Horst Köhler oder Gesine Schwan. Immerhin residieren auch sie im Falle ihrer Wahl im Schloss. Bellevue= Schöne Aussicht. Aber der Wiederaufbau des Hohenzollern- Schlosses in der Mitte Berlins eröffnet doch vielleicht ganz neue Perspektiven…. Ich scherze, doch nicht ohne Trauer.

Literatur:
Sebastian Haffner Die deutsche Revolution 1918/1919 Knaur 1991

Dietrich Kuessner Novemberrevolution in Stadt und Land Braunschweig Mythos und Wirklichkeit S. 11ff

Im Sammelband "Von der Monarchie zur Demokratie" Anmerkungen zur Novemberrevolution 1918/19 in Braunschweig und im Reich Verlag Krebs Wendeburg 2008




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu126/novemberrevolution.htm, Stand: Mai 2009, dk