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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 126 - Mai/Juni 2009


Widerstehen oder bauen?

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

I . Die Ausstellung des Berliner Forums erst in Berlin, dann in München und jetzt in der Brüdernkirche mit ihrer zentralen Aussage: es wurden überraschend viele Kirchen zur Zeit des Nationalsozialismus gebaut, beendet ein für alle Mal die jahrzehntelang gehütete und endlos publizierte Legende vom Kirchenkampf, nämlich eines Kampfes der evangelischen Kirche gegen den Nationalsozialismus. Beide - so war die bisherige Überlegung - beanspruchten den Menschen total, und deshalb musste es angeblich zwangsläufig zum Widerstand der Kirche gegen den totalen Anspruch des nationalsozialistischen Staates kommen. Weil die Kirche im Widerstand, womöglich in der Illegalität oder im Untergrund gewesen sei, konnte sie "natürlich" keine Kirchen bauen. Daher kam der Kirchbau weder in den zahlreichen Darstellungen der Landeskirchen, auch nicht in dem 1999 erschienenen Buch "Kirchenkampf in Berlin 1932 - 1945 - 42 Stadtgeschichten" von Olaf Kühl-Freudenstein, bedauerlicherweise auch nicht im 18. Band der Theologischen Realenzyklopädie von 1989 vor. Dort geht der Verfasser nach einigen Bemerkungen zum Kirchbau in der Weimarer Zeit sofort zum Wiederaufbau der Kirchen nach 1945 über. Dieser Artikel ist seit der Ausstellung des Berliner Forums endgültig überholt.

Erst langsam setzte sich Mitte der 80er Jahre in der neueren Kirchengeschichtsforschung die Auffassung durch, dass der sog. Kirchenkampf kein Kampf der evangelischen Kirche gegen den Nationalsozialismus sondern überwiegend eine innerkirchliche Auseinandersetzung zwischen den Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche war. Die Deutschen Christen schalteten sich vollständig mit dem Nationalsozialismus gleich, Nachfolge Jesu und Gefolgschaft Hitlers wurden identisch. Sie erstrebten ein ideologisch und organisatorisches "Ineinander" von Hakenkreuz und Christuskreuz. Diese Gleichschaltung bedeutete zugleich die Ausschaltung aller, die sich der totalen Gefolgschaft Hitlers entziehen wollten.

Ausgeschaltet werden sollte die Bekennende Kirche. Diese verweigerte die totalen Gefolgschaft, wahrte vielmehr gegenüber dem Nationalsozialismus Distanz. Das Hakenkreuz hatte sich dem Christuskreuz unterzuordnen. Zugleich aber erging sich auch die Bekennende Kirche immer wieder besonders zu nationalen Anlässen in Äußerungen der Ergebenheit.

Zu der ersten Überraschung, dass zur Zeit des Nationalsozialismus überhaupt so zahlreiche Kirchen, Pfarrhäuser und Gemeindesäle gebaut worden sind, - insgesamt 1000 in der katholischen und evangelischen Kirche - kommt die andere, dass der Kirchenkampf zwischen Deutschen Christen und Bekennender Kirche beim Kirchbau keine Rolle spielt. Es wurden Kirchen gebaut, die von Deutschen Christen, aber auch von Pfarrern der BK geleitet wurden.
Vor allem jedoch von solchen, die der kirchlichen Mitte angehörten, die also eine gruppenfreie Kirche erstrebten und praktizierten. Und das war die sehr große Mehrheit in den Gemeinden der Deutschen Ev. Kirche.

II. Die Ausstellung ist wie ein Dammbruch, der den Blick auf bisher unbehandelte Themen aus jener Zeit eröffnet. Wer baut, muss Geld dafür haben. Eine Kirche im Widerstand wird nicht gerade über Millionen verfügt haben. Aber der Kirchbau im "Dritten Reich" verschlang in den Landeskirchen viele Millionen. Wie sah es also mit den Finanzen der Landeskirchen aus? Das ist ein gut gehütetes Geheimnis der Kirchengeschichtsforschung.
Grundsätzlich kann gelten: die Landeskirchen profitierten vom Braunen Wirtschafswunder 1934- 1937 und auch in den folgenden Jahren durch erhöhte Kirchensteuereinnahmen. Die Landeskirchensteuer stieg in der Württembergischen Kirche von 3,2 Millionen (1937) auf 3,8 Millionen 1939. Der Haushalt von 10,6 Millionen 1933 stieg auf 11,5 Millionen 1942. Der Haushaltsplan der bayrischen Landeskirche stieg von 9,2 Millionen 1937 auf 10 Millionen 1940. Die Kollekten der Gemeinden stiegen von 3,9 Millionen 1933 auf 4,1 Millionen 1938. Die Finanzen spielten in der Erforschung der Landeskirchen im NS bisher keine Rolle. Das muss nun nachgeholt werden.

Wie wurde in diesen Kirchen gebetet? Die Erforschung der Gottesdienste zur Zeit des Ns. beschränkte sich bisher auf Sondersituationen, z.B. auf eine Gebetsordnung der BK anlässlich der Sudetenkrise 1938 oder zu Kriegsanfang.
Ich meine die sonntägliche Gebetssituation für Pfarrer und Gemeinden in diesen frisch gebauten Kirchen und in den anderen auch.. In der St. Georgskirche in Braunschweig befindet sich ein solches benutztes Gebetsbuch, das 1935 vom bayrischen Pfarrerverein herausgegeben war und gewiss in den zahlreichen neu gebauten Kirchen der bayrischen Landeskirche, aber nicht nur dort, benutzt worden ist. Es enthält die Eingangs- und Fürbittgebete für das Kirchenjahr, für besondere Gottesdienste, z.B. Jugendgottesdienste und besondere Anlässe. In jedes Fürbittgebet am Sonntag gehört traditionell die Bitte für die Regierenden, wie wir heute sagen, damals: für die Obrigkeit. Die von Gott verordnete Obrigkeit war, so glaubten nicht nur die Lutheraner, von 1933 bis zu seinem Selbstmord Adolf Hitler, Fürbitte also für den Führer. Erstaunlicherweise das ganze Kirchenjahr hindurch und auch zu besonderen Anlässen, etwa am Tag der Arbeit, der sog. Machtübernahme, dem 30. Januar und auch zum Geburtstag Hitlers. Auf den folgenden Seiten sind einige Textbeispiele wiedergegeben.
Was wurde in diesen neu gebauten Kirchen gesungen? Viele Landeskirchen gaben Liedanhänge zu dieser Zeit heraus und gruben die Choräle aus der Zeit der Freiheitskriege, von Ernst Moritz Arndt, aus oder modelten klassische, bekannte Choräle um. So hieß es im Hannoverschen Gesangbuch auf Veranlassung des großen Liturgikers OLKR Christhard Mahrenholz in Luthers Lied "Verleih uns Frieden gnädiglich": "Gib unserm Führer und aller Obrigkeit Fried und gut Regiment, dass wir unter ihnen ein geruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Amen." Als Verfasser wurde der Lutherfreund Johann Walter (1496-1579) genannt. In der Kirchenkampfgeschichte der Hannoverschen Landeskirche von OLKR Klügel wurden diese und andere Beispiele übergangen, wie z.B. nach der Melodie "Herzlich lieb hab ich dich o Herr" "Den Führer schütze deine Macht. Er, der für unsre Wohlfahrt wacht, ist uns von dir gegeben."

Vom selben Oberlandeskirchenrat Mahrenholz war 1935 eine Vorschrift im Amtsblatt der Deutschen Ev. Kirche unterzeichnet, wonach jeder "Heil Hitler"-Gruß als ein Gebet zu gelten habe.

Grußpflicht der Geistlichen

In den in der Ausstellung gezeigten Kirchen und Gemeindesälen wurde wie eh und je getauft, konfirmiert und kirchlich getraut. Die Ausstellung führt uns also in die Normalsituation der damaligen evangelischen Gemeinden. Vielleicht sogar mehr als normal, denn die Kircheneintritte überwogen die Kirchenaustritte 1933-35 bei weitem, viele holten die Taufe ihrer Kinder nach und die Konfirmation war ein Renner. In der Stadt Braunschweig wurden zwischen 1933 und 1939 Tausende von Kindern getauft und konfirmiert. In einem Gottesdienst oftmals Hunderte. Sie feierten zwischen 1983 und 1989 Goldene Konfirmation und schwärmten von den alten Zeiten, allerdings mehr vom Dienst in HJ und BDM als vom Paukunterricht beim "Paster". Die evangelische Kirche war in der NS Zeit also lutherische Volkskirche und neben den ns. Organisationen die einzige Massenbewegung der damaligen Zeit.
Als Volkskirche konnte sie gelegentlich Protest erheben, verharrte aber grundsätzlich in Distanz und Ergebenheit.
Sieht man genauer hin, dann wurde die Taufe auch von Vätern erbeten, die gar nicht in der Kirche waren, sondern sich als "gottgläubig", als gläubige Nationalsozialisten bezeichneten. Es kam auch vor, dass beide Elternteile nicht in der Kirche, sondern "gottgläubig" waren und trotzdem Taufe oder Konfirmation ihres Kindes wünschten und erhielten.
Die Ausstellung demonstriert eindrücklich das Nebeneinander von Christenkreuz und Hakenkreuz und die kirchliche Statistik bestätigt dieses "geordnete" Nebeneinander als die Normalsituation.

Die Ausstellung verändert nicht nur den üblichen Schwerpunkt der Thematik der Kirchengeschichte der 50er, 60er,70er Jahre - Bekennende Kirche im Dritten Reich oder die Verirrungen, Gotteslästerungen und Schrullen der Deutschen Christen - sondern stellt endlich die lutherische Volkskirche im Nationalsozialismus in den Mittelpunkt.

Dieses lutherische volkskirchliche Modell funktionierte nur unter grausamen Defiziten: Kirchliche Mitarbeiter und Pfarrer kamen auch in Konzentrationslager, aber die Volkskirche betete nicht für sie, und die Bekennende Kirche auch nicht für Dietrich Bonhoeffer. Die Gemeindehelferin Ingeborg Klünder aus der St. Georggemeinde bezeichnete im Konfirmandenunterricht die Luftangriffe als Strafgericht Gottes, wurde denunziert und vom Volksgerichtshof in Berlin zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt. Für die Kirchenleitung war Frau Klünder nur eine Störung der funktionierenden Volkskirche. Sie schickte keine Beobachter zum Prozess nach Berlin und kümmerte sich auch nach 1945 nicht mehr um sie; denn Volkskirche ging ja weiter und Frau Klünder hätte unangenehme Fragen stellen können.

Die Ausstellung verändert schließlich auch unsern Blick auf den Nationalsozialismus, der neben der zentralen Figur Hitlers in viele, regional unterschiedliche Entscheidungsträger zerfiel. Grundsätzlich kann für den Kirchbau im Dritten Reich gelten: Gegen die örtlichen, gleichgeschalteten Nazibehörden war ein Kirchbau nicht möglich. Sie konnten ihn verhindern oder verzögern, wenn sie wollten und taten das auch. Aber in mehr als tausend Fällen taten sie es in Brandenburg, Berlin, Württemberg, München, Braunschweig nicht. Die "Kirchbauplanungen" waren noch 1939 stellenweise so "großzügig, dass sich das Gauamt für Kommunalpolitik in Magdeburg beschwerte. "Die Kirchen haben vielfach bereits Grundstücke an den günstigsten Stellen des Stadtgebietes erworben. Seit der Machtübernahme seien im Gau Magdeburg-Anhalt insgesamt 11 Kirchen, 21 Kapellen und zahlreiche Gemeindesäle errichtet worden sind. 3 Kirchen und 1 Kapelle befinden sich im Bau. Weitere 20 Kirchen, 16 Kapellen und 9 Gemeindesäle sind geplant", heißt es im Bericht. Hier befindet sich also die Partei im Widerstand gegen die Volkskirche und damit wäre die bisherige Kirchenkampfthematik geradezu auf den Kopf gestellt, dank der Ausstellung des Berliner Forums.




Pfingstdienstag 2. Juni 2009 19.00 Diskussion zum Thema "Widerstehen oder bauen" zwischen OLKR Prof. Dr. Schultze, Magdeburg und Dietrich Kuessner. Gesprächsleitung Landesbischof Friedrich Weber im Ausstellungsraum Brüdernkirche




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