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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 127 - Oktober 2009
Sonderteil "Die Wiedervereinigung im Spiegel von Kirche von Unten"
Texte von November 1989 - November 1990


Einheit von Unten

von Herbert Erchinger
März 1990
(Download als pdf hier)

Fast scheint es, wenn wir die Medien betrachten, als sei bei uns alles gut und drüben alles schlecht; als müßten sie nur von uns lernen: Management, Marktwirtschaft, konvertierbare Währung, kommunale Selbstverwaltung... . Auch wenn im einzelnen was dran ist, mich stört diese arrogant überhebliche Überlegenheitspose. Es wird höchste Zeit, die Gegenrechnung aufzumachen. Vereinigung bedeutet auch, daß wir dort Bewährtes übernehmen und uns einlassen auf ihre Lernprozesse. Ich sehe die Einheit als Chance, daß auch wir in der bisherigen Bundesrepublik uns verändern. Also nicht Anschluß, sondern gegenseitige Durchdringung, wie bei einer guten Ehe.
Einheit bedeutet dann, daß z. B. auch wir lernen,, Kirche ohne Privilegien zu sein, ohne staatlich - eingetriebene Steuern; Kirche ohne den stützenden Arm des Staates, d.h. Christenlehre in der Verantwortung der Gemeinden statt öffentlich subventionierter Religionsunterricht; kirchliche Seelsorge an Soldaten statt staatlich finanzierte Militärseelsorge. Auch wir können dann lernen, eine Kirche zu sein, die ihre faktische Minderheitsposition endlich akzeptiert und ernst nimmt. Dies wäre auch für uns eine Befreiung und Zuwachs an geistlicher Kraft. So könnte auch unsere Kirche zum Sauerteig der Veränderung und zum Vorreiter in der oekumenischen Bewegung werden, statt weiterhin zahlender Bremser in allen Fragen weltweiter Verantwortung zu sein. Dazu könnten wir endlich die anachronistische Spaltung in lutherische, unierte und reformierte Kirchen überwinden, wie in der DDR längst unter dem Druck der Verhältnisse geschehen. Soweit zur Kirche.
Einheit bedeutet dann weiterhin Freundschaft mit der Sowjetunion und allen Ländern des früheren Ostblocks und auch mit Vietnam und Nicaragua. Die Einheit fordert von uns Überwindung des Kindergartenfehlbestandes. Dazu müssen wir hart an der Überwindung der Arbeitslosigkeit arbeiten, die man drüben bisher nicht kannte. Bei dem Investitionsbedarf, den die sozial und ökologisch verträgliche Gestaltung der Einheit freisetzt, dürfte Vollbeschäftigung auch kein Problem sein.
Auch in der Gestaltung des Niet- und Bodenrechts sollten Erfahrungen von drüben ins gemeinsame Rechtssystem eingearbeitet werden. Die Sozialbindung des Eigentums steht schließlich auch bei uns schon immer fast folgenlos im Grundgesetz. Es ist wohl wahr, daß die beispiellos niedrigen Mieten drüben einen ebenso beispiellosen Verfall der Bausubstanz zur Folge hatten. Aber müssen wir deshalb unsere schlimmen Spekulationsmechanismen in diesem Bereich beibehalten oder gar exportieren? Wohnraum ist keine beliebig vermehrbare Ware. Hier ist Neubesinnung erforderlich.
Und schließlich sollten wir auch wie drüben unser Militär kräftig zur Ader lassen und abrüsten wie Gorbatschow. Dies ist sogar eine der Grundvoraussetzungen der Einheit und ihrer Finanzierbarkeit. DDR-Generäle scheinen im Augenblick wesentlich abrüstungsbereiter zu sein als die der Bundeswehr. - Und schließlich können wir im Zuge des Zusammenwachsens auch hier basisdemokratische Strukturen schaffen. Manch runder Tisch wäre auch bei uns heilsam und mancher Rollkragenpullover auf Ministersesseln wünschenswert.
So könnte der Energiestrom der Einheit doch auch von drüben nach hier fließen. Die Angst der Linken vor der Einheit wäre dann unbegründet. Im Gegenteil, ein Demokratieschub würde folgen, mit dem die Rechten nicht gerechnet haben.
Und dann kommt auch die Zeit, in der das Wort Sozislismus kein Schimpfwert mehr sein wird sondern ein Wort für die soziale Dimension der Demokratie und weltweite soziale Gerechtigkeit.




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