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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 127 - Oktober 2009


Predigt bei den Braunschweiger Andachten „Denk-Mal“
am 16.8.2009 auf dem St. Magnikirchplatz in Braunschweig
“Die Vergangenheit ist gegenwärtig“

von Landesbischof Dr. Friedrich Weber
(Download als pdf hier)

Text: Apg 5,29
„Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“

Liebe Gemeinde!
Als die Stadt in Trümmern lag, ihre Menschen verstört und verzweifelt zwischen den Ruinen eine Wohnstatt suchten, als sie ihre Toten beerdigt hatten – nicht selten in Massengräbern –, da mag sich der eine oder die andere an Hermann Bode und seinen Leidensweg in dieser Stadt, in Dachau und zuletzt in Griechenland erinnert haben. Vielleicht haben sie begonnen darüber nachzudenken, wo die Grenzen des Gehorsam sind und dass die Stimme des Gewissens gehört werden muß. Und vielleicht hat dann später auch der eine oder andere darüber nachgedacht, als wenigstens die Geschichte des Widerstand der Eliten, zwar auch noch lange in der bundesrepublikanischen Demokratie als eine Unmöglichkeit diffamiert, in den Büchern gewürdigt wurde.

Die Geschichte der kleinen Leute, ihr Widerstand, wurde allerdings noch 1995 diffamiert, so im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages, als ein Abgeordneter sagte: „Aber die Völkerrechtwidrigkeit des Krieges konnte der einfache von der Propaganda benebelte kleine Mann nicht erkennen.“ Der Abgeordnete nahm damit die Argumentation des BGH aus den 60er Jahren auf, wonach der einzelne Soldat nicht erkennen konnte, ob ein Krieg gerecht oder ungerecht sei.
Ob diese Unterscheidung überhaupt hilfreich ist? Ich bezweifle das sehr!

Auch die Magnikirche lag in Trümmern, nur der Turmbereich und Einiges vom Hohen Chor blieben erhalten. Man hat die zerstörte Kirche wieder zur Benutzung hergerichtet, allerdings in einer Form, die an die Zerstörung des Ursprünglichen mahnend erinnert. Das Mittelschiff wurde nicht mehr bis zur ursprünglichen Höhe wiedererrichtet. Das führte dazu, dass der Chorbereich erheblich höher ist als das Mittelschiff und die Trennwand zwischen beiden Gebäudeteilen weit über den Dachfirst des Mittelschiffs hinausragt.
An dieser Wand wurde die vom Künstler Bodo Kampmann geschaffene, Posaune blasende große Figur angebracht. Sie trägt den Namen „Der Rufer“. Leicht nach vorn geneigt gehen Blick und Posaune auf das Mittelschiff der Kirche, aber gleichzeitig darüber hinaus weiter in Richtung der Braunschweiger Innenstadt, die durch den Krieg in einen riesigen Trümmerhaufen verwandelt worden war. Seit 1958 ruft „Der Rufer“, er ruft die Menschen, damit ihr Gehör geweckt wird und niemals vergessen wird, was da geschehen ist. Der Rufer mit der Posaune mahnt, im Bewusstsein festzuhalten: Menschen, die mit aller Macht und Gewalt, die sie aufzubringen vermochten, das Geschick des Menschen, ja der Menschheit, nach eigenen Vorstellungen formen und zwingen wollten, sind in die katastrophale Irre gegangen und haben Schrecken und Tod über die Menschen, über Stadt und Land gebracht. Der Mensch hat sich in seiner Freiheit am Menschen vergriffen, hat im Wahn vermeintlichen Fortschritts die Menschlichkeit mit Füßen getreten und Tod und Asche hinterlassen. Der Rufer mahnt, auf das zu hören, was zur Menschlichkeit gehört.
Er mahnt auch uns heute.

Unversehens hatte der Mensch sich zum Maß aller Dinge gemacht. Und weil dann alles, was ist, allein als vom Menschen sowohl verursacht wie auch verschuldet gilt, übernimmt der Mensch zugleich die Rolle des Retters und Richters. Die Weltgeschichte wird zum Weltgericht. In dieses Treiben hinein mahnt der Rufer von St. Magni in Braunschweig: Gottes Wirklichkeit ist das Maß des Menschen, nicht umgekehrt. Wer diesen Ruf nicht hört und nicht auf ihn hört, verkehrt das Maß, gerät ins Maßlose seiner Freiheit und droht die Menschlichkeit zu verlieren.

Auch die evangelische Kirche hat lange gebraucht, um diesen Ruf zur Umkehr so konkret zu formulieren, dass er konkrete Irrwege der Kirche nennt. Erst im August 1947 wurde mit dem „Darmstädter Wort“ des Bruderrates der EKD, von Hans Joachim Iwand und Karl Barth verfasst, deutlicher gesprochen. Im Satz 5 heißt es: „Wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, dass der ökonomische Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im Diesseits hätte gemahnen müssen. Wir haben es unter lassen, die Sache der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der Christenheit zu machen.“
Martin Niemöller, selbst 4 Jahre als Privatgefangener Hitlers in Dachau in Einzelhaft, hat dessen eingedenk geschrieben:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als die die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschaftler holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschaftler.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“


Aber es dauerte noch lange, bis man begriff, dass es ein Recht zum Widerstand gibt. 1956 noch bezeichnet ein Tübinger Theologieprofessor Bonhoeffer als einen Volksverräter und noch in den 60er Jahren habe ich es in Wuppertal erlebt, dass in einer Gemeinde ein erbitterter Streit darüber ausbrach, ob man das neue Gemeindehaus Bonhoeffer–Haus nennen dürfe. Der sei ja kein christlicher Märtyrer sondern nur ein politischer gewesen. Dabei hätte man es wissen können, schon lange wissen können, was es bedeutet, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen, der Stimme des Gewissens zu folgen, statt der verführerischen Macht der Ideologie.

Den wenigen, die damals aktiven Widerstand leisteten, war nicht das Handeln das Problem, sondern dem Nichthandeln galt ihre Sorge.
Sie haben den Widerstand, auch den aktiven, nicht theologisch legitimiert, ihnen reichte das schlichte Wort vom Gehorsam gegen Gott und seinen Geboten.
Für Bonhoeffer galt: Der Widerstand wird nicht gerechtfertigt, er wird verantwortet. Er schreibt: „Vor den anderen Menschen rechtfertigt den Mann der freien Verantwortung die Not, vor sich selbst spricht ihn sein Gewissen frei, aber vor Gott hofft er auf Gnade,“ denn – so Bonhoeffer 1934: „ Es muß auch endlich mit der theologisch begründeten Zurückhaltung gegenüber dem Tun des Staates gebrochen werden – es ist doch alles nur Angst. ¢Tu den Mund auf für die Stummen¢ (Spr. 31,8) – Wer weiß denn das heute noch in der Kirche, dass dies die mindeste Forderung der Bibel in solchen Zeiten ist?“

Wo sind die Grenzen des Gehorsams?
Ich erinnere an die Auslegung Karl Barths zum Art. 14 der „Confessio Scotica“ von 1938:
„Es kann uns der Gehorsam - nicht gegen die politische Ordnung, aber gegen die konkreten Vertreter zur Unmöglichkeit werden, wenn wir nicht gleichzeitig den Glauben und die Liebe festhalten wollen. Es könnte sein, daß wir diesem und diesen Machthabern nur noch im Ungehorsam gegen Gott und dann faktisch auch im Ungehorsam gegen die politische Ordnung gehorsam sein könnten. Es könnte sein, daß wir es mit einer Regierung von Lügnern und Wortbrüchigen, Mördern und Brandstiftern zu tun hätten, mit einer Regierung, die sich selbst an die Stelle Gottes setzen, die die Gewissen binden, die Kirche unterdrücken und sich selbst zur Kirche des Antichrist machen wollte. Es könnte dann offenbar sein, daß wir nur noch wählen könnten: Entweder im Ungehorsam gegen Gott den Gehorsam gegen diese Regierung oder im Gehorsam gegen Gott den Ungehorsam gegen diese Regierung. Müsste dann nicht Gott mehr gehorcht werden als den Menschen? Müsste uns dann nicht verboten sein, nur leiden zu wollen? Müsste dann nicht der in der Liebe tätige Glaube an Jesus Christus unsere aktive Resistenz ebenso notwendig machen, wie er, wenn wir nicht vor diese Wahl gestellt sind, die passive Resistenz oder auch unsere positive Mitarbeit notwendig macht? Genau so, wie er in der Kirche unter den entsprechenden Umständen die Reformation und damit ... den Bruch zwischen wahrer und falscher Kirche notwendig macht? Müsste dann das Gebet für diese Regierung, ohne aufzuhören, für ihre Person und ihre Bekehrung, für ihr ewiges Heil vor Gott einzutreten, nicht doch ganz schlicht zum Gebet um ihre Beseitigung als politische Machthaber werden und müssen wir dann nicht, diesem Gebet entsprechend, auch handeln müssen?“

Barth spricht sodann von dem schweren „inneren Gedränge“, in das ein Mensch in solcher Situation gerät, aber es wäre dann doch der Fall denkbar, daß jemand mit freiem Gewissen und mit Entschlossenheit, als Hörer des göttlichen Gebotes, im Sinne aktiven Widerstands handeln kann und muß.
Wann und wo dieser Grenzfall gegeben ist, das lässt sich theoretisch nicht festlegen, aber im Falle Hitlers scheint für Barth jedenfalls eine derart korrupte und verbrecherische Regierung zu bestehen, daß dieses Äußerste geboten sein könnte.

Es läuft alles auf einen Punkt hinaus: Wo Gehorsam gegen die weltlichen Machthaber nur Ungehorsam gegen den in Christus sich offenbarenden Gott bedeuten kann, wo Sinn und Zweck des staatlichen Handelns nicht mehr in der Ermöglichung eines Lebens in Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden besteht, sondern im Gegenteil das Menschsein in der Wurzel angegriffen wird, da wird Widerstand nicht nur zum Recht, sondern zur Pflicht. Und zwar gilt dies im äußersten Fall auch für aktiven Widerstand. Im Neuen Testament liegt dafür gewiss keine direkte Anweisung vor. Aber es geht es um die Frage der politischen Mitverantwortung, zu der eine demokratische Staatsauffassung verpflichtet, und es geht für Christen um die Antwort auf die Frage, „ob aus dem Christusbekenntnis im Bereich des politischen Lebens eine Verantwortung für das Menschsein des Menschen gefolgert werden muß, die zu einem Handeln nötigt, das auch unter Androhung und Ausübung von Gewalt ein Leben in Freiheit und Gerechtigkeit ermöglicht. (W. Kreck)

Der Ruf der Posaune von St. Magni ist ein bleibender Ruf. Der Mensch, als Wesen der Freiheit geschaffen, hat immer die Möglichkeit, sich zu gewinnen oder zu verlieren. Die Freiheit ist ein hohes Gut und zugleich die ebenso hohe Gefahr. Der eindringliche Schall der Posaune will das Eine: Uns warnend und ermutigend darauf achten lassen, dass wir Menschen wesentlich hörende Menschen sind und in die Irre gehen, wenn wir das vergessen oder missachten.
Und inhaltlich sagt der Ruf immer das, was beispielhaft in den 10 Geboten formuliert ist und in jede Situation und Gegenwart entsprechend neu eingebracht werden muss.
Darum antwortet ihm mit Leib und Seele: dankbar, politisch verantwortlich und dem Menschen dienend. Und leben wir, was wir sind: Gottes Geliebte und Beauftragte auf Erden, nach dem Maßstab Jesu. Darum gehören wir keiner irdischen Macht. „Widersprecht allen, die euch ganz beanspruchen wollen: Staat oder Partei, Kirche oder Verband, Gesetz oder Markt. Gebt vielmehr Gott, was ihm gebührt: euer Vertrauen, eure Liebe, eure Ehrfurcht. Gebt ihm eure Gefühle und Gedanken, eure Zeit und eure Zukunft. Bei Gott seid ihr gut aufgehoben. Schließlich: Betet nicht nur für Staat und Kirche, sondern betet: Dein Reich komme: Gerechtigkeit und Freiheit, Liebe und Frieden, ja du, Gott, alles und in allem.“ (Helmut Geiger am 28.2.2002 in der Ev. Akademie Bad Boll)
Amen


Wette: "Wer Widerstand gegen das verbrecherische NS-System und die von ihm angezettelten Kriege für legitim hält, und hierüber herrscht ja ein großer Konsens in unserem Lande, der darf auch die wegen Kriegsverrats verurteilten Soldaten nicht ausklammern, sondern sollte sie in die langjährige Rehabilitierungspolitik, die der Deutsche Bundestag betrieben hat, einbeziehen." 2008 (Wolfram Wette, langjähriger Mitarbeiter im Militärgeschichtlichen Forschungsamt Freiburg, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Freiburg)




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