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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 127 - Oktober 2009


Die „Wiedervereinigung“ im Spiegel von „Kirche von Unten“

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Zwischen November 1989 und November 1990 erschienen nicht weniger als acht KvU Hefte. Wer diese Hefte noch zu Hause hat, besitzt eine großartige Momentaufnahme der damaligen dramatischen Zeit. Im Rückblick erscheint der Lauf der Geschichte zwangsläufig, aber nichts ist falscher. Es gibt immer auch noch eine andere Möglichkeit. Es ging auch ganz anders wie es gelenkt wurde und wie es gekommen ist.

Im Heft Nr. 40 September 1989 deutet nichts auf die großen politischen Veränderungen hin. Es iszt ein Themenheft mit fünf Beiträgen zu Schacht Konrad. Im gelben Novemberheft 1989 Nr.41 überschrieb Martin Quandt seinen Einleitungsartikel als „Hoffen und Bangen“. „Das Volk bestimmt seine Geschichte in der DDR. Die Menschen aus der DDR bestimmen zur Zeit auch unsere Straßen“, beginnt Mitherausgeber Martin Quandt. Dabei würden Freude und Begeisterung, aber auch Angst und Kritik stark zunehmen. Ein Offleber Kirchenvorsteher und ich waren mit viel Papier und Plakatmaterial nach Blankburg gefahren. Beim Stop in Halberstadt erfuhren wir von der Massenbeteiligung der Halberstädter beim „Gebet für unser Land“ in der Martinikirche und von der gespaltenen Haltung der drei Pfarrer/Pfarrerin in der Domgemeinde. Es gab auch jenen Teil in der Pfarrerschaft, die ihre Kirchen nicht für die Demonstranten öffneten. Leipzig war durchaus nicht überall. Aus Blankenburg brachten wir die Rede von Frau Minkner mit, die sie als Mitbegründerin des NEUEN FORUMS in der Bartholomäuskirche vor 1000 Teilnehmern gehalten hatte. Sie forderte weitgreifende Reformen im Sinne einer Demokratisierung der DDR. Die Rede ist ein starker Beitrag zur Geschichte auch der Blankenburger Gemeinden. In den Gruppenarbeiten übernahm Frau Pfarrerin Herrmann die Abteilung „Bildung“, Diakon Hartung „Recht und politische Ordnung“, Frau Hartung „Frau in unserer Gesellschaft“, Jugendwart Spiegel „Ökologie“, Frau Minkner „SDP (sic !) in der DDR“. Die Rede bekommt noch eine neue Dimension, wenn man als bekannt voraussetzen darf, dass ihr Mann, Pfarrer Minkner von der Bartholomäuskirche, Informeller Informant der Staatsicherheit war. Ansonsten war das Heft von einer Reise der Braunschweiger Friedensinitiative nach Weißrußland und vom 50. Jahrestag des Überfalls auf Polen geprägt.
Das Dezemberheft ist eine Fundquelle für Berichte über die Grenzöffnungen in den Gemeinden. Abgedruckt sind Berichte von Bettingerode (Pieper), Hohegeiß (Adam), Braunlage (Lundbeck), Walkenried, mit einem von Hofer (damals Walkenried, heute Braunschweig) formulierten Fürbittgebete in einem Bußtagsgottesdienst (!) mit DDR-Beteiligung, von Schöningen (Böttger-Bolte und Rosin), Hondelage (Fincke) und einen besonderen Bericht aus Grasleben (Ehepaar Binder) unter dem Titel „Wir können eigentlich nut weinen“. Wie chaotisch die Verhältnisse in Offleben waren, habe ich in meiner kleinen Praktischen Theologie „Gemeinsam, zärtlich, radikal“ aufgeschrieben. Sie war kürzlich u.a. Gegenstand der Schüleruniversität in Helmstedt. Ein Schüler Kl. 12 hatte sie aufgegabelt. Eine Karte mit dem Verlauf der innerdeutschen Staatsgrenze ziert das Deckblatt von KvU. Die Redaktion (Quandt, Erchinger, Fincke, Kuessner) ist in der Einschätzung der Lage völlig unterschiedlich und begründet ihre Positionen. Abgedruckt ist auch eine bereits am 9. November verfasste Erklärung zur Grenzöffnung und zur Zweistaatlichkeit in Deutschland (zwei Demokratien friedlich und im Wettstreit nebeneinander, eine kapitalistische und eine sozialistische). 200 Personen aus der Landeskirche und darüber hinaus hatten sie unterzeichnet.
Fincke („Das Ende des Sozialismus“?), Erchinger („Einheit von Unten“), Tobias („Die Vereinnahmung unserer Schwestern und Brüder“ ) verneinen im grünen Heft Nr. 43 März 1990 die Frage, ob der Sozialismus am Ende sei. Das Deckblatt erinnert daran, dass es noch andere wichtige Themen gibt, z.B. die Weltkonferenz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in Seoul.

Nach diesem Märzheft schon wieder ein Heft Nr. 44 im April 1990, weil das Tempo der sog. „Wiedervereinigung“ auch auf die Kirche überschwappt. Ab S. 25 wird mehrfach kritisch das Loccumer Abkommen beleuchtet. In Loccum hatten sich am 17. Januar Beauftragte der EKD und des Kirchenbundes der DDR getroffen und vereinbart, „mit der Wiedervereinigung der Kirchen in den beiden deutschen Staaten zu beginnen.“ Mir ist heute nicht klar, ob die Überschrift meines Artikels „Das vierte Reich ist nah“ (S. 27 ff) falsch ist angesichts des gegenwärtigen Kriegseinsatzes in Afghanistan, der furchtbaren Selektion von toten Afghanen und toten Taliban, des festen Klammergriffs der Wirtschaft um die Berliner Politik, der Ausplünderung eines Teils der Bevölkerung zur Sanierung von Banken, des dritten Platzes beim Rüstungsexport, der Telephonüberwachung . Ich hänge nicht am Begriff. Aber es ist etwas anderes als die Bonner Politik.

Von den nächsten Heften beschäftigt sich Heft 47 im Oktober 1990 vor allem mit dem neuen Feiertag, dem 3.Oktober, und im nächsten Heft November 1990 wird ausführlich von den verschiedenen Gottesdiensten an diesem Tag in unserer Landeskirche berichtet. Wieder eine Fundgrube für den Historiker. Davon dann im nächsten Jahr – zum 20. Jahrestag dieses künstlichen Datums.




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu127/wiedervereinigung.htm, Stand: Oktober 2009, dk