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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 128 - Dezember 2009


Gemeindeaufbau und Taizé

von Herbert Erchinger
(Download als pdf hier)

Um es gleich zu sagen: Mein Taizé ist die Paulikirche in BS. Ich muss nicht mehr regelmäßig nach Taizé in Burgund fahren, um mich spirituell aufzuladen. Mein Taizé ist die Paulikirche. Genauer gesagt das wöchentliche Taizé-Gebet Mittwochs 18.00.

Immer wieder staune ich über das mühelose und stressfreie Gelingen. Und dass so viele kommen, weil es ihnen offensichtlich gut tut und sie es wirklich wollen. Das ist in der evangelischen Volkskirche eine ganz neue Erfahrung. Wie traumatisiert sind wir durch das Wegbleiben der Menschen, gähnend leere Kirchen und Gruppenräume. Jeder Pfarrer kennt das: Man steht gut vorbereitet an der Kirchentür oder im Gemeindehaus, scheinbar entspannt und wartet. Dann strömt schon wieder einer. Schon als 14-jähriger Gruppenleiter bei den Christlichen Pfadfindern jede Woche das Bangen - ich spüre es heute noch tief in mir-: Hoffentlich lassen sie dich nicht im Stich. Es gibt ja soviel Wichtigeres als Kirche.

Und so bin ich einfach dankbar für diesen reichen Strom des Gelingens. Es braucht so wenig: Statt der übermächtigen Orgel, die seit Jahrhunderten den Gemeindegesang weithin überlagert und abtötet, eine Gitarre, wunderschöne einfache mehrstimmige Gesänge. Kurze Bibel- und Mediationstexte, entweder selbst entworfen oder aus dem reichen Schatz der Lyrik von Kurt Marti über Rilke, Hesse bis Hölderlin. Die geerbten Gedichtbände meiner Großmutter zB "Der ewige Brunnen" sind ein nicht versiegender Quell. Dann natürlich das "Loccumer Brevier". Viele andere bringen auch Texte mit. So windet sich ein bunter Blumenstrauß. Irgendwie passt es immer.

Doch was Wichtigste ist das Schweigen. Die regelmäßige Stille zwischen Texten und Gesängen dreht alles ins Gelingen. In Ruhe findet sich der nächste Gesang und der nächste Text. Fehler gibt es nicht. Die der Angst des Torwarts vor´m Elfmeter ähnliche Einsamkeit des Liturgen vor dem Altar, der hoffentlich die richtige Seite in der Agende aufgeschlagen hat und an der richtigen Stelle mit dem richtigen Ton sein "Der Herr sei mit Euch" anstimmt, gibt es nicht mehr. Nein, die Liturgie entsteht aus dem Schweigen und kennt keine Fehler.

Das hat mir übrigens in Taizé am besten gefallen, dass kein Liturg am Altar steht. Die Gemeinde ist der Liturg. Daher gibt es beim immerhin vierstimmigen Taizé-Gesang auch keinen Chorleiter, der autoritär herumfuchtelt und die Singenden an seine Kandare nimmt. Nein, ES singt, das Herz singt, der Gesang pendelt sich ein durch Redundanz, ständige Wiederholung. Manchmal brauchen wir Monate, bis ein neuer Gesang rund läuft. Er schleift sich ab wie ein Kieselstein im Fließgewässer des Gesangs und der Meditation. Hier ist das allgemeine Priestertum aller Gläubigen Wirklichkeit geworden.

Der Kopf spielt nicht die Hauptrolle. Taizé wirkt durch seine harmonieträchtigen Gesänge und die Atmosphäre, eine Atmosphäre des unbedingten Angenommenseins. Du bist geliebt, du gehörst dazu, du musst nicht erst einmal etwas leisten. Diese Erfahrung befreit und verändert.

Lange haben wir es ja als linke Christen umgekehrt gemacht: Information, Appellation, Agitation, Aktion. Überall moralischer Leistungsdruck. Du musst, du musst, du musst. Und wehe, du hattest deinen Adorno nicht gelesen. Wehe, du hast deine Alu-Deckel nicht gesammelt. Wehe du warst nicht bei der Demo oder hast gar den 3.Welt-Stand in der Fußgängerzone geschwänzt. Aus dieser Gesetzlichkeit des linken Moralismus mit der sicheren Folge des Burnouts hat mich Taizé befreit.

Umgekehrt wird doch ein Schuh daraus. Nicht durch moralischen Druck verändert sich der Mensch, sondern durch die beglückende Erfahrung der Gnade unbedingten Angenommenseins. Dann entsteht der neue Mensch ganz von allein. (Übrigens ganz im Sinne Luthers: Ein guter Baum trägt gute Früchte.) Ich bin immer wieder beeindruckt, wie liebevoll im Taizé- Umfeld miteinander umgegangen wird. Da werden Behinderte ganz selbstverständlich integriert, kautzige Menschen ertragen, Arme und Reiche, Akademiker und Sonderschüler, Schwule und Heteros, Aussteiger und Erfolgsmenschen, Glaubensstarke und suchende Zweifler, Arbeitslose und Überlastete, Christen und Buddhisten sitzen freundlich nebeneinander. Einfach durch die Atmosphäre der vom Evangelium der Gnade aufgeladenen Gesänge zeigt die Botschaft Wirkung. Wir haben die emotionalen Bedürfnisse der Menschen in der Evangelischen Kirche lange missachtet und sie angepredigt, bis sie wegblieben.

Es ist wahr: Wie das Essen in Taizé, wo es nur einen Löffel als Besteck gibt, mit dem man auch die Brötchen schmiert, ist die Theologie und die Botschaft der Taizé- Gesänge relativ schlicht und einfach: Gott ist die Liebe, Er vergibt, nimmt an und tröstet, Er schenkt Licht, Klarheit, kindliches Vertrauen, Frieden, Schutz und Heil. Er überwindet Finsternis, Furcht, Nacht, Unruhe und Gottferne. Aber ist das nichts? Die Sünde kommt tatsächlich kaum vor, auch nicht Anfechtung, Hass und Gewalt. Aber nach dem erschöpfenden Studium armdicker Dogmatik- und Ethik-Bände empfinde ich diese Einfachheit (Simplicité) auch als zielführende Stärke: "Aus dem Munde der Unmündigen hast Du Dir ein Lob bereitet." (Mt 21,16) Je komplizierter die Theologie, desto mehr ging sie an den Gemeinden vorbei. Aber in den schlichten Taizé- Gebeten wird Anbetung und Gottesbegegnung ganz direkt und neu erfahren. Da wird auch geweint und geschmust wie bei der Salbung in Bethanien. Da ist Jesus in, mit und unter uns und da entdecke ich immer wieder überraschende theologische Bezüge. So entsteht auch Ethik: "Gott ist die Liebe. Wagt für die Liebe alles zu geben. Gott ist die Liebe, Liebe ohne Furcht."

Von daher greift auch der Vorwurf des Rückfalls in ein unpolitisches Verständnis des Evangeliums zu kurz. Unser Taizé- Kreis hat ganz von sich aus in den 90er Jahren eine Lichterkette gegen Ausländerfeindlichkeit organisiert, es bestehen starke Querverbindungen zum Refugium der Flüchtlingshilfe und zum Amt für Migrationsfragen und den Sinti und Roma sowie zur AKW-und Friedensbewegung. Da ergeben sich immer wieder politische Aktionsformen, an denen unsere Leute verlässlich teilnehmen.

Jeweils am 1.Mittwoch im Monat um 19.30 halten wir ein thematisches Taizé- Gebet, zu dem auch immer viele Gäste kommen. Wir einigen uns vorher auf ein Thema, zB Zäune, Reife, Träume, Heimat, Herbst, Einsamkeit, Wüste, Atem…Jeder kann dazu einen Text schreiben oder aussuchen. Beim Abendbrot vor dem Taizé- Gebet sammeln wir die Texte, legen die Reihenfolge fest, bestimmen einen passenden Bibeltext und fertig ist die Laube. Für mich ist es immer wieder ein Geschenk des Heiligen Geistes, wie gut das klappt und wie gut die Texte zueinander passen, sei es als Kontrast oder Ergänzung. Wirklich ein Selbstläufer.

Unsere großen Taizé-Gebete, meist "Nacht der Lichter" genannt, leben von der Kooperation mit anderen Taizé- Chören. Gemeinsam mit der ESG, dem Psalmenchor der Pauligemeinde und anderen Gemeinden, zB St Lorenz in Schöningen gestalten wir dann einen kirchenfüllenden Gottesdienst. Dann drehen wir ein ganz großes Rad, womit wir allein überfordert wären. In letzter Zeit sind diese großen Taizé- Gebete manchmal mit einer persönlichen Segnung verbunden. Der Segen wird mit Handauflegung ganz persönlich zugesprochen, wobei persönliche Anliegen genannt werden können. Trauer, Trennung, Prüfungsängste, Krankheit und Arbeitslosigkeit kommen da zur Sprache. Dies wird sehr angenommen. Die lange Reihe der Wartenden hat mich immer sehr berührt. Wichtig ist mir, dass nicht nur die Pfarrer diesen Segen spenden, sondern auch sogenannte Laien .

Ich genieße es sehr, auf meiner Gitarre die vierstimmigen Taizé- Gesänge zu begleiten. Inzwischen sind wir bei den größeren Taizé- Gebeten ein kleines Orchester, 2 Gitarren, 1 Klarinette, 2 Geigen und 2 Celli war das Maximum. Es ist das einzige Orchester, in dem ich je mitspielen durfte. Da schnurre ich wie ein Kater.

Die großen Taizé- Gebete sind für uns immer auch eine Fortbildung. Wir lernen neue Gesänge, sammeln die Liederzettel wieder ein und lernen und üben daran weiter. So ist es auch, wenn jemand von uns mal wieder nach Taizé fährt. Er bringt das neueste Liederheft mit. So bleiben wir auf dem Laufenden.

Ganz abgesehen vom Glaubensleben ist ja das Singen selbst ein ganz hoher therapeutischer Wert. Es öffnet den Menschen, bricht seine Verkrustungen auf und macht ihn gemeinschaftsfähig. Es ist ein Jammer, dass in der Gesellschaft immer weniger gesungen wird. Und da hilft es auch wenig, ja, es ist die Kehrseite der gleichen Tatsache, dass es immer mehr hochkarätige professionelle elitäre Chöre gibt. Um da hineinzukommen, muss man vorsingen, ob man auch gut genug ist. Und das gemeine Kirchenvolk hört sich das dann im Dom oder auf der CD ehrfürchtig an und traut sich selbst gar nicht mehr zu singen. Höchstens in der Badewanne.

Und da ist der niedrig schwellige Taizé- Gesang eine große Hilfe. Jeder darf mitsingen. Gerade hier beginnt das Angenommensein. Und siehe da: Das Brummen und die Dissonanzen werden liebevoll ertragen und schleifen sich von selbst weg. Je mehr man sich angenommen fühlt, desto besser singt man und nimmt teil am Lernen des Lobpreises der Engel.

Abschließend möchte ich noch erwähnen, dass die Mitglieder des Taizé- Kreises durchaus Verantwortung in ihren Kirchengemeinden übernehmen. Viele sind Lektorinnen und Kirchenverordnete oder leiten Gruppen in ihren Gemeinden. Beim Taizé- Gebet holen sie sich die Kraft.




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