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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 129 - März 2010


Armut in der Bibel

von Herbert Erchinger
(Download als pdf hier)

Armut ist nicht nur ein ökonomisches Problem. Armut hat immer auch mit Deklassierung und Ausgrenzung zu tun. Sie ist immer ein Zeichen gesellschaftlicher Spaltung.
Die Geschichte Israels ist hier lehrreich, weil Israel mit besonderer Sensibilität und Entschlossenheit die Armut bekämpft hat. Das hängt unmittelbar mit seiner Gotteserfahrung zusammen.

Israel tritt in die Geschichte im 12. Jh vor Chr, , als das Großreich der Ägyptischen Pharaonen zusammenbrach. Auch die kanaanäischen Stadtstaaten kollabierten. In dieses Vakuum hinein sickerten Stämme und Gruppen, die sich nach und nach zum Stammesverband Israel zusammenschlossen. Die wichtigste Gruppe war die Mosesgruppe.. Sie hatten ihren Gott als befreiend erfahren. Jahwe hatte sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit. Diese Befreiung von jeder Knechtschaft war auch in Zukunft unauflösbar mit ihrer Gotteserfahrung verbunden. Im Lande Kanaan verschmolz diese Gruppe mit anderen verarmten Zuwanderern und marginalisierten, der Fron- und Tributherrschaft der Städte und Reiche entlaufenen Gruppen, meist Familienverbänden. Sie alle hatten Erfahrungen mit Unterdrückung und Ausbeutung. Sie waren allergisch gegen jede Art von Hierarchie und pyramidenartigem Gesellschaftsaufbau. Sie alle hatten sich aus Tribut- Zins- und Fronknechtschaft gelöst. So entstand Israel als Modell einer alternativen, solidarischen und egalitären Kontrastgesellschaft. (Duchrow) Gott ist König, niemand anders. Gott hat den Schrei der Bedrängten gehört. Daher sind Anbetung Jahwes und Solidarität mit den Armen nicht zu trennen.

Aus der Erfahrung der Befreiung schuf Israel sich wichtige Verfahren und Institutionen gegen die Deklassierung der Armut.Die Stämme Israels betrachteten sich gegenseitig als Verwandte, Familienverbände. Der Ausdruck "Gott der Väter" steht dafür. Schon aus diesem Verwandtschaftsverhältnis ergibt sich eine Grund-Solidarität der Geschwisterlichkeit. Die Götter der umliegenden Städte und Reiche lehnten sie ab, weil diese steinernen Götter Machtsymbole ihrer tributären Herrschaftssysteme waren.
Eigentum an Grund und Boden kannte Israel nicht. Als ehemalige Nomaden kannten sie nur Nutzungsrechte. Gott ist Eigentümer. Die Früchte der Erde gehören allen, die Erde niemand.
Die Armen haben das Recht, auf den abgeernteten Feldern Ähren zu lesen (Buch Rut), ja es soll für sie sogar etwas stehen bleiben. (Dt 24,19).
Alle sieben Jahre wird das Sabbatjahr gefeiert. (Lev 25) Das Land bleibt unbebaut und kann sich erholen. Alle dürfen ernten, auch die Armen. Alle 49 Jahre (7x7) wird das Jobeljahr (Erlassjahr) gefeiert. Alle Schulden werden erlassen. Verlorener Grundbesitz wird zurückgegeben. In Dtn15 geschieht dies sogar schon im 7. Jahr.
Der Erlöser, den wir in unserem Glauben heute ganz spirituell verstehen im Sinne der religiösen Sündenvergebung, ist im AT ganz praktisch der Einlöser, der das verschuldete Vermögen der Armen wieder einlöst und ihnen zurück gibt.(Lev 25, 23ff) Dies nur als ein Beispiel dafür, wie sehr wir die biblische Botschaft spiritualisiert haben und damit die urspüngliche ganz praktische Bedeutung zum Schutze der Armen verdrängen.
Ein weiterer wichtiger Schutz der Armen ist das Verbot des Zinses, wörtlich Abbiß (Neschek) Lev 25,35-38. Ich darf mich nicht auf Kosten der Lebensgrundlagen anderer bereichern. Auch die Pfandnahme von Armen verbietet das Dtn (24,17).Alle drei monotheistischen Weltreligionen -Judentum, Christentum und Islam- verbieten in dieser Tradition den Zins. Noch Luther schrieb leidenschaftliche Schriften gegen den Wucher. Erst in der Neuzeit hat die Kirche ihren Widerstand gegen das Zinsnehmen aufgegeben. Mit der Folge einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft.

Eine weitere Schutzvorschrift ist das Asylrecht. Bedrängte sind am Heiligtum vor Verfolgung sicher. Psalm 23 ist das Danklied eines Asylanten, der am Heiligtum Zuflucht gefunden hat. Auch dieses Schutzrecht-Lied haben wir völlig spiritualisiert zum Lieblingspsalm der Frommen. Allerdings sind Reste dieses Asylverständnisses in der Bevölkerung noch vorhanden. Die Polizei scheut sich bis heute, in Kirchen Verhaftungen vorzunehmen. Das von manchen Gemeinden gewährte Kirchenasyl für von Abschiebung bedrohte Migranten wird von den Behörden oft respektiert. .

Ca 200 Jahre hat Israel diese Form der solidarischen, egalitären und von Volksversammlungen geprägten Kontrastgesellschaft gelebt. Das Volk wuchs und mehrte sich. Neue Formen der Landwirtschaft wie Terrassenbau und Weinbau entwickelten sich. So entstand die Versuchung, wie die umliegenden Völker hierarchische Strukturen mit Großgrundbesitz, Tributen und Königen einzuführen, also Strukturen, denen die Stämme des werdenden Israels vor gerade mal 200 Jahren entronnen waren. Nun wollte man wieder sein wie andere Völker. Hier regte sich Widerstand derer, die die solidarische Verfassung mit den Schutzrechten der Armen verteidigten .Die Jotamfabel Ri 9 schildert eindrücklich die Ausbeutung, die vom Königtum zu erwarten war. Die Rechte des Königs werden abschreckend geschildert. (1Sam 8) Nein, Gott soll König bleiben. Nur so bleibt die Solidarität mit den Armen erhalten. Sozialkritik ist also im Kern immer theologische Kritik.
Es half nichts, die Könige kamen. Saul erhob noch keine Tribute. David aber schon. Er schuf ein zentrales Heiligtum in seiner neuen Machtbasis Jerusalem und erhob Tribute zur Finanzierung seiner Söldnerscharen. Vollends sein Sohn Salomo baute riesige Tempelanlagen, erhob Steuern und führte seinen Hof nach dem Muster altorientalischer tributärer Königsreiche. Staatsdomänen und Großgrundbesitz zerstörten die egalitäre Kontrastgesellschaft. Unter seinen Nachfolgern brachen die Konflikte offen aus, das Nordreich spaltete sich aus Protest gegen die Zwangsarbeit von Juda ab, wählte aber auch die Monarchie.

Gegen diesen Verrat an den egalitären Grundprinzipien Israels wandten sich die Propheten mit leidenschaftlich theologischer Sozialkritik. Gegen die Habgier der Reichen fordern Amos (zB 8,4-6)und Micha (zB 2,9) das Recht der Armen ein.
Vergeblich fordern sie Umkehr von den falschen Wegen. Nach der Zerstörung des Nordreichs durch Assur 722 v Chr und des Südreichs mit Jerusalem durch Babylon 587 v Chr sah man in der babylonischen Gefangenschaft den Bußruf der Propheten bestätigt und nahm ihre Warnungen in die heiligen Schriften auf. Doch der sozial- theologische Konflikt brach immer wieder auf, auch nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft unter persischer Herrschaft gelang es nur teilweise, die solidarischen Sozialregeln wieder einzuführen. (Esra, Nehemia). Vollends unter hellenistischer Herrschaft brachen die Konflikte wieder offen aus bis zu den Aufständen der Makkabäer.

Aber die Sehnsucht nach einer Kontrastgesellschaft, in der Gott König ist und die Menschen Schutzrechte genießen blieb erhalten.Versprengte Gruppen wie die Essener oder die Ebjonim entzogen sich den Herrschaftssystemen, zogen in die Wüste und versuchten dort, solidarisch die Gebote Jahwes zu erfüllen. Doch dann verschärfte die Annexion Israels durch das Römische Reich die Situation noch einmal erheblich.

Die Verkündigung und das Verhalten Jesu sind nur auf dem sozialgeschichtlichen Hintergrund der zerstörerischen Folgen der römischen Besatzung zu verstehen. Großgrundbesitz, Zwangsarbeit, Zoll und Tribute, Ausplünderung der heimischen Bevölkerung zerstörten die Gesellschaft. Als Tagelöhner oder Wanderarbeiter versuchten die Männer, als Prostituierte die oft alleinstehenden Frauen zu überleben und ihre verwahrlosten Kinder zu ernähren. Jesus wurde die Hoffnung der Armen. (Luise Schottroff)
In der Antrittspredigt in Nazareth Lukas 4 stellt sich Jesus voll in die Tradition der solidarischen Kontrastgesellschaft Israels und der Propheten: Den Armen gute Nachricht, den (Schuld-) Gefangenen Befreiung, den Zerschlagenen die Freiheit und ein Gnadenjahr des Herrn. Aber an die Stelle der Verheißung ist nun die Erfüllung durch Jesus getreten.
In seiner Bergpredigt spricht er die Armen selig. Aber wehe Euch, ihr Reichen. Die Radikalität dieser Botschaft wird nur von Lukas 6 wiedergegeben. Matthäus spiritualisiert: Selig sind die geistlich Armen. Jesus meint aber durchaus die im wörtlichen sozialen Sinne Armen. Im Reich Gottes (Gott ist König, s.o.) werden die Armen wieder in ihr Recht gesetzt. Dieses Reich Gottes ist Gegenwart, Jesus lebt es als Festmahl vor, bei dem alle satt werden und sich gegenseitig bedienen. (Diakonie). Damit ist jeder pyramidenartige (s.o.) und hierarchische Aufbau der Gesellschaft ausgeschlossen. Führungsansprüche der Jünger gibt es nicht. Wer der erste sein will, der sei der anderen Diener.(Mt 20,25-28)
Das Abendmahl ist von daher auch immer ein Akt und Ansporn des miteinander Teilens.
Die besondere Liebe Jesu galt den Kindern, die in der damaligen zerstörten Gesellschaft besonders häufig Opfer von Armut und Verwahrlosung waren. "Wer ein solches Kind aufnimmt, der nimmt mich auf." (Mt 18,5 par) Kinder sind Vorbilder des Glaubens, denn sie wissen, dass sie Hilfe brauchen, sie zeigen offen ihre Bedürfnisse und spielen nicht den Starken.Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Reich Gottes kommen.
Im Reich Gottes findet eine Umkehrung statt: Die Ersten werden die letzten und die Letzten die Ersten sein: die Reichen werden arm sein und die Armen reich. Dies ist ganz diesseitig gedacht. Das Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lk 16,19-31)spiritualisiert schon wieder und verlegt diese Wende entschärfend ins Jenseits. Das gegenwärtige Reich Gottes wird zum jenseitigen Himmelreich.

Diese spiritualisierende Entschärfung vieler Gleichnisse wird Jesus als Hoffnung der Armen nicht gerecht. Jesus solidarisiert sich mit den Tagelöhnern, die erst spät eine Arbeit finden und gönnt ihnen den vollen Lohn. Denn auch sie, die fast den ganzen Tag keine Arbeit fanden, müssen abends ihre Familie ernähren. Jesus beurteilt Menschen nicht nach ihrer Leistung, sondern danach, was sie brauchen. Kommt her, die ihr mühselig und beladen seid. Hier sind die im wörtlichen Sinne schwere Lasten tragenden Tagelöhner gemeint.
Im Gleichnis vom Weltgericht Mt 25 identifiziert sich Jesus vollends mit den Armen und Benachteiligten. Was ihr getan habt einem der Geringsten, das habt ihr mir getan.
Zentral ist die Kritik Jesu am Reichtum. Man kann nicht Gott dienen und dem Mammon (Mt 6,24).Der reiche Jüngling verfehlt die Nachfolge, da er nicht verzichten kann.(Mk 10, 17-31par) Besitz macht eben besessen.
Doch Jesus wendet sich immer wieder den Armen und Erfolglosen zu. Er speist die Hungernden. Die Geschichte von der Speisung der 5000 beschreibt das Wunder des miteinander Teilens. Niemand hielt egoistisch seine Vorräte zurück.
Durch seinen Kreuzestod besiegelt Jesus auf glaubwürdige Weise, dass er es mit seinem Eintreten für die Armen und Ausgegrenzten ernst meint. Er entäußerte sich selbst, nahm Sklavengestalt an. (Phil 2).Deshalb ist sein Tod keine Niederlage, sondern Einlösung und Bewährung seiner Botschaft. für die er bis zum Tode einsteht. So geht die Sache Jesu weiter. Der Auferstehungsglaube bestätigt ihre Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit.

Die Apostelgeschichte (Kap 2 u 4) beschreibt die Urgemeinde genau in dem sozialen Verhalten der solidarischen Kontrastgesellschaft. Sie hielten ale Dinge gemeinsam. Niemand sagte von seinen Gütern, dass sie seine wären, sondern sie hatten alles gemeinsam. (4,32). Hier leuchtet ein urchristlicher Kommunismus auf.

Der Apostel Paulus entgrenzt die solidarische Urgemeinde und öffnet sie für alle Völker,. ganz im Sinne der Völkerwallfahrt Jes 2 oder Micha 4. Die Gemeinden des Paulus bestehen aus armen Menschen der Unterschicht.(1.Kor. 1,26ff).In dem auf Gier, Macht und Ungerechtigkeit aufgebauten Römischen Reich bildet er Gemeinden als solidarische Gemeinschaften. Nehmt euch der Not der Heiligen an. Er organisiert eine Kollekte für die verarmte Gemeinde in Jerusalem. Einer trage des anderen Last. So werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.

Zum Abschluss einige Brücken zu heute:
Die Bibel misstraut dem Staat: Staaten sind Macht- und Gewaltsysteme. Meist stehen sie dem Schutz der Armen entgegen. Daher muss der Schutz der Armen vom Volke aus gesichert werden.
Es fällt auf, dass wir heute die Nächstenliebe weitgehend an den Staat und karitative Organisationen abgetreten haben. Wir müssen aber wieder selbst Verantwortung übernehmen.
Wer von Armut redet, muss heute auch von Reichtum reden. Die Spaltung der Gesellschaft nimmt zu. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums und eine Umverteilung von oben nach unten sind daher unverzichtbar und biblisch gut begründet.

Weil Anbetung Gottes und Schutz der Armen biblisch nicht zu trennen sind, gehören der Schrei der Armen und die Barmherzigkeit auch heute zentral in jeden Gottesdienst.
Jesus Christus ist das Gesicht der Armen. In jedem Armen und seiner Not begegnet uns Jesus Christus selbst ganz persönlich.




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