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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 129 - März 2010


Ein Buch, das nach vorn zeigt

(Download als pdf hier)
eine Buchbesprechung von Eberhard Fincke über

Armut wird uns retten
Geteilter Wohlstand in einer Gesellschaft des Weniger

von Hans-Peter Gensichen
Publik Forum Edition, Oberursel 2009, 12, 80 Euro

Nachdem vor 20 Jahren der Sozialismus zusammengebrochen ist, wachsen bei immer mehr Menschen die Zweifel am Kapitalismus. Man weiß aber keine Alternative und eine revolutionäre Kraft, auf die man hoffen könnte, ist nicht in Sicht. Angesichts dieser Ratlosigkeit öffnet das schmale Büchlein eine Perspektive. Gensichen lenkt den Blick darauf, dass der Kapitalismus, ähnlich wie vor 20 Jahren der Sozialismus, längst am Zusammen-brechen ist. "Der Kapitalismus kollabiert" - so überschreibt Gensichen sein drittes Kapitel. Eine revolutionäre Bewegung braucht es dazu nicht.

Der Kapitalismus bricht an sich selbst zusam-men; denn er frisst seine materielle Basis auf, die fossilen Brennstoffe Kohle und Erdöl. Ohne deren wachsende Ausbeutung wäre derDruck nicht auszuhalten, der im Kapitalismus auf alle ausgeübt wird.
Unter dem Druck der Zinsverpflichtung lässt sich in der Konkurrenz auf dem Markt eine Rendite nur erwirtschaften, wenn man menschliche Ar-beitskraft ausbeutet, also schlecht bezahlt oder durch billige Energie ersetzt, d. h. die sog. Pro-duktivität steigert. Doch mit der Erderwärmung, der Erschöpfung der fossilen Energiequellen und der wachsenden Weltbevölkerung sind dem nun unübersteigbare Grenzen gesetzt. (Die Sonnen-energie ist zwar frei verfügbar, doch der techni-sche Aufwand, sie zu sammeln und gebrauchsfä-hig zu machen, ist teuer.) Dem Kapitalismus bliebe so nur die Rückkehr dazu, den Druck auf die Menschen zu erhöhen, ihre Arbeitskraft für immer geringeres Entgelt herzugeben. Aber das machen die Menschen nicht mit.

Der Abstieg, das ist Gensichens These, ist schon im Gange. Gensichen zählt viele einzelne Sym-ptome auf (S. 13 - 16), an denen wir jetzt schon sehen, dass wir nicht mehr unterwegs sind zu wachsendem Wohlstand, sondern zu einer "Ge-sellschaft des Weniger" (Kapitel 2). Das macht freilich auch Angst; denn schmerzhafte Verluste werden bei diesem Rückgang nicht zu vermeiden sein. Deswegen verschließt unsere Gesellschaft zurzeit davor die Augen, fährt einfach weiter mit dem Auto und redet sich damit heraus, man kön-ne später eben Elektroautos produzieren (mit staatlicher Unterstützung!) und mit Sonnenstrom fahren. Die schwarz-gelbe Bundesregierung, die es noch nicht gab, als Gensichen sein Buch druckte, macht die Augen noch fester zu und täuscht die Menschen mit dem Hinweis auf neues Wachstum.

Dem setzt Gensichen die Forderung an die Chris-ten entgegen, eine "nördliche", bzw. "westeuro-päische" oder "nordwestliche Befreiungstheolo-gie" zu entwickeln (S. 38 f.), im Unterschied zur bekannten südlichen Befreiungstheologie. Dort ging und geht es um Befreiung aus extremer Not zu einem Leben in relativer Armut, im Norden dagegen "bleibt uns gar nichts anderes übrig, als den Weg in eine Zivilisation der Armut zu ge-hen." (S. 36) Der Weg beider Befreiungstheolo-gien führt deswegen sozusagen "über Kreuz" (S. 35), wie Gensichen beziehungsreich formuliert.

Entscheidend ist, dass wir die schon begonnene Selbstzerstörung des kapitalistischen Systems trotz aller dadurch entstehenden Schwierigkeiten und Nöte als Chance begreifen, als "gangbaren Weg", "gangbar was das Glück der Menschen und das Wohl der Umwelt betrifft." (S. 91) "Die Praxis des weniger ist befreiend", so überschreibt Gensichen sein letztes Kapitel, weil ihm ganz viel an dem Befreiungserlebnis liegt, das "ist, wie wenn ein Suchtmittel nicht mehr erhältlich ist. Dann wieder zum Leben ohne zu kommen - ohne das alte schöne Gift, um diese Art von Be-freiung geht es." (S. 92)

Gensichen formuliert nicht allgemein und theore-tisch, sondern führt viele praktische, schon vor-handene Beispiele dafür an, wie eine Anglei-chung der Lebensverhältnisse in Süd und Nord sich schon abzeichnet und sich auf die Dauer vollziehen kann (Kapitel 8 - 11). Das ganze Buch ist sehr anregend, verhilft zu einem ganz ungewohnten Blickwinkel und macht so Mut, in die Zukunft zu sehen, statt die Augen zu ver-schließen, wie es meistens geschieht.




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu129/armutwirdunsretten.htm, Stand: März 2010, dk