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[Kirche von Unten]

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Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 129 - März 2010


Das Bild des Führers unverlöschlich in alle deutsche Herzen pflanzen:
Vor 75 Jahren eröffnete Deutschland weltweit den ersten Fernsehprogrammdienst

von Eckhard Etzold
(Download als pdf hier)

Das Dritte Reich gehörte vor dem zweiten Weltkrieg neben England und den USA zu den wenigen Ländern, in denen die Entwicklung der Fernsehtechnik aktiv vorangetrieben wurde. Im Wettlauf mit England um die Einführung des ersten Fernseh-Programmdienstes kam Deutschland den Engländern 1935 zuvor (und wollte ihnen bewusst auch zuvorkommen). Die Funkschau-Ausgabe Nr. 15 vom 7.4.1935 berichtet groß auf der Titelseite: "Deutschland eröffnet den Fernsehprogrammbetrieb". Feierlich wurde im Sitzungssaal des Berliner Funkhauses am 22. März der erste reguläre Fernsehprogrammdienst der Welt eröffnet mit dem Ziel, "... die größte und heiligste Mission zu erfüllen: nun das Bild des Führers unverlöschlich in alle deutsche Herzen zu pflanzen", so Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky. Das Bild des Führers kam jedoch nicht wirklich an beim Zuschauer, zu unscharf, kontrastarm und flimmernd war der Seheindruck, denn mit 180 Zeilen und 25 Bildern pro Sekunde war die damalige deutsche Fernsehnorm nicht wirklich geeignet, eine ausreichend gute Bildqualität zu liefern.

75 Jahre Fernsehprogrammdienst könnte ein Grund zum Nachdenken und zur Reflektion sein. Aber bei den Fernsehanstalten reagiert man eher zurückhaltend. Für die ARD beginnt das Fernsehen in Deutschland erst 1952. Die großen und eigentlichen Entwicklungsarbeiten des Fernsehens vor dem Krieg spielen heute im öffentlichen Bewusstsein faktisch keine Rolle mehr. Allenfalls ist die Olympiade 1936 noch im Bewusstsein, die in die Fernsehstuben, verteilt über Berlin, übertragen wurde. Fernsehstars von damals, z.B. Johannes Heesters, Ilse Werner oder Heinz Rühmann berichteten in den vergangenen Jahrzehnten hin und wieder im bundesdeutschen Fernsehen über ihre Auftritte im Vorkriegsfernsehen, und man könnte dabei den Eindruck gewinnen, als hätte sich das Fernsehen der heiteren Unterhaltung verschrieben, politisch stubenrein und unanstößig. Denn bis vor gut zehn Jahren wusste man relativ wenig über die Inhalte des Fernsehprogramms im "Dritten Reich".

1999 wurden alte Filmdokumente wiederentdeckt und im Bundesarchiv kopiert und restauriert, die es erstmals nach dem Kriege erlaubten, den Fernseh-Seheindruck von damals nachzuerleben. Es waren auf Film vorproduzierte Reportagen, musikalischen Darbietungen und Kabarett, die zu DDR-Zeiten wegen ihrer politischen Brisanz weggeschlossen wurden. Und das, was man nun zu sehen bekam, war ernüchternd. Fernsehen im "Dritten Reich" war Fernsehen unter dem Hakenkreuz. Der immer wieder kolportierte Eindruck, dass das Fernsehen weitgehend unbehelligt von der nationalsozialistischen Propanda sein Eigenleben führte, erwies sich als rückwärtsgewandtes Wunschdenken. So konnte z.B. der sogenannte Erfinder des PAL-Farbfernsehens Walter Bruch jahrzehntelang immer wieder bei öffentlichen Vorträgen und im bundesdeutschen Fernsehen auf seine Mitwirkung bereits beim Nazi-Fernsehen hinweisen ohne dass jemand auf die Idee gekommen wäre, seine politische Funktion in diesem Zusammenhang zu hinterfragen.

Reichssendeleiter Hadamovsky hatte bereits 1934 für den Hörfunk das Leitbild vorgegeben, dem auch das Fernsehen untergeordnet wurde: "Die nationalsozialistische Bewegung ... hatte und hat Theorien und Ideale zu propagieren, die an sich unpopulär sind; nur besaß sie die Klugheit, all diese Dinge populär zu sagen und so an die Massen heranzutragen. Genau so muß der Rundfunk arbeiten .... Alles, was das Leben des deutschen Volkes ausmacht, soll der Rundfunk widerspiegeln. Volkshumor, heitere Dichtung, deutsche Volkslieder sind dazu angetan, nach Tagen harter Arbeit Stunden anspruchsvoller Freude zu bringen. Lachen und Freude geben den freudigen Lebenstakt für die harten Stunden der Pflicht .... Der Rundfunk, wie er heute ist, enthält sich nur scheinbar der Propaganda; er bringt sie indirekt." Die wiedergefundenen Filmrollen passten genau in dieses Leitbild: Loblieder auf die "braunen Kolonnen der SA", Animationen der Organisation "Kraft durch Freude", beinamputierte Soldaten im Lazarettfernsehen, die zur Volksmusik tanzen und versichern, das Leben sei schön, und arische Rassenkunde flimmerten über die ersten deutschen Fernsehbildschirme. Beiträge zur Meinungsbildung, die Diskussion kontroverser Themen oder gar kirchliche und religiöse Beträge fehlten völlig. Fernsehen war komplett darauf ausgerichtet, die Zuschauer auf die nationalsozialistische Linie zu trimmen. Und auch "Witze", die tief blicken ließen, flimmerten über die braune Mattscheibe: "Um mal wieder über die Musik zu sprechen: Ich freue mich eigentlich, daß es heute alles so wunderbar im Takt geht, nicht wahr? Wenn es auch hier und da immer mal so etliche Querpfeifer bei uns gibt ..., ach, da machen wir wenig Federlesen, die kommen zu ihrer weiteren Ausbildung in ein Konzertlager, wo man ihnen dann so lange die Flötentöne beibringt, bis sie sich an eine taktvolle Mitarbeit gewöhnt haben." - Humor auf Kosten der NS-Opfer im Fernsehen. Wieviele in Deutschland nachträglich behaupteten, sie hätten nichts von Konzentrationslagern gewusst und den Dingen, die da passierten, wurden nun nachträglich Lügen gestraft. Solche "Witze" im öffentlichen Fernsehen waren nur verstehbar, wenn es ein breites Wissen um die Vorgänge in und um den Zweck der Konzentrationslager gab.

Fernsehen im "Dritten Reich" war zunächst auf den Großraum Berlin beschränkt. Der Gerätepreis lag bei ca. 3000 Reichsmark und damit für die normale Bevölkerung praktisch unerschwinglich. Verteilt über die ganze Stadt wurden in den Postämtern öffentliche "Fernsehstuben" eingerichtet, die der Bevölkerung offen standen.

In England startete der reguläre Fernsehprogrammdienst am 2. November 1936. Das Programm umfasste Spielfilme, Kabarett, Musikdarbietungen, Sportereignisse, Nachrichten, Reportagen von Kunstausstellungen. In den USA war 1939 die Zusammensetzung des Fernsehprogramms ähnlich, allerdings machten dort ca. 17% des Propgramms schon Beiträge zur Erziehung und Lebenshilfe aus. 1941 starteten dort die ersten kommerziellen Fernsehstationen, die mittels Zuschauerbefragung bereits ermittelten, wie das Programm beim Zuschauer ankam. Im Oktober 1947 nach dem Kriege gab es das erste Mal Sonntags um 15 Uhr eine Stunde christliche Unterweisung im Rahmen der "Catholic Hour".

Im Gegensatz zum deutschen Fernsehen standen in England und den USA Geräte sofort für den privaten Verkauf zur Verfügung. Durch den Einsatz kleinerer Bildröhren und kompakter Technik waren diese Geräte auch erschwinglich, so dass bis Kriegsende nach Schätzung der Early Television Foundation ca. 19.000 privat genutzte Fernseher in Betrieb waren. (In den USA sollen es ca. 7000 Geräte gewesen sein und in Russland nach nicht bestätigten Quellen ca. 8000 Geräte.) Insgesamt wird die Anzahl deutscher Fernsehgeräte vor dem Kriege auf nur ca. 500 Geräte geschätzt, die in den Fernsehstuben und bei hohen Nazifunktionären standen.

Bis in die 1940er Jahre war die Fernsehtechnik in Deutschland eine Mischung aus mechanischer und elektronischer Bildverarbeitung. Da die frühen elektronischen Kameras (Ikonoskope und Farnsworth-Kameras) extrem hohe Lichtstärken brauchten, die nicht überall verfügbar waren, wurde für Außenaufnahmen das Zwischenfilmverfahren eingesetzt, bei dem die auf Film aufgenommene Szene sofort entwickelt wurde, um dann lichtstark auf einen Abtaster oder eine Kamera projiziert zu werden. Für die Filmabtastung im Studio wurden bis in die 1940er Jahre Nipkowscheiben verwendet. Die sehr schweren Fernsehkameras ließen die Kameraführung so träge werden, so dass es bei Livereportagen immer wieder zu Pannen kam: Versprecher und Ungeschicklichkeiten der Nazi-Größen gingen auf Sendung, bevor sie korrigiert oder retuschiert werden konnten. Hörfunk und Film waren da als Medien sehr viel gefügiger in den Händen der Nationalsozialisten und wurden daher auch höher geschätzt. Behindernd für eine zügige Entwicklung dieses neuen Mediums waren auch die Querelen zwischen der Reichsrundfunkgesellschaft, dem Propagandaministerium und dem Reichsminister für Luftfahrt, die sich nur schwer einigen konnten über die Zuständigkeit in Sachen Fernsehen.

75 Jahre Fernsehen in Deutschland bleibt ein ambivalentes Jubiläum, denn wirklich richtig konnte sich dieses neue Medium bis heute nicht von seinem "braunen Schatten" lösen. Gerhard Lampe schreibt treffend in seiner Studie zum Fernsehen im "Dritten Reich": "Keiner wird ernsthaft behaupten können, dass unser Fernsehen irgendetwas gemein hätte mit dem Medium, wie es die Nazis erprobten und planten. Und doch kommt es mir angesichts des heutigen Primats der Unterhaltung vor der Information so vor, als sei das Fernsehen, wie es Goebbels und Nierentz erträumten, erst seit Einrichtung des Dualen Systems verwirklicht. Seit der Etablierung der ‚Privaten' in den 1980er Jahren: Seit der Schwächung der öffentlich-rechtlichen Fernsehkanäle von außen und ihrer Auszehrung von innen sowie der daraus resultierenden Programmveränderung ist unser heutiges Fernsehen der Hadamovskyschen Bestimmung näher, als es uns lieb sein kann."

Literatur:

(1) Gerhart Göbel: Das Fernsehen in Deutschland bis zum Jahre 1945. In: Archiv für Post-und Fernmeldewesen, 5. Jg., 1953, S. 259-340. (Reprint)

(2) Michael Kloft: Fernsehen unterm Hakenkreuz : SPIEGEL TV Reportage, Teil 1 vom 21. Juni 1999, 23.00 Uhr; Teil 2 vom 28. Juni 23.00 Uhr auf Sat 1. Eine englische Version dieser Reportage ist im Internet zu finden unter dem Titel: Television Under The Swastika: The History of Nazi Television.

(3) Gerhard Lampe: Televisionen im "Dritten Reich". Korrekturen einiger Legenden auf der Grundlage neuer Quellenfunde. Vortrag auf der Jahrestagung des Studienkreises Rundfunk und Geschichte in Verbindung mit dem Südwestrundfunk in Baden-Baden am 17.11.2000 (28. Colloquium zur Rundfunkforschung)




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