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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 129 - März 2010


"Getrennt mir heilig - vereint abscheulich"
Ein Kommentar zur moralischen Autorität von Margot Käßmann

von Eckhard Etzold
(Download als pdf hier)

Das Pfarrergesetz bestimmt neben dem Dienstauftrag auch im §4 u.a.: "Die Ordinierten sind durch die Ordination verpflichtet, ... sich in ihrer Amts- und Lebensführung so zu verhalten, wie es dem Auftrag entspricht." Diese schwammige Formulierung führt immer wieder zu Konflikten, wenn es um die Frage geht, wann denn durch die Amts- und Lebensführung der Auftrag verletzt wird. Margot Käßmanns Alkoholfahrt Ende Februar 2010 wirft nun ein neues Licht auf diese Frage.

Schwerer Fehler?

Margot Käßmann behauptet von sich, einen "schweren Fehler" gemacht zu haben. Als Konsequenz gibt sie den EKD-Ratsvorsitz ab und das Bischofsamt auf. Sie begründet das mit der Beschädigung ihres Amts und ihrer Autorität, die damit verbunden ist: "Die Freiheit, ethische und politische Herausforderungen zu benennen und zu beurteilen, hätte ich in Zukunft nicht mehr so wie ich sie hatte. Die harsche Kritik etwa an einem Predigtzitat wie "Nichts ist gut in Afghanistan" ist nur durchzuhalten, wenn persönliche Überzeugungskraft uneingeschränkt anerkannt wird." Inwiefern hat das eine denn etwas mit dem anderen zu tun? Werden persönliche Überzeugungskraft und Autorität durch tadelloses Verhalten und Makellosigkeit begründet? Ist §4 des Pfarrergesetzes hier wirklich tangiert oder nicht?

Sie sei auch nur ein Mensch

Vielfach ist in den Reaktionen darauf hingewiesen worden, dass sie selbst "auch nur ein Mensch" sei, eine Trivialität, über die man eigentlich nicht spricht, die aber offenbar in dieser Situation wieder ins Gedächtnis gerufen werden muss. Und ebenfalls trivial ist die Feststellung, dass solche "schweren Fehler" wirklich jedem Menschen passieren können, egal in welcher Position oder in welchem Amt er sich gerade befindet. Aber gerade diese "trivialen Äußerungen" machen deutlich, dass hier unterschwellig doch mehr dahinter steckt.

Wenn eine Ratsvorsitzende wegen eines solchen "schweren Fehlers" zurücktritt, bedeutet das im Umkehrschluss, dass ihr solche Fehler im Amt hätten nie unterlaufen dürfen. Im Klartext: Sie muss in ihrer Amtsführung unfehlbar sein. Das Unfehlbarkeitsdogma gibt es in der katholischen Kirche, unsere Kirche hat sich jedoch aus gutem Grund davon distanziert. Bei Licht betrachtet, wirkt das Unfehlbarkeitsdogma auch bei uns, nur verborgener und damit gefährlicher. Beansprucht der Papst "lediglich" Unfehlbarkeit in Sachen Lehrentscheidungen und Dogma, so erwartete die ehemalige Ratsvorsitzende Unfehlbarkeit von sich selbst in der persönlichen Lebensführung. Das wird freilich nicht so gesagt, sondern eher durch Attribute wie Glaubwürdigkeit, Rückgrad, Gradlinigkeit und Würde kaschiert. Im Kern aber ist immer ein Persönlichkeitsbild gemeint, das sich durch perfekte Deckungsfähigkeit von Wort und Leben auszeichnet und keine Abweichungen davon duldet. Mit ihrem Rücktritt hat Margot Käßmann genau dieses (un)evangelische Unfehlbarkeitsdogma ins Recht gesetzt, sich selbst damit zum Opfer der Unfehlbarkeit gemacht, und diese indirekt nun auch noch den Gläubigen zugemutet, die versuchen, ihr darin mehr oder weniger schlecht nachzufolgen, und die damit letztlich genauso überfordert sind wie sie selbst. Die evangelische Hamartiologie hat diesen Punkt geradezu akribisch bis ins letzte Detail durchdekliniert und deutlich gemacht, dass alle Menschen (ohne Ausnahme!) fehlbar und gefährdet sind, und der Vergebung bedürfen, und es da keine Ausnahmen gibt.

Und auch, was die Moral betrifft, hat die evangelische Theologie sauber erkannt, dass die Wahrheit nicht durch entgegengesetztes Verhalten dessen, der sie vertritt, infrage gestellt werden kann (CA 8). Dass die Person nicht durch ihre Taten konstituiert wird, und dass das Amt auch nicht durch das Verhalten des Amtsinhabers begründet ist, sondern allein durch das Wort Christi, öffnet einen weiten Raum, in dem beides zusammenfinden kann: der Gehorsam gegenüber dem göttlichen Verkündigungsauftrag angesichts, inmitten und durch alle menschliche Fehlerhaftigkeit hindurch.

Natürlich geht es nicht ganz ohne Moral. Der Gesetzgeber hat für moralische Verfehlungen einen ganzen Katalog von Sanktionen und Strafen vorgesehen, die aus gutem Grund ein bestimmtes Maß nicht überschreiten dürfen. Führerscheinentzug und Geldstrafe bei Alkohol am Steuer sind angemessen. Die Zerstörung einer bedeutsamen Karriere ist es nicht mehr, und das hatte auch niemand in Politik und Kirchenleitung laut vernehmlich so gefordert. Mit Recht. Denn zwischen der Lasterhaftigkeit von Renaissancepäpsten und den hohen moralischen Ansprüchen heutiger Amtsinhaber liegt ein weites Feld, und die Aufgabe in der Zukunft wird es sein, hier ein menschliches Maß von dem zu ermitteln, was man von einem Amtsinhaber erwarten darf und was an Fehltritten tolerabel ist. Der Maßstab für eine solche Toleranz wird mit Sicherheit da liegen, wo im Lichte eigener Fehltritte die Autorität Christi so beschädigt wird, dass sie nicht mehr richtend und rettend anderen und auch mir gegenüber zu Worte kommen kann. Das gilt nicht nur für Bischöfe, sondern hinab bis zur "untersten" Pfarrerin oder bis zum "untersten" Pfarrer.

Die Moral hat keine Vorbilder nötig

Immanuel Kant hat in seiner Kritik der praktischen Vernunft (§8) die Moral allein aus der Freiheit des Einzelnen begründet: "Die Autonomie des Willens ist das alleinige Prinzip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten... Also drückt das moralische Gesetz nichts anderes aus, als die Autonomie der reinen praktischen Vernunft, d.i. der Freiheit, und diese ist selbst die formale Bedingung aller Maximen, unter der sie allein mit dem obersten praktischen Gesetze zusammenstimmen können". Friedrich Daniel Schleiermacher ist Kant in diesem Punkt gefolgt und hat in seiner Ethik darauf insistiert, dass auch die Moral des Christen autonom sein muss. Als Christ glaube ich, aber ich ziehe aus dem Christentum keine Moral. Dort, wo ich mich moralisch verhalte, geschieht das einzig aus der eigenen freien Willensentscheidung.

Aus solchen Überlegungen heraus verbietet es sich schon, ein kirchliches Amt als Moralinstanz anzusehen. Und noch kritischer wird es, wo dieses Amt auch noch vorbildlich sein soll: Lebt so, wie ich es euch sage und mit meiner Person verkörpere! Das ist nicht nur eine infantile Forderung, in der die - mit Recht geforderte - moralische Autonomie sich in eine kindliche, unselbständige Gehorsamsethik verkehrt. Sie widerspricht auch dem Auftrag Christi, denn Jesus hat uns in die Nachfolge berufen und nicht dazu, Vorbilder zu sein. Vorbilder führen in die persönliche Abhängigkeit, in der die Bezugspersonen ihre eigene Freiheit aufgeben und - im Falle des vorbildhaften Versagens - den Verlust ihrer Mutterfigur betrauern und beklagen, wie man an den epidemischen Trauer- und Betroffenheitsreaktionen zum Rücktritt der Ratsvorsitzenden und Hannoverschen Landesbischöfin im Gästebuch der landeskirchlichen Website zuhaufe und in der hannoverschen Marktkirche studieren kann: "Traurigkeit - Rund 500 Hannoveraner waren am Sonntag in die Marktkirche gekommen, um Abschied von Margot Käßmann zu nehmen. ..."

Wo das kirchliche Amt so sehr auf die rechte vorgelebte Moral gründet, die sich hier offenbar nicht von selbst versteht, schwebt darüber immer das Damoklesschwert der Enttäuschung infantiler Erwartungen, und wie das in solchen Beziehungen oft ist: das moralische Versagen einer vorbildhaften Elterninstanz führt zur Abkehr der unmündigen Kinder. Die Autorität ist zerstört. Die beschädigte Autorität, die Margot Käßmann beklagt, ist eine beschädigte Elternautorität gegenüber von Kindern. Aber ob sie dadurch in Widerspruch zu ihrem Auftrag geriet, bleibt fraglich. Das ebenfalls im Gästebuch der hannoverschen Landeskirche oft zitierte Jesuswort "Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein", macht deutlich, dass Jesus etwas anderes im Sinn hat, als Karrieren zu zerstören wegen moralischer Fehltritte.

Insofern hat der Rücktritt auch eine gute Seite: er gibt all denjenigen, die in Margot Käßmann eine moralische Instanz sahen, der sie nachfolgen können oder zumindest in die sie ihre eigenen moralischen Erwartungen projizieren können, nun die Chance, erwachsen zu werden. Für all diejenigen, die in ihr eine Ikone, ein Vorbild sahen, mag das ein Verlust sein. Aber im Sinne der gewünschten evangelischen Freiheit und der Nachfolge Christi ist das ein Gewinn.

Getrennt mir heilig - vereint abscheulich?

Margot Käßmann hätte nicht zurücktreten brauchen. Was sie schrieb, sagte und forderte, wurde durch ihren "schweren Fehler" nicht in Frage gestellt. Auch das zeigen all die Reaktionen auf ihren Rücktritt. Wäre sie geblieben, so hätte sie die Chance nutzen können, mit ihrem eigenen Unfehlbarkeitsanspruch zu brechen, und mit all jenen, die enttäuscht von ihr sind, evangelische Sündenlehre und Autonomie der Moral sauber zu unterscheiden und die Amtsführung in der Weite und den Grenzen der Nachfolge Jesu zu bestimmen. Ein passendes Thema gerade in der Passionszeit. Aber so, wie es jetzt gelaufen ist, hat sie anscheinend diese Chance vertan. Vielleicht war sie einfach auch nur diese Rolle satt wie Claus Röck schrieb, die so quer und unmenschlich ist und eigentlich nicht zu ihr passte. Nun ist das Feld wieder frei für die nächsten Amtsinhaber, die sich zur moralischen Instanz aufschwingen werden. Ihr Scheitern ist jetzt bereits voraussehbar. Das jedenfalls hat die Trunkenheitsfahrt Margot Käßmanns und ihr Rücktritt gezeigt.

Es wäre jetzt Zeit, endlich Schluss zu machen mit solchen unmenschlichen Idealen und Unfehlbarkeitsansprüchen. Wir brauchen keine moralisch unfehlbare Kirchenleitung, wir brauchen dort an der Spitze Menschen, die sich ihrer Berufung bewusst sind und ihr Handwerk verstehen, und es auch demütig aushalten können, Fehler zu machen.

Zum Schluss Schleiermacher. Zur Unvereinbarkeit von Religion und Moral lieferte er folgende kleine Scharade wie sie ähnlich zu seiner Zeit häufiger in den Zeitungen erschienen: "Getrennt mir heilig - vereint abscheulich?" Als Wortspiel ist "Mein Eid" gemeint, im doppelten Sinne aber auch das Gespann Moral und Religion. Wo diese vermengt werden und unter dem Anspruch eines kirchlichen Amts Moral verkörpert wird, da wird's in der Tat abscheulich.




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