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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 129 - März 2010


Der Rücktritt

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Der ungeklärte Hergang
Bischöfin Käßmann fuhr mit ihrem Dienstauto am Sonnabend vor Invokavit, dem 20. Februar, abends in die Stadt. Wohin, mit wem, zu welchem Anlass bleibt ungeklärt und ungesagt. Bei der Rückfahrt hatte sie einen Begleiter neben sich sitzen, fuhr bei Rot über die Kreuzung und wurde von der Polizei bis zu ihrem Privathaus verfolgt, dort gestellt und wegen eines Alkoholtestes zur Wache mit genommen. Der Begleiter begleitete sie nicht zur Wache, ob er ins Haus ging oder verschwand, bleibt ungeklärt und ungesagt. Warum er sie nicht vor der Fahrt warnte und während der Fahrt bei dem Überqueren stoppte, ungeklärt. Warum sie nicht ein Taxi bestellte und zugleich einen Taxifahrer für ihr Dienstauto, was häufiger in Promikreisen passiert, ist ungeklärt. Die Polizei stellte einen hohen Alkoholwert fest, und benachrichtigte die Staatsanwalt. Wie kam die Bischöfin nach Hause? Mit einem Dienstwagen der Polizei, mit Taxi? Hatte sie am Sonntag Predigtdienst? Wo? Ungeklärt. Das Amtsgericht nahm ihr am Montag den Führerschein ab.
Was war am Montag los? Am Dienstag berichtete BILD von der Fahrt und eine bedauernde Erklärung von der Bischöfin. Sie sei erschrocken über sich selbst, sprach von einem "schlimmen Fehler" und werde sich den rechtlichen Konsequenzen stellen. Die Bischöfin sagte alle Termine ab. Am Mittwoch berichtete BILD: "Sie war nicht allein" und Mittwochzeitungen in großer Aufmachung. Ab Dienstag abend konferierte der Rat der EKD zusammen mit der Ratsvorsitzenden und sprach ihr das Vertrauen aus. Keiner sprach sich aber für ihr Verbleiben im Amt aus. Die sog. "Vertrauenserklärung des Rates wurde unterschiedlich bewertet: Die Hannoversche Presse überschrieb die Meldung mit "Ihr Heuchler". Insider meinten, diese Vertrauenserklärung sollte der Ratsvorsitzenden den Weg für einen selbstgewählten Rücktritt freihalten. Die Ratsmitglieder sprachen von einer echten Vertrauenserklärung, die also auch ein Verbleiben ermöglicht hätte. Am Mittwoch erklärte Frau Käßmann am Nachmittag in einer knappen Erklärung ihren Rücktritt vom Amt der Ratsvorsitzenden und der Hannoverschen Landesbischöfin. Fragen zum weiteren Hergang waren nicht erlaubt. Die Hannoversche Presse vom 25.2. nannte "Drei Rätsel nach Rücktritt". "Rätsel eins Wer saß mit der Bischöfin im Dienstwagen? Rätsel zwei: Warum nahmen die Polizisten nicht die Personalien von Käßmanns Begleiter auf? Rätsel drei: Wo verbrachte die Bischöfin den Abend?" Die Reporterin Britta Lüers hatte offenbar eine Erklärung erwartet. Aus ihrer Sicht war dann der Rücktritt ein Akt der Feigheit, die Dinge wirklich beim Namen zu nennen, wofür Frau Käßmann doch so gerühmt wurde. Selbst in der konservativen Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 28.2. titelte Lydia Harder auf S. 6 "Margot Käßmann hat ihr Leben immer als öffentliche Angelegenheit behandelt. Jetzt schweigt sie, will nichts von dieser Nacht preisgeben". Christiane Hoffmann war bei der Rücktrittserklärung dabei und schrieb davon in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (S. 10): "Warum mochte sich jedenfalls bei mir - keine wirkliche Anerkennung einstellen, während der "tapfere Rücktritt" schon die TR (Trunkenheitsfahrt) überstrahlte? Mit ihrem tapferen Rücktritt verwandelte sich Frau Käßmann in atemberaubender Geschwindigkeit von der Täterin wieder in ein Opfer. Und die Täter standen auch gleich fest: "So manches, was ich lese, ist mit der Würde des Amtes nicht vereinbar", sagte sie in ihrer Erklärung So ist es also: Nicht die Trunkenheitsfahrt hat die Würde des Amtes verletzt, sondern die bösen Schreiberlinge." In einem weiteren Kommentar vermutet Volker Zastrow "andere Gründe, die wir nicht kennen, die aber an den Tag gekommen wären, wenn Käßmann im Amt ausgeharrt hätte - und die sie es dann unweigerlich gekostet hätte." Damit wäre auch erklärt, warum die Hannoversche Kirchenleitung den Rücktritt angenommen hat. Sie hätte ihn nach Zastrow erst annehmen sollen, nachdem sich Frau Käßmann komplett erklärt hätte. Daran hatte sie aber offenbar auch kein Interesse.
Am 25.2. erhob die Hannoversche Allgemeine Zeitung Frau Käßmann zur "Bischöfin der Herzen" (S.15). Lady Diana Käßmann - die Tragödie endete im Satyrspiel.
Der Vorhang fiel rasch.
Schon am Freitag berichtete die Presse, dass der Lüneburger Landessuperintendent die Geschäfte der Landesbischöfin in Hannover und der stellvertretende Ratsvorsitzende Präses Schneider die Dienstgeschäfte im Rat weiterführen würden.

Das Echo
Das Echo aus den Gemeinden war ein überwältigender Vertrauensbeweis. Die meisten wollten, dass sie in beiden Ämtern weitermachte. Frau Alice Schwarzer fand den Rücktritt falsch und unverhältnismäßig. Sehr viele fanden ihn deshalb richtig, weil Frau Käßmann durch den Rücktritt an Glaubwürdigkeit sogar gewonnen hätte. Sehr viele machten ein gehässiges Presseecho für den Rücktritt verantwortlich und erklärten den Alkoholkonsum mit einem "unerträglichen Druck" in ihrem Amt.
Andere Reaktionen waren ganz abweisend und lobten die Gleichheit vor dem Gesetz und dass es für Promis keine Ausnahme gebe. Das sollte auch für leitende Männer gelten.

Bereits am Freitag meldeten sich CDU und Grüne in Hannover (Neue Presse 26.2. S. 3) und wünschten Käßmanns künftige Tätigkeit in der Politik und gar in ihrer Partei. "Sie wäre eine Bereicherung für die CDU". Die Hannoversche Presse zitierte einen Kircheninsider, der sie als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten vorschlug. Die Landeskirche plane eine würdige, offenbar größere Verabschiedung. "Bischöfin soll feierlich verabschiedet werden".

Mein Senf
Frau Käßmann, die, so die Braunschweiger Zeitung, immer wieder die BILD Zeitung bediente und auch jetzt noch am Montag, der BILD Rede und Antwort stand, ist gegenüber ihren Gemeindemitgliedern und ihrer Kirche einen sorgfältige und genauen Bericht über den Hergang schuldig. Der rasche Rücktritt und ihr Schweigen in der Rücktrittserklärung zum Hergang hat auch den Effekt, über den Hergang den Vorhang herunterzulassen. Vermutlich wird Frau Käßmann darin von ihrer Landeskirche unterstützt. Das finde ich völlig unmöglich.

Die Begründung für die Straftat, nämlich der viel zitierte "Druck", der auf dem Amt laste, finde ich ebenfalls völlig unzureichend. Sehr viele Pfarrerinnen und Pfarrer haben in ihren Ämtern ebenfalls einen sehr starken Druck auszuhalten, vor allem durch die belastende Seelsorge. Andere Berufsgruppen übrigens auch, die Lehrerinnen z.B. etwa gegenüber Eltern, die Druck machen. Sie erhalten keinen Zuspruch, wie er Frau Käßmann in reichem Maße zuteil wurde, gerade in der immer erwähnten Afghanistansache. Selbst der Bundespräsident hat sie öffentlich (!) dafür gelobt. Was will sie mehr!

Die völlig überzogen positive und einseitige Darstellung der Person von Frau Käßmann in der Presse ist von ihr selber hingenommen und auch geschürt. Nur kurz wurde in der Hannoverschen Presse auch erwähnt, dass Frau Käßmann als Landesbischöfin kurz angebunden und rigoros sein konnte. Sie hätte einem Superintendenten zu dessen Überraschung wegen Unregelmäßigkeiten in der Finanzwirtschaft in seinem Kirchenkreis zum Rücktritt geraten. Diese andere Seite, ihre schroffe, gelegentlich rotzige, dann unzugängliche und abweisende Art wird überhaupt nicht beachtet. Dafür gibt es in ihrer Landeskirche in der Personalführung eine Reihe von Beispielen und auch in unserer Landeskirche gibt es entsprechende Erfahrungen. Ich empfand ihren Auftritt bei der Rücktritterklärung keineswegs als souverän, sondern abweisend gegenüber weiterführenden Fragen und trotzig/rotzig und verspannt. Das ist als Abwehrhaltung verständlich.

Ganz unzulässig und überhaupt nicht vorbildhaft halte ich die Abhängigkeit von Landesbischöfin Käßmann von der veröffentlichten Meinung, den Zeitungen. Die können sich doch die Finger wund schreiben, und man weiß doch aus langer Erfahrung: heute schreiben sie dies und morgen das Gegenteil! Nie und nimmer also kann und darf das, was die Zeitungen schreiben, vom Auftrag und Dienst abhalten. Es tut mir leid: wem das Geschrei der öffentlichen Meinung mehr wert ist als die Stimme der Gemeinde und als der Zuspruch des Evangeliums, der muss sich von andern sagen lassen, dass er dem Auftrag mehr zu trauen habe und ihm verpflichtet ist, als einer persönlichen Empfindlichkeit. Mein Himmel, was hat sich Präses Scharf in den 60er von der Springerpresse anhören müssen, nachdem er die Meinhof im Gefängnis besucht hatte. Was hat Bischof Lilje in der Presse im Oktober/November 1965 nach der Ostdenkschrift lesen müssen! Das ging bis zu Todesdrohungen. Dagegen sind die Ausfälle gegen Bischöfin Käßmann geradezu harmlos.
Sie hat in meinen Augen Dienst und Auftrag kurzschlüssig weggeworfen.

Für ein biblisches Ärgernis halte ich den Schlusssatz ihrer Rücktrittserklärung, man könne nicht tiefer fallen als in Gottes Hand. Das war der leichtsinnige Zuspruch eines Marinepfarrers, Arno Pötzsch, der das entsprechende Lied im 2. Weltkrieg für "gefallene" deutsche Soldaten gedichtet hat. Er hatte in Gedächtnisgottesdiensten für "Gefallene" den anderen Soldaten wie Angehörigen Trost zuzusprechen. "Das Wort vom "Fallen" hat in den "gefallenen" Soldaten seine Herkunft. Es steht leider im EG Nr. 533 und wurde mehrfach im Gottesdienst in der Marktkirche am 1.3. dargeboten. Gilt diese problematische, unbiblische Aussage auch für jene mörderischen deutschen Kommandos, die in Weißrussland Tag für Tag Frauen, Kinder, Zivilisten gemordet haben, auch für KZ Kommandos? Man kann sehr wohl auch in die Hände des Satans, des Unmenschen, des Verderbers fallen, man kann sein Leben auch verfehlen. Was Gott dann damit macht, das ist Seins. Das sollten wir ihm überlassen und nicht flott für uns und schon gar nicht für uns selbst in Anspruch nehmen. Wir können nur wie an jedem Sonnabend beten: "Wandle in Segen, was in unsrer Hand verdorben ist". Das Zitat halte ich für theologischen Leichtsinn und der passt zur Situation. Es wurde auch ausführlich in der Kanzelabkündigung der Kirchenleitung bedeutungsvoll am Schluss zitiert.
"Nicht tiefer als in Gottes Hand" klingt nach einem ganz bösen Ende. Die Dame fällt weich! Sie bekommt über 8.000 € die nächsten drei Monate wie die Regionalpresse meldete, aber keine Luxuslimousine mehr. Die Ärmste!
Fahrrad gefällig?

Wie geht es weiter?
Ich hatte nicht angenommen, dass Frau Käßmann so abrupt zurücktritt, sondern für zwei Monate in Klausur geht, sich mit ihrem Bruder Innerlich bespricht und dann die Entscheidung über eine Rückkehr den Gremien in Hannover und im Rat der EKD überlässt. Was ist die ganze angeblich so zentrale Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders wert, wenn sie nach der kräftigen Sünde einer Trunkenheitsfahrt die Rückkehr der verlorenen Tochter für unmöglich hält? An die Stelle der Rechtfertigung hat Frau Käßmann eine theologisch unzulässige komische Figur von Vorbild und entrückter unantastbarer moralischer Unversehrtheit gesetzt. Die sog. Würde ihres Amtes hängt nicht von ihrer moralischen Unfehlbarkeit ab, sondern von einem lebendigen, gut paulinischen, evangelischen Glauben, dass Gottes Kraft auch und gerade in schwachen Gefäßen lebendig ist. Wer Gottes Kraft nur in Gefäßen mit Goldrand und Pressezuspruch erstrebt, kann sich nicht auf die Schrift berufen.
Hoffentlich hat auch das Gequatsche von der Würde ein Ende. Wo war die Würde Jesu auf Golgatha? Da hätten sich wohl alle Frommen und Kirchenleitungen abgewandt: das Kreuz sei mit der Würde des Gottes Sohnes unvereinbar.
Eine Rückkehr ohne falsche Würde und "in irdenen Gefäßen" hätte ich kirchenpolitisch für angemessen und theologisch für weiterführend gehalten. Denn sie war eine gute Ratsvorsitzende und hat, so die taz, in den vier Monaten mehr erreicht als ihr Vorgänger in sechs Jahren. Ihr Afghanistandiktum habe ich ohne Vorbehalte geteilt und die Kritik gerade der SPD für unanständig gehalten. Auch ihre deutliche Art gegenüber diesem Papst fand ich richtig. Diese Möglichkeit ist leider vorbei.
Zweite Möglichkeit: sie übernimmt einen Lehrauftrag in England oder USA und kehrt nach drei bis fünf Jahre wieder in deutsche Verhältnisse zurück. Davon war schon früher die Rede.
Es wird anders kommen. Am Sonntag, dem 28.2. wurde von allen Kanzeln ein Wort der Kirchenleitung verlesen (nächste Seite), aus dem hervorging, dass eine Rückkehr ins Bischofsamt nicht möglich ist, aber für alles andere Dank, Dank, Dank. Das soll dann den "würdigen Abschiedsgottesdienst" vorbereiten. Da unterschätzt die Hannoversche Kirchenleitung die Wut der volkskirchlichen Massen, es sei denn, der Abschied findet hinter verschlossenen Türen vor geladenem Kreis statt.
Die volkskirchliche Masse will einen fetten Abschiedsgottesdienst, in dem sie mal wieder ihre ungeteilte, unkritische Zustimmung zur Person Margot Käßmann demonstrieren kann. Das wäre dann auch wieder was für BILD, HAZ, und den Boulevard. Die ungebrochene Ikonisierung setzte sich am Sonntag, dem 1. März fort: "Abschied von der "Bischöfin der Herzen. Gottesdienst für Käßmann". (HAZ 1.3.10 S. 11).
Selbst wenn derlei nicht zustande kommt:
Frau Käßmann war für den Münchner ökumenischen Kirchentag im Mai für 18 (!) Veranstaltungen vorgesehen, einige in der Funktion als Ratsvorsitzende, andere aber als Pastorin. In letzterer Funktion bliebe die Einladung bestehen, erklärte ein Mitglied des Sekretariats und erwartete nun sogar noch mehr Zuspruch. Das also ist die nächste große Versuchung: Frau Käßmann schwimmt in den nächsten Monaten als Pastorin auf der unerhörten Sympathiewelle, und dann kann die Polizei, wenn sie in der Marktkirche predigt, den ganzen Kirchplatz absperren, denn dann strömt tout Hannover zu Frau Pastorin Käßmann, - hoffentlich auch zum Evangelium.


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