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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 130 - Juni 2010


Brasilienrundbrief März 2010
des Arbeitskreises Brasilien im Ev. Stadtjugenddienst Braunschweig

von Hans Goswin Clemen
(Download als pdf hier)

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

nach längerer Zeit schreibe ich Ihnen, wie die Situation in den von uns unterstützten Projekten in der Region Lebom Régis/SC ist, welche Fortschritte die Familien erreicht haben, welche Rückschläge gekommen sind und welche Hoffnungen die Menschen bewegen.

Nach den großen Fortschritten beim Aufbau der Gemüsekooperative, die ich im letzten Rundbrief weitergeben konnte, hat das Jahr 2009 mit den großen Unwettern in Santa Catarina auch "unseren" Familien großen Schaden zugefügt. Wir hatten gehofft, dass die Kooperative von 2010 an schon auf eigenen Füßen stehen würde und weitere Familien aufnehmen könnte.

Doch Baldomar Schregele schreibt:
In diesem Jahr 2009 hatten wir großen Schaden:
Zuerst gab es Regen, der Santa Catarina für mehr als 30 Tage verschlang und nichts blieb übrig. Und als wir wieder pflanzten, gab es Sonne fast 3 Monate. Wir hatten kein Wasser, nicht mal für die Bewässerung der Pflanzen. So pflanzten wir nur an den Ufern der Bäche; und dann gab es zeitweise Sturm, der unsere Gewächshäuser zerstörte. Aber wir pflanzten immer wieder aufs Neue und sind dem ganz ausgeliefert. Wir haben keine Gewächshäuser mehr, nichts, womit wir sie wieder aufbauen können.

Die Gewächshäuser sind nötig, damit sie das ganze Jahr produzieren können. Sie liefern ihre Produkte an die Armen in der Stadt, in die Schulen, Krankenhäuser, Kinderheime und werden dafür von einer staatlichen Stelle bezahlt. Dieser Vertrag bedingt aber ganzjährige Lieferung. Und es gab weitere Schwierigkeiten:
Ein Verkaufs- und Lagergebäude haben wir auch noch nicht gebaut. Die Regierung hat die Mittel dafür noch nicht frei gegeben. Aber sie will es tun. Hier in Brasilien haben die Gesetze zur Freigabe von Mitteln an die Kleinen sehr viel Bürokratie im Weg. Aber nach dem Bau eines Verkaufslagers wollen wir eine Konservenfabrik aufbauen.

Sie haben den Mut nicht verloren. Und ihr ökologischer Anbau hätte auch Abnehmer:
In dieser Woche hatten wir den Besuch vom Besitzer der Cosinha Industrial de Joinvile/SC, die 9.000 Essen pro Tag servieren. Sie wollten mit uns einen Vertrag machen, das wir 25.000 Kilo unserer Produkte pro Woche an sie liefern. Aber dafür haben wir leider noch keine entsprechenden Strukturen. Wir sind darauf angewiesen, eine landwirtschaftliche Ausrüstung zu haben: Traktor mit Pflügen, Sämaschine, auch um organischen Dünger auszubringen, Maschine zum Waschen und noch andere Elemente. Wir haben diese Sachen in Brasilia beantragt vor über einem Jahr. Sie haben uns versprochen, sie im Mai des kommenden Jahres frei zu geben.
Wir können von der Landesregierung einen Lieferwagen im Wert von 35.000R$ bekommen, der 8.000 kg Gemüse transportieren kann. Wir haben dafür 13.500R$ aufzubringen, so sieht es das Landesgesetz vor. Und noch wissen wir nicht, von wo wir diesen Wert aufbringen können.

Im Moment können wir keine weiteren Mitglieder in die Coop aufnehmen. Aber es sind viele Leute, die Mitglied werden wollen. Im nächsten Jahr werden wir langsam mehr aufnehmen, aber mit den Füßen auf dem Boden.

Das Landstück Saltinho, auf dem ich mit 11 Familien wohne, ist immer noch nicht enteignet. Es ist immer dasselbe mit INCRA. Sie verspricht nur aber macht nichts.

Damit ihr eine Vorstellung habt:
In Santa Catarina gibt es 1.500 Familien Acentados  1.800 Familien in Lagern
In Rio grande do Sul 6000 12000
In Parana 6000 16000
In ganz Brasilien 450000 370000

Acentados
sind Familien, die Land besetzt hatten und es endlich von der Regierung erhalten haben. Familien im Lager haben Land besetzt und warten und hoffen noch auf die Legalisierung durch die Regierung.

Es fehlt die versprochene echte Agrarreform, denn es warten noch immer - auch von der Regierung anerkannt - 5 Millionen Familien auf Land.

Lula, der 2001 von den Armen gewählte Präsident, hatte ein Land übernommen, das in der Schuldenfalle steckte: 240 Milliarden US$ Auslandsschulden. Durch immer neue Umschuldungen war die Zinslast auf 70 Milliarden pro Jahr gestiegen. Als sich Lulas Wahlsieg abzeichnete, musste er in der Wallstreet unterschreiben, den Schuldendienst zu bedienen. Der muss in Devisen gezahlt werden. Also müssen Produkte wie Soja, Rinder und Eisenerz in Massen produziert und ins Ausland verkauft werden. Eine tolle Sache für die Geldverleiher. Das ging nun schon viele Jahre auch vor 2001 so. Wie viel mal ist die Schuldsumme schon in Form von Zinszahlungen ins Ausland bezahlt worden!?

Lula hat jetzt keine Auslandsschulden mehr - er hat die hauptsächlich von den Militärregierungen angehäuften Schulden abbezahlt. Die internationale Finanzwelt hat Brasilien nicht mehr im Würgegriff. Lateinamerika steht auf, steht auf gegen USA, EU und Japan. Es gibt keinen exklusiven G8-Gipfel mehr. Lula ist jetzt dabei beim G20-Gipfel.

Aber welchen Preis hat Lula dafür bezahlt!
Er hat die Produktivität des Landes enorm gesteigert, ganz im kapitalistischen Sinne: der Sojaanbau wurde ausgeweitet, die Rohrzuckerproduktion zur Treibstoffgewinnung vergrößert, der Genanbau für Mais u. a. Pflanzen erlaubt, die Industrieproduktion und die Energie mit Atomkraftwerken und Wasserkraft vergrößert. Und das alles ohne Rücksicht auf betroffene Bevölkerungsgruppen und die Umwelt.

Ist jetzt nach dem Schuldenabbau damit Schluss? Nein, die Großprojekte gehen weiter. Im Amazonasbecken werden 2 neue gigantische Staudämme gebaut, neue Atomkraftwerke sind in Planung und Lula möchte der Biospritlieferant der Welt werden. Wird er die neoliberalen Geister nicht mehr los oder hat er selbst "einen reichen Kopf" bekommen?

Aber so hat sich Brasilien verändert, auch bei den Armen kommt etwas an: Lula zahlt mit dem Programm Bolsa Familia jeder Mutter, deren Einkommen unter dem Mindestlohn liegt, einen Betrag von bis zu 200R$ im Monat. Das hilft vielen zum Überleben. Im Oktober endet Lulas Amtszeit. Wie wird es weitergehen?

Die Landlosenbewegung engagiert sich weiter in der Politik, um auf demokratischem Weg Veränderungen zu erreichen.

So sind aus allen Assentamentos Leute in der Arbeiterpartei PT und in den Gewerkschaften, auch Baldomar Schregele. Die Ausbildung der Leute ist wichtig. Baldomar schreibt:

Ich habe viele Versammlungen mit unseren Mitgliedern der Kooperative, den Produzenten und den Stellen, die unsere Produkte bekommen. Ich mache Ausbildung mit den Mitgliedern über Gründung, wie die Dünger und organischen Fungozide, die die Pflanzen schützen, hergestellt und benutzt werden, damit sie 1a Qualität sind alles nach dem Projekt Terra Solidaria.

Ich kann fast gar nicht mehr auf dem Feld mitarbeiten. Ich bin jetzt 61 Jahre. Ich bin müde und leide sehr unter den jahrelangen Reisen zu den Versammlungen, den Landbesetzungen, der Organisation der Assentamentos, den Gewerkschaften, Zusammenschlüssen, Cooperativen, der PT und besonders im MST. Ich bin müde, aber ich höre nicht auf zu kämpfen. Ich bin bei allen Kämpfen an der Spitze dabei. Ich kann mich nicht in den Ruhestand setzen.

Wer die Gruppen der Landlosen unterstützt, gibt kein Almosen - die von der Herren Tische fallen - sondern beteiligt sich an der Veränderung der Welt. Die Selbstorganisation der Landlosen in Brasilien kämpft nicht nur ums Überleben. Sie wollen eine andere Welt in Gang setzen. Eine Welt, in der nicht immer wieder neu Armut produziert wird. An dieser Veränderung müssen alle beteiligt sein. Es geht nicht nur darum, ein Stück Land zu bekommen, um dann darauf den "eigenen" Lebensunterhalt zu erarbeiten nach den bisherigen Regeln und Methoden des Wirtschaftens: mit so wenig Aufwand wie nötig so viel wie möglich für sich heraus holen und sich gegen die Konkurrenz behaupten. Es geht um ein neues Denken, um neue Regeln, die ausgerichtet sind am gemeinsamen Überleben, an Regeln, die andere nicht kaputt machen und an der Erhaltung unserer Umwelt. Das diskutieren und überlegen die Menschen schon auf den Landbesetzungen in den Lagern, und das beginnen sie, wenn sie Land erhalten und darauf leben und wirtschaften. Die einzelnen Formen des neuen Lebens sind unterschiedlich, die Ziele aber sind gleich. Wir können uns auch von hier an diesem Kampf beteiligen mit Eingaben und Protesten an die Regierenden hier und dort. Ich werde solche Aktionen an Sie weiterleiten. Jetzt machen wir einen Protest gegen den Bau des Wasserkraftwerks Belo Monto am Xingu. Infos unter: www.plattformbelomonte.blogspot.com

Dank Ihrer Unterstützung konnten wir schon Anfang des Jahres 7.380€ in 10.500US$ an Baldomar Schregele schicken, damit die Arbeit dort weitergehen kann.

Dafür sage ich Ihnen im Namen der Familien dort ganz herzlichen Dank.

Abraco

Hans Goswin Clemen

* Ich bin gerne bereit in Ihre Gruppen zu kommen, um noch genauer zu informieren und Fragen zu beantworten.
Und noch eine Bitte: Wer EMAIL hat, diesen Brief aber noch per Post erhält, maile uns doch seine EMAIL, damit wir sparen können.




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