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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 130 - Juni 2010


Von Berlin geht wieder Krieg aus,
das durfte der Bundespräsident nicht sagen

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Bundespräsident Köhler auf dem Rückflug von China über Afghanistan nach Berlin in einem Rundfunkinterview Mai 2010:

"Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg."


Was der Bundespräsident im Flugzeug dem Rundfunkreporter gesagt hat und Deutschland Radio am 22.5 sendete, ist ein alter Hut und längst bekannt. Volker Rühe, verteidigungspolitischer Sprecher der CDU, hat bereits 1992 den Kaukasus für ein deutsches Interessengebiet erklärt und Verteidigungsminister Struck (SPD) am 21.5.2003 die "verteidigungspolitischen" Richtlinien so ausgeweitet, dass ein Kriegseinsatz der Bundeswehr in der ganzen Welt möglich ist. Die Zuspitzung auf die "regionalen Instabilitäten" durch Köhler ist nur eine Präzisierung des dummen Spruches von Struck, dass "unsere Freiheit" (welche?) am Hindukusch verteidigt werde..
Ich hörte das am Rundfunk und las es in einer kleinen Notiz in der Berliner Zeitung und wollte an das Präsidialamt schreiben, ob das so stimmt. Kein Mensch hat sich über Köhlers Äußerung aufgeregt. Aber dann - mit einiger Verspätung - kamen paar Kommentare. Weshalb die Aufregung bei den Politikern? Sie wollen ihr Wahlvolk noch in der Lüge belassen, dass in Afghanistan alles prima bestens und auf dem Wege zu Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit sei. Sie wollen eins auf jeden Fall verhindern: dass die deutsche Bevölkerung zur Kenntnis nimmt, dass von Berlin wieder Krieg ausgeht, und dass es dazu für sie gute Gründe gibt: nämlich " unser Interesse", im Interesse "unserer Freiheit" oder unserer Handelswege, oder unserer Arbeitsplätze.

Die deutsche Regierung verkauft Kriegs-U-Boote an das zahlungsunfähige Griechenland. Gegen wen muss sich Griechenland zu Wasser verteidigen? Aber Kriegsproduktion ist gut für unsere Arbeitsplätze. Das ist alles längst politisches Gemeingut.

Köhler hätte in Berlin vortreten und seine Position, die seit langem die der CDU/ SPD/ FDP/ Grüne ist, verteidigen sollen, und nicht zurücktreten. Die Gelegenheit zu einer klärenden Debatte ist vertan. Es kann weiter geheuchelt und gelogen werden.

Der Rücktritt Köhlers hat vor allem mit den unerträglichen Verhältnissen im Bundespräsidialamt zu tun. BZ und Süddeutsche (1.6.) haben darauf hingewiesen. Mit dem befreundeten, aus Krankheitsgründen 2009 zurückgetretenen und im April 2010 verstorbenen Staatssekretär und Amtschef Gert Haller hatten schon 2009 weitere, hohe Beamte das Amt verlassen, der neue Staatssekretär aus Königslutter Hans-Jürgen Wolff habe eine Atmosphäre des Misstrauens aufgebaut und Köhler isoliert, schließlich ging der Pressesprecher Martin Kothe auch noch. Köhler hatte also sein Amt nicht in Ordnung und statt es energisch in Ordnung zu bringen, läuft er panisch weg. Erst einen Tag nach seinem Rücktritt verabschiedete er sich von seinen Mitarbeitern.

Die Bischöfe haben den Rücktritt bedauert und Köhler als Protestanten gewürdigt. "Auf dass ihr Hoffnung habt" Motto des Kirchentages - galt das nicht mehr für das Ehepaar Köhler? Die Bischöfe sollten die Regierung zur Änderung ihrer kriegs(verteidigung)politischen Richtlinien zu drängen!


"Nichts ist gut in Afghanistan"
- dabei bleibt es.
Evangelische Kirche und Afghanistan

Die zerrissene und verlogene Haltung der evangelischen Kirche in Sachen "Krieg in Afghanistan" tritt immer mehr zu Tage. Die Äußerung der damaligen Ratsvorsitzenden Käßmann vom Januar 2010 ist von keinem Bischof wiederholt worden und ihr Rücktritt vom kirchlichen Establishment in Berlin am Gendarmeriemarkt, wo der Bevollmächtigte regiert, mit großer Erleichterung und Genugtuung aufgenommen worden.
Schlimmer: die Gemeinden sollen an den Krieg gewöhnt werden. "Alles ruhig im Nordosten", berichtet der (reformierte!) Militärpfarrer Michael Groothuis in unserer Evangelischen Zeitung (30.5.) und beglückt Woche für Woche mit verharmlosenden Berichten die frommen Leser. "Mai-Feier im Camp"(9.5.). "Die ISAF Mission ist gut für Ahmad (den Mitarbeiter in der Militärkapelle im Militärlager) und seine Familie und für sein Land Afghanistan" (16.5.). "Ich habe meinen 200. Einsatztag in Afghanistan gefeiert, Uli P. beging jüngst seinen 1001. Einsatztag, dafür muss man das Land und seine Menschen schon sehr mögen und kein Risiko für Leib und Leben scheuen".(23.5.) usw.
Ganz anders sieht das der Soldat, neben dem ich im Eisenbahnabteil sitze und der auf dem Rücken ein fettes eisernes Kreuz trägt. Ich spreche ihn daraufhin an, was das soll. Das sei das Zeichen für seine Einheit, er ist in Süddeutschland stationiert, will in der Bundeswehr studieren (irgendwas mit Computer) und dann in die Wirtschaft gehen. Und wann geht's nach Afghanistan? Nichts für mich, sagt er. Und die andern? Die machen das aus Habgier. Ich war perplex. Wieso? Die bekommen am Ende des Einsatzes 50.000 €. Das Risiko ist ihm zu groß. Außerdem: Habgier und Abenteuerlust ist nicht sein Leben.
Ganz anders sieht das Kriegminister v. Guttenberg und Kriegskanzlerin Merkel. Sie verneigen sich an den Särgen von drei getöteten Soldaten, die in der Kirche in Selsingen (Niedersachsen) aufgebahrt sind. Da sind sie gar nicht zu Hause. Einer stammt aus Sachsen, ein anderer aus Westfalen. Trauerfeier in den Heimatgemeinden ist verständlich. Das ist nicht genug. Es soll ein Staatsakt werden zur Beweihräucherung der Toten. "Sie haben ihren Eid erfüllt, das Recht und die Freiheit zu verteidigen", sagt der Kriegsminister.
"Deutschland verneigt sich vor ihnen", sagt die Kanzlerin. Also ich nicht, denn das muss ich auch unterstellen, dass sie mit ihrem Leben um 50.000 € gespielt und verloren haben.
Diese Politsprüche werden an den Särgen in der evangelischen Dorfkirche in Selsingen gesprochen. Es fällt keinem mehr unangenehm auf, dass da der Kirchenraum massiv für Kriegspathos missbraucht wird. Der Tag von Potsdam ist nicht mehr fern. Und Dibelius hat seine Nachfolger gefunden. Und die Gewöhnung der Kirchenmitglieder schreitet unaufhaltsam fort. Einige haben zum Gottesdienst die "Deutschlandfahne" mitgebracht, was die BLDzeitung "rührend" findet (BILD 10.4. S. 3).

Damit keiner auf die Idee kommt, dass die evangelische Kirche etwa gegen den Krieg wäre, womöglich "aus Prinzip", diskutierte der nordelbische Bischof Gerhart Ulrich im Kieler Landtag mit 150 Zuhörern und wird vom Oberst Hannes Wendroth gelobt, es gebe wieder einen "echten Dialog" zwischen Kirche und Bundeswehr. Bischof Ulrich bezeichnete dabei den Afghanistaneinsatz als "ethisch legitim" und "erteilte einem prinzipiellen Pazifismus eine Absage" (Ev. Zeitung, Ausgabe Nordelbien 9.5. S. 13). So auch die Überschrift. Das ist die Botschaft unserer Kirchenzeitung, obwohl es auch andere Stimmen gab.

Es fehlt nicht an laschen Stellungnahmen, sondern an deutlichen, energischen und wiederholten Vorstellungen beim Bevollmächtigten der EKD bei der Bundessregierung und im Kanzleramt.




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