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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 131 - Oktober/November 2010


Dalmatien 2010:
„Im Garten der Geschichte“
„Schiffe, Kirchen und Paläste“

von Herbert Erchinger
(Download als pdf hier)

Die Zeitalter geraten völlig durcheinander und vermischen sich. Wir sitzen auf den Stufen des Perystils, der Empfangshalle des ehemaligen Diokletians- Palastes in Split - 1700 Jahre alt und als Veranstaltungsort noch voll funktionsfähig- und lauschen gebannt einem Pop-Konzert mit vertrauten Melodien und Rhythmen. Ergreifender Sologesang und dezente Gitarrenbegleitung. In welcher Zeit sind wir gerade? Es ist eine geheimnisvolle Atmosphäre. Uralte angestrahlte Säulen, hübsche junge Studentinnen, die sich im Takt der Rhythmen wiegen -oder sind es etwa die Tempeltänzerinnen des Kaiserkults? Gestirnter Himmel, kühles Bier. Links neben uns im Halbdunkel die Kathedrale, ehemals Mausoleum des Kaisers. Vor uns die grosse Treppe zum Vestibül, ehemals Eingang zu den kaiserlichen Privatgemächern....

Ich erwache aus meinen Träumen. Es ist der Höhepunkt und Abschlussabend unserer letzten Gruppenreise, die uns diesmal nach Dalmatien führte. Wir hatten sie für uns sieben ganz spartanisch organisiert. Nur die Flüge und die Unterkünfte vorher gebucht: Dubrovnik, Budva, Orebic und Split. Ausserdem hatten wir uns mit der wechselvollen Geschichte Dalmatiens befasst. Alles andere ergab sich vor Ort. Das hat sich sehr bewährt Immer waren wir direkt am Meer und konnten schwimmen, wann immer wir wollten, am besten schon vor dem Frühstück .Und natürlich abends, um die Hitze des anstrengenden Tages abzuschütteln. „Keinen Tag soll es geben, an dem du sagen musst, heute war ich nicht schwimmen...“ Immer konnten wir auch zu Fuss in die jeweilige geschichtsträchtige Altstadt wandern. Gleich am ersten Morgen nach der Ankunft erklommen wir die ehrwürdige Stadtmauer von Dubrovnik und umkreisten die Stadt in einer vier Kilometer langen Prozession. Wir identifizierten die Kirchen und Klöster und schauten wie der liebe Gott direkt von oben in die Kreuzgänge hinein. Danach durchstreiften wir die alten Gassen der Stadt und erkundeten die schon aus der Vogelperspektive betrachteten Kirchen und Klöster genauer. Zum Essen trafen wir uns in einem rustikalen Lokal am Hafen Bei gutem Essen und guten Getränken konnten wir die einlaufenden Schiffe beobachten und zählen. Zum ersten Mal sah ich eine Karacke, einen Koggenähnlichen Dreimaster mit fülligem ausladendem Rumpf. Leider nur ein Nachbau, aber voll segelfähig. Dann tauchten wir wieder ein in die abendlich mit flanierenden Menschen gefüllte Altstadt. Die Farben wechselten ständig in der beginnenden Dämmerung. Ich tauchte ganz ins Mittelalter ein, Ich träumte mich in die Rolle eines Kapitäns der alten Seestadt Ragusa, der gerade eine pralle Ladung orientalischer Spezereien zur Förderung des eigenen und städtischen Wohlstands angelandet hatte und im Gewirr der Inseln bei günstigen Winden den Piraten glücklich entwischt war. Doch diesen Zeitreise- Phantasien wurde ich jäh entrissen. Denn was war denn das?!: Vor fast allen abendlich gefüllten Strassenrestaurants waren Grossbildfernseher aufgestellt, die die Fussballweltmeisterschaft übertrugen, Deutschland England 1:0. Das empfand ich als schweres Sakrileg in diesem wunderbaren Ambiente. Ich schaute nicht mehr hin, sondern verschwand lieber in der nächsten Kirche.

Die Spuren des schrecklichen Bürgerkriegs der 90er Jahre waren in Dubrovnik fast getilgt. Aber wie in Berlin konnte man noch manchmal Einschussspuren entdecken. Zum Glück stabilisiert sich der Friede mit wachsendem Wohlstand. Doch die bleibenden seelischen Wunden und Schmerzen bleiben dem Reisenden meist verborgen.

Dubrovnik hat ja eine bewegende Geschichte als viele Jahrhunderte selbständige Seestadt Ragusa, reich geworden durch den Orienthandel wie Pisa, Venedig und Genua..Auf Grund der vielen Festungsmauern und Wehrtürme könnte man glauben, Dubrovnik/ Ragusa habe seine Selbständigkeit in erster Linie militärisch verteidigt. Aber diese Wehranlagen waren nur abschreckende Kulisse, ja Bluff. Man wollte gar nicht kämpfen. Als Seehandelsstadt lebte Ragusa von seinen Geschäftsbeziehungen und verstand es äusserst geschickt, sich mit allen Mächten zu arrangieren. Zur Not Tribut zahlen, aber seine Autonomie bewahren. Listig arrangierte man sich mit Byzanz, Venedig, den Türken, Ungarn und Kroaten. Die eigentliche Kraft der Stadt lag eben nicht im militärischen, sondern in Verhandlungsgeschick.und Handelsverbindungen. Erst Napoleon machte 1797 Ragusas wie Venedigs Selbständigkeit ein Ende. Die Stadtrepublik Ragusa war übrigens äusserst herrschaftskritisch. Der Gouverneur wurde vom Rat für einen Monat gewählt. Dann musste er abtreten. (Das wär doch mal was für Braunschweigs OB.)

Dass Mauern allein nicht helfen, erfuhr ja schon Jericho (Josua 6). Auch den dalmatinischen Festungsbauern war das bewusst. „Nisi Dominus frustra“. „Ein feste Burg ist unser Gott“. Diese Erkenntnis führte in allen Altstädten, die wir besuchten, zu einer seltsamen Verquickung von Festungs- und Sakralarchitektur. Mitten im Festungsturm oder im Stadttor immer wieder eine kleine Kirche .“So der Herr nicht die Stadt behütet, so wachen die Hüter umsonst.“ Oft sind diese kleinen Kirchen noch heute in Betrieb und werden von Nonnen oder Mönchen liebevoll betreut.

Mit einer großen Wanderung zum modernen Fährhafen und rund um die Halbinsel westlich der Altstadt schlossen wir unseren Aufenthalt in Dubrovnik ab und fuhren mit dem Kleinbus nach Budva in Montenegro, unserem nächsten Quartier..Dabei überredeten wir unseren Fahrer, nicht mit der Autofähre die eindrucksvolle Bucht von Kotor zu queren, sondern sie in voller Länge auf der Küstenstrasse auszufahren. So genossen wir wunderbare Ausblicke auf die wirklich „schwarzen Berge“, die Montenegro ihren Namen gaben, die schimmernden Wasserflächen der tief ins Landesinnere eindringenden Bucht und ihre von Kirchen und Lebensbäumen überragten kleinen Inseln. .

Budva war rummelig, Der ganze Strandvorraum vollgestellt mit Karussels, Gokartbahnen, Zirkuszelten und jeder Art von trashigen Freizeitangeboten. Der Strand überfüllt mit Plastikliegen. Erst hat uns das gestört. Aber dann wurde uns bewusst, dass hier im Unterschied zum vornehmeren Dubrovnik die Bedürfnisse der kleinen Leute und ihrer Kinder im Mittelpunkt standen. Es war immer der Bär los.

Auch Budva hatte wieder eine hübsche befestigte Altstadt zu bieten, die wir mit Genuss erkundeten. In den Hafen lief gerade ein ganzes Geschwader protziger griechischer Luxusyachten ein. Ob die Eigner alle korrekt ihre Einkommen versteuern, konnte ich nicht überprüfen. Zweifel sind erlaubt.

In ganz Dalmatien fällt bei der Architektur der prägende Einfluss Venedigs auf. Die reich geschmückten Villen, die Fensterbögen im Tudorstil, der Markuslöwe an den Portalen. Venedig war bis ins 16. Jh die Regionalmacht des nordöstlichen Mittelmeeres und bildete ein Gegengewicht zur erstarkenden Vormacht der Türken. Nur durch Venedig blieb die christliche Prägung Dalmatiens erhalten.

Montenegro hat sich erst 2006 endgültig von Serbien gelöst. Ein verbindendes Element war neben der Sprache die griechisch orthodoxe Kirchenzugehörigkeit und zum Teil auch das kyrillische Alphabeth. Erstaunlicherweise zahlten wir in Montenegro übrigens mit dem Euro, obwohl Montenegro eigentlich nicht zur Eurozone gehört. Aber da sie schon in den neunziger Jahren auf eigene Faust die D-Mark als Zahlungsmittel eingeführt hatten, um der jugoslawischen Inflation zu entgehen, führten sie logischerweise den Euro ein, als die D-Mark Geschichte wurde.

An der Grenze zu Montenegro habe ich seit langem zum ersten Mal wieder einen spürbaren Grenzübergang mit Wartezeiten und Passkontrolle erlebt. Immer wieder diskutierten wir in unserer Gruppe die Frage, ob die Zersplitterung Jugoslawiens mit all ihren blutigen Begleiterscheinungen wirklich notwendig und unvermeidlich war. Aber die nationale Selbstbestimmung auch kleiner Länder ist ein unveräusserliches Recht. Doch sind sie auch lebensfähig? Sicher nur unter dem Dach der EU. ?usserst beschämend ist, dass die unterschiedlichen christlichen Konfessionen bei der Auflösung Jugoslawiens in kleinere Einzelstaaten keine versöhnende, sondern eher eine die Gewalt verstärkende Rolle gespielt haben.

Von Budva aus machten wir zwei schöne Exkursionen:

Wir besuchten die alte Stadt Kotor, die ganz am Ende der gleichnamigen Bucht liegt. Schon die Griechen hatten diesen versteckt liegenden Hafen gegründet. Lange war er ein Seeräubernest, dann hatte Venedig ihn ausgebaut. Zum Schutz gegen die Türken, die das Hinterland beherrschten, wurde die Stadtmauer bis hoch ins Gebirge verlängert. So konnten wir sie erklimmen und genossen atemberaubende Ausblicke auf

Altstadt, Meeresbucht und Berge. Dann streiften wir durch die Altstadt, besuchten die vielen Kirchen. Einige waren katholisch, andere orthodox. So mischen sich bis heute die Einflüsse Venedigs und der orthodoxen Slawen. Im ersten Weltkrieg war Kotor/ Cattaro übrigens österreichischer und deutscher U-Boot Stützpunkt. Der spätere Kirchenpräsident und Pazifist Martin Niemöller war hier stationiert und führte von hier aus Handelskrieg gegen die englischen Schifffahrtslinien zum Suez-Kanal. Mit mässigem Erfolg. Als er nach halsbrecherischer Fahrt mit seinem schrottreifen U-Boot im November 1918 mit wehender Reichskriegsflagge nach Kiel zurückkehrte, nahm er fassungslos Kriegsende und Revolution zur Kenntnis. Ein langer Lernprozess der Friedens- und Demokratiefähigkeit wartete auf ihn mit vielen Irrungen und Wirrungen. Ein Paradigma für uns alle. Nach der Reise habe ich mir in der Stadtbibliothek im Schloss Niemöllers Buch „Vom U-Boot zur Kanzel“ ausgeliehen und in einem Rutsch durchgelesen. Ja, Christ sein heisst sich ständig verändern und sich doch treu bleiben. Seine spätere Schlüsselfrage: „Was würde Jesus dazu sagen?“, hat er sich in diesem Buch 1934 wohl noch nicht gestellt.

Und auch dies wurde mir klar: In welch gesegneten Zeiten wir heute leben dürfen. Wo Jahrhunderte lang Gewalt, Blutvergiessen, Hass und Unterdrückung regierten, tummeln wir uns heute fröhlich als Touristen. Und eine Wehr-Architektur, die oft aus purer Angst, Existenzbedrohung, Feindschaft und Machtmissbrauch entstanden ist, dient uns heute als romantische und perfekt angestrahlte Kulisse für den Urlaub. Wahrhaftig ein positiver Funktionswandel dieser blutgetränkten wehrhaften Bauten.

Aber ich will auch nicht vergessen, dass wenige hundert Kilometer südlich auch heute afrikanische und asiatische Flüchtlinge in grosser Zahl ertrinken oder brutal zurückgeschickt werden. Ein Schandfleck der Erfolgsgeschichte Europas.

Die zweite Exkursion von Budva aus unternahmen wir mit dem Schiff an der Küste südwärts bis Petrovac. Unterwegs kamen wir an der berühmten malerischen Halbinsel Sveti Stefan vorbei. Eigentlich eine lauschige Fischersiedlung, wurde sie schon zu Titos Zeiten zur Hotelinsel umgebaut. Heute gehört sie einem Investor aus Singapur, der sie vorerst geschlossen hat und noch überlegt,wie er sie irgendwann wieder Profit bringend nutzen will. Kapriolen des Kapitalismus. Aber Petrovac war sehr schön. Nach einem erfrischenden Bad am Strand bewunderten wir die schmucken, gut gepflegten venezianischen Villen. Vor dem Hafen eine ganz kleine Insel mit hoch aufragendem Felsen, auf dessen Spitze eine kleine Kirche thronte. Meine Gruppe witzelte, das wäre doch die ideale Pfarrstelle für mich mit überschaubarer Gemeinde, erträglichem Terminkalender und ständigem Zugang zum Meer. Am Hafen erklomm ich einen hohen Ausguck. Dort befand sich ein Denkmal, das an die gefallenen Partisanen des Zweiten Weltkriegs erinnerte. Die Schatten blutiger Vergangenheit liessen uns nie los.

Nun hatten wir erst einmal genug gesehen. Wir entflohen dem rummeligen Budva und gönnten uns einen Badetag auf der Budva vorgelagerten Insel Sveti Nicola..Lesen, Baden Steine sammeln, Steintürmchen bauen, unter Palmen essen. Ich genoss es, an den schroffen felsigen Ufern entlang zu schwimmen oder den vorbei segelnden Schiffen zuzuschauen.

Die nächste Station war Orebic auf der Halbinsel Peljesac.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen? Die dalmatinische Küste ist geprägt von den unterschiedlichsten Kulturen, Siedlungs- und Herrschaftsepochen. Da waren die Illyrer, die Dalmater, die Griechen mit ihren Kolonien, dann die Römer, die Goten, die Slawen, die Venezianer, die Ungarn und in ihrem Gefolge die österreichischen Habsburger. Schliesslich wieder die Italiener. Erst heute ist die Fremdherrschaft beendet. Aber alle Kulturen hinterliessen ihre Spuren, ihre Duftmarken und Monumente. So ist Dalmatien ein bewegender Garten der Geschichte.

Orebic war sehr erholsam. Nach morgendlichem Bad und opulentem Frühstück unternahmen wir grosse Wanderungen in die Umgebung, die meist auf einen Berg und zu einer schönen Klosterkirche führten. Wenn wir ungestört waren, wagten Gudrun und ich dort einen kleinen Kanon. Die Wanderungen waren oft sehr spannend, wenn wir den Einstieg in die Bergwege ohne Hinweisschilder erst suchen mussten. Die Auskünfte befragter Bewohner waren manchmal wenig zielführend.

Gegenüber von Orebic lag die alte venezianische Festungsstadt Korcula auf der gleichnamigen grossen Insel. Die Altstadt von Korcula ist wie ein Lindenblatt, mit Mittellinie und abzweigenden gebogenen schmalen Seitengassen. Noch einmal ein ganz neuer Eindruck, ein wahres Schmuckstück. Venedig grüsste aus allen Fenstern, Kirchen und Palästen.

Von Korculas Fährhafen Vela Luka fuhren wir mit einer riesigen Fähre nach Split, unserer letzen Station. Die vierstündige Seefahrt habe ich sehr genossen. An Hand der Karte konnte ich viele Inseln identifizieren. Die Navigation ist viel einfacher, als auf der Nordsee. Durch die bewaldeten und gebirgigen Inseln weiss man immer, wo man ist. Durch eine schmale Rinne steuerte unsere gewaltige Fähre direkt an der Insel Hvar vorbei und umrundete dann die Insel Brac, wo wir 1986 einen herrlichen Segelurlaub verbracht hatten. Jede einzelne Bucht erkannte ich wieder und entsann mich, wie wir dort auf unserem kleinen Boot mit der Bora, dem tückischen Höhenwind gekämpft und nur mühsam den Hafen von Bol erreicht hatten.

Schon von Weitem erkannten wir unser Ziel und sahen die lange Säulenreihe des Diokletianspalasts im Zentrum von Split. Direkt daneben legten wir an.

Der römische Kaiser Diokletian (284-305) war der letzte fanatische Christenverfolger und Verfechter des vergötternden Kaiserkults. Er stammte aus Dalmatien und hat sich daher für seinen Ruhestand einen riesigen Palast direkt am Ufer bauen lassen. Es ist schon eine wunderbare Ironie der Geschichte, dass das Christentum, die verachtete Religion der Sklaven und Katakomben, ihn, den übermächtigen Christenverfolger innerhalb weniger Jahre gewaltlos besiegte und beerbte.. Sein Mausoleum wurde zur Kathedrale, seine Jupitertempel zur Taufkapelle. Sein Palast wurde zum Fluchtort der Christen und zum Zentrum einer Grossstadt bis heute.

Der Konzertabend im Perystil des Palasts, über den ich zu Anfang berichtete, wurde zum Höhepunkt und Abschluss der ganzen wunderbaren Reise. Zufrieden stiegen wir ins Flugzeug. Ja, auch in Braunschweig, am Heidbergsee und in Ostfriesland ist es schön. Aber ein gewisses Defizit an römischer und venezianischer Architektur ist nicht zu leugnen....




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