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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 131 - Oktober/November 2010


Was man nicht lesen muss aber ganz amüsant finden kann
Zur Entstehungsgeschichte des „Geschichtsschmökers“

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Ab 2006 schmorte eine kleine, sich ständig erweiternde Runde über einem Projekt „Kirchengeschichte Braunschweig.“ Die Idee hatte Bischof Weber. Ihm schwebte eine Veröffentlichung von gut 200 Seiten vor, so ähnlich wie die landesgeschichtliche Darstellung „von Otto bis Phaeno“. Braunschweig sollte damals Kulturhauptstadt werden und wollte sich mit dem Ding vorstellen. So was ähnliches brauchen wir auch für die Landeskirche, meinte Bischof Weber. Nicht zu lang, wissenschaftlich fundiert, bebildert, doch Werbendes, aber Gehaltvolles für die Landeskirche.
Um dieses Projekt zu besprechen, wurden eingeladen: Prof. Staats, Fachgebiet alte Kirche, früher Pastor in Wieda; Frau Prof. Mager, Fachgebiet Niedersächsische Kirchengeschichte, Universität Helmstedt, Orthodoxie und Pietismus, Dr. Albrecht, Akademischer Direktor, hier an der Uni, bekannt durch sein umfangreiches Werk über das Braunschweiger Land im 18. Jahrhundert, Frau Hoffmann, ausgewiesen durch eine Arbeit über den Beginn des 19. Jahrhundert, na ja und dann eben ich. Wie es zu dieser Auswahl kam, ist unbekannt. Herr Engelking führte das Protokoll.

Langes Gespräch, ob man nicht einen einzigen Verfasser, vielleicht einen Journalisten finden könnte, der was fundiertes, schmissiges schreiben könnte. Fand sich aber nicht, und so teilten wir die Stofffülle unter uns auf. Erschienen war auch der frühere Propst Jürgens, der für seine Arbeiten über die Reformationszeit bekannt ist, und die darstellen wollte. Jeder blieb in seinem Gebiet: Staats: Mittelalter, 20 Seiten, Jürgens: Reformation 30 Seiten, Mager: Orthodoxie und Pietismus 20 Seiten, Albrecht: Aufklärung, 20 Seiten, Hoffmann 19. Jahrhundert: 20 Seiten, Kuessner: 20. Jahrhundert 30 Seiten. Zusammen 140 Seiten und nach dieser Chronologie einige Querschnitte: Kirche und Schule,
Kirche und Amtshandlungen, Kirche und Musik, Kirche und Juden und und und usw. Verständlich, nicht fachidiotisch, jüngere, interessierte Leser im Blick.

Nun hätte ein Fachgespräch über strittige Themen beginnen müssen. Darauf war ich besonders scharf, denn ich fühle mich mit meinen kirchengeschichtlichen Arbeiten in der Landeskirche ziemlich alleine gelassen. Aber das unterblieb, jeder fing an, ich auch und zwar 1871, denn das 20. Jahrhundert fängt für mich mit dem Kaiserreich an, das 1945 zerschlagen wird und mit der Wahl von Berlin als Hauptstadt womöglich eine Fortsetzung findet. In der nächsten Sitzung erfuhr ich, dass Herr Engelking zum Verfasserkreis gestossen sei, und die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts übernommen hätte. Hm, er wollte bis 1914 schreiben. Ich hatte schon die ersten Seiten angefangen. Ab in den Papierkorb. Unterdrückter Ärger wegen mangelnder Koordination.
Nach knapp einem Jahr trafen wir uns wieder, Frau Hoffmann erzählte, dass nur noch eineinhalb Artikel abzuliefern wären, alles prima bestens. Die von Herrn Engelking abgelieferte Darstellung wurde von Frau Hoffmann als Vorbild für alle anderen Darstellungen gepriesen. Naja, ich fand es etwas trocken, gerade für jüngere Leser.

Aber die Sache stockte. Staats kam nicht zu Potte. Es verging wieder ein Jahr, man erfuhr hintenrum, dass Herr Engelking auch die andere Hälfte des 19. Jahrhunderts machen würde. Da erschien 2009 aus der Feder von PS Direktor Rammler die Darstellung „Hinter jedem Hügel eine Kirche“ genau das, was der Bischof wollte. Lesbar, wissenschaftlich auf der Höhe, farbige Bilder, konnte man gut in die Jackentasche stecken. Unser Kreis erstarrte. Was nun? Weitermachen? Dasselbe in grün? Man beschloss, doch weiterzumachen, wenig Quellenangaben, dafür eine Liste mit Büchern zum Weiterarbeiten. Bildauswahl würde die Redaktion übernehmen, war aber für Vorschläge dankbar.

Wir hatten uns alle so ungefähr an die Seitenzahlen gehalten als durchsickerte, der Text von Staats hätte 100 Seiten. Das sprengte die verabredete Seitenzahl, die bisher nicht geändert worden war. Da hätte die Redaktion einschreiten müssen. Tat sie aber nicht. Ich beklagte das entstandene völlige Ungleichgewicht der Artikel und mir wurde bedeutet: Dann schreiben Sie eben bisschen mehr. Das war kein verantwortlicher Umgang mit dem Stoff. Es gab auch keine Sitzungen mehr und keine verbindlichen Absprachen, vor allen Dingen keine kritische Aussprache.

Es wurde 2010. Nun drängte der Bischof auf Abschluss der Arbeit. Pfingsten spätestens!
In den ersten Monaten von 2010 aber hatte die Redaktion (Engelking, Hoffmann) z.B. meinen Text immer noch nicht endgültig fertig redigiert und gab ihn mir mit ca 400 Anmerkungen zurück, die ich nun in ein, zwei Bierminuten ruckzuck bearbeiten sollte. Auch Staats stöhnte über die viel zu kurze Bearbeitungszeit. Unter den Redaktionsbemerkungen waren solche interessanten wie: War die Hitlerzeit von Anfang an eine Diktatur, wie Frau Hoffmann meinte, oder ein autoritärer Staat, wie ich geschrieben hatte? Das wäre eine Diskussion im Verfasserkreis wert gewesen. Ich schlug mehrfach vor, die alte Runde einzuberufen, was Frau Hoffmann unter Hinweis auf die Reisekosten ablehnte. Es kam aber nicht nur zu Differenzen, sondern auch zu Eingriffen in den Text, ohne Absprache mit dem Verfasser. Ich hatte im Zusammenhang mit Blankenburg von „Anschluss“ gesprochen. Das bezog sich auf die längere Diskussion, ob die sog. „Wiedervereinigung“ eine echt Vereinigung zweier, wenn auch ungleicher Partner sein sollte, oder ein Anschluss bzw „Beitritt“ nach Artikel 29. Frau Hoffmann dagegen assoziierte bei „Anschluss“ auf die Lage von 1938 („Anschluss Österreichs) Ich wette, keine der viel beschworenen jüngeren Leser wäre auf diese Idee gekommen. Sie strich das Wort und ersetzte es durch ein anderes. Zweites Beispiel: ich hatte darauf hingewiesen, dass die Landeskirche ihre finanziellen Rücklagen erheblich vermehrt hatte, den Kirchengemeinden jedoch eine entsprechende Rücklagenbildung nicht ermöglicht hatte. Das sei „Insiderwissen’“, meinte Frau Hoffmann und strich den ganzen Satz, ohne Rücksprache. Sie teilte es mir einfach mit.
Eine weitere, lediglich durch Latrinenparolen durchgesickerte Änderung war die Handhabe mit den Quellenangaben. Nun sollten plötzlich alle Zitate belegt und weitere Quellen genannt werden. Das schuf allerdings die Möglichkeit, oft auch die ungeliebte „Kirche von Unten“ zu zitieren, die ja allerhand Kirchengeschichtliches enthält. Also: insofern können wir nicht meckern!. KvU ist jetzt kirchenhistorisch verortet und belegt, und gut ist der dran, der alle Nummern gesammelt hat. Das war bis vor einiger Zeit im LKA nicht der Fall.

In der Osterausgabe der Ev. Zeitung war zu lesen, dass der Schmöker von Frau Hoffman und Herrn Engelking herausgegeben werde. Das fiel nun auch dem Landesbischof als Einseitigkeit auf. Richtig wäre es gewesen, wenn es geheißen hätte: Im Auftrage des Landeskirchenamtes herausgegeben von ...“ Auf diese Selbstverständlichkeit kam keiner. Immerhin war nun der rasante Aufstieg von Herrn Engelking vom ursprünglichen Protokollanten unserer Verfasserrunde zum Mitverfasser, zum Alleinverfasser des 19. Jahrhunderts, zum Endredakteur und nun zum Mitherausgeber eine beachtliche Karriere.

Wir bekamen also die Druckfahnen zur Korrektur, bekamen nun erstmals auch die Untertitel der Bilder und die Bildauswahl zu Gesicht. Das gab wieder Anlass zu allerhand Korrekturen. Im Mai gingen diese Korrekturfahnen von den Verfassern wieder an die Redaktion. Pfingsten war vorbei.
Nun hätte normalerweise eine weitere gründliche Korrektur seitens der Redaktion stattfinden müssen. Dafür blieb keine Zeit. Ulkigerweise wurde schon der Vorstellungstermin im Dom festgelegt und nochmal verschoben. Es waren wohl auch schon Urlaubspläne gemacht. Man wollte die Sache hinter sich haben, was ich verstehen kann, aber bei einer Veröffentlichung, die ca 60.000 € kostet, doch ziemlich leichtsinnig war. Das fand ich alles ausgesprochen schade und plädierte für einen Termin nach den Herbstferien. So kam es zu diesem Schmöker mit ausgesprochen schlechtem Kartenmaterial, das wir nie zu sehen bekommen hatten, mit keinerlei weiteren Lesehinweisen, mit einem witzigen, unausgeglichenen Inhaltsverzeichnis und anderen Ungereimtheiten, die alle bei einer zweiten gründlichen Korrektur und einer Abschlusssitzung der Verfasser hätten ausgebügelt werden können.

Die Kirchengemeinden bekamen gewollt oder ungewollt alle ein Exemplar zugeschickt, da liegen sie nun, der Buchhandel ist erfreut über einen unerwartet erfreulichen Absatz, die Verfasser wurden angeschrieben, für den Fall einer zweiten Auflage Veränderungen vorzuschlagen. Eine zweite Auflage in dieser Form ist m.E. nicht empfehlenswert.
Die Akademie wird im Februar zweitägig mit den Verfassern eine Diskussionsrunde veranstalten, wobei die Gefahr einer Beweihräucherung des Schmökers oder einer Apologie der Abhandlungen groß ist, zumal nur die Verfasser des ersten chronologischen Teils zu Einleitungen eingeladen sind.
Fällig ist dagegen eine gründliche, kritische Aussprache im kleineren Kreis, wie ihn der Arbeitskreis für Braunschweigische Kirchengeschichte unter dem Vorsitz von Hempel, Jünke und Hoffmann bieten könnte. Könnte. Könnte auch nicht. Der traf sich nämlich bereits, aber vom Geschichtsschmöker war nicht die Rede und wird auch weiter nicht die Rede sein, denn in unserer Landeskirche ist das befruchtende kritische Gespräch seit Jahrzehnten völlig verstummt und hier und da auch gefürchtet.




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