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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 131 - Oktober/November 2010


„Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort …“
Polemischer Essay über die aufrichtig geschätzte Perikopenordnung

von Werner Busch
(Download als pdf hier)

Wir zappen uns predigend durch die Bibel. Postmoderner geht’s kaum, und das schon sehr lange. Alles nur Fragment, Patchwork, ein schillerndes Kaleidoskop von Predigttexten, die bei Prediger und Gemeinde kirchenjahreszeitliche Stimmungen und Denkmuster prägen und entsprechende Erkenntniswege ebnen sollen. Tut das auf Dauer dem Glauben und der Kirche gut?

Analog zur Verfertigung der Gedanken beim Reden1) bildet sich die Theologie eines Predigers und einer Predigerin beim Predigen von Sonntag zu Sonntag (weiter). Und hierzu sei eine Frage gestattet: Welche Theologien gedeihen wohl auf dem Humus der in Geltung stehenden Perikopenordnung? Luther und Barth z.B. haben ihre theologische Existenz, ihr geistliches Profil und ihre kerygmatische Ausstrahlungskraft u.a. bei der exegetischen und meditativen Vertiefung in große biblische Textzusammenhänge empfangen und weiterentwickelt. Und was machen wir? „Heute hier, morgen dort, bin kaum da, muss ich fort …“ Die Perikopenordnung legt uns das nahe. Zeitgemäßer und auch sachlich passender als die Vorstellungswelt des Reise- und Wanderliedes ist das anfangs genannte Zappen, das die Geschwindigkeit und Sprunghaftigkeit dieses Predigtverhaltens viel präziser beschreibt: Irgendjemand hat(te) die Fernbedienung in der Hand und alle anderen lassen sich dieses Hin und Her gefallen. Normal (ist das nicht). Wer für diese Arbeit aktuelle Anregung und Hilfestellung in der entsprechenden Predigtliteratur sucht, dem bleibt auch nichts anderes übrig, als das Perikopen-Hopping mit zu machen. Auch ich tue das, und ich schätze durchaus die Vielfalt der biblischen Aspekte, in die ich dabei hineinkomme; ich möchte keine inhaltliche Reduzierung oder Verflachung, es geht um das ganze Evangelium.2) Und dazu der ganze Kanon notwendig. Trotzdem nun dazu ein „Aber“: Nach der Erfahrung einer mehrwöchigen Predigtreihe über die 10 Gebote bin ich mit dem vorhandenen System unzufrieden geworden …

Vergegenwärtigen wir uns unsere Predigttätigkeit, wie sie gewiss viele Kolleginnen und Kollegen praktizieren: Haben wir uns letzte Woche3) noch in Gen 2 eingearbeitet und hinein meditiert, so werden wir in dieser Woche schon wieder aus diesem Paradies vertrieben und müssen uns mit Hebräer 10 auf den Weg des wandernden Gottesvolkes machen: eine eher unterhaltsame als theologisch wirklich fruchtbare Fortsetzung im Predigtplan der Perikopenordnung … Aber auch diese Predigtetappe währet nur kurz, denn in der darauf folgenden Woche soll ich ein geistlicher Gefangener des Epheserbriefes werden, immerhin, was selten vorkommt, für zwei aufeinander folgende Wochen – was habe ich nur angestellt? Kaum bin ich entlassen, muss ich mit exegetischen Sieben-Meilen-Stiefeln wieder in das Alte Testament zurückzuspringen und mich mit Hilfe von Exodus 34 neben Mose in eine Felsspalte zwängen, um Gott zu sehen und zu hören. Zumindest bietet mir der darauf folgende Sonntag mit 2. Kor 3 die Möglichkeit, mich religionsgeschichtlich bei einigen Motiven und Gedanken der Sinai-Perikope noch etwas aufzuhalten - ob sich das auch homiletisch am Sonntag irgendwie gewinnbringend niederschlägt? Zum Glück muss ich darüber nicht allzu lange nachdenken, dann es geht ja bald schon wieder weiter … Bis zum nächsten predigtfreien Sonntag, der mir endlich einmal eine Verschnaufpause auf meinem anstrengenden Zickzack-Lauf durch die Bibel gewährt. Ich bin ein Prediger in der evangelischen Kirche. Und das heißt unter den beschriebenen Bedingungen: Ich bin ein geistlicher Hase. Und mit mir viele andere auch.

Dazu stellt sich nun eine Frage ein: Sind wir bei dieser Predigtarbeit auf der Suche oder auf der Flucht? Meine vorläufige Antwort lautet: ich bin durch diese Art des homiletischen Bibelgebrauchs eher ein Getriebener. Deutlicher noch: die Perikopenordnung begünstigt eine kainitische Schriftauslegung, die theologisch unstet ist und macht. Nur gut, dass mich dafür keiner totschlagen will, bin ich doch schon gestraft genug. Selbst im Gotteswort habe ich als Predigender „keine bleibende Stadt“, sogar im Hören auf Christus gibt es kein Verweilen und Vertiefen, keine Oase.

Vorbei sind die Zeiten, als das Gottesvolk auf seiner Wanderung durch Wüsten und Jahre noch längere Aufenthalte hatte; vorbei sind auch die Zeiten, als der Apostel Paulus sich immerhin einige Monate, einmal sogar zwei Jahre am Stück in einer Gemeinde aufhalten und - kaum auszumalen! - zusammenhängend reden konnte. Doch wir haben ihn k u r z und k l e i n gekriegt. Und auch die anderen großen Autoritäten des Gottesvolkes und der Kirche, die von Gottes Geist geleitet mit ungeheurer Gedanken- und Sprachkraft ganze Profetenbücher und Evangelien komponiert haben, sind in unseren Predigtplänen auf eine handhabbare und relativ leicht zu konsumierende Größe zusammengestaucht. „Liebling, ich habe die Apostel geschrumpft!“ ruft die Perikopenordnung der hörenden Gemeinde freudig zu. Die Bibel wird zur knappen sonntäglichen Nachricht, die ausschnittweise kurz eingeblendet wird und dann wieder verschwindet. Homiletische Reportagen und zusammenhängende Dokumentationsfolgen kommen in unserem Predigtprogramm nicht vor. Wir huschen mit großer Geschwindigkeit durch den theologischen Kosmos der Bibel. Die Perikopenordnung ist ein Potpourri der Worte Gottes, von denen jedes nur kurz angespielt und einige Takte lang (an-)gesungen wird, dann kommt schon die nächste Melodie. Die Heilige Schrift - ein reich gedecktes homiletisches Buffet, an dem man sich nach kirchenjahreszeitlichen Regeln zu bedienen pflegt. Hiervon ein Häppchen und davon ein Schälchen voll; nicht zu viel von diesem und jenem, damit wir uns nicht um die Vielfalt des aufgetischten Predigtmenus bringen. Wir haben das Fundament der Kirche in lauter isolierte kleine Stückchen auseinander genommen und setzen sie nach kirchenjahreszeitlich recht groben Kriterien irgendwie wieder zusammen. Ich fürchte: wir haben mit dieser etablierten Predigtmethode, die auf vielen tausend von Seiten und in Millionen von Gottesdienstsunden landauf, landab eingeübt und zementiert worden ist, das geduldige Hinhören auf Gott und das langsame Mitgehen mit dem Herrn der Kirche nahezu verlernt. Eine menschliche Predigtordnung nötigt uns dazu, Meister der Schrift zu sein und macht uns doch zu Sklaven eines im Ganzen schwer zu durchschauenden Konzeptes.

Was können wir tun? Einfach von dieser Ordnung abweichen und eigene, individuelle Predigtpläne erfinden? Das ist sehr mühsam und zudem besonders anfällig für verschrobene Originalitätsattacken. Sich seinen eigenen Predigtweg durchs Kirchenjahr zu pflastern, hieße, zu allem Überfluss auch noch aus der Gemeinschaft der Predigenden aussteigen, also die literarische consulatio fratrum weitgehend fahren lassen und sein eigener Papst werden, der wir aus gutem evangelischem Grund und allem protestantischen Mithalten-Wollen zum Trotz nicht sind und nicht sein können.

Wann also kommt eine geeignete Perikopenordnung, die sowohl der biblischen als auch der pastoralen (Arbeits-) Ökonomie mehr entspricht? Die mehr Geduld mit uns hat und unsere geistliche Konzentration fördert? Durch umsichtiges Umstellen der in der PTO bereits berücksichtigten Bibelabschnitte ließe sich schon einiges erreichen. Die Aufgabe ist dennoch komplex. Wann wird sie in Angriff genommen?




1)http://www.kleist.org/texte/UeberdieallmaehlicheVerfertigungderGedankenbeimRedenL.pdf

2)„Die Evangelisation der Welt verlangt, dass die ganze Gemeinde der ganzen Welt das ganze Evangelium bringt.“ (aus der Lausanner Verpflichtung).

3)Der folgenden Passage liegen einige Sonntage aus der VI. Predigtreihe zugrunde, die von manchen scherzhaft als „Lumpensammler“ bezeichnet wird.




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