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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 131 - Oktober/November 2010


Grußwort zur Präsentation der Braunschweigischen Kirchengeschichte

am 24. Juni 2010 im Dom zu Braunschweig
von Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber
(Download als pdf hier)

Meine sehr verehrten Damen und Herrn,
am 19. März 2009 konnte ich im Theologischen Zentrum unserer Kirche die Kleine Kirchengeschichte Dieter Rammlers „Hinter jedem Hügel ein Kirchturm1) vorstellen.
Die erste Auflage des Bandes ist mittlerweile verkauft. Der Erfolg dieses Buches zeigt, dass Menschen die Kirchengeschichte unserer Landeskirche entdecken wollen, dass sie Veränderungen des kirchlichen Lebens, kirchlicher Strukturen, Frömmigkeitsformen, liturgische Gestaltungen, Baustile, theologischer Aussagen beobachten und diese ihre Beobachtungen in Beziehung setzen wollen zu den wirkmächtigen Prozessen, die hinter den Veränderungen stehen.
Ich habe bei der Vorstellung der „Kleinen Kirchengeschichte“ gesagt: „Sie erscheint zum genau richtigen Zeitpunkt und zwar deswegen, weil sie das im Augenblick heiß diskutierte Thema „Eigenständigkeit und Kooperation“, das leider zu schnell zum Thema „Aufgabe der Eigenständigkeit und Fusion“ verwandelt wurde, besser bearbeiten lässt.“

Und nun ist die Große Kirchengeschichte da. Auch sie erscheint zum immer noch richtigen Zeitpunkt. Diskutieren wir doch sowohl in der Landeskirche als auch auf der Ebene der Konföderation über die zukünftige Gestalt und vor allem die Zeugnisfähigkeit unserer Kirche.

Viele haben mitgewirkt, zumeist Fachgelehrte. Als ich vor einigen Jahren die Erarbeitung einer Kirchengeschichte unserer Landeskirche anregte, stand mir eigentlich eher eine Broschüre vor Augen, die ich im Reisegepäck verstaut, auch als Gastgeschenk mit in ferne Länder nehmen könnte. Es hat intensive Diskussionen zur Entwicklung einer plausiblen Konzeption für die Kirchengeschichte gegeben. Das Ergebnis liegt nun vor uns. Ein kapitales Werk, über das ich mich freue, ein Buch mit hohem wissenschaftlichem Niveau, was mir nicht weniger Freude macht, ein Band, der auch die 1789 von Friedrich Schiller in Jena in seiner berühmt gewordene Antrittsvorlesung gestellte Frage: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ abgewandelt zu: „Was heißt und zu welchem Ende betreiben wir regionale Kirchengeschichte?“ beantwortet.

Wir betreiben regionale Kirchengeschichte, damit den Lesern und Leserinnen, die sich mit der Geschichte unserer Kirche beschäftigen, geholfen wird, aus der Vergangenheit Lehren für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen. Die Veröffentlichung soll dazu beitragen, die Gegenwart und die Zukunft besser zu verstehen und sie soll uns helfen, „dem nachzuspüren, was die fernen Fremden und Befremdlichen angetrieben und umgetrieben haben mag. Wahrzunehmen ist das, was wir nicht sind, ernst zu nehmen ist das, was wir behaupten überwunden zu haben.“ Und in diesem Erkenntnisprozess wird dann auch deutlich, dass die Geschichte der Kirche nicht die Geschichte der Offenbarung Gottes ist.2) Sie ist keine „heilige Geschichte“.

„Kirchengeschichtliche Arbeit“, so Christoph Markschies, „ist zunächst nur ein Teil der allgemeinen historischen Arbeit; die Kirchengeschichte also jene Teildisziplin der allgemeinen Geschichtswissenschaft, die sich mit der Geschichte des Christentums und der christlichen Kirche bzw. den christlichen Kirchen von den Anfängen bis zur Gegenwart beschäftigt.3) Daraus folgt, dass die Kirchengeschichte nach den Verfahren und mit den Regeln zu arbeiten hat, die dazu helfen, aus der kritischen und sachgerechten Analyse von Quellen, deren entsprechenden Würdigung, vergangene Sachverhalte und Ereignisse so zutreffend wie möglich darzustellen oder nachzuerzählen.

Nun hat die Kirchengeschichte vorrangig innerhalb der theologischen Fakultäten ihren Ort. Dadurch erweitert sich der Fragehorizont. Sie fragt in diesem Umfeld danach, „wieweit historische Vollzüge, Entwicklungen und Ansichten gelungene oder misslungene Bezugnahmen, Umsetzungen oder Revisionen biblischer Theologumena, biblischer Lebensordnungen und Frömmigkeitsgestalten sind.4) Und damit trägt sie bei zur „Entwicklung von Beurteilungskriterien für rechte Lehre und ihr angemessene Sozialgestalt innerhalb (und in bestimmten Grenzen auch außerhalb) der Kirche bei.5)
Kirchengeschichte ist aber auch notwendig, damit Kirchenleitung recht geschehen kann. Friedrich Schleiermacher hält bereits 1811 fest:

„Die Kirchenleitung erfordert aber auch die Kenntnis des zu leitenden Ganzen in seinem jeweiligen Zustande, welcher da das Ganze ein geschichtliches ist, nur als Ergebnis der Vergangenheit begriffen werden kann; und diese Auffassung in ihrem ganzen Umfang ist die historische Theologie im weiteren Sinne des Wortes. Die Gegenwart kann nicht als Keim einer (…) Zukunft richtig gehandelt werden, wenn nicht erkannt wird, wie sie sich aus der Vergangenheit entwickelt hat.6)

Den Autorinnen und Autoren, den Korrekturlesern, den beiden Mitherausgeber Frau Landeskirchenarchivrätin Birgitt Hoffmann und Herrn Hans-Jürgen Engelking, die die Hauptarbeit geleistet haben, danke ich von ganzem Herzen, auch der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, ohne deren Unterstützung dieses Werk nicht hätte erscheinen können, Sie alle haben unserer Kirche ein Geschenk der besonderen Art gemacht. Ich bin begeistert darüber, dass dies gelungen ist.





1) Dieter Rammler, Hinter jedem Hügel ein Kirchturm, Hannover 2009
2) Manfred Schulze, Sternstunden und Abgründe der Christenheit, Neukirchen-Vluyn 2008,7
3) Christoph Markschies, Arbeitsbuch Kirchengeschichte, Tübingen 1995, 1
4) Markschies, 150
5) Markschies, 150
6) Friedrich Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums…, Hildesheim/New York 1969, 11 §26




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