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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 131 - Oktober/November 2010


Wie der Glaube schon früh versteinerte

von Eberhard Fincke
(Download als pdf hier)

Moses ist auf Bildern oder als Figur meistens daran zu erkennen, dass er die beiden Tafeln im Arm hält, auf denen die Zehn Gebote geschrieben stehen. In den biblischen Berichten sind es Steintafeln, die Mose erneuert, nachdem er die ersten aus Zorn zerschlagen hat, weil die Israeliten das goldene Kalb anbeteten (2. Buch Mose). Diese Tafeln sind jetzt gefunden worden. Sie sind aber nicht aus Stein, sondern es sind unsere beiden Hände.

Hätte man tatsächlich Steintafeln gefunden, so gäbe das eine Riesensensation. Die Steintafeln würden mit ungeheurem Aufwand untersucht, konserviert und gesichert; Theologen und Juristen des Judentums und des Christentums würden Bücher über Bücher schreiben und der Medienrummel würde sich überschlagen. Da es nun aber unsere eigenen Finger sind, mit denen Moses die Zehn Gebote verknüpft hat, löst die Entdeckung keine Sensation aus, sondern Verlegenheit, Zweifel und gar Abwehr. Dabei sind unsere Hände eine mindestens so haltbare Urkunde wie Steinplatten; denn ihre Gestalt und Handhabung hat sich seit mehreren hunderttausend Jahren nicht verändert.

Unzweifelhaft hat man seit Urzeiten die Finger benutzt, um sich zu verständigen und sich Wichtiges an ihnen abzuzählen und zu merken. Und man hat dabei nicht nur bis 5 oder 10 gezählt, sondern sich z. B. an die Eigenheiten der Finger gehalten und gesehen, wie sie ein leicht verständliches Schema bilden.
Die Eigenheiten der Finger sind seit den Neandertalern und Mose bis heute gleich geblieben: Den Daumen setzen wir ein, um Druck auszuüben und zu greifen; mit dem Zeigefinger zeigen wir auf Wahr und Falsch, der Mittelfinger bildet die Mitte oder die Balance, der Ringfinger schmiegt sich den Nachbarn an und der kleine Finger ist eben klein und verletzlich. Das Schema, das die fünf Finger bzw. ihre fünf Gesichtspunkte damit bilden, lässt, sich beim Daumen angefangen, mit den fünf Begriffen umschreiben:
Freiheit – Wahrheit – Gerechtigkeit – Liebe – Leben

Diese Abfolge der fünf Gesichtspunkte an den Fingern entlang muss in schriftlosen Zeiten ähnlich benutzt worden sein, wie heutzutage das Alphabet oder die Formel der französischen Revolution. „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit.“
Die fünf Finger bieten damit eine faszinierende gedankliche Ordnung. Legt man diese Ordnung bei der Abfassung eines Textes zugrunde, so entsteht ein Fingerreim. Vom Daumen der einen Hand bis zum Daumen der anderen sind die Zehn Gebote thematisch offensichtlich mit den zehn Fingern verbunden. Mit der Zuordnung zu den einzelnen Fingern ist zugleich das Thema klar, zu dem das Gebot formuliert wurde.

[Fingerreim]

Wie soll man sich vorstellen, dass biblische Erzähler aus den zwei Händen zwei Steintafeln gemacht hätten? Der Vorgang ist nicht so verwunderlich, wie es auf den ersten Blick erscheint. Im Judentum der letzten Jahrhunderte vor Chr. gab es in dieser Richtung zwei Tendenzen.
Zum Einen wollte man Gebote, die Gott wohl ans Herz legt, aber freistellt, mehr und mehr als Gesetze verstehen, deren Nicht-Einhaltung streng bestraft wird. So neigte man dazu, Gebote wie Gesetze anzusehen, die z. B. vom altbabylonischen König Hammurapi auf Steintafeln geschrieben wurden.
Zum Anderen fand man es zunehmend unangemessen, Gott mit natürlichen oder körperhaften Vorstellungen in Verbindung zu bringen. Also lag es sogar nahe, aus den beiden Händen die zwei Steintafeln zu machen.

Warum freuen sich Juden und Christen nicht über die Entdeckung? Sicher spielt Enttäuschung eine große Rolle, weil es sich nun so anders verhält, als es die Bibel erzählt. Es geht dabei nicht nur um lieb gewordene Vorstellungen. Wer nur den Wortlaut der Bibel gelten lassen oder aus ihr gar verbindliche Gesetze und Regeln für die Gegenwart ableiten will, wird an der Entdeckung des Fingerreims wenig Freude haben.
Andererseits weckt diese Entdeckung aber neues Interesse an der Bibel und an dem Hintergrund vieler Texte. Und wer sich anhand der Finger in die Zehn Gebote vertieft, wird erstaunliche Einsichten gewinnen, die uns heute angesichts der globalen Probleme zu helfen vermögen.




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